Ladeinfrastrukturausbau: lieber Masse statt Klasse?

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Das Erreichen der Klimaneutralität ist je nach Wirtschaftssektor unterschiedlich anspruchsvoll. Besonders schwierig erscheint die Dekarbonisierung des Verkehrssektors, in dem die Treibhausgas-Emissionen vor allem durch die Verbrennung fossiler Kraftstoffe entstehen. Mit einem Anteil von 20 Prozent an den gesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland (Tendenz steigend) ist dieser Sektor von zentraler Bedeutung für den weiteren Erfolg der Energiewende.

Zur Dekarbonisierung des Verkehrssektors in Deutschland setzt die Politik und ihr folgend die Automobilindustrie vor allem auf batterieelektrische Fahrzeuge. Dabei ist die Politik trotz des für 2035 geplanten „Verbrenner-Neuwagenverbots“ auf die Mitwirkung der Autofahrer angewiesen. Je früher diese auf batterieelektrische Fahrzeuge umsteigen, desto eher wird die angestrebte Elektrifizierung und Dekarbonisierung gelingen. Die Akzeptanz von Elektroautos in der Bevölkerung ist jedoch noch begrenzt. Zu groß ist bei vielen die Angst, nicht oder nur unter Schwierigkeiten ans Ziel zu kommen, zu gering das Vertrauen in die Ladeinfrastruktur.

Dabei ist klar, dass ein massiver und rechtzeitiger Ausbau der Ladeinfrastruktur für die erfolgreiche Verkehrswende unverzichtbar ist. Sie scheint einen massiven Einfluss auf die Verbreitung von batterieelektrischen Fahrzeugen zu haben. Förderungen und sonstige Anreize zum Kauf von Elektroautos können nur wenig erreichen, wenn der durchschnittliche Verbraucher den Kauf aufgrund der genannten Bedenken ablehnt. Hier kann eine hohe Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur helfen. Allerdings sinkt derzeit das Verhältnis der Anzahl von Ladestationen zur Anzahl batterieelektrischer Fahrzeuge auf deutschen Straßen.

Während die Zahl der Ladestationen häufig thematisiert wird, bleibt deren Qualität oft auf der Strecke. Dies ist zunächst verständlich, da eine Ladestation erst einmal existieren muss, um ihre Qualität beurteilen zu können. Dies darf aber nicht dazu führen, dass bestimmte Qualitätsmerkmale bei der Entwicklung von Ladeinfrastruktur zur Nebensache werden. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wer heute typischerweise ein batterieelektrisches Fahrzeug kauft und wie sich diese Gruppe in den nächsten Jahren entwickeln wird.

Die meisten Elektroauto-Besitzer sind heute noch sogenannte Early Adopters. Diese zeichnen sich durch eine hohe Technikaffinität und die Bereitschaft aus, sich auf noch nicht vollständig ausgereifte Technologien einzulassen. Sie sind tendenziell eher in der Lage, mit Problemen umzugehen, die beim Laden auftreten können. Dementsprechend sind viele der heutigen Elektroauto-Fahrer noch* bereit, sich auf „Abenteuer“ einzulassen, die mit der Nutzung der Ladeinfrastruktur teilweise verbunden sein können.

Ab einem bestimmten Punkt im Diffusionsprozess der Elektrifizierung des Mobilitätssektors folgt die Mehrheit der Deutschen jedoch den Early Adoptern. Ab 2035 muss jeder neu zugelassene Pkw emissionsfrei sein. Man kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass die Nutzer mit den üblichen Problemen an der Ladesäule schon irgendwie zurechtkommen werden. Auch Menschen, die ihr Auto lediglich als Fortbewegungsmittel nutzen wollen, also wenig Wert auf zusätzliche Merkmale legen, müssen sich auf die öffentliche Ladeinfrastruktur verlassen können. Manchen älteren Mitbürgern ist es beispielsweise noch nicht zuzumuten, an nutzerunfreudlichen öffentlichen Ladesäulen zu laden. Aber auch sie sind auf ihr Auto angewiesen. Sie sollten beim Ausbau der Ladeinfrastruktur nicht vergessen werden.

Relevante Teilaspekte im Kontext von Ladeerlebnissen
Abbildung 1: Relevante Teilaspekte im Kontext von Ladeerlebnissen;

Abbildung: Paul Fabianek

Die Ansprüche der breiten Masse der Autofahrer in Bezug auf Nutzerfreundlichkeit, Zuverlässigkeit und Komfort sind deutlich höher als die der Early Adopter. In einer kürzlich durchgeführten Studie haben wir uns mit dem Nutzererlebnis heutiger Elektromobilisten an Ladestationen in Deutschland beschäftigt. Die Elektromobilisten erachten die Verfügbarkeit (keine Wartezeit, keine Umwege) und Funktionalität (problemloses Laden) als wichtigste Bewertungskriterien für die öffentliche Ladeinfrastruktur.

Kriterien wie Nutzerfreundlichkeit und Preistransparenz treten demgegenüber noch in den Hintergrund. Mit fortschreitender Elektrifizierung des Verkehrssektors dürfte sich dies jedoch ändern. Wenn die fundamentalen Merkmale wie Verfügbarkeit und Funktionalität als unproblematisch wahrgenommen werden, werden auch weichere Kriterien in den Augen der Nutzer an Bedeutung gewinnen. Für die Mehrheit der Nutzer sollte das Laden von Elektroautos möglichst ähnlich unkompliziert und schnell wie das Tanken konventioneller Fahrzeuge an Tankstellen erfolgen. Dem sind natürlicherweise technische Grenzen hinsichtlich der Ladedauer gesetzt.

Aber auch an leichter beeinflussbaren Stellschrauben gibt es noch Diskrepanzen. Niemand möchte zur Tankstelle fahren, nur um festzustellen, dass leider die Hälfte der Zapfsäulen nicht funktioniert und die andere Hälfte zugeparkt ist. Genau dieses Bild scheinen aber viele Automobilisten in Deutschland von der Elektromobilität zu haben. Es sollte also das Ziel sein, alle Aspekte rund um das Laden so nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten, um Vorbehalte gegenüber der Elektromobilität abzubauen.

Nur wenn die Fahrt zur Schnellladesäule als ähnlich banal empfunden wird wie die Fahrt zur Tankstelle und die Anschaffung ähnlich viel kostet, werden viele Fahrer von Verbrennerautos ohne Bedenken auf ein batterieelektrisches Fahrzeug umsteigen. „Plug & Charge“ oder „Plug & Autocharge“ könnte hier bereits Abhilfe schaffen. Tesla-Fahrer kennen bereits den damit einhergehenden Komfort durch den exklusiven Zugang zum Supercharger-Netzwerk, einfach den Ladevorgang durch das Anstecken des Autos zu starten. Hier müssten Gesetzgeber, Ladesäulenbetreiber und Automobilhersteller an einem Strang ziehen, um diesen Komfort flächendeckend zu ermöglichen.

Zusammenfassend soll gesagt sein, dass der Erfolg des Ausbaus der Ladeinfrastruktur nicht nur an der Anzahl der Ladepunkte gemessen werden muss, sondern auch an der Qualität des Nutzererlebnisses. Wird dieser Aspekt aus den Augen verloren, müssen sich die Betreiber der Ladeinfrastruktur zukünftig auf deutlich höhere Kosten für die Kundenbetreuung einstellen. Vor allem aber besteht ein großes gesellschaftliches Frustrationspotenzial gegenüber einer in den Augen mancher „aufgezwungenen“ und „unausgereiften“ Elektromobilität. Dies kann vermieden werden, wenn wir die Ladeinfrastruktur jetzt mit höheren Standards an Benutzerfreundlichkeit und Funktionalität entwickeln und pflegen. Damit erleichtern wir den Elektromobilisten von morgen den Umstieg und kommen der vor uns liegenden Verkehrswende einen Schritt näher.

Über die Autoren:

Constanze Liepold (Linkedin) und Paul Fabianek (Linkedin) sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Energieökonomik der RWTH Aachen, der von Professor Reinhard Madlener geleitet wird. Die Mitarbeiter des Lehrstuhls beschäftigen sich mit angewandter, theoretischer und empirischer Forschung in den Bereichen Energiewirtschaft, -management und -politik mit einem besonderen thematischen Schwerpunkt auf der Einführung und Verbreitung innovativer Technologien sowie auf den Bedürfnissen und dem Verhalten von Energieverbrauchern.

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