DUH sieht „katastrophale Verfehlung“ bei Photovoltaik-Zubau in Großstädten

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Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht nur 7 von 82 deutschen Großstädten „auf einem sehr guten Weg“ beim Zubau von Photovoltaik-Anlagen: Oldenburg, Paderborn, Regensburg, Neuss, Oberhausen, Gütersloh und Erlangen. Die anderen „hängen beim Ausbau der Solarenergie massiv hinterher“, heißt es in einer Mitteilung vom Freitag. 29 Städte müssen demnach das Tempo ihres Photovoltaik-Zubaus im Vergleich zu den vergangenen beiden Jahren ab sofort um bis zu 50 Prozent steigern, und bei 46 Städten wären sogar mehr als 50 Prozent an Steigerungsraten erforderlich. In 29 dieser 46 Städte bräuchte es mindestens eine Verdopplung, hierzu gehören zum Beispiel Düsseldorf, Heidelberg und Magdeburg. In 15 Städten, darunter Dresden, Hamburg oder Frankfurt am Main, wäre selbst das noch nicht genug, hier müsste das Tempo um mindestens das Dreifache steigen. Die Schlusslichter des Rankings – Potsdam, Lübeck und Bremerhaven – müssten um mehr als 350 Prozent bei den Installationen von Photovoltaik-Anlagen zulegen.

Dementsprechend vergibt die DUH nur sieben „grüne Karten“ an die ihrer Einschätzung nach auf dem zahlenmäßig richtigen Pfad befindlichen Städte. Daneben stehen 29 gelbe und 46 rote Karten.

Grundlage für diese Einschätzung ist eine im November 2021 vorgelegte Studie der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). Diese kommt zu dem Schluss, dass in Deutschland bis 2035 insgesamt 590 Gigawatt Photovoltaik-Leistung installiert sein müssen, damit das Land seinen Beitrag zum Pariser 1,5-Grad-Ziel leisten kann (die in der Studie errechnete Menge variiert in Abhängigkeit verschiedener anderer Faktoren, etwa dem Tempo beim Windkraftausbau). Dieses Ziel ist deutlich höher als die in der „Photovoltaik-Strategie“ der Bundesregierung definierte Marke von 215 Gigawatt bis 2030 und einer „nahezu vollständig durch erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff“ erfolgenden Stromversorgung bis 2035.

Bund, Länder und Kommunen in der Pflicht

Der Umwelt- und Verbraucherschutzverband nutzt seinen Befund für eine dramatische Analyse. DUH-Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz sieht die Zahlen als Beleg dafür, „dass die Jubel-Meldungen der Bundesregierung rund um ihre PV-Strategie kritisch zu hinterfragen sind“. Vor allem auf den Dächern von Gewerbegebäuden, aber auch bei Parkplatz-Überdachungen oder an Balkonen müssten weit mehr Anlagen errichtet werden. Dafür aber seien Bund und Länder in der Pflicht, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Rupert Wronski, stellvertretender Leiter Kommunaler Umweltschutz bei der DUH, sieht große Handlungsdefizite auch auf kommunaler Ebene. Die Städte hätten einen Hebel „vor allem bei den Dachflächen ihrer eigenen Liegenschaften“. Viele von ihnen hätten hierzu aber „noch nicht einmal eine fundierte Analyse“ und deshalb „wundert es nicht, dass vielfach auch keine konkreten Ausbauziele für öffentliche Dachflächen formuliert werden“.

Die Kritik würde naturgemäß etwas milder ausfallen, wenn die DUH bei ihrer Analyse das Ausbauziel der Bundesregierung als Richtwert genommen hätte und nicht das viel höhere Ziel aus der HTW-Studie. Der Befund wäre aber andererseits womöglich noch weitaus strenger, wenn die DUH-Auswertung einer anderen Methodik gefolgt wäre. Tatsächlich ist die Situation bei der innerstädtischen Photovoltaik nämlich noch weitaus schlechter, als in der Auswertung dargelegt.

Fläche als alleiniger Maßstab

Die DUH hat ihre Zahlen in dem vom Venture and Nature Fund geförderten Projekt „Solaroffensive Deutschland“ zusammengestellt. Die Auswertung errechnet für jede deutsche Großstadt (dies sind alle Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern) gemäß ihrem Anteil an der deutschen Landesfläche ein Ziel für die bis 2035 zu installierende Leistung.

Am Beispiel Berlin heißt dies: Die Stadt hat eine Fläche von 891,8 Quadratkilometern, das sind 0,249 Prozent der Gesamtfläche Deutschlands. Die Auswertung multipliziert nun schlicht den Anteil Berlins an der Landesfläche mit den als Zielmarke definierten 590 Gigawatt und kommt somit für die Hauptstadt auf ein „Soll PV“ von 1470,28 Megawatt. Auf Grundlage des für Dezember 2023 im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur verzeichneten Ist-Standes von 268,08 Megawatt Photovoltaik in Berlin und dem für die Jahre 2022 und 2023 errechneten mittleren Zubauwert von 53,55 Megawatt pro Jahr muss die Stadt demzufolge das Tempo um den Faktor 1,87 auf jährlich 100,18 Megawatt neu installierte Leistung steigern.

Dass diese Betrachtung dem Thema allerdings nicht gerecht wird, zeigt ein Vergleich: Die von der DUH für Berlin errechnete Zielmarke von 1470,28 Megawatt entspricht rund 391 Watt Leistung für jeden der 3,76 Millionen Einwohner. Die gleiche Rechnung, angewandt auf Salzgitter mit 224,5 Quadratkilometern und 104.500 Einwohnern ergibt jedoch 3540 Watt, also fast das Zehnfache. Das DUH-Projekt lässt außer Acht, dass Deutschlands Städte sehr unterschiedlich dicht besiedelt sind.

Noch deutlicher wird der verzerrende Effekt bei einem Vergleich mit den Flächenländern: Die von der DUH angewandte Methode ergäbe für das gesamte Land Bayern (70.542 Quadratkilometer, 13,37 Millionen Einwohner) ein Zubauziel von 8710 Watt je Einwohner, für das noch viel dünner besiedelte Mecklenburg-Vorpommern (23.174 Quadratkilometer, 1,61 Millionen Einwohner) ergäben sich sogar 23.750 Watt.

Potenzial der Städte ist viel größer

Die Betrachtung nach Fläche wird aber nicht allein der unterschiedlichen Besiedlungsdichte nicht gerecht, unberücksichtigt bleibt vielmehr auch ein noch weitaus wichtigerer Umstand: Großstädte haben, gemessen an ihrer Fläche, ein viel dichteres Stromnetz und, vor allem, weitaus mehr Gebäude pro Quadratkilometer. In Bezug auf Photovoltaik gelten hier deshalb vollkommen andere Gegebenheiten, die erstens nicht mit dem Landesdurchschnitt vergleichbar sind und zweitens von Stadt zu Stadt je nach Einwohnerdichte, Bebauungsstruktur, geografischer Lage und anderen Variablen stark differieren. Immer aber ermöglichen Städte eine viel höhere Photovoltaik-Leistung pro Quadratkilometer als ländliche Regionen.

Wie hoch genau dieses Potenzial ist, lässt sich indes nur durch eingehende Betrachtung abschätzen. Auch zu diesem Thema hat die HTW Berlin eine der wenigen umfassenden Untersuchungen erstellt und legte 2019 für das Forschungsprojekt „PV2City“ im Rahmen des Berliner Programms für Nachhaltige Entwicklung die Studie „Das Berliner Solarpotenzial“ vor. Dieses Potenzial liegt demnach weit von den durch die DUH veranschlagten 1,47 Gigawatt, nämlich bei sechs bis zehn Gigawatt. Die Hälfte davon verortet die HTW-Studie auf Wohngebäuden, ein Drittel auf Gewerbegebäuden. Öffentliche Gebäude tragen mit 600 Megawatt höchstens zehn Prozent zum Berliner Solarpotenzial bei.

Weil Großstädte allerdings auch, bezogen auf ihre Fläche, einen ungleich höheren Strombedarf als ländliche Regionen haben, können sie sich im übrigen auch bei voller Ausnutzung ihres Potenzials nicht selbst mit Solarstrom versorgen.

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