Elektroautos kommen in Fahrt

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Zwei Zitate erfolgreicher Männer des 20. Jahrhunderts, prominent platziert auf der Startseite ihrer Website, dienen der Schweizer Autoschmiede Rinspeed als Wegweiser: „If you can dream it, you can do it“ von Walt Disney und „You may say I’m a dreamer, but I’m not the only one“ von John Lennon bringen das Selbstverständnis des Concept-Car-Spezialisten auf den Punkt. Visionär, Vordenker, Innovator: In dieser Rolle sieht sich Rinspeed-Chef Frank M. Rinderknecht mit seinem Unternehmen. „Wenn wir auch in Zukunft unsere individuelle Mobilität erhalten wollen, müssen wir das Auto ohne Rücksicht auf Tabus neu denken – und dabei vor allen Dingen dem ökologischen Aspekt Rechnung tragen“, so Rinderknecht.

Auto des 21. Jahrhunderts

Mit einem spektakulären, selbstbewussten Auftritt auf dem Genfer Autosalon Mitte März hat Rinderknecht diesen Anspruch untermauert: Rinspeed hat dort seine Studie „iChange“ vorgestellt, mit der Rinderknecht der Branche zeigen will, wie das Auto des 21. Jahrhunderts aussehen kann. „Der iChange ist Symbol für den fundamentalen Umbruch, in dem sich die Autoindustrie weltweit befindet. Und es ist klar, dass nur die Firmen überleben werden, die mit innovativen Konzepten den Anforderungen einer neuen automobilen Zeit begegnen“, erklärt der Rinspeed-Chef mit großer Geste. Rinderknecht hat dabei vor allem den Energieverbrauch im Visier.
Der Grundgedanke des iChange, den Rinspeed in Zusammenarbeit mit der Schweizer Engineering-Firma Ensoro entwickelt hat: Der Energiebedarf eines Fahrzeugs hängt neben dem Gewicht von Aerodynamik und Antrieb ab. Windschnittig machen die Ingenieure den iChange mit einer variablen Karosserie: Während konventionelle Autos ihr Blechkleid unabhängig von der Zahl der Fahrzeuginsassen mit sich herumtragen, lässt sich die Schweizer Erfindung an die Zahl der Mitfahrer anpassen. Nutzt nur ein Fahrer das Auto, gleitet es in Tropfenform mit minimalem Luftwiderstand durch den Verkehr. Sollen weitere Fahrgäste Platz finden, wird das Dach per Knopfdruck innerhalb von vier Sekunden um 15 Zentimeter angehoben. Dieser Heck-Trick reicht aus, um Raum für zwei weitere Passagiere zu schaffen, die hinter dem mittig montierten Fahrersitz platziert werden. Das Dach lässt sich ähnlich wie beim Messerschmitt-Kabinenroller aus den 50er Jahren nach oben aufklappen und ermöglicht so das Ein- und Aussteigen, Türen hat der „1-2-3-Sitzer“ nämlich nicht.

In vier Sekunden von null auf 100

Während der legendäre Roller aus Regensburg als Zweitakter katastrophale Umweltwerte aufwies, sorgt beim iChange ein moderner Elektromotor mit einer Leistung von 150 Kilowatt (204 PS) für einen deutlich saubereren Antrieb. Der Siemens-Motor bringt den Wagen binnen vier Sekunden aus dem Stand auf 100 Stundenkilometer und ermöglicht eine Höchstgeschwindigkeit von stolzen 220 Stundenkilometern. Die Reichweite liegt bei rund 90 Kilometern. Beim Energiespeicher setzt Rinspeed auf Lithium-Ionen-Akkus, die in zwei verschiedenen Batteriepacks für die Kurz- und die Langstrecke zur Verfügung stehen. Diese Akkus können innerhalb von drei Stunden an der Steckdose geladen werden.
Als Vordenker in Sachen umweltverträglicher Mobilität haben sich die Ingenieure von Rinspeed natürlich auch mit der Frage nach der Herkunft des Stroms beschäftigt, der den iChange antreibt. Um die Mobilität konsequent nachhaltig zu gestalten, haben sich die Ingenieure für die Integration von Photovoltaik in das Antriebskonzept entschieden. Dazu arbeitet die Schweizer Autoschmiede mit Sharp zusammen, die Solarmodule für die externe Stromversorgung des Concept Car liefern: Die vier monokristallinen Sharp-Module NT-175 E1 mit einer Gesamtleistung von 700 Watt sollen dafür sorgen, dass der iChange auch mit CO2-neutralem Strom fährt. Theoretisch wäre es möglich, das Sharp-System auch als netzunabhängige solare Tankstelle zu nutzen. Um hier zu akzeptablen Ladezeiten zu kommen, müsste es jedoch deutlich erweitert werden.
Zudem hat Rinspeed auch in das Dach des iChange Solarzellen integriert, die im Sommer einen Ventilator antreiben und so den Innenraum angenehm temperieren, ohne dass Batteriestrom verbraucht wird. Solche PV-Karosseriemodule, die die Kühlung unterstützen, sind schon seit vielen Jahren etabliert; Audi und Mazda zum Beispiel haben schon in den 90er Jahren Modelle mit solaren Schiebedächern auf den Markt gebracht. Heute finden sich Autodächer mit integrierter Photovoltaik als Ausstattungsvarianten jedoch nur noch in wenigen Oberklasse-Fahrzeugen wie dem Audi A6 und A8, dem Maybach, VW Phaeton oder dem Bentley Coupé.
Um die Reichweite des iChange zu erhöhen, halten die Tüftler von Rinspeed den Energiebedarf der Verbraucher, die nicht zum Antrieb beitragen, so gering wie möglich. Etwa bei der Heizung, wo Rinspeed mit dem Heizsystemspezialisten Eberspächer zusammenarbeitet: Da der Elektromotor kaum Abwärme produziert, benötigt das Modell eine andere Wärmequelle. Der iChange hat gleich zwei davon: eine sparsame 5,6-Kilowatt-Elektroheizung mit einem Wirkungsgrad von 99 Prozent, die bei Kurzstrecken genutzt werden soll und aus den Akkus gespeist wird, und für Langstrecken eine ethanolbefeuerte Brennstoffheizung, die das Bordnetz gar nicht belastet. Diese Wärmequelle zeichnet sich laut Hersteller durch einen Wirkungsgrad von 84 Prozent aus und benötigt einen halben Liter Ethanol 85 pro Betriebsstunde.
Ein ambitionierter Entwurf – doch wie realistisch ist es, dass der iChange eines Tages nicht nur durch die Genfer Messehallen, sondern auch über Autobahnen und Landstraßen rollt? Frank M. Rinderknecht macht keinerlei Hoffnungen: „Der iChange wird nie in Serie gehen“, sagt der Rindspeed-Chef klar und deutlich. Warum dann dieser Aufwand? „Wir beraten und unterstützen Autohersteller und Zulieferer in Fragen der nachhaltigen Mobilität. Mit dem iChange wollen wir zum einen unsere Kompetenz auf diesem Feld demonstrieren. Zum anderen wollen wir zeigen, wie wir mit neuen Ideen den großen Veränderungen, vor denen wir bei der Mobilität weltweit stehen, Rechnung tragen können“, so Rinderknecht. Die Nutzung der Photovoltaik sieht er dabei jedoch nur in einer untergeordneten Rolle. Deshalb baut Rinspeed hier auch nicht selber Know-how auf, sondern arbeitet bei Bedarf wie Partnern wie Sharp zusammen.
Deutlich weniger visionär und wohlgestaltet, aber dafür sehr nah an der Serienreife zeigen sich andere Elektromodelle, die am Genfer See präsentiert wurden. So etwa der Mitsubishi iMiEV – das Kürzel steht nicht etwa für eine Erweiterung der Produktpalette von Apple in Richtung Sanitärtechnik, sondern für „i-Mitsubishi Innovative Electro Vehicle“. Der iMiEV soll in Deutschland schon im Herbst 2010 in den Autohäusern stehen, der Preis steht noch nicht fest. In Japan geht es sogar noch schneller, hier werden die Wagen bereits in diesem Sommer zu kaufen sein. Damit ist das Modell das weltweit erste Elektrofahrzeug, das in Großserie produziert wird. Der Wagen verfügt über einen 64-PS-Elektromotor, fährt 130 Stundenkilometer Spitze und kommt mit einer Batterieladung 144 Kilometer weit.
Anders als der Prototyp wird der iMiEV in der Serienfertigung zunächst nicht mit PV-Zellen auf dem Dach ausgestattet sein. „Das hat Kostengründe: Wir bringen den iMiEV zunächst in einer Basisversion auf den Markt. Später wollen wir mit weiteren Modellen, etwa einer Sportvariante, nachlegen. Dann ist es durchaus möglich, Solarzellen zu integrieren“, erklärt Helmut Bauer, Sprecher von Mitsubishi Motors Deutschland. Beim Namen iMiEV soll es in Deutschland übrigens bleiben – Bauer nimmt es mit Humor: „Der erste Mief, der nicht stinkt!“
Für das größte Aufsehen in Genf hat der Opel Ampera gesorgt, eines der ambitioniertesten Projekte zur Elektromobilität im Markt: Angetrieben wird der Wagen von einem 150 PS starken Elektromotor, der seinen Strom aus Lithium-Ionen-Akkus mit einer Kapazität von 16 Kilowattstunden bezieht. Die Batterien werden an einer normalen 230-Volt-Steckdose geladen. Da sich die Akkus über den Fahrzeugboden verteilen, bleibt noch etwas Platz für Gepäck: Gut 300 Liter fasst der Kofferraum des Fünftürers, etwa so viel wie der eines üblichen Kleinwagens. Mit einer Batterieladung soll der Ampera rund 60 Kilometer fahren können, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 161 Stundenkilometern. Für längere Strecken schaltet sich ein kleiner Verbrennungsmotor als Generator zu, der die Batterie während der Fahrt auflädt. Auf diese Weise soll der Viersitzer dann rund 500 Kilometer schaffen, ehe er wieder an die Steckdose muss. Anders als etwa der Toyota Prius ist der Ampera also kein klassisches Hybridauto, bei dem sich Verbrennungs- und Elektromotor die Antriebsarbeit teilen, denn die Räder des Opel-Modells werden ausschließlich elektrisch angetrieben. Da der Motor stets mit konstanter Drehzahl im optimalen Leistungsbereich arbeitet, wenn der Verbrennungsmotor die Elektrizität liefert, liegt der Benzinverbrauch laut Opel bei nur 1,6 Litern pro 100 Kilometer, der CO2-Ausstoß bei 40 Gramm.

Akkus für ein ganzen Autoleben

Warum die mit 60 Kilometern vergleichsweise geringe Reichweite der Akkus? „Wir haben uns bewusst dafür entschieden, denn unsere Studien haben gezeigt, dass 80 Prozent der Nutzer gar keine größeren Strecken pro Tag zurücklegen. Ist die Fahrstrecke länger, sorgt der Reichweitenverlängerer für die nötige Energie“, sagt Opel-Sprecher Patrick Munsch. Technisch wäre es problemlos möglich, mit den eingebauten Akkus deutlich weitere Strecken zurückzulegen. Doch der Ampera nutzt pro Ladezyklus jeweils nur die Hälfte der Batteriekapazität. Das hat nicht nur den Vorteil, dass sich die Akkus innerhalb von nur vier Stunden vollständig laden lassen – auch die Beanspruchung der Energiespeicher ist nicht so hoch: „Unsere Batterien sind auf eine Laufleistung von 250.000 Kilometern ausgelegt. Damit halten sie ein ganzes Fahrzeugleben, sie müssen also nicht zwischendurch ausgetauscht werden“, so Munsch. Opel entwickelt die Batterietechnik auf Basis der von LG Chem zugelieferten Lithium-Ionen-Zellen in Mainz-Kastel selbst; produziert werden sollen die Akkus jedoch in Michigan. „Mit der Eigenentwicklung begeben wir uns anders als andere Autobauer nicht in die Abhängigkeit eines Lieferanten. Wir behalten das Know-how im Haus und können problemlos den Zulieferer wechseln, wenn ein anderer Hersteller mehr Leistung bietet“, sagt Munsch.

Opel verzichtet auf Solarzellen

Wie Mitsubishi verzichtet auch Opel darauf, Photovoltaik für die Stromerzeugung heranzuziehen. Opel-Mann Munsch sieht hier vor allem die Versorger in der Pflicht: „Wir setzen darauf, dass die Energiewirtschaft Strom aus erneuerbaren Quellen produziert, und unterstützen die Unternehmen, wo immer wir können.“
Opel plant gegenwärtig jedoch nicht, mit Modulherstellern zusammenzuarbeiten, um solare Ladestationen zu schaffen: „Unsere Strategie ist auf den elektrischen Antrieb ausgerichtet“, macht Munsch deutlich. Entsprechend verzichtet Opel auch darauf, die Karosserie des Ampera mit Solarzellen zu bestücken. Um das Interesse am Ampera zu schüren, argumentiert Opel der gegenwärtigen gesellschaftlichen Befindlichkeit entsprechend weniger mit Nachhaltigkeit und klimaschonender Mobilität, sondern in erster Linie mit den Kosten: Der Autobauer kalkuliert bei den aktuellen Energiepreisen mit Kosten von zwei Cent pro Kilometer, nach Berechnungen von Opel ein Fünftel der Kilometerkosten, die ein konventioneller Verbrennungsmotor verursacht.
Etwas anders sieht dieses Bild aus, wenn der Kaufpreis in die Rechnung einbezogen wird: Zwar macht Opel noch keine offiziellen Angaben dazu, doch der Europa-Chef der Konzernmutter General Motors, Carl-Peter Forster, hat bereits die Hausnummer „unter 40.000 Euro“ genannt. Der Ampera soll in zwei Jahren als Chevrolet Volt in den USA in den Handel kommen und 2011 auch hierzulande erhältlich sein. Patrick Munsch zum erwarteten Absatz: „Wir rechnen damit, etliche tausend Stück zu verkaufen – das ist keine Testflotte, die wir zur Serie hochjubeln, wie es andere Hersteller tun.“
Von diesen „etlichen tausend Stück“ bis zu der einen Million Elektroautos, die nach dem Willen von Politik und Automobilwirtschaft bis 2020 auf deutschen Straßen unterwegs sein sollen, ist es noch ein weiter Weg – auch wenn fast alle großen Autobauer in den nächsten Jahren elektrisch angetriebene Modelle auf den Markt bringen. Selbst wenn das ambitionierte Ziel erreicht wird: Ist damit tatsächlich etwas für den Klimaschutz getan?
Die Umweltorganisation WWF ist skeptisch. Sie hat zum Genfer Autosalon eine umfassende Studie vorgelegt, die untersucht, inwieweit Elektrofahrzeuge zum Erreichen der deutschen Klimaschutzziele beitragen können. Das Fazit: Sie schützen nur dann das Klima, wenn der Emissionshandel weiterentwickelt und die Erneuerbaren ausgebaut werden. „Der Klimaeffekt eines Elektroautos hängt entscheidend davon ab, woher der zusätzlich benötigte Strom kommt. Dafür muss die Bundesregierung jetzt die Weichen stellen: Die Politik muss ein schlüssiges Konzept entwickeln, wie neben dem ohnehin geplanten Ausbau zusätzliche erneuerbare Energien ans Netz gebracht werden können“, fordert die WWF-Verkehrsexpertin Viviane Raddatz.

Bedeutung nicht überschätzen

Allerdings warnt der WWF davor, die Bedeutung der Elektromobilität für den Klimaschutz zu überschätzen: „Auch bei weitergehenden ehrgeizigen Zielsetzungen der Verbreitung von Elektrofahrzeugen bis 2030 ist die Elektromobilität nicht als Eckpfeiler einer erfolgreichen Klimaschutzstrategie anzusehen, sondern als willkommener, quantitativ allerdings eher geringer Zusatzbeitrag“, heißt es in der Studie. Selbst wenn die Elektroflotte ausschließlich mit Energie aus zusätzlich erschlossenen Ökostromquellen und damit emissionsfrei versorgt würde, spart dies laut WWF lediglich eine Millionen Tonnen CO2pro Jahr ein. Dies entspricht etwa einem Prozent dessen, was Pkws heute ausstoßen.
Zugleich dämpft der WWF die Hoffnungen, die sich mit dem Vehicle-to-Grid-Konzept (V2G) – der Nutzung der Elektroauto-Akkus als Speicher für Strom aus erneuerbaren Quellen, der in verbrauchsarmen Zeiten erzeugt wird – verknüpfen. Die Erwartungen entbehrten derzeit einer realistischen Grundlage, so der WWF: „Weder sind die notwendigen Batterien dafür in der erforderlichen Qualität zu tragfähigen Kosten heute oder in naher Zukunft verfügbar noch besteht aktuell ein Bedarf für Speicherung.“ Und da ist dann noch der Faktor Mensch: „Die Möglichkeit zur gesteuerten Entladung der Speicher erscheint nur wenig kompatibel mit der vorherrschenden Spontaneität der Fahrzeugnutzer“, so die Studie. Dennoch, meint der WWF, sind mit dem Thema Elektromobilität klimapolitische Chancen verbunden, die umfassend ausgelotet werden sollten.

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