Wo einst die Asche rieselte

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Bitterfeld – die Kleinstadt bei Halle war jahrzehntelang in Ost wie West Synonym für die Rücksichtslosigkeit der DDR-Industrieproduktion gegenüber Mensch und Umwelt, für die kaltschnäuzige Vergiftung von Wasser und Luft, für gelbe Chemiewolken, schwarzen Ascheregen und weiße Schaumkronen. Die ostdeutsche Autorin Monika Maron nannte Bitterfeld die „dreckigste Stadt Europas“. Maron porträtierte Bitterfeld in ihrem Debütroman „Flugasche“, der 1981 in der Bundesrepublik erschien und in der DDR verboten war. Der Titel bezieht sich auf die 180 Tonnen Ruß, die die Schornsteine der Kombinate damals täglich in die Luft bliesen, Dreck, der „sachte wie Schnee langsam und sanft fällt, der die Regenrinnen verstopft, die Dächer bedeckt, in den der Wind kleine Wellen weht.“ Die Trägerin des Deutschen Nationalpreises 2009 sowie des Kleist-Preises schilderte in diesem Roman die Reise einer Journalistin nach Bitterfeld, die eine Reportage über die dortige Industrie schreiben soll.

Maron hatte diese Expedition einige Jahre zuvor selbst unternommen, als sie von der DDR-Zeitung „Wochenpost“ nach Bitterfeld geschickt wurde.

Fast 30 Jahre nach Erscheinen von „Flugasche“ ist Monika Maron abermals in diese Region gefahren, im Kopf die alten Bilder von Ruß und Gift. Und wieder gibt sie Zeugnis von dieser Reise – mit der Reportage „Bitterfelder Bogen“, die jetzt im S. Fischer Verlag erschienen ist. Eine „wundersame Erfolgsgeschichte“ hat die 68-Jährige dort erlebt: Wie aus den Ruinen einer sterbenden Industrieregion durch die Ansiedlung von Zukunftstechnologien, vor allem der Photovoltaik, eine „einigermaßen blühende Landschaft“, so die Autorin, erwuchs. Und kaum jemand nimmt davon Notiz, zeigt sich Maron in einem ARD-Interview erstaunt: „Ich habe mich selber gewundert, dass sich niemand für diese Geschichte interessiert hat, die ja an sich schon besonders ist mit den Kreuzbergern, die hierherzogen.“

Wuseltronik und McKinsey

Kreuzberger? Monika Maron erzählt vor allem vom Aufstieg von Q-Cells zum weltweit größten Hersteller von Solarzellen. Eine Geschichte, die in den Siebzigern in einem Hinterhof in Berlin mit dem basisdemokratischen Ingenieurskollektiv Wuseltronik begann: Eines Tages trafen die engagierten Anti-AKW-Aktivisten aus Kreuzberg auf Anton Milner, der damals gerade seinen Job als Unternehmensberater bei McKinsey gekündigt hatte. „Sch… wir auf das Geld und machen wir was Richtiges“, beschlossen sie – nicht ahnend, dass „was Richtiges machen“ und viel Geld verdienen sich auf lange Sicht nicht ausschließen sollten.

Maron erzählt die Q-Cells-Story vor allem entlang den Menschen, die den Aufstieg des Unternehmens mehr oder weniger nah begleitet haben. Da ist zum Beispiel Produktionsleiter Uwe Schmorl, der in der DDR als Schlosser arbeitete, nach der Wende arbeitslos wurde, heute Produktionsleiter ist und als Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat von Q-Cells sitzt. Oder der 2006 verstorbene Q-Cells-Mitbegründer Reiner Lemoine, der damals Mitglied von Wuseltronik war (das als Ingenieurbüro für Forschung und Entwicklung im Bereich Erneuerbare Energien immer noch existiert) und der auch zu den Vätern von Solon gehört. Oder Holger Feist, ebenfalls einer der Gründer und lange Zeit technologischer Leiter bei Q-Cells, der vor einiger Zeit aus dem Unternehmen ausstieg, um nach Kreuzberg zurückzukehren und dort ein eigenes Büro zu gründen.

Grundkurs Solarzellenproduktion

Doch Maron interessiert sich nicht nur für die Menschen, sondern auch für deren Materie: Die Autorin möchte nicht nur die ökonomischen und politischen Bedingungen für den raketengleichen Aufstieg der Branche verstehen, sondern auch wissen, wie die High-Tech-Produktion vonstatten geht; wie Phosphor in den Wafer diffundiert zum Beispiel, wie der Wafer mit Siliziumnitrit bedampft und mit Silberpaste bedruckt wird. Und das soll auch der lesende Laie wissen. Deshalb nimmt sich Maron viel Zeit, um die Solarzellenproduktion im Detail zu beschreiben. Trotz der Angst, fachliche Fehler zu begehen, wie sie dem „Spiegel“ erzählt: „Ich habe mit die Anlage genau erklären lassen, alles aufgeschrieben und gedacht, ich hätte wenigstens die Hälfte verstanden. Zu Hause merkte ich, dass ich eigentlich nichts verstanden hatte. Dann bin ich wieder hingefahren und habe gesagt: ‚Ihr müsst mir das Ganze noch mal erklären. Und ich muss die richtigen Verben wissen. Wird es geätzt, wird es gebrannt, wird es aufgetragen?’“ Mit diesem Anspruch ist Maron eine Art Grundkurs Solarzellenproduktion gelungen, der auch branchenfremden Lesern die Faszination dieser Technologie vermittelt.

Modell für Nachhaltigkeit

Der „Bitterfelder Bogen“ ist jedoch keine Q-Cells-Firmenchronik. Denn so sehr Maron auch von der Erfolgsstory des Unternehmens fasziniert ist – für die Autorin ist diese vor allem Material, mit dem sie die geglückte Transformation einer toten Industrielandschaft in ein Modell für nachhaltiges Wirtschaften greifbar machen kann. Deswegen weitet sie den Blick über Q-Cells hinaus, etwa indem sie die Historie des Standorts präsentiert, die politischen Rahmenbedingungen für den Wandel beschreibt, einen Bezug zur Industriepolitik seit dem Mauerfall herstellt oder in der kollektiven Psyche der Region bohrt. Sie zeigt, wie der Aufbruch in ein Zeitalter aussehen kann, das sich durch einen verantwortungsbewussten Umgang mit den Ressourcen auszeichnet, während gleichzeitig Arbeitsplätze geschaffen werden – wobei Maron die gegenwärtige Kurzarbeit bei Q-Cells nicht erwähnt, denn das Buch wurde im Februar dieses Jahres abgeschlossen.

Natürlich meint sie mit dem Aufbruch in erster Linie eine Zukunft, die das schmutzige Erbe der DDR hinter sich lässt. Aber lesen lässt sich die Reportage auch als Mutmacher für den ökologischen Umbau der gesamten Industriegesellschaft – in Ost und West. Maron liefert damit in gewisser Weise auch ein Wendebuch, das zeigt, wie viel Gesamtdeutschland aus den Umbrüchen in der ehemaligen DDR lernen kann.

Das liest sich nicht so dröge wie viele der Green-Business-Manifeste, unter denen sich die Regale der Buchhändler zurzeit biegen, sondern, im Gegenteil: erfrischend, verblüffend, berührend und inspirierend. Maron ist keine Wirtschaftswissenschaftlerin, stammt nicht aus der Umweltbewegung, hatte bis zur Arbeit am „Bitterfelder Bogen“ keinen Bezug zur Solarbranche. Wahrscheinlich ist genau diese Distanz der Grund dafür, warum sie über das, was im Solar Valley in den letzten zehn Jahren passiert ist, staunen kann. Und das macht ihre Reportage so lebendig und kraftvoll.

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