Riesige Chance

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Vor 20 Jahren arbeiteten in den Plattenbauhallen des Gewerbegebietes im Erfurter Osten Ingenieure an einem legendären Prestigeprojekt der DDR: dem 1-Megabit-Chip. Er wurde nicht nur von der technologischen Entwicklung überholt. Das Erfurter Zentrum für Mikroelektronik wurde nach der Wende aufgelöst. Nach dem Mauerfall sah es nicht nur dort düster aus. Vielleicht wäre es heute einfacher, etwas Neues zu starten, doch damals rannte Jürgen Hartwig noch keine offenen Türen ein.

„Die Auseinandersetzungen mit Banken zogen sich etwa eineinhalb Jahre hin. Von insgesamt sieben Kreditinstituten sind sechs wieder abgesprungen, sagt Hartwig. Dennoch ließ sich der Maschinenbauingenieur, der aus Stuttgart kam, nicht unterkriegen und gründete 1997 zusammen mit fünf anderen die Firma Ersol. „In Erfurt als einem ehemaligen Zentrum der Mikrochipherstellung waren Reinräume, Reinstwasser sowie die erforderlichen Chemikalien vorhanden“, sagt Hartwig und begründet seine damalige Entschei dung für die Thüringische Landeshauptstadt. „Und vor allem fehlte es nicht an gut ausgebildeten Fachkräften“.

Mit 25 Mitarbeitern, die zu DDR-Zeiten in der Chiptechnologie arbeiteten und arbeitslos geworden waren, startete Hartwig im Gründungsjahr eine erste Produktionslinie. Zwei Jahre später zählte die Firma bereits 64 Beschäftigte. Mittlerweile gehört Ersol zu den Großen und auch die Landespolitik hat die Solarindustrie entdeckt.

Im Rückblick erwies sich 1997 vielleicht als Schlüsseljahr. Parallel zu Ersol gründeten ehemalige Vorstände von Siemens Solar die PV Silicon, die fünf Jahre später mit der britischen Crystalox Solar zur PV Crystalox Solar fusionierte, dem weltweit größten unabhängigen Waferproduzenten. Weitere Firmen entstanden, so etwa 2001 die ASS Automotive Solar Systems. Und 2005 eröffnete Sunways am Standort Arnstadt eine Großserienproduktion und verdreifachte seine Kapazitäten auf eine Produktion von 46 Megawatt. Inzwischen haben ASi Indus tries und Ersol zwei neue Kristallzucht- und Waferproduktionsstätten eröffnet und weitere sind schon in Bau. Auch Dünnschichtzellen werden inzwischen in Thüringen produziert. „Gemessen am Weltmarkt liegt der Anteil der Waferproduktion in Thüringen bei zehn Prozent“, sagt Wolf-Peter Pankau von der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen. Die Gesellschaft ist die Wirtschaftsfördereinrichtung des Landes, die laut ihrer Selbstdarstellung für Investoren „Türen öffnet“.

Die Akquise Offensive

Es wäre also vermessen, nicht von einem Cluster zu sprechen. Das betrifft nicht nur die Zellenproduktion, sondern laut Pankau die „komplette Wertschöpfungskette“, darunter auch „die Entwicklung der Steuerungselektronik, die Planung und die Installation von Solaranlagen“. Damit die Entwicklung weitergeht, hat die Landesentwicklungsgesellschaft vor einem Jahr zusammen mit dem Landeswirtschaftministerium die „Solarinitiative Thüringen“ ausgerufen, an der Solarfirmen, Forschungseinrichtungen und Anlagenbetreiber teilnehmen können. „Wir wollen zu den ersten Adressen für Solarwirtschaft und Solarforschung in Deutschland und Europa gehören“, verkündete Thüringens Wirtschaftsminister Jürgen Reinholz. Deshalb werden nun einige Technologieförderprogramme des Landes um den Schwerpunkt erneuerbare Energien erweitert, so dass bis 2013 rund 300 Millionen Euro aus Landes- und EU-Mitteln zur Verfügung stehen. Es soll regelrecht eine Offensive zur Akquisition von Investoren gestartet werden. „Insgesamt stellt die Entwicklung im Bereich der Solarindustrie eine Riesenchance für die wirtschaftliche Entwicklung von ganz Ostdeutschland dar“, sagt Pankau.

Auch der im August 2003 gegründete Thüringer Verein Solar Input, der Aktivitäten von auf dem Solarsektor tätigen Firmen, Forschungsgruppen, Bildungsträgern sowie gemeinnütziger Institutionen und staatlicher Einrichtungen des Bundeslandes koordiniert, soll im Rahmen der Solarinitiative gefördert werden. Bis 2010 will das Landeswirtschaftsministerium SolarInput beim Aufbau einer Clustergeschäftsstelle mit rund 350.000 Euro unterstützen.

Ganz oben auf der Prioritätenliste stehen Maßnahmen, um den wachsenden Fachkräftebedarf zu decken. Dazu greift das Land tief in die Tasche und gibt sechs Millionen Euro für ein Kompetenzzentrum für Aus- und Weiterbildung in Erfurt aus. „Die Ausbildungsinhalte sollen gemeinsam mit Bildungsträgern und Solarfirmen ermittelt werden“, sagt Pankau.

Um auch bei der Forschung oben mitzumischen, soll das Solarzentrum Erfurt, das unter anderem ultradünne multikristalline Siliziumsolarzellen entwickelt, nach dem Willen der Landesregierung „als koordinierende Anlaufstelle der Solarforschung in Thüringen tätig werden“. Außerdem fließen Fördermittel in den Aufbau eines Testzentrums. Die TU Ilmenau richtet gleichzeitig eine Stiftungsprofessur ein, die bereits zum nächsten Wintersemester besetzt werden soll. Wissenschaftler forschen dort schon jetzt an der Entwicklung von Materialien und Zellen und kooperieren dazu mit regionalen Solarunternehmen.

Auch in der Forschung stark

Die TU Ilmenau ist schon jetzt eine wichtige Adresse, wenn es um Aus- und Weiterbildungsangebote für Fachkräfte der Solarindustrie geht. Darüber hinaus spielt das Institut eine wesentliche Rolle hinsichtlich der Photovoltaik-Forschung. Derzeit existieren dort mehrere Startprojekte zur Material- und Zellforschung. Dabei handelt es sich teilweise um Kooperationsprojekte mit einigen regionalen Solarunternehmen. Besonders stark sei die Universität „in der organischen Photovoltaik“, sagt Gerhard Gobsch, Professor für Experimentalphysik und Leiter des Forschungsbereichs. Weitere für die Solarindustrie wichtige Forschungseinrichtungen befinden sich mit dem Institut für Photonische Technologien und dem Institut für Festkörperphysik an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena.

Aus Sicht von Gobsch sind es nicht zuletzt die drei Faktoren Forschung und Entwicklung, gute Ausbildungssituation und gutes Angebot von Fachkräften, auf Grund derer sich ausländische Investoren für den Standort Thüringen entscheiden. Ein Beispiel dafür ist die Masdar-Gruppe aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die sich jüngst für die Errichtung einer Solarfabrik in Thüringen entschieden hat. Am Standort „Erfurter Kreuz“ soll auf einer Fläche von acht Hektar ein Werk zur Produktion von Dünnschicht-Solarzellen entstehen. Die Fabrik, die Mitte 2009 mit der Produktion beginnen soll, ist von ihrer Produktionskapazität her zunächst auf eine Jahresleistung von 50 Megawatt ausgelegt, eine Erhöhung auf 280 Megawatt ist geplant. Mit der Investition im Umfang von rund 140 Millionen Euro entstehen bis zum Jahr 2010 zunächst 180 Arbeitsplätze. Mittelfristig will das Unternehmen bis zu 600 Arbeitsplätze am Standort schaffen.

Auch Ersol gehört inzwischen zu den größeren Arbeitgebern. Mittlerweile beschäftigen die Erfurter, die gerade von Bosch übernommen worden sind, über 1.000 Mitarbeiter. Seit das Unternehmen 2005 an die Börse ging, wächst es kontinuierlich und hat noch gewaltige Pläne. So beschleunigte Ersol mit dem Erwerb des Waferproduzenten ASi Industries im Jahr 2006 seine Marktexpansion. Neben Wafern, Solarzellen und amorphen Dünnschichtmodulen sollen ab 2009 auch kristalline Siliziummodule hergestellt werden.

Anlagenbetreiber gesucht

Da überrascht der Gegensatz zwischen Erfolg der Solarindustrie und Photovolataikausbau. Während Thüringen in der Produktion, der Zulieferindustrie, der Forschung und dem Ausbildungsangebot sehr gut aufgestellt ist, wird im Freistaat nämlich nur wenig Solarstrom erzeugt. In der etwa 199.242 Einwohner zählenden Landeshauptstadt Erfurt gibt es insgesamt nur fünf größere Photovoltaikanlagen, die jedoch deutlich unter der Schwelle von 250 Kilowatt Nennleistung liegen. Eine davon betreiben die Stadtwerke Erfurt auf dem Dach ihres Kundenzentrums in der Magdeburger Allee. Eine andere – das Bürgerkraftwerk mit 20 Kilowatt – befindet sich auf dem Dach des Thüringer Landtages. An dieser Anlage beteiligen sich, laut Angaben der Stadt Erfurt, aktuell 36 Erfurter Bürger.

Solches Engagement scheint noch selten zu sein. In der Rangliste der Solarbundesliga taucht als erste thüringische Großstadt Jena auf Platz 40 auf. Zwar schaffe die Kommune auf städtischen Gebäuden „bei Sanierung und vorhandener Eignung die baulichen Voraussetzungen, um Photovoltaikanlagen zu installieren“, sagt Matthias Bettenhäuser, Pressesprecher der Stadt Jena. Doch die Kommune selbst betreibt nur vier Anlagen und „neue Anlagen werden nicht hinzukommen“. Die Kommune betrachte es nicht als „Kerngeschäft“. Das Konzept der

FirmaSitzProduktKapazität in Megawatt 2007 2008
Antec Solar International EnergyArnstadtModule1010
Asola Advanced and Autom. Solar Sys.Isseroda/ErfurtModule1240
Ersol Solar EnergyErfurtWafer120180
Zellen180220
Module4040
GSS Gebäude-SolarsystemeLöbichauModule1216
PV Crystalox SolarErfurtWafer352418
Schott SolarJenaModule4040
Schott Wacker SolarJenaWafer160
SunwaysArnstadtZellen30100
Quelle: EuPD: „Standortgutachten Photovoltaik in Deutschland“, März 2008

Stadt sehe vielmehr so aus, dass Flächen zur Nutzung durch Privatpersonen vermietet werden sollen. Diese können sich das aber anscheinend nicht leisten. Bisher ist nur eine Anlage vergeben. „Die ostdeutschen Bürger haben ein geringeres Einkommen und es fehlt auch noch zum Teil an Akzeptanz für die Idee“, sagt Hubert Aulich, Vereinsvorsitzender von SolarInput.

Auf zum Spitzencluster?

Hubert Aulich engagiert sich nicht nur bei SolarInput, sondern ist in erster Linie verantwortlicher Direktor bei PV Crystalox. Außerdem ist er Koordinator des Forschungsantrags „Solarvalley Mitteldeutschland“, der eine Schlüsselrolle für die weitere Entwicklung spielen könnte. 25 Photovoltaikunternehmen aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt und zwölf Forschungseinrichtungen haben sich zusammen getan und sich für die Spitzenclusterförderung der Bundesregierung beworben. Sie wollen Industrie und Forschungseinrichtungen der Silizium-Photovoltaik entlang der gesamten Wertschöpfungskette vereinen und gemeinsam auf allen Stufen der Photovoltaikindustrie vom Zulieferer bis hin zur Einspeisung forschen. Die erste Hürde hat die Initiative bereits genommen. Ihr Antrag war einer der zwölf unter 36, die im März eine Runde weiter kam. Im September soll die endgültige Entscheidung fallen. Maximal fünf erhalten insgesamt 200 Millionen Euro.

Selbst wenn es nicht klappen sollte, ist die Solarindustrie in Thüringen sehr erfolgreich. Das liegt zwar nicht nur, aber bestimmt auch an den Fördermitteln, die von der EU, dem Bund und dem Land stammen. Der stellvertretende Pressesprecher des Thüringer Wirtschaftsministeriums Stephan Krauß schätzt, dass „bisher für Projekte der Solarindustrie insgesamt rund 1,5 Milliarden Euro investiert wurden beziehungsweise in konkreter Planung sind“.

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