Die CCS-Struktur muss aufgebaut werden, weil sie aufgebaut werden muss

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„Habeck prescht mit CCS-Förderung für Mittelstand vor“, titelte der „Tagesspiegel“ kürzlich.  Ohne dass die Novelle des (carbon capture and storage) CCS-Gesetzes vom Bundestag beschlossen ist, veröffentlichte der Wirtschaftsminister bereits darin vorgesehene Fördermaßnahmen für CCS-Projekte, bei denen Kohlenstoffdioxid eingefangen und gespeichert werden soll. Wird das parlamentarische Verfahren zur bloßen und nebensächlichen Formalität?  Ist CCS ein „Wert an sich“ und über Recht und Gesetz erhaben?

Nicht nur Habecks aktueller Vorgriff erweckt diesen Eindruck. Noch gilt schließlich das „Gesetz zur Demonstration und Anwendung von Technologien zur Abscheidung, zum Transport und zur dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid“ von 2012.  Es regelt „die Erforschung, Erprobung und Demonstration von Technologien zur dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid in unterirdischen Gesteinsschichten“. Deren erfolgreiche Durchführung ist Voraussetzung und Grundlage für einen späteren industriellen Hochlauf. „Forschungsspeicher“ mit insgesamt weniger als 100.000 Tonnen CO₂ sollen den Anfang machen, Erprobungs- und schließlich Demonstrationsprojekte in der Größenordnung von einer Million Tonnen folgen.

CCS-Hochlauf ohne Vorlauf

Tatsächlich wurde ein einziges Forschungsprojekt durchgeführt: einmalige Verpressung von 67.000 Tonnen in Ketzin. Danach hatte sich das Wissen um die klimaschutzpolitische Sinnlosigkeit der CCS-Idee derart in der Bevölkerung verbreitet, dass kein Unternehmen Interesse an weiteren CCS-Projekten zeigte.

Die in Vorbereitung befindliche Novellierung des CCS-Gesetzes soll nun den industriellen Hochlauf des CCS ermöglichen. Die 2012 vorgeschriebene Erprobungs- und Demonstrationsphase wird damit schlicht eliminiert. Von den einmalig 67.000 Tonnen in Ketzin soll übergangslos auf viele Millionen Tonnen jährlich gesprungen werden.

Um diese Unzulässigkeit zu kaschieren, wird Ketzin als eine Art „Hybridprojekt“ hingestellt, welches sowohl die Forschungs- als auch die Demonstrationsphase in sich enthalten würde. In den „Eckpunkten“ zur Carbon-Management-Strategie ist auf Seite sechs zu lesen: „Das Forschungsprojekt in Ketzin … hat allerdings im Demonstrationsmaßstab gezeigt, dass die Speicherung an Land … 'sicher und verlässlich sowie ohne Gefährdung von Menschen und Umwelt umgesetzt werden kann'“.  Einmalig verpresste 67.000 Tonnen sollen demonstriert haben, dass die jährliche Verpressung von Millionen Tonnen sicher, verlässlich und schadensfrei möglich ist?  Demonstriert wird mit einer derartigen Behauptung doch eher die Notlage derjenigen, die ein Großprojekt in Gang bringen wollen, dem jegliche Grundlage fehlt.

Kein Mittel zur Beseitigung von Leckagen

Die unterlassene Vorbereitungsphase ist nicht das einzige Manko. Die Gruppe „Die Linke“ im Bundestag habt die Regierung mit einer Kleinen Anfrage dazu gebracht, weitere Einblicke in das Konglomerat aus Defiziten zu geben, welches die Substanz des CCS durchgängig ausmacht.

Auf die Frage, ob der Bundesregierung Konzepte bekannt sind, mit welchen den in ihrem Evaluierungsbericht aufgelisteten Risiken, wie Leckagen und anderen Havarien begegnet werden kann, kommt als Antwort, dass „potenzielle CO₂-Speicher“ „genehmigungspflichtig“ sind und im Verfahren festgestellt werden muss, dass „die Langzeitsicherheit des CO₂-Speichers gewährleistet ist“, sowie „Gefahren für Mensch und Umwelt ausgeschlossen werden können“.

Wenn das so im Gesetz steht, kann man sich beruhigt zurücklehnen? Ob aber auch die Naturkräfte das Gesetz gelesen haben und sich daranhalten?

Im nächsten Absatz taucht jedenfalls auf, was zuvor „ausgeschlossen“ wurde: „Leckagen und erhebliche Unregelmäßigkeiten“. Den Gesetzgeber irritiert das aber nicht. Er schreibt „Verhütung“ oder „Beseitigung“ der Letzteren vor, und schon ist das Problem vom Tisch.

Die anschließend aufgeführten Konzepte zum konkreten Umgang mit Risiken kann man auf den Nenner „Monitoring“ bringen. Suggeriert wird, dass Überwachung gleichbedeutend mit Sicherheit sei. Tatsächlich kann Monitoring im besten Fall aufzeigen, dass Probleme existieren, sie aber nicht lösen. Grant Hauber, vom Institute for Energy Economics & Financial Analysis und Autor der von der CCS-Lobby systematisch totgeschwiegenen Studie „Norway’s Sleipner and Snøhvit CCS: Industry models or cautionary tales“, sagt: Wenn etwas schiefgeht, kann der Überwacher nur zuschauen. Die einzige Maßnahme, die er ergreifen kann, ist, die Injektion zu stoppen. Auf CO₂, das sich bereits im Untergrund befindet, hat er keinen Einfluss. Auch in der Präsentation „Key Risks of Carbon Dioxide Storage: The case of Sleipner and Snøhvit“, verweist Hauber auf diese Risiken.

Emissionsvermeidung als „übergeordnetes Ziel“ ist Lippenbekenntnis

Ebenso wie die Bundesregierung hinsichtlich „Beseitigung von Leckagen und erheblichen Unregelmäßigkeiten“ in einem realitätsfernen Raum unterwegs ist, hält sie es auch mit der Emissionsvermeidung und dem Wechsel auf erneuerbare Energien. Sie schreibt: „Übergeordnetes Ziel der deutschen Klimapolitik ist die … Vermeidung von Treibhausgasemissionen.“

Das klingt gut, mehr aber auch nicht. In dem von der Bundesregierung veranlassten sogenannten Dialog zur Carbon-Management-Strategie mahnte Greenpeace Energie-Experte Karsten Smid an, Wege zur Emissionsvermeidung verbindlich zu machen und zeigte konkrete Möglichkeiten auf. Seine Vorschläge wurden nicht beachtet. In den Veranstaltungen ging es um möglichst massive CCS-Einführung und nichts anderes.

Das findet man oft in Papieren von CCS-Protagonisten: An den Anfang stellen sie ein Bekenntnis zu Emissionsvermeidung und Energiewende als übergeordnete Ziele. Doch ist das formelhaft, erinnert an religiöse Glaubensbekenntnisse, die mit der Alltagspraxis nichts zu tun haben.

Der Linken antwortet die Bundesregierung weiter: „Für den Klimaschutz zentral ist neben dem Kohleausstieg … der Ausstieg aus fossilen Energien insgesamt. Zudem gilt es, erneuerbare Energien weiter auszubauen“. Hier ist die Deklaration schon selbst fadenscheinig. Was soll das „Zudem“? Wenn aus den „fossilen Energien insgesamt“ ausgestiegen wird, ist das gleichbedeutend mit deren hundertprozentiger Ablösung durch Erneuerbare und dem entsprechenden Ausbau Letzterer. Die Realität ist aber: aus den „fossilen Energien insgesamt“ darf nicht ausgestiegen werden! Wo käme denn sonst das viele CO₂ her, das für den Betrieb der CCS-Struktur benötigt wird?  Daher müssen Gaskraftwerke gebaut und blauer Wasserstoff eingesetzt werden. Die erneuerbaren Energien sollen nach den Vorstellungen von Fossil-Industrie und Bundesregierung Beiwerk bleiben.

Genauso sieht es auch die EU. Laut „Net Zero Industry Act“  (März 2023) soll bis 2030 eine Verpressung von jährlich 50 Millionen Tonnen CO₂ erreicht werden. Hiermit könne sich die Industrie dekarbonisieren. Gleichzeitig würde man dabei Erfahrungen sammeln, um bis 2050 eine Steigerung auf jährlich 550 Millionen Tonnen mit geringem Risiko zu erreichen, worin dann die Energiewirtschaft einbezogen wäre (Punkt 14). Die dauerhafte Beschränkung des CCS auf einige industrielle CO₂-Quellen ist illusorisch, weil sich die teure Infrastruktur dann nicht rechnen würde.

CCS ist „Wert an sich“

Weitere Fragen der Linken, unter anderem zu Wasser- und Energiebedarf des CCS, zu den Gefahren durch Havarien und Pipelines beantwortet die Regierung ebenfalls ausweichend und substanzlos, sodass Mitglied des Bundestages Ralph Lenkert (Die Linke) kommentiert: „Ohne die Kosten für den Aufbau einer CO₂-Abscheidetechnologie und für Pipelines zu kennen, ohne Vorstellungen zum Energie- und Wasserbedarf für CCS und ohne sich mit den speziellen Risiken der Technologie ernsthaft zu befassen, forciert die Bundesregierung CCS.“

Hiermit berührt er den zentralen Punkt der ganzen Sache: Es gibt für die angebliche Klimaschutzeigenschaft des CCS keine Begründung. Wenn es diese geben würde, müsste sie aus einem Vergleich der Klimaschutzeigenschaft des CCS mit den erneuerbaren Energien hervorgegangen sein – mit dem Ergebnis, dass CCS den Letzteren überlegen ist.

Ein solcher Vergleich ist von den CCS-Protagonisten aber niemals angestellt worden, weil wohl auch ihnen klar ist, dass CCS ihn unmöglich bestehen könnte. Da der wirkliche Zweck der Übung, nämlich Rechtfertigung der unabsehbaren Fortsetzung fossiler Energiewirtschaft, von den Akteuren nicht öffentlich bekannt gegeben werden kann, sind sie auf eine gewissermaßen „basislose“ Strategie angewiesen: CCS muss als ein „Wert an sich“ etabliert werden. Man macht sich hierbei jenen psychischen Mechanismus zunutze, wonach eine Unwahrheit, sofern sie nur oft genug wiederholt wird, als Wahrheit aufgefasst wird. Wenn man ständig hört „CCS ist eine Klimaschutzmaßnahme“, gewöhnt man sich daran und vergisst irgendwann die Frage nach einem Beleg.

In den Jahren um 2010 bekam man es nicht selten mit einem Gedankengang wie folgt („petitio principii“) zu tun: Weil CCS eine Klimaschutzmaßnahme ist, dient es dem Klima und muss daher unbedingt eingesetzt werden. In den vergangenen Jahren besteht eine gewisse Bereitschaft, Defizite des CCS einzuräumen, um dann aber mit folgendem Antilogismus fortzufahren: Inzwischen hat die Klimaerhitzung ein derartiges Maß erreicht, dass sämtliche Mittel dagegen eingesetzt werden müssen, auch die weniger guten, nämlich CCS. Das ist so, wie wenn die Besatzung eines leckgeschlagenen Schiffes nicht diejenigen Maßnahmen ergreifen würde, die das Leck schnellstmöglich und zuverlässig abdichten, sondern auch solche, die dazu gar nicht in der Lage sind, sondern das Leck sogar noch vergrößern.

CCS verdoppelt die CO₂-Emission

Genau das geschieht aber durch CCS. Laut Evaluierungsbericht der Bundesregierung dienen 70 Prozent (laut Real Zero Europe sogar 81 Prozent) der CCS-Unternehmungen nicht dem, was ihr Name behauptet, der „Storage“ (unterirdische Speicherung) des CO₂, sondern der Effektivierung der Ölförderung (Enhanced Oil Recovery, EOR). Eine Tonne CO₂, die hierfür eingesetzt wird, bewirkt eine zusätzliche Förderung von Öl, bei dessen Verbrennung zwei bis drei Tonnen CO₂ frei werden. Unter dem Strich kann man sagen, dass durch den gesamten CCS-Einsatz doppelt so viel CO₂ emittiert wird, als wenn die Abgase des Kraftwerks ohne jede Nachbehandlung in die Luft gehen würden. (siehe hierzu auch „CO₂-Reduzierung durch CO₂-Verdoppelung“).  Emissionen, die durch Aufbau, Betrieb und Energiebedarf der CCS-Infrastruktur, sowie durch undichte Endlager entstehen, oder bei der thermodynamischen Gesamtbetrachtung des Prozesses sichtbar werden, sind hierbei nicht berücksichtigt.

Dass in einem Volk, dem einmal das Attribut „Dichter und Denker“ erteilt wurde, jahrzehntelang über derartige Absurditäten diskutiert werden muss, mit dem Ergebnis, dass die Regierung letzteren auch noch Gesetzeskraft verleihen will, erzeugt eine gewisse Ratlosigkeit. – Was ist aus uns geworden?

Wirkt CO₂-Pipeline-Netz als Wecker?

Unterhalb der offiziellen Repräsentationsebenen wächst indessen ein Verständnis heran. Organisationen und engagierte Persönlichkeiten durchschauen das unsägliche Treiben. Auch ist es ihnen gelungen, überhaupt eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit zu bewirken und die ursprüngliche Absicht der Bundesregierung, alles in Hinterzimmern durchzuziehen, zu vereiteln.

Derzeit recherchieren und informieren sie über das geplante CO₂-Pipeline-Netz, das mit einer Gesamtlänge von tausenden Kilometern über Deutschland gelegt werden soll. In unseren dicht besiedelten Regionen wäre es mit erheblichen Eingriffen in den direkten Lebensbereich von Millionen Menschen verbunden. Ein Großteil der beabsichtigten CCS-Gesetzesnovellierung beschäftigt sich mit den Planungsmodalitäten. Tendenz: Beteiligungsrechte der Bürger sollen eingeschränkt werden. Wir bekommen es mit einem direkten Demokratieabbau zu tun. CCS wird als dem „Allgemeinwohl dienend“ eingestuft. Durch diesen Widersinn kommt das Thema „Enteignung“ ins Spiel. Man kann vermuten, dass an dieser Stelle heftige Konflikte vorprogrammiert sind.

Bemerkenswert ist weiterhin, dass sich der Staat aus dem Prozedere weitgehend zurückzieht und die Auseinandersetzung mit der Bevölkerung den Firmen überlässt, die die Pipelines bauen. Das wird bereits jetzt praktiziert: Wenn man sich beim BMWK nach geplanten Trassenverläufen erkundigt, erhält man keine Antwort, sondern wird an die ausführenden Firmen verwiesen.

Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) gibt in seiner „Stellungnahme zum Referentenentwurf eines ersten Änderungsgesetzes zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz sowie dem Entwurf von Eckpunkten der Bundesregierung für eine Carbon Management-Strategievom 21.03.2024  (besonders in den Absätzen 6 bis 17) einen gründlichen Einblick in die Pipeline-Problematik, auch wenn nicht jedes Detail mit dem aktuellen Regierungsentwurf übereinstimmt.

Allemal befinden wir uns in einem hochgradig spannenden historischen Moment: Schaffen wir den Schritt ins Solarzeitalter oder gehen wir rückwärts in die harte Zeit von Eisen, Krieg und umfassender Zerstörung? CCS ist ein Lehrstück, ein Teilbereich des Gesamtkomplexes. Hier lässt sich besonders klar erkennen, wo statt Sinnhaftigkeit der Wahnsinn wohnt. Die Sache ist nicht kompliziert, schlichte, elementare Intelligenz reicht völlig aus. Diese muss allerdings aufgebracht werden, sowie dann auch etwas Mut, um zu erlangten Erkenntnissen zu stehen.

— Der Autor Christfried Lenz, politisiert durch die 68er Studentenbewegung, Promotion in Musikwissenschaft, ehemals Organist, Rundfunkautor, Kraftfahrer und Personalratsvorsitzender am Stadtreinigungsamt Mannheim, Buchautor. Erfolgreich gegen CCS mit der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“, nach Zielerreichung in „Saubere Umwelt & Energie Altmark“ umbenannt und für Sanierung der Erdgas-Hinterlassenschaften, gegen neue Bohrungen und für die Energiewende aktiv (https://bi-altmark.sunject.com/). Mitglied des Gründungsvorstands der BürgerEnergieAltmark eG (http://www.buerger-energie-altmark.de/). Bis September 2022 stellvertretender Sprecher des „Rates für Bürgerenergie“ und Mitglied des Aufsichtsrates im Bündnis Bürgerenergie (BBEn). Seit 2013 100-prozentige Strom-Selbstversorgung durch Photovoltaik-Inselanlage mit 3 Kilowattpeak und Kleinwindrad. —

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