Kleine Photovoltaik-Dachanlagen: Unterschätzte Bausteine der Energiewende

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Die politische Debatte um den künftigen Ausbaupfad der Photovoltaik  nimmt an Schärfe zu. Besonders kleine Photovoltaik-Dachanlagen sehen sich zunehmend kritischen Stimmen ausgesetzt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) forderte jüngst, vermeintlich kostengünstigere erneuerbare Energien wie Photovoltaik-Freiflächenanlagen zu priorisieren. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) plädiert dafür, die EEG-Förderung für Dachanlagen ohne Direktvermarktung zu streichen. Andere Berater und Konzernlenker halten den Photovoltaik-Eigenverbrauch für übermäßig subventioniert oder sind der Auffassung, dass Photovoltaik-Anlagen auf Eigenheimdächern keiner Förderung mehr bedürfen.

Noch ist unklar, ob und wenn ja, welche regulatorischen Konsequenzen diese Forderungen nach sich ziehen werden. Die politische Debatte ist jedoch eröffnet. Für das Erreichen der energie- und klimapolitischen Ziele werden wir sowohl Freiflächen- als auch Dachanlagen benötigen. Daher ist es umso wichtiger, den Blick zu weiten und die Rolle kleiner Dachanlagen in der Energiewende differenziert zu betrachten.

Die unterschätzten Stärken kleiner Photovoltaik-Dachanlagen

  1. Bürgerbeteiligung und gesellschaftliches Engagement
    Kleine Photovoltaik-Anlagen ermöglichen es Bürgerinnen und Bürgern aber auch kleinen Unternehmen wie Energiegenossenschaften, sich aktiv an der Energiewende zu beteiligen. Sie stärken das lokale Engagement, fördern Energiekompetenz und erhöhen die Akzeptanz für den notwendigen Umbau unseres Energiesystems. Und das – wie Umfragen und Studien zeigen – auch und gerade in konservativen Bevölkerungsschichten.
  2. Private Investitionen in Energiewende: Photovoltaik-Aufdachanlagen werden oft aus privaten Mitteln finanziert. Dachflächen sind dabei für private Investoren und Investorinnen die am einfachsten zugängliche Möglichkeit, aktiv in die Energieerzeugung zu investieren. Rund zwei Drittel der Aufdachanlagen wären ohne private Investitionen gar nicht realisiert worden. Es wird damit erhebliches privates Kapital akquiriert und der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Energiewende zur Verfügung gestellt.
  3. Effiziente Flächennutzung in urbanen Räumen
    Dachflächen sind bereits versiegelt – ihre Nutzung für die Solarstromerzeugung verursacht keine zusätzlichen Eingriffe in Natur oder Landwirtschaft. Gerade in Städten ermöglichen sie eine Energieproduktion ohne neue Flächenkonflikte.
  4. Vermeidung gesellschaftlicher Akzeptanzkosten
    Photovoltaik-Speicher-Kraftwerke in der Freifläche werden weiterhin eine starke Säule der Energieversorgung sein müssen. Sie stoßen jedoch mitunter auf Widerstand – etwa von Anwohnenden, Landwirten oder Naturschutzverbänden. Hier ist viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Demgegenüber sind Photovoltaik-Dachanlagen weitgehend konfliktfrei und erhöhen die gesellschaftliche Akzeptanz für den Photovoltaik-Ausbau insgesamt. Das ist ein Wert an sich.
  5. Hebel für sektorübergreifende Transformation
    Erhebungen zeigen: Wer in eine Photovoltaik-Anlage investiert, ist auch eher bereit, in Wärmepumpe und Elektromobilität zu investieren. Dieser Einstieg in die Sektorenkopplung beschleunigt die Dekarbonisierung und hat enormes Potenzial, netzdienliches Verhalten zu unterstützen.
  6. Systemische Effizienzgewinne
    Photovoltaik-Dachanlagen verursachen keinen zusätzlichen Netzausbaubedarf, die über die neuen Bedarfe im Wärme- und Mobilitätssektor hinausgehen. Insbesondere in urbanen, vermaschten Netzen kann die dezentrale Photovoltaik-Erzeugung bestehende Betriebsmittel besser auslasten und langfristig die Systemkosten senken. Diese Effizienzgewinne werden derzeit noch durch unzureichende Digitalisierung zurückgehalten. Eine Digitalisierungsoffensive kann das lösen.
  7. Co-Benefits jenseits der klassischen, ökonomischen Maßstäbe
    Kleine Photovoltaik-Anlagen tragen zur Verbesserung der Luftqualität, zur Minderung von Gesundheitskosten und zur Vermeidung von Klimafolgekosten bei.
  8. Impulse für Handwerk und Mittelstand
    Das Photovoltaik-Dachsegment leistet einen besonderen Beitrag für Beschäftigung, Umsatz und Qualifizierung im Handwerk sowie bei Fachbetrieben und im Handel. Damit setzt das Marktsegment wichtige Impulse für eine breite Verankerung der Energiewende im Mittelstand und in der lokalen Wirtschaft.
  9. Internationale Vorreiter: Weltweit machen Aufdachanlagen in vielen Märkten über 50 Prozent der kumuliert installierten Photovoltaik-Leistung aus, darunter in Australien, Japan, Brasilien und Südafrika. Selbst in den USA, wo riesige Flächen zur Verfügung stehen, machen diese Photovoltaik-Anlagen etwa ein Drittel der installierten Gesamtleistung aus. Darüber hinaus gibt es in Ländern wie Australien inzwischen über vier Millionen Haushalte mit Photovoltaik-Dachanlagen. Sie sind und bleiben ein wichtiger Baustein der Energiewende, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

Wirtschaftlicher Wert – und die Notwendigkeit einer faktenbasierten Debatte

Dass kleine Photovoltaik-Dachanlagen einen gesellschaftlichen, ökologischen und systemischen Mehrwert bieten, ist unbestritten. Dennoch ist es wichtig, auch die harten wirtschaftlichen Fakten offen zu benennen – gerade, weil sie von Seiten der Kritiker dieser Anlagen ins Zentrum gerückt werden.

Über den Daumen gepeilt: Eine Photovoltaik-Freiflächenanlage kostet derzeit unter 500 Euro pro Kilowatt, eine kleine Dachanlage bis zu 1500 Euro pro Kilowatt. Laut § 4 EEG sollen bis 2040 noch rund 300 Gigawatt Photovoltaik zugebaut werden. Das wirft eine provokante, aber legitime Frage auf: Investieren wir für dieses Ausbauziel 150 Milliarden Euro (bei reinem Freiflächen-Ausbau) oder 450 Milliarden Euro (wenn überwiegend Dachanlagen gebaut werden)? Angesichts der Größenordnung – der Bundeshaushalt 2024 lag ebenfalls bei rund 450 Milliarden Euro – ist klar: Diese Diskussion ist zu bedeutend, um sie allein den Kritikern der dezentralen Energiewende zu überlassen.

Gleichzeitig bedeutet diese Kostenfrage nicht, dass Photovoltaik-Dachanlagen zwangsläufig zu teuer oder ineffizient sind. Im Gegenteil: Wenn man sich ehrlich macht, können sie sehr wohl wettbewerbsfähig sein – auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Denn sie sparen – wie oben argumentiert – Netzausbaukosten, Netzverluste und reduzieren Transaktionskosten und können so einen Mehrwert von etwa 3 Cent pro Kilowattstunde gegenüber der Freiflächen-Photovoltaik generieren. Wenn man zusätzlich einen gesellschaftlichen Aufpreis von etwa 1 Cent pro Kilowattstunde für vermiedene Flächennutzung und höhere Akzeptanz als legitim betrachtet, ergibt sich ein systemischer Mehrwert von Dachanlagen von etwa 4 Cent pro Kilowattstunde gegenüber den Photovoltaik-Freiflächenanlagen. Wenn in den nächsten Jahren durch den Abbau regulatorischer Hürden sowie die konsequente Umsetzung von EU-Vorgaben (wie der EU-Gebäuderichtlinie) die Kosten von Dachanlagen um weitere 3 Cent pro Kilowattstunde gesenkt werden, entsteht eine belastbare Perspektive: Kleine Photovoltaik-Dachanlagen können auch mit Blick auf die Gesamtkosten wettbewerbsfähig sein – wenn wir die Rahmenbedingungen richtig setzen.

Was es braucht, ist eine faktenbasierte Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Kosten, Einsparungen und Chancen dezentraler Photovoltaik. Nur so gelingt eine Energiewende, die sowohl ökonomisch als auch gesellschaftlich tragfähig ist.

Perspektiven zur Optimierung: Was jetzt zu tun ist

Zugleich kann vieles getan werden, um das Segment effizienter zu gestalten. Dazu kann gehören, dass man sich bei der Volleinspeisung von höheren Fördertarifen trennt, oder auch den Schlüssel für die Verteilung von Solarparks und Dachanlagen maßvoll flexibilisiert. Und auch die dynamische Gestaltung von Markt- und Preisanreizen, wie sie sich in internationalen Märkten durchsetzen, muss in Deutschland voranschreiten. Vor allem aber geht es um Kostensenkungen durch weiteren Hürdenabbau. Hier sollte energiepolitisch der Fokus liegen.

Wir beim PV Think Tank nennen das „Günstiger Solarstrom Deal“: Die Politik kann demnach einen wesentlichen Beitrag zur Kostensenkung leisten, indem sie Hemmnisse und Barrieren deutlich abbaut. Wichtig ist dabei die Reihenfolge: Erst gilt es (teure) Hürden zu beseitigen, dann kann man die Förderung auch absenken. Optionen dafür gibt es:

  • Standardisierung und Entbürokratisierung: Vereinfachte Bauvorschriften, technische Vorgaben von Zählerschränken und einheitliche Anschlussbedingungen könnten die Installationskosten erheblich senken.
  • Digitalisierung der Prozesse im Netzanschluss: Vollständig digitale Prozesse ersparen Zeitaufwand und führen zu weiteren Kosteneinsparungen. Während viele Verteilnetzbetreiber hier schon sehr gut vorangehen, brauchen andere Verteilnetzbetreiber stärkere Anreize dazu, ihre Fachkräfte mit Hilfe von besseren digitalen Systemen sowie der Nutzung von Shared Service-Centern zu entlasten.
  • Reform der Netzentgelte mit Augenmaß: Eine vollständige Umlage der Netzentgelte auf jährlich fixe Kosten sowie dynamische Netzentgelte reduzieren die Wirtschaftlichkeit von Eigenverbrauchsanlagen. Damit droht auch die Entwertung der europäischen Photovoltaik-Pflicht, die nur dort gilt, wo Wirtschaftlichkeit gegeben ist. Der oben erwähnte systemische Nutzen für den Netzausbau muss bei der Reform abgebildet werden.

Fazit: Kleine Photovoltaik-Dachanlagen sind kein Auslaufmodell, sondern ein unterschätzter Schlüssel zur dezentralen Energiewende. Ihr Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe, zur Flächenschonung und zur Systemintegration ist wesentlich größer als kurzfristige Kostenvergleiche es mitunter suggerieren. Eine zukunftsfeste Ausgestaltung der regulatorischen Rahmenbedingungen sollte diesen Mehrwert anerkennen und fördern, anstatt ihn zu verdrängen. Wir benötigen einen schnellen Zubau der Photovoltaik sowohl im Dach- als auch im Freiflächensegment. Nur so sind die energie- und klimapolitischen Ziele erreichbar.

Über die Autoren:

René Groß Volljurist, LL.M. (Leuven) Leiter Politik und Recht Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften
René Groß gehört als Experte dem PV Think Tank an.

Foto: fotostudio-neukoelln.de

René Groß ist Leiter für Politik und Recht bei der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim DGRV – Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband. Die Bundesgeschäftsstelle kümmert sich politisch und fachlich um rund 1000 Energiegenossenschaften in Deutschland. Der Autor ist seit über 18 Jahren im Bereich erneuerbare Energien beziehungsweise Energie tätig und davon seit über 13 Jahren in der politischen Interessensvertretung. Ferner ist René Groß Experte im PV Think Tank.  Weitere Informationen zur Bundesgeschäftsstelle: https://www.dgrv.de/bundesgeschaftsstelle-energiegenossenschaften/

 

 

Valere Lange, BBEn
Valérie Lange ist Expertin beim PV Think Tank.

Foto: phototek

Valérie Lange ist Leiterin für Energiepolitik und Regulierung beim Bündnis Bürgerenergie (BBEn), der Dachorganisation für Bürgerenergieorganisationen in Deutschland. Das Bündnis Bürgerenergie setzt sich für verbesserte rechtliche Rahmenbedingungen für Bürgerenergieakteure ein und bietet Formate des Wissenstransfers und Beratungen an. Die Autorin ist Absolventin der Universität Münster und Sciences Po Lille. Ferner ist Valérie Lange Expertin im PV Think Tank. Weitere Informationen zum Bündnis Bürgerenergie: https://www.buendnis-buergerenergie.de/aktuelles/news

Der PV Think Tank ist ein loser Zusammenschluss von Expertinnen und Experten, die sich mit der Zukunft der Photovoltaik in Deutschland befassen. Weitere Informationen hier: https://pv-thinktank.de/ Ausführliche Vorschläge für die Weiterentwicklung des PV-Marktes sind hier zusammengefasst: https://pv-thinktank.de/wp-content/uploads/2025/01/PV-Agenda-2025-2023_Quantitaet-mit-Qualitaet_PVTT.pdf

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