Ruhrkonzern macht mit Silizium Kohle

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Die Prognosen für die Photovoltaik sind so sonnig wie nie zuvor. Die Zahl der Beschäftigten wird laut Analysten bis 2020 auf 100.000, die Exportquote auf 70 Prozent und der Umsatz jährlich zweistellig wachsen. Dr. Dietmar Wewers hört solche Prognosen gern. Er ist Leiter des Geschäftsbereichs Advanced Silanes beim Frankfurter Chemieunternehmen Degussa. „Es freut uns, dass die Photovoltaik global rasant an Fahrt gewinnt,“ sagt er. Wer die Degussa bislang als Hersteller von Absorbern, Additiven, Spezialkunststoffen oder Aminosäuren unter dem Dach der Essener RAG kannte, muss umdenken. 2007 bündelte die RAG ihre drei Geschäftsfelder Immobilien, Energie und Chemie unter dem Dach der neuen Evonik Industries AG mit Hauptsitz in Essen. „Wir wollen den Konzern auf die Steigerung und Verbesserung der globalen Energieeffizienz ausrichten“, sagt Vorstandschef Werner Müller. Besonders interessant sei dabei das Solarsilizium.

Mittelfristig werde Evonik einen „hohen dreistelligen Millionen-Betrag investieren“, um seine Position in diesem Markt auszubauen, so Müller.

Joint Venture mit Solarworld

Noch steht auf dem schmucklosen Verwaltungsgebäude unweit des Frankfurter Hauptbahnhofs das alte himmelblaue Degussa-Logo. Drinnen aber haben die Manager begonnen, die Vorgaben Müllers in die Tat umzusetzen. Der Schlüssel zum PV-Markt sind die so genannten Chlorsilane. Die Degussa ist seit vielen Jahren weltweit führender Anbieter dieser Spezialchemikalien, die normalerweise zu Füll- und Klebstoffen verarbeitet werden. Die Verbindungen aus Silizium, Wasserstoff und Chlor sind aber auch unverzichtbare Rohstoffe für die Herstellung von hochreinem Silizium. Bereits 2003 hat Degussa ein Joint Venture mit dem Hersteller Solarworld gegründet. Außerdem ist das Unternehmen im vergangenen Jahr mit drei weiteren Herstellern von Wafern und Solarzellen Kooperationen eingegangen. „Darin verpflichten wir uns, unsere Partner langfristig mit ausreichend Chlorsilanen zu versorgen“, sagt Wewers. Insgesamt reicht die geplante Produktionsmenge aus, um daraus rund 10.000 Tonnen Solarsilizium pro Jahr herzustellen – das entspricht rund zwölf Prozent des geschätzten weltweiten Bedarfs im Jahr 2010.

Der solare Boom kann nur anhalten, wenn der Nachschub mit Solarsilizium gesichert ist. Lange Jahre versorgten sich Chipindustrie und PV-Branche quasi aus dem selben Reaktor: Die Waferproduzenten erhielten von den Siliziumherstellern das Solar-Grade-Silizium, also denjenigen Teil der Produktion, der für elektronische Anwendungen nicht rein genug war. Durch diese Symbiose waren sie vom Auf und Ab der Elektronikbranche abhängig und auch davon, wie viel Solar Grade dem Markt gerade zur Verfügung stand.

Immer mehr Wafer- und Modulhersteller machen sich nun davon unabhängig, indem sie eigene Versorgungswege aufbauen. Das erlaubt nicht nur eine schnellere Ausweitung der Produktionskapazitäten, sondern sichert auch die Lieferung maßgeschneiderter Rohstoffe. Für Solarzellen muss das Silizium beispielsweise zwar chemisch nicht so rein sein wie für Computerchips, dagegen ist die Reinheit des Wafers in seiner gesamten Stärke wichtig, um eine lange Lebensdauer der Ladungsträger zu gewährleisten.

Zusammenarbeit mit Holländern

Auf diese neuen Versorgungswege setzt Evonik Degussa mit seinen Partnern. So planen die Deutschen gemeinsam mit der holländischen Firma The Silicon Mine (TSM) den Bau der ersten Solarsilizium-Verbundproduktion in den Niederlanden. Voraussichtlich ab 2009 wird TSM aus Chlorsilanen der Evonik jährlich 3.750 Tonnen Solarsilizium produzieren. Davon profitiert unter anderem das deutsch-niederländische Unternehmen Solland Solar. „Die Siliziumfabrik sichert das weitere Wachstum unserer Solarzellenfabrik“, sagt Firmenchef Gosse Boxhorn. Eine ähnliche Verbundproduktion für jährlich 4.000 Tonnen Silizium vereinbarte Evonik mit der Silicium de Provence (Sipro). Im französischen St. Auban ist eine Chlorsilanproduktion geplant, die für jährlich 3.000 Tonnen Silizium ausreicht und die voraussichtlich Ende des Jahres ihren Betrieb auf nehmen wird. Abnehmer des Rohstoffs ist unter anderem der Berliner Modulhersteller Solon. Außerdem kooperiert Evonik mit der Erfurter PV Silicon. PV Silicon baut derzeit im Chemiepark Bitterfeld eine Produktionsanlage für zunächst 900 Tonnen Silizium. Der Vertrag sieht vor, dass Evonik aus seiner benachbarten Anlage den Waferhersteller für die kommenden zehn Jahre mit Chlorsilanen für bis zu 1.800 Tonnen Silizium jährlich versorgt.

TSM, Sipro und PV Silicon nutzen das so genannte Siemens-Verfahren. Dabei wird zunächst Rohsilizium mit Salzsäure in einem Wirbelschichtreaktor zu Trichlorsilan umgesetzt. Das Trichlorsilan muss gereinigt werden und wird dann bei über 1000 Grad an beheizten Reinstsiliziumstäben in einer Wasserstoff-Atmosphäre chemisch zersetzt. Aus Chlor und Wasserstoff bildet sich wieder Salzsäure. An den Stäben kristallisiert sauberes, elementares Silizium. Nach diesem Verfahren produzieren weltweit die meisten Hersteller. Der Prozess hat allerdings einen gewichtigen Nachteil: Er verbraucht pro Kilogramm Solarsilizium bis zu 160 Kilowattstunden Strom. Zudem wurde das Verfahren in der Vergangenheit kaum weiterentwickelt, um es energiesparender und effizienter zu gestalten.

Energiesparende Produktion

Einen neuen Weg gehen Evonik und Solarworld am Standort Rheinfelden an der Schweizer Grenze. Die gemeinsame Firma Joint Solar Silicon (JSSi) baut hier eine Anlage, die Solarsilizium über einen veränderten Prozess gewinnt. Der wesentliche Unterschied: Das Trichlorsilan wird nicht direkt gespalten, sondern in mehreren Schritten zu Monosilan umgesetzt – einem Gas, das nur noch aus Silizium und Wasserstoff besteht. Das Monosilan wird gereinigt und in einem turmhohen Reaktor unter inerten Bedingungen chemisch zersetzt. Da Monosilan sehr reaktionsfreudig ist, spalten sich die Moleküle schon bei rund 600 Grad auf. „Außerdem entsteht lediglich Wasserstoff als Nebenprodukt und die Zersetzung geht schnell und vollständig“, erläutert Wewers. Das pulverförmige Silizium schlägt sich im unteren, gekühlten Reaktorteil nieder. Es wird zu Solarworld nach Freiberg transportiert, hier aufgeschmolzen und zu Wafern und Solarzellen weiterverarbeitet. Schon in diesem Jahr soll die Produktion starten, geplant sind zunächst 850 Tonnen Solarsilizium pro Jahr. Verglichen mit der herkömmlichen Abscheidetechnik, spart dieser Schritt 90 Prozent an Energie, meldet JSSi. Allerdings verbraucht die mehrstufige Umwandlung von Trichlorsilan zum Monosilan ebenfalls Strom, so dass die Einsparung unterm Strich bei rund 60 Prozent liegt.

Das Verfahren spart nicht nur Energie, sondern liefert vor allem Solarworld ein maßgeschneidertes Silizium, das in der Herstellung zudem preiswerter ist. „Eine optimale Qualität des Produkts war der eigentliche Fokus bei der Entwicklung des Verfahrens“, so Wewers. Denn um den Preis von Solarstrom zu senken, müssen Module preiswerter und die Stromausbeuten zugleich höher werden. Ein wichtiger Faktor dabei ist die enge Kooperation zwischen Rohstoffhersteller und Verarbeiter – in der Solarindustrie bisher eher ungeübtes Zusammenspiel. Aber ein unverzichtbares, wenn aus sonnigen Prognosen Realität werden soll.

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Abschied von der Kohle

Die drei Buchstaben RAG waren lange Zeit ein Synonym für den Kohlebergbau im Ruhrgebiet. Nach Übernahme der Unternehmen Degussa und Steag auch für einen weltweit tätigen Montan-, Energie- und Chemiekonzern mit 100.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 19 Milliarden Euro. Dieses Kapitel geht dem Ende entgegen: 2006 wurde der „weiße“ Bereich mit den Sparten Chemie, Energie und Immobilien ausgegliedert und im September 2007 in Evonik Industries AG umbenannt. Beide Konzernteile, RAG und Evonik Industries, werden vom ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Dr. Werner Müller geleitet und gehören der neu gegründeten RAG-Stiftung. Die Stiftung ist künftig Dreh- und Angelpunkt für den von der Politik beschlossenen Ausstieg aus dem subventionierten Steinkohlebergbau: Der milliardenschwere Evonik-Konzern soll ab 2008 an die Börse gehen. Mit dem Erlös will die Stiftung sowohl den Ausstieg als auch die „Ewigkeitslasten“ des Bergbaus finanzieren. Diese langfristigen Folgekosten – dazu gehören Grundwasserreinigung, Grubenwasserhaltung und die Finanzierung von Dauerbergschäden – schätzen Experten auf sieben bis 13 Milliarden Euro. Allerdings schloss Stiftungsvorsitzender Wilhelm Bonse-Geuking kürzlich eine Verzögerung des Börsengangs nicht aus, falls aufgrund der Bankenkrise kein angemessener Erlös für die Evonik-Anteile zu erzielen sei.