Neue Spielregeln

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Der Solarboom bereitet Hans Wallner Kopfzerbrechen. Er arbeitet als Leiter Netzwirtschaft des Versorgers Eon Bayern, der einen großen Teil der Stromnetze im Freistaat betreibt. „Es gibt Schwierigkeiten durch Netzrückwirkungen, unzulässige Spannungsanhebungen, Verletzungen der zulässigen Spannungstoleranz, zeitweise Überlastungen“, sagt Wallner. „Im schlimmsten Fall führt das dazu, dass durch intensive Sonneneinstrahlung punktuell die Einspeisewerte so hoch sind, dass bereits einzelne Anlagen vom Netz genommen werden mussten.“

Um dieses Problem anzugehen, haben die Netzbetreiber schon vor zwei Jahren die Mittelspannungsrichtlinie verabschiedet. Sie führte damals zu Konflikten mit der Photovoltaikbranche, bevor die Übergangsfristen verlängert wurden, innerhalb derer die Wechselrichter hersteller ihre Geräte anpassen konnten (photovoltaik 02/2009). Über 80 Prozent aller Photovoltaikanlagen speisen allerdings in das Niederspannungsnetz ein. Deshalb steht jetzt eine neue Richtlinie für Niederspannungsnetze auf der Tagesordnung der Versorger.

Niederspannungsnetze sind die unterste Netzebene, von der einzelne Häuser versorgt werden. Bis vor wenigen Jahren war das Niederspannungsnetz ein reines Verteilnetz. Mit der zunehmenden Produktion erneuerbarer Energien wird auf Niederspannungsebene nicht mehr nur Strom entnommen, sondern immer mehr eingespeist – dezentral und in der Menge stark fluktuierend. Die derzeit einzige Bedingung für Photovoltaikanlagen: Gibt es im Netz eine Anomalie, muss der Wechselrichter die Anlage sofort vom Netz trennen. Als die Anzahl der Photo voltaikanlagen noch gering war, stellte das keine Schwierigkeit dar. Inzwischen kann das schlagartige Entfernen von Photovoltaikanlagen Netzprobleme bis hin zu einem Blackout verursachen.

Solarenergie fordert die Netze

„Dafür sind die Netze historisch nicht gedacht“, sagt Wallner. „Die Netzkapazität der Vergangenheit reicht dafür nicht aus, und die Netzreserven sind regional vielfach ausgeschöpft, obwohl wir das Netz tagtäglich weiter ausbauen und neue Trafostationen errichten.“ Er sieht das Problem darin, dass Netzbetreiber nicht steuern können, wie viele Photovoltaikanlagen wo angeschlossen werden.

Dabei ist klar, dass die Photovoltaikleistung weiter steigen wird. Der Europäische Photovoltaikindustrieverband EPIA spricht in der Studie „SET for 2020“ von zwölf Prozent des europäischen Strombedarfes, der 2020 durch Photovoltaik erzeugt werden soll.

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Phasenwinkel, Blind- und Wirkleistung

Der Begriff Blindleistung hat durchaus Ähnlichkeiten mit dem des blinden Passagiers. Wird Blindleistung abgegeben, fließen Ströme. Sie sind aber kaum zu bemerken. Das liegt daran, dass sie im Mittel über einige zig Millisekunden immer null sind. Blindleistung ist ein Phänomen, ohne dass das Verhalten der Stromnetze nicht zu verstehen ist.

Wechselspannung fluktuiert 50-mal in der Sekunde zwischen negativem und positivem Maximalwert und zurück. Der Strom läuft im Idealfall synchron mit (Grafik/linke Spalte). Die Leistung, das Produkt aus Strom und Spannung, ist in diesem Fall immer positiv (Grafik/links unten). In diesem Fall gibt es keine Blindleistung, sondern nur Wirkleistung. Sie ist nutzbar.

Zur Blindleistung kommt es, wenn der Strom hinter der Spannung hinterherhinkt (Grafik/rechte Spalte). In diesem Beispiel sind Strom- und Spannungskurve um fünf Millisekunden gegeneinander verschoben. Es gibt zwar noch Momente mit positiver Leistung, in denen Energie vom Generator zum Verbraucher fließt, aber es gibt auch genauso viele Momente mit negativer Leistung, in denen der Stromgenerator Energie aufnehmen muss, die der Verbraucher abgibt. Die Bilanz ist null. Im Mittel gibt der Generator also gar keine Wirkleistung mehr ab, obwohl Ströme fließen.

Das ist der Extremfall bei einem Phasenwinkel von 90 Grad, bei dem der Generator nur Blindleistung abgeben würde. Bei kleineren Phasenwinkeln gibt er sowohl Wirkleistung als auch Blindleistung ab. Der Zusammenhang wird mit einer Cosinus- und einer Sinusfunktion beschrieben: Ueff ist der sogenannte Effektivwert. Bei der Spannung aus der Steckdose sind das die in Deutschland üblichen 230 Volt. Der Faktor cos ϕ spielt also eine Schlüsselrolle.

Ursache der Phasenverschiebung

Zur Phasenverschiebung kommt es übrigens, wenn zum Beispiel ein am Netz angeschlossener Staubsauger eingeschaltet wird. Zunächst muss sich das Magnetfeld aufbauen, das die Spulen des Elektromotors im Staubsauger umgibt. Physikalische Gesetze verlangen dabei, dass der Strom durch die Spulen und die im Magnetfeld gespeicherte Energie im Gleichtakt steigen und fallen. Deshalb steigt der Strom auch nur so langsam, wie sich das Magnetfeld aufbaut. Polt sich dann die Wechselspannung um, baut sich das Magnetfeld zunächst wieder ab. Der Strom hinkt wieder aus dem gleichen Grund der Spannung hinterher wie beim Einschalten. Das wiederholt sich dann 50 Mal pro Sekunde.

Der Anteil an Energie, der in den Spulen auf- und im nächsten Moment wieder abgebaut wird, fließt zyklisch vom Stromerzeuger zum Verbraucher und wieder zurück. Da Ströme fließen, kommt es beim Hin- und Herpumpen der Blindleistung zu den in den Leitungen üblichen Verlusten. Das ist der Grund, warum Blindleistung nicht nur das Netz belastet, sondern auch etwas Energie kostet.