Klare Ware

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Hinter mannshohen gelben Gittern heben metallische Krakenarme große Glasscheiben auf ein Transportband, daraufhin setzt kreischend die Schleifmaschine an. Die meisten Maschinen arbeiten vollautomatisch hinter vergitterten Absperrungen. An Computermonitoren überwachen die Angestellten der offiziell im September eröffneten Solarglasfabrik den reibungslosen Produktionsablauf. Eine von ihnen ist Astrid Sieling. Im blauen Arbeitskittel und mit Stöpseln im Ohr pendelt sie zwischen der optischen Qualitätskontrolle an der Packstation zu ihrem Monitor an der Schleifmaschine.Die Tschernitzerin ist eine der 174 Beschäftigten, die seit Juli bei der Glasmanufaktur Brandenburg in Lohn und Brot stehen. Dass es dazu kam, liegt nicht zuletzt an der Zukunftsagentur Brandenburg. Ursprünglich fertigte in den Fabrikhallen die Samsung Corning GmbH Fernsehglas. Auch Facharbeiterin Sieling war dort sieben Jahrebeschäftigt, bis im August 2007 der japanische Elektronikgigant den Standort schloss. Statt Fernsehröhren verlangte der Markt nun nach Flachbildschirmen. Rund 350 Mitarbeiter und 250 Beschäftigte externer Dienstleister waren in der ohnehin strukturschwachen Region von Arbeitslosigkeit bedroht. Als sich 2007 das Ende des Bildschirmwerks abzeichnete, schaltete sich die Zukunftsagentur Brandenburg ein und fand schließlich mit dem Solarglashändler Interfloat Corporation aus Liechtenstein einen neuen Investor. 45 Millionen flossen in den Aufbau der Tochterfirma Glasmanufaktur Brandenburg und des neuen Walzglaswerks für solarthermische Kollektoren und Photovoltaikmodule, ein knappes Viertel aus den Fördertöpfen des Landes und des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung. Ein solcher Verlauf scheint logisch. In Ostdeutschland wurde die Produktion von Solarzellen und -modulen in den letzten Jahren stark ausgebaut. Der Photovoltaikmarkt boomt im Gegensatz zu dem für Fernsehbildschirme.

Besonders hohe Reinheit nötig

Allerdings ist die Herstellung von Fernsehbildschirmen und Solargläsern kaum vergleichbar. Während bei TV-Glas zur Strahlenabschirmung oft Blei zugesetzt wird, das manchmal – aus ästhetischen Gründen – eingefärbt ist, muss Glas für Solarmodule besonders lichtdurchlässig sein. In den Solarzellen soll idealerweise das gesamte Lichtspektrum ankommen. Eisenspuren im Ausgangsmaterial Quarzsand verleihen den meisten Gläsern aber einen leichten Grünstich. „Dreiwertiges Eisen absorbiert Licht im UV-Bereich, zweiwertiges das Licht im Infrarotbereich“, sagt Christian Rüssel, Professor für Glaschemie am Otto-Schott-Institut in Jena. Daher muss der Eisenanteil so weit wie möglich reduziert werden.Das geschieht durch die Wahl der Ausgangsstoffe. In der Lausitzherrschen in dieser Hinsicht schon einmal gute Voraussetzungen. Die dortigen eisenarmen Quarzsande eignen sich für die Solargläser gut. Was noch dazukommt, bleibt Betriebsgeheimnis. In der Glasherstellung ist es jedoch üblich, Natriumcarbonat, Pottasche, Kalk oder Magnesiumoxid dazuzugeben. Dieses Gemenge und zu 15 Prozent Glasscherben, die recycelt werden, werden dem geheimen Herzstück der Glasmanufaktur, der Schmelzwanne, zugeführt. Die Arbeiter tragen hier metallisch glänzende Schutzanzüge und manche sogar Gesichtsmasken. Ohne sie könnten sie die Hitze nicht ertragen. 1.530 Grad Celsius herrschen im Innern des Ofens. Im Schnitt verbringen die Bestandteile mehrere Tage darin. Gegenüber der Zufuhr des Gemenges fließt beständig das flüssige Glas heraus. Je länger das Gemenge erhitzt wird, desto homogener ist zwar am Ende das Glas, aber desto mehr Energie benötigt man. Die Firma muss also Energieeinsatz und Qualität gegeneinander abwägen. Zum Schmelzprozess will der Interfloat-Geschäftsführer Ulrich Frei nicht viel sagen, den hütet er als strenges Betriebsgeheimnis – außer dass die Quarzsande aus der Lausitz stammen und die einzuschmelzenden Glasscherben aus der eigenen Produktion. Das sei nämlich kritisch. Denn auch auf diesem Weg darf kein zusätzliches Eisen oder Schmutz in das Gemenge gelangen. Selbst wenn die Glasscherben im Werk einmal auf den Boden und nicht in spezielle Auffangwannen gefallen sind, können sie nicht mehr eingeschmolzen werden. Was nach der Schmelze kommt, hat sich im Vergleich zur alten Glasfabrik jedenfallsgrundlegend geändert. „Gemenge und Schmelze kannten wir, die ganze Kaltverarbeitung ist aber neu“, erzählt Volker Henzel, der seit 25 Jahren in der Glasbranche ist. Bei Samsung war er zweiter Geschäftsführer, jetzt ist er Geschäftsführer der Glasmanufaktur Brandenburg, die exklusiv für die Firmenmutter Interfloat Corporation produziert. Der neue Prozess fängt damit an, dass das flüssige Glas 2,40 Meter breit über zwei Walzen auf die Produktionsstraßen fließt. Drei bis acht Meter pro Minute spuckt die Walze aus, je nach der Dicke des Glases. Die Kunden ordern dabei ganz verschiedene Maße, zwischen 2,8 und acht Millimetern kommt alles vor.

Reflexionsverluste vermeiden

Schon hier entsteht etwas, was das Solarglas von einfachen Gläsern unterscheidet. Wer genau hinschaut, erkennt sogar im heißen Glas unter der Walze eine leicht krisselige Oberflächenstruktur. Sie dient der Entspiegelung.„Eine Entspiegelung ist ganz wichtig, sonst kommt es zu Ertragsverlusten im Fünf-Prozent-Bereich“, sagt auch Experte Rüssel. Reflexionsverluste ließen sich entweder durch eine spezielle Beschichtung oder durch eine poröse Oberflächenstruktur vermeiden. Letztere müsse aber deutlich kleiner sein als die Lichtwellenlänge. „Man muss die effektive Brechzahl der Oberfläche senken.“ „Silk“ heißt die Textur, die sowohl für Photovoltaik als auch für solarthermische Module verwendet wird und die Reflexion vermindern soll. Die für den Laienblick recht zufällig wirkende Oberfläche ist durch Computermodelleoptimiert und wird durch entsprechend geformte Walzen von Anfang an in das Glas geprägt. Nach der Heißverarbeitung durchläuft der gläserne Bandwurm die Kühlöfen. Dann folgt der maschinelle Zuschnitt auf die gewünschte Länge und Breite. Die extra für die Glasmanufaktur angefertigte Produktionsstraße kommt bis hierher fast ohne Handarbeit aus. „Vom Schmelzprozess bis zur Stapelung ist es eine Linie“, sagt Ulrich Frei.

Beständig im Hageltest

Dann beginnt eine zweite Produktionsstraße. „Flachglas ist natürlich anders zu handhaben als Bildschirme“, sagt Mitarbeiterin Astrid Sieling. „Hier haben wir zum Beispiel früher die Bildschirme poliert. Beim Solarglas werden dagegen nur die Kanten geschliffen.“ Es soll sich niemand bei der weiteren Verarbeitung verletzen. Als Letztes fährt das Glas durch den Härteofen. Dann ist es bereit für den Hageltest: „Auf dieses Glas könnte man eine Stahlkugel aus zwei Metern Höhe fallen lassen, ohne ihm etwas anzuhaben.“Momentan ist die seit September 2008 produzierende Glasfabrik gut ausgelastet. Aber bis Ende des vergangenen Jahres wurde die volle Produktionskapazität von 300 Tonnen Glas am Tag auch noch nicht erreicht. Das liegt daran, dass eine Schmelzwanne nicht von heute auf morgen in Betrieb genommen werden kann, sondern nur Schritt für Schritt. Bereits Mitte August wurde angeheizt, im September floss dann erstmals flüssiges Glas durch die Walzen.Die fertigen Gläser werden in einer weiteren, schlichten Stahlbetonhalle gelagert. „Der Bereich wartet auf die zweite Investitionsphase“, erzählt Volker Henzel. Zu Samsung-Zeiten wurde auch hier produziert, bis 2010 soll es auch in der Glasmanufaktur Brandenburg wieder so sein. Bis dahin will der Investor die Produktionskapazität verdoppeln und mindestens 75 weitere Arbeitsplätze schaffen.Auch andere Firmen bauen derweil fleißig weiter ihre Produktion auf. In Haldensleben bei Magdeburg baut die Euroglas GmbH eine Fabrik zur Veredelung von 400 Tonnen Glas am Tag, die ab Mai den Solarmarkt bedienen soll. Eine direkte Konkurrenz für die Produktionslinie der Interfloat Corporation wird Euroglas trotzdem nicht sein.Anders als in Tschernitz bedient man sich in Haldensleben des Floatglas-Verfahrens, was die Gläser geeignet für die Dünnschichtproduktion macht. Bei der Floatglasherstellung fließt die Glasschmelzeauf ein Bad aus flüssigem Zinn. Die leichtere Glasmasse schwimmt oben und bildet beim Abkühlen eine sehr glatte Oberfläche. „Walzglas würde für Dünnschichtmodule überhaupt nicht funktionieren“, sagt Romain Beau de Lomenie, der bei Applied Materials für das Materialmanagement im Dünnschichtbereich zuständig ist. Allerdings ist nicht abzusehen, dass die Solarbranche ein großer Motor für die Glasproduzenten sein wird. Die Nachfrage aus der Photovoltaikbranche macht nach Angaben von Beau de Lomenie weniger als ein Prozent der Glasproduktion aus. Die boome auch so. Zwar fallen die Wachstumsprognosen für 2008 deutlich niedriger aus als für 2007, doch vorletztes Jahr erzielte die deutsche Glasbranche mit einer Produktion von 7,5 Millionen ein zweistelliges Umsatzplus. Der relativ geringe Stellenwert der Photovoltaikindustrie für die Glasbranche hat auch einen beruhigenden Nebeneffekt: „Der Erfolg der Photovoltaikbranche hängt nicht so sehr von den Glasherstellern ab“, meint Beau de Lomenie. Sprich: Es wird erst einmal genug Glas für die Solarzellenbauer geben. So kommt es auch schon zu Rückschlägen für Solarglashersteller. Beispielsweise hat nach Angaben des Wirtschaftsministeriums Sachsen-Anhalt die norwegische Firma Vetro Solar ihren Plan, in Thalheim Gläser für die Solarindustrie herzustellen, wegen der Finanzkrise unlängst auf Eis gelegt.

Konkurrierende Verfahren

Allerdings ist Solarglas nicht gleich Solarglas. Einheitliche Transmissionsstandards gibt es noch nicht. Und sowohl bei der Verringerung des Eisengehalts als auch beim Produktionsverfahren und bei der Entspiegelung sind die Verfahren je nach Hersteller unterschiedlich. Es wird sich erst noch zeigen, welche Methoden das Rennen machen werden.

Beau de Lomenie glaubt, dass es in Zukunft zu einer Standardisierung der Solarglasproduktion auf das Floatglasverfahren kommen wird, egal für welche spätere Anwendung das Glas produziert wird. Die notwendige Entspiegelung würde dann durch eine Beschichtung des Glases statt durch die Oberflächenstruktur erreicht werden. Das würde die Kosten senken.In der Lausitz sieht man das verständlicherweise anders. Da die Firma nicht alle Karten auf den Tisch legt, was die Vor- und Nachteile ihres Walzverfahrens angeht, lässt sich das aber nur schwer einschätzen. „Prinzipiell rechnen wir damit, dass die Branche per se Zukunft hat“, meint Carsten Beyer von der Zukunftsagentur Brandenburg. Auch die Facharbeiterin Astrid Sieling möchte an eine langfristige Perspektive glauben: „Ich hoffe ja, dass sich die Solarbranche weiterentwickelt. Das wäre für die Region sehr wichtig.“

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