Dem Kellerraum, in dem sich Sönke Rogalla zu schaffen macht, sieht man an, dass er ganz neu ist. Glänzende Kupferschienen verbinden die elektrischen Bauteile. Verlegt sind sie auf den typischen Isolatoren, die dem Raum eine besondere Optik geben und mit denen Laien Hochspannung assoziieren. Der Ingenieur und Leiter des Testlabors am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE entfernt einige der Leitungen und macht, um in seinen Worten zu bleiben, „den Drosselraum scharf“. Er will für einen Kunden den sogenannten Fault-Ride-Through-Test durchführen, den Test, an dem viele Wechselrichter zunächst scheitern. Die Mitarbeiter des Wechselrichterherstellers, dessen Gerät nun getestet werden soll, nehmen derweil letzte Software-Konfigurationen vor, um den Wechselrichter auf den schwierigen Test vorzubereiten. „Wir müssen uns auf neue Anforderungen einstellen“, sagt einer der Entwickler, der nicht namentlich genannt werden möchte. „Man muss dem Wechselrichter einprogrammieren, wie er reagieren soll, wenn plötzliche Fehler im Netz auftreten.“ Denn in Zukunft sollen Erneuerbare-Energien-Anlagen zur Stabilität der Stromnetze beitragen.
Warum dies so wichtig ist, macht ein Rückblick in das Jahr 2006 deutlich. Damals saßen die Menschen an einem Samstagabend im November vor ihren Fernsehgeräten und schauten „Wetten, dass …?“. Hape Kerkeling und Rod Steward bestaunten gerade zwei Muskelprotze, die synchron zur Musik mit ihren Brustmuskeln zuckten. Ein Dritter wollte das gespielte Lied nur anhand der rhythmischen Zuckungen seiner Kollegen erkennen. Und plötzlich … schwarz. Fernseher aus, Lichter aus, halb Deutschland sitzt im Dunkeln. Nicht nur hierzulande war der Stromausfall bemerkbar, auch in Teilen von Frankreich, Belgien, Italien, Österreich und Spanien war plötzlich der Strom weg, mancherorts bis zu 120 Minuten. Das lag vordergründig daran, dass Eon eine Hochspannungsleitung abgeschaltet hatte, die über die Ems führte. Das Kreuzfahrtschiff Norwegian Pearl fuhr darunter durch und sollte nicht gefährdet werden. Doch der tiefere Grund war, dass durch die fehlende Leitung eine andere Leitung thermisch überlastet und daraufhin zusätzlich abgeschaltet wurde. Das führte zu Frequenzschwankungen im Netz, wodurch sich die Windkraftanlagen nach den damals noch gültigen Grid-Codes vom Netz trennen mussten. Schließlich kam es zu einer Kettenreaktion bis hin zum kompletten Blackout. Damit sich solch ein Fehler nicht so einfach wiederholen kann, verlangt die Mittelspannungsrichtlinie, die der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW herausgegeben hat, nun von Windkraft- und Photovoltaikanlagen, dass sie zur sogenannten vollständigen dynamischen Netzstützung fähig sind. Die Frist, ab der Photovoltaik-Wechselrichter die Vorgaben zur statischen und dynamischen Netzunterstützung erfüllen sollen, lief letzten Juni ab. Inzwischen wurde der Stichtag auf Drängen der Hersteller jedoch nach hinten verschoben. Derzeit gilt der 1. April 2011. Doch noch immer ist nicht klar, wie die vielen Geräte bis dann beweisen können, dass sie die Richtlinie erfüllen.
Auf dem neuesten Stand der Technik
Das neue Testzentrum für Wechselrichter in Freiburg erstreckt sich über mehrere Stockwerke. Für das Labor hat das Institut einen eigenen Mittelspannungszugang bekommen. Es entnimmt dem Netz bis zu einem Megawatt an elektrischer Leistung und speist damit eine Gleichstromquelle, die einen Solargenerator simuliert. Damit kann ein Solarmodulfeld mit einer Fläche von bis zu zwei Hektar nachgeahmt werden. Der simulierte Solargenerator speist dann den Wechselrichter, dessen Ausgang die Energie wieder dem Netz zuführt. Im Normalbetrieb geht also kaum Energie verloren. Wenn Rogalla bei den Tests die Eigenschaften der Netzseite manipulieren muss, schaltet er die Drosselspulen im Keller in die Leitung zwischen Wechselrichter und Mittelspannungsnetz. Die Herausforderung war, die hohen Leistungen zu schalten. Ströme mit bis zu 2.200 Ampere müssen im Labor beherrscht und gemessen werden. Gleichzeitig wird das Verhalten des Wechselrichters beim Test exakt beobachtet. Dafür steckt das Labor zusätzlich voll mit Messelektronik.
„So etwas gibt es nicht von der Stange“, erklärt Rogalla, als er vom Keller mit den Drosselspulen in das eigentliche Testlabor zwei Stockwerke darüber geht. „Das ist eine Einzelanfertigung.“ Drei Jahre haben er und seine Kollegen daran geplant und gebaut, bis sie es Anfang September in Betrieb genommen haben. Laut Rogalla ist es sogar das erste und bislang einzige Prüflabor Europas, das Photovoltaik-Wechselrichter mit Leistungen von bis zu einem Megawatt nach den Vorschriften der Mittelspannungsrichtlinie testen kann.
Wer einen Termin zum Testen im neuen Labor bekommen hat, darf sich also glücklich schätzen. Es gibt zwar auch andere Prüfinstitute, diese sind aber bisher auf die Prüfung von Windkraftanlagen spezialisiert und meist auch schon mit Aufträgen aus der Windbranche ausgebucht. Außerdem werden die Tests für Windanlagen nur im Feld durchgeführt. Dies ist bei der Prüfung von Windanlagen unabdingbar, erklärt Rogalla. Bei der Prüfung von Photovoltaikanlagen geht das zwar im Prinzip auch, es bietet sich aber an, die Tests ins Labor zu verlegen, weil die natürlichen Begebenheiten dort gut zu simulieren und außerdem reproduzierbar sind.
Realitätsgetreue Simulation
„Bei der Photovoltaik sind alle nötigen Kennlinien hinreichend bekannt, und wir können damit relativ leicht verschiedene Solargeneratoren simulieren“, sagt Rogallas Kollege Gregor Dötter. „Wir können unterschiedliche Modultypen wie Silizium- oder Dünnschichtmodule konfigurieren und beispielsweise auch Wolkendurchgänge nachstellen.“ Zu den Prüfungen, die für das Zertifikat verlangt werden, gehört zum Beispiel die Messung der Wirk- und Blindleistungseinspeisung. Auch das Verhalten des Wechselrichters beim Ein- und Ausschalten und seine Reaktion auf kleinere Fehler im Stromnetz werden genau untersucht. Bei dem ebenfalls obligatorischen Fault-Ride-Through-Test simulieren die Ingenieure am Fraunhofer ISE einen plötzlichen Spannungseinbruch im Netz. Er gehört zu den aufwendigsten Prüfungen, da hierfür leistungsstarke Mittelspannungstechnik benötigt wird. Personal, das Schaltungen an der Anlage vornimmt, braucht außerdem eine Mittelspannungsschaltberechtigung. In mehreren Durchgängen variieren die Experten die Dauer des Spannungseinbruchs, die Einbruchstiefe und die Auslastung des Wechselrichters. Dabei darf das Gerät erstens nicht abschalten und muss zweitens während des Einbruchs netzstützende Blindleistung ins Netz einspeisen. Der erste Test beginnt mit einem Kurzschluss, einem Spannungseinbruch auf der Netzseite des Wechselrichters.
Nachdem Rogalla die zentimeterdicken Erdungskabel im Drosselraum entfernt hat, fährt er den Solargeneratorsimulator im Labor hoch. Er simuliert zunächst eine Solaranlage mit einer Leistung von 100 Kilowatt, die an den Wechselrichtereingang angeschlossen ist. Mit einem lauten Knall löst sich die Feder, die den Kontakt zwischen der Netzspannung und dem Wechselrichterausgang herstellt. „Aufgrund der hohen Ströme muss die Kontaktierung schnell geschehen“, sagt Dötter. „Das ist wichtig, damit kein Lichtbogen entsteht, der uns die Kontakte versengt.“ Nach seinem Anschluss gibt der Wechselrichter ein Surren von sich. Zentralwechselrichter sind in der Regel lauter als die kleinen Geräte für das Eigenheim. „Das Geräusch entsteht beim Zerhacken des Gleichstroms. Mit den niedrigen Taktfrequenzen im hörbaren Bereich sind höhere Wirkungsgrade möglich als mit den hohen Taktfrequenzen, die kleinere Wechselrichter oft verwenden“, erklärt Laborleiter Rogalla.
Gregor Dötter stellt das entsprechende Testprogramm im Computer des Steuerpults ein. „Dreiphasiger Einbruch auf null Prozent Spannung bei Teillast. Das ist so, als würde ein Bagger mit einem Mal alle drei Kabel durchtrennen“, sagt Dötter. In diesem Test dauert die Störung allerdings nur 150 Millisekunden, da Fehler im realen Netz in der Regel nach dieser Zeit durch Netzschutzelemente geklärt werden können. Ein letztes Mal versammelt sich das Team aus vier Mitarbeitern des Fraunhofer ISE und zwei Technikern des Wechselrichterher stellers vor dem Messgerät. Gleichmäßige Sinuskurven auf dem Bildschirm zeigen an, dass der Wechselrichter ordnungsgemäß arbeitet. Es kann losgehen.
Anspruchsvoller Test
Rogalla verteilt Lärmschutz-Kopfhörer an alle Anwesenden. „Gerade bei Erstprüflingen kann es schon mal vorkommen, dass ein Leistungsteil explodiert.“ Damit es dann nicht zu Gehörschäden kommt, ist das Aufsetzen der Lärmschutz-Kopfhörer Pflicht. Gregor Dötter tritt an das Schaltpult und beginnt mit der Prozedur. Eine blaue Lampe zeigt an, dass die Schaltung nun vorgenommen werden kann. Dötter gibt den Countdown: „Drei, zwei, eins, Start!“ Er legt den Schalter um, das Licht der Lampe wechselt von Blau zu Orange. Der Test läuft, und nun geht alles sehr schnell. Zehn Sekunden Vorlaufzeit, dann beginnt der simulierte Netzfehler. Es folgen 150 Millisekunden Spannungseinbruch, kurz danach wird das Netz wieder angeschaltet. Nach weiteren sechs Sekunden Nachlaufzeit ist alles vorbei. Nichts ist explodiert, das rote Licht der Lampe kam erfreulicherweise nicht zum Einsatz.
„Das hatten Sie sich wahrscheinlich spannender vorgestellt“, sagt Sönke Rogalla und lacht. „Aber wenn alles nach Plan verläuft, gibt es eben nicht viel zu hören oder zu sehen.“ Das erste Ergebnis des Tests ist schnell am Messgerät abzulesen. Nach dem Spannungseinbruch, während dessen die Graphen gegen null gingen, erscheinen wieder die bekannten Sinuskurven. Obwohl sie kurz nach dem Test etwas zerfranst und weniger gleichförmig aussehen, zeigt sich doch, dass sich der Wechselrichter nicht abgeschaltet hat. Das ist schon mal ein erster Teilerfolg. Ob und wie viel Blindstrom eingespeist wurde, lässt sich erst nach einer genaueren Auswertung der Daten mit Sicherheit sagen. Dies wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Ein wichtiges Ergebnis der bisher gelaufenen Tests ist, dass der Testaufwand deutlich größer ist, als von den Experten vorher erwartet wurde, sowohl bei der Messung im Labor als auch bei der anschließenden Auswertung und Aufbereitung der Messergebnisse für den Testbericht. „Da ist auch im Nachhinein noch einiges an Berechnungen notwendig“, erklärt Rogalla.
Auch wenn dieser Test erfolgversprechend aussieht, ist absehbar, dass wieder nicht alle Wechselrichter rechtzeitig zum Ablauf der Übergangsfrist der Mittelspannungsrichtlinie zertifiziert sein werden. Wie Hersteller, Netzbetreiber und der BDEW damit umgehen werden, ist in Fachkreisen noch weitestgehend unklar. Den Verantwortlichen vom BDEW sind die Schwierigkeiten zumindest bekannt. Ricarda Ballhaus aus der Presseabteilung erklärt, dass auch von Herstellern schon Gesprächsbedarf angekündigt wurde. Das Problem werde bereits in der entsprechenden Arbeitsgruppe thematisiert. Es sei aber noch zu früh, um etwas Genaues sagen zu können. Wechselrichterhersteller sind jedenfalls gut beraten, sich frühzeitig auf die neuen Anforderungen einzustellen (siehe Interview auf Seite 66).
Die Frist läuft ab
Antonio Notholt Vergara ist Gruppenleiter für Stromrichterintegration am Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES in Kassel. „Auch auf uns kommen Kunden zu, die ihre Wechselrichter nach der Mittelspannungsrichtlinie prüfen lassen wollen“, sagt Notholt. „Wir können Geräte bis zu 100 Kilowatt testen. Das dauert aber pro Wechselrichter zwischen ein und zwei Monaten.“ Notholt erwartet ebenfalls Schwierigkeiten mit dem Ablaufen der Übergangsfrist der Mittelspannungs richtlinie. „Das wird auf jeden Fall ein Problem, das die Netzbetreiber noch klären müssen. Ob die dann aber so streng sein werden, weiß ich nicht.“ Auf Anfragen reagieren viele Betreiber von Mittelspannungsnetzen derzeit noch ratlos. Wie sie nach Ablauf der Frist mit neuen Anschlüssen an das Mittelspannungsnetz umgehen werden, können sie theoretisch selbst entscheiden. „Die Netzbetreiber sind nicht dazu verpflichtet, die Mittelspannungsrichtlinie umzusetzen. Es ist nur eine Richtlinie“, sagt Notholt.
Der einzige Hersteller, der bereits letzten Sommer verkündet hatte, zertifizierte Geräte anzubieten, war SMA. Die Zertifikate für die ersten drei Wechselrichter aus der Sunny-Central-Reihe liefen allerdings schon Ende 2010 wieder aus, da es noch Probleme mit der dynamischen Einspeisung von Blindleistung gab, die ab 1. Januar gefordert wird. Seit Dezember bietet SMA nun zwei neue Modelle an, die allen Anforderungen der Mittelspannungsrichtlinie, inklusive der Blindleistungseinspeisung, entsprechen sollen, den Tripower 15000TL und den Central 630CP. Das Unternehmen hat den Vorteil, dass es die meisten Messungen im eigenen Prüflabor durchführen kann.
Auch die Firma Fronius hat schon zwei Zertifikate erhalten, die über das Jahr 2010 hinausgehen. Mit zehn beziehungsweise zwölf Kilowatt Nennleistung handelt es sich aber um eher kleinere Geräte. Eine Übersicht von bereits ausgestellten Zertifikaten kann auf der Webseite der Fördergesellschaft Windenergie und andere Erneuerbare Energien FGW unter www.wind-fgw.de, Menüpunkt Einheitenzertifikate, eingesehen werden.
Dass die Prüfeinrichtung des Fraunhofer ISE unter Herstellern von Wechselrichtern zukünftig sehr gefragt sein wird, ist klar. Mit der Verlängerung der Übergangsfrist bis zum 1. April 2011 hat der BDEW Herstellern noch die Chance gegeben, rechtzeitig ein Zertifikat zu bekommen. „Ich bin trotzdem gespannt, wie die Situation am 1. April aussehen wird“, sagt Rogalla. „Ich denke, dass auch bis dahin nicht jeder Hersteller für jedes seiner Produkte ein Zertifikat haben wird. Da sehe ich gerade einfach nicht die Kapazitäten dafür.“ Er ergänzt: „Für einen Wechselrichter brauchen wir mindestens zwei Wochen. Gerade testen wir den fünften, und bei den Aufträgen für weitere Tests ist eigentlich kein Ende abzusehen.“
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