Deutsch-chinesischer Streit um japanisches Patent

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Einen solchen Affront erlebt kein Vortragsredner gern. An den vier Buchstaben GaAs entzündete sich der vehemente Angriff, den der Solarworld-COO Boris Klebensberger gegen Andreas Liebheit, Vice President und Managing Director EMEA beim chinesischen Photovoltaikhersteller Solarfun, auf der „Solar-meets-Glass“-Konferenz im September in Düsseldorf richtete. Sein Vorwurf an den Solarfun-Manager: Das Unternehmen klaue Patente und bekunde dies auch ganz öffentlich auf seinen Vortragsfolien.
GaAs – dieses Kürzel steht für Galliumarsenid. Der Zündstoff verbirgt sich dabei im Gallium: ein seltenes Metall, das Solarfun benutzt, um seine kristallinen Solarzellen zu dotieren. Auch der chinesische Hersteller Suntech verwendet galliumdotiertes Material. Üblicherweise setzt die Branche bei der Dotierung jedoch Bor ein. In Verbindung mit dem Sauerstoff, der bei der Kristallisation im nach dem üblichen Czochralski-Verfahren gezogenen Silizium unvermeidlich auftritt, hat Bor allerdings einen entscheidenden Nachteil: „Mit der Bor-Dotierung tritt unter Lichteinfall ein Degradationseffekt ein“, sagt Stefan Glunz, Leiter der Abteilung „Solar Cells – Development and Characterization“ beim Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE. Diese Degradation ist nicht ohne: „Wie viel Prozent Wirkungsgrad man verliert, hängt von der Qualität der Zelle und der Konzentration der Bordotierung ab. Aber im Durchschnitt ist es ein halbes Prozent“, so Glunz. Die Kunden merken davon jedoch nichts, weil der Prozess binnen zwölf Stunden abgeschlossen ist. Sie erhalten somit ein Modul, das bereits degradiert ist. Die Leistungswerte, die für die Module angegeben werden, berücksichtigen diesen Effekt bereits.

Weniger Degradation mit Gallium

Nichtsdestotrotz: Der Verlust ist natürlich ärgerlich für die Zell- und Modulhersteller. Kein Wunder also, dass sie diese Degradation gern verhindern würden. Das geht lediglich auf einem Weg: „Der Sauerstoff lässt sich nur sehr aufwändig mit dem sogenannten Magnetic-Cz-Verfahren vermeiden. Deshalb muss man versuchen, das Bor loszuwerden“, erklärt Glunz.
Eine Alternative hat das Fraunhofer-Institut mit Gallium gefunden: „Wir haben schon vor etwa zehn Jahren zusammen mit dem japanischen Mikroelektro nik-Konzern Shin-Etsu in Versuchen festgestellt, dass bei galliumdotiertem Cz-Silizium keine Degradation stattfindet. Das ist ein klares physikalisches Ergebnis, um das es keine Diskussionen gibt. Einige andere Kristallisateure haben zu Forschungszwecken ebenfalls Gallium eingesetzt und sind zu ähnlichen Ergebnissen gekommen“, sagt Glunz. Mit galliumdotiertem Material würde der Ausstoß an Wattpeak in einer Fabrik also auf einen Schlag deutlich nach oben gehen, meint der Fraunhofer-Forscher. Technologisch wäre es für die Hersteller kein größeres Problem, bei der Dotierung von Bor auf Gallium umzustellen.

Das große Schweigen

Dumm nur, dass diese Forschungsergebnisse für die kristalline Photovoltaikbranche eigentlich tabu sind. Denn Shin-Etsu hat die Technologie parallel zu den Arbeiten des Fraunhofer-Instituts in Japan, den USA und Europa zum Patent angemeldet und dafür 1999 auch die Zulassung bekommen. „Dieses Patent ist so formuliert, dass aus meiner Sicht keine Möglichkeit besteht, es zu umgehen“, sagt Gunter Erfurt, bei Solarworld zuständig für den Technologietransfer. Dennoch dotieren Solarfun und Suntech mit Gallium und verheimlichen dies auch gar nicht. Da erscheint verständlich, dass dem Solarworld-Manager Klebensberger auf der Düsseldorfer Konferenz die Zornesröte ins Gesicht stieg. Der Bonner Photovoltaikkonzern sieht die Verwendung von Gallium als Wettbewerbsverzerrung: „Denn wir müssen den geringeren Wirkungsgrad, den wir mit dem Verzicht auf das Verfahren in Kauf nehmen, durch andere Technologien ausgleichen“, sagt Solarworld-Sprecherin Anne Schneider.
Nun könnten Solarfun und Suntech natürlich einfach von Shin-Etsu eine Lizenz erworben haben, so dass die Vorwürfe von Solarworld mit einem Schlag entkräftet wären. Doch die chinesischen Hersteller äußern sich auf die Nachfragen dazu nicht. Werner Niehaus, Vice President of Global Marketing bei Solarfun, sagt nur: „Wir nehmen grundsätzlich nicht zu derlei Vorwürfen, wie sie jetzt von Solarworld erhoben werden, Stellung. Wir haben die Patentrechtssituation sehr sorgfältig untersucht und sind der Meinung, dass wir kein Patent verletzen.“ Worauf sich diese Einschätzung stützt, ließ er offen. Auch die Frage nach einer möglichen Vereinbarung zwischen Solarfun und Shin-Etsu beantwortete er nicht – was die Zweifel nährt, dass eine solche Übereinkunft existiert.
Und wie sieht Shin-Etsu die Situation? Der seit jeher in seiner Kommunikation sehr zurückhaltende Konzern gibt ebenfalls keine Auskunft zur Patentfrage. Immer wieder wurde spekuliert, Shin-Etsu wolle selber in die Wafer- oder Zellherstellung einsteigen. Dafür hätte sich das Unternehmen mit der Galliumdotierung ein wertvolles Alleinstellungsmerkmal verschafft. Das ist jedoch in den mehr als zehn Jahren seit der Patenterteilung nicht passiert. Und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass Shin-Etsu in nächster Zeit in die Photovoltaikbranche drängen könnte.

Produzieren? Ja. Verkaufen? Nein.

Shin-Etsu hält die Patentrechte in Japan, den USA und Europa. In China dagegen hat der Konzern das Patent nicht angemeldet. Damit steht es Suntech und Solarfun zwar frei, das Galliumverfahren in seinen chinesischen Fabriken anzuwenden. Allerdings dürfen sie ihre dort gefertigten Produkte im Grunde nicht in Deutschland und genauso wenig in Japan, den USA und anderen Ländern Europas verkaufen. Der Patentanwalt und promovierte Physiker Albrecht Rau von der Nürnberger Kanzlei Rau, Schneck & Hübner erläutert: „Ein erteiltes Patent wird in einem Land, in dem es Schutz genießt, verletzt, wenn das geschützte Produkt dort von einem anderen Hersteller angeboten wird. Ein Siliziumproduzent, der in China Kristalle herstellt, die unter einen in Europa gültigen Patentanspruch fallen, würde das europäische Patent verletzen, wenn er die entsprechenden Produkte nach Deutschland exportiert.“ Patentrechtlich wären die Märkte in Europa, der USA und Japan für die beiden chinesischen Hersteller demnach also tabu. Und das noch für fast zehn Jahre, denn das Patent läuft maximal 20 Jahre.
Aber weshalb geht Shin-Etsu nicht juristisch gegen Suntech und Solarfun vor, wenn mit dem Verkauf der Module in Deutschland tatsächlich eine Patentverletzung vorliegen sollte? Der japanische Konzern beantwortet auch diese Frage nicht. Rau nennt eine mögliche Erklärung für den Verzicht auf eine Klage: „Bei Patentstreitigkeiten reagiert das beklagte Unternehmen in der Regel mit einer Nichtigkeitsklage, mit der angezweifelt wird, dass das Patent zu Recht erteilt wurde.“ Die Verteidigung in einem solchen Verfahren wäre für Shin-Etsu mit erheblichen Kosten verbunden. Da nichts darauf hindeutet, dass das Unternehmen selber in die Wafer- oder Zellenfertigung einsteigen will, erspart es sich womöglich diesen Aufwand, denn es wird durch Suntech und Solarfun ja nicht direkt geschädigt.
Solarworld und all die anderen Hersteller, die Bor verwenden, dagegen schon. Da sie keinerlei Rechte an dem Patent haben, gibt es für sie jedoch keine Möglichkeit, den Verkauf der Produkte ihrer chinesischen Mitbewerber hierzulande gerichtlich stoppen zu lassen. „Das wäre nur möglich, wenn ein Unternehmen wie Solarworld mit Shin-Etsu einen Vertrag abschließen würde, der Shin-Etsu verpflichtet, selber auf Kosten von Solarworld Klage einzureichen, oder Solarworld erlaubt, im eigenen Namen aus dem Patent vorzugehen. Doch warum sollte Shin-Etsu dies tun? Denn für sie besteht immer das Risiko einer Nichtigkeitsklage zur Rechtsbeständigkeit des Patents“, sagt Rau. Wenn Shin-Etsu nicht klagen will, seien die Patente in Deutschland nicht durchsetzbar, so der Patentanwalt: „Shin-Etsu muss immer mitspielen.“ Das weiß auch Gunter Erfurt: „Im Patentrecht gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter.“

Kein Gewohnheitsrecht

Wenn Shin-Etsu nicht juristisch gegen Solarfun und Suntech vorgeht – entsteht dann nach einiger Zeit nicht eine Art Gewohnheitsrecht, weil das Ausbleiben einer Klage als stillschweigendes Einverständnis gewertet wird? Theoretisch ja, wie Rau erläutert: „Es gibt den Grundsatz der Verwirkung: Wenn jemand über einen langen Zeitraum etwas Patentverletzendes tut und der Patentinhaber davon weiß, aber nichts dagegen unternimmt, dann wäre es ab einem bestimmten Zeitpunkt rechtlich nicht mehr statthaft, wenn der Patentinhaber seine Ansprüche noch durchsetzen will.“
Wann dieser Zeitpunkt erreicht ist, hängt jedoch vom Einzelfall ab. „Das entscheidet das Gericht aus dem hohlen Bauch“, sagt Rau. Er glaubt nicht, dass sich die chinesischen Hersteller schon jetzt auf ein solches Gewohnheitsrecht berufen können: „Nach ein oder zwei Jahren sind die Bedingungen für eine Verwirkung üblicherweise noch nicht erfüllt. Zudem müssen einige andere Voraussetzungen erfüllt sein, bis ein Gericht entscheidet, dass ein Recht verwirkt sei. So müssten die Chinesen beweisen, seit wann Shin-Etsu von der Verletzung der Patentrechte weiß.“
Solarworld jedenfalls hält das Vorgehen von Solarfun und Suntech für unmoralisch. „Es widerspräche unserer Geschäftsethik, wenn wir das Verfahren anwenden und damit das Shin-Etsu-Patent verletzen würden“, sagt Erfurt. „In China ist das offenbar anders: Da werden erst Tatsachen geschaffen. Und dann schaut man mal, ob jemand dagegen vorgeht.“

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