Zeit für die Speicherwende oder warum Deutschland sein traditionelles Problem mit Speichern schnellstmöglich überwinden sollte 

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„Die Bedeutung der Speicherung von Strom ist groß, darf aber hinsichtlich ihres Potenzials nicht überschätzt werden.“ Mit dieser Lesart hat die Bundesnetzagentur  vor gerade einmal zwei Jahren einen Bericht zu Stromspeichern im deutschen Strommarkt eingeleitet. Und die Autoren legen noch einen drauf: Das Potenzial von Stromspeichern unterscheide sich deutlich von dem, was dieser Technologie in der öffentlichen Diskussion zugetraut werde. Mit anderen Worten: Optimistische Prognosen in der Energieszene solle man mit Vorsicht genießen. Man möge den Ball bitte schön flach halten.

Relevant ist diese Positionierung schon allein deshalb, weil die Bundesnetzagentur bei der Gestaltung des Energiesystems und etwaigen Anreizmechanismen eine immer bedeutendere Rolle spielt. Und da macht es einen Unterschied, welchen (eigenen) Prämissen sie folgt. Standpunkte wie diese hallen zudem nach. Sie prägen unweigerlich Diskurse und Potenzialeinschätzungen. Und damit auch die energiepolitischen Entscheidungen unserer Zeit.

Speicherskepsis hat in Deutschland Tradition

Traditionell werden Speicher in Deutschland oft geringgeschätzt. Vor rund zehn Jahren veröffentlichte Agora Energiewende eine damals vielbeachtete Studie. Sie mündete in die Empfehlung, von einem breiten Einsatz von Speichern vor den 2030er-Jahren abzusehen. Erst bei sehr hohen Anteilen von 60 bis 90 Prozent erneuerbaren Energien würden neue Stromspeicher benötigt, so die damalige Einschätzung. Und das nur in einem geringen Umfang: Aus damaliger Perspektive lieferten bei einem Anteil von 90 Prozent Erneuerbare lediglich 10 Gigawatt Stromspeicher einen wirtschaftlichen Vorteil. Diese Empfehlungen von Agora Energiewende wurden zwar in späteren Studien relativiert und teilweise revidiert. Sie sorgten aber schon damals – weil die Annahmen von anderen Experten hinterfragt wurden – für kontroverse Debatten. Der Fall dokumentierte die deutsche Zurückhaltung vieler Akteure bei der Rolle der Speichertechnologien.

Auch aktuelle Energiemarktszenarien unterschätzen das Potenzial

So richtig geändert hat sich diese pessimistische Lesart leider noch nicht. Auch im Jahr 2023 findet sich diese Zurückhaltung in zahlreichen Szenarien, die die Grundlage für politische Entscheidungen bilden. In den Langfristszenarien des Bundeswirtschaftsministeriums wird etwa von einem Anstieg des Batteriespeicherausbaus auf 5 Gigawattstunden bis 2030 ausgegangen, was schon heute überholt ist. Auch die gerade erst vorgestellten Szenarien der Verteilnetzbetreiber befassen sich entweder gar nicht mit dem Hochlauf von Batteriespeichern oder setzen dafür niedrige Werte an.

Warum so eine Zurückhaltung?

Der wesentliche Grund, dass Speicher in vielen Modellierungen zu kurz kommen, sind zweifelsohne veraltete Kostenannahmen, die Speicher als teure Flexibilitätsoptionen ansehen. Fragt man Akteure in der Energieszene nach den Ursachen der deutschen Speicherskepsis, geht es aber um mehr: Ein Grund sei die Dominanz der Netzperspektive und Kraftwerksbetreiber auf das deutsche Energiesystem. 900 Verteilnetzbetreiber und vier präsente Übertragungsnetzbetreiber, die aus Entflechtungsgründen keine Speicher betreiben dürfen, prägen in diesem Sinne massiv die deutsche Debatte. Speicher für das erneuerbare Energiesystem hatten in der Vergangenheit hingegen keine starke Lobby.

Einflussreiche Akteure würden zudem lieber nach Kapazitäten und Milliarden für den industriellen Wasserstoff rufen als nach einfachen Speichern. Die bisher gerne vertretende Devise war: Wir lösen Probleme der Flexibilitätsbedarfe mit mehr (Gas-)Erzeugungskapazität und mehr Netzausbau. Das entspreche dem favorisierten Top-down-Ansatz im Sinne der Planbarkeit des Energiesystems. Das entspreche der eingeübten Abneigung gegenüber kleinteiligen, modularen Lösungen und dezentralen Anreizen, so die Erklärungsversuche.

Im Ergebnis werden Batteriespeicher immer noch gerne als zusätzliche Belastung für Stromnetze deklassiert und nicht als Möglichkeit gesehen, Einspeisespitzen oder Lastspitzen im Netz zu glätten. Das postulierte Narrativ Netzausbau statt Speicherausbau war die Konsequenz, was angesichts der Unmöglichkeit, mit Kabeln eine zeitliche Verschiebung von Last und Erzeugung zu realisieren, schon fast grotesk anmutet.

Es wird Zeit für einen Paradigmenwechsel

Nun schreitet die Energiewende rasant voran. Die Transformation des Energiesystems bringt in atemberaubendem Tempo neue Erkenntnisse mit sich. Und so ist es nachvollziehbar, dass auch die Annahmen und Schlussfolgerungen sich mit der Zeit ändern. Es darf angenommen werden, dass das auch für so manch eine Speicherprognose zutrifft und dass die Relevanz der Speicher nach und nach nach oben korrigiert werden wird, weil sich die Erkenntnis durchsetzt, dass sie ein wichtiger Teil der Lösung sind.

Weltweit boomen Speicher

Im aktuellen Speichermarkt ist der Entwicklungszyklus beeindruckend. Tatsächlich boomt der weltweite Ausbau der Speicherkapazität. China, Australien oder auch Großbritannien gehen beim Einsatz von Speichern – auch für Systemdienstleistungen – in großen Schritten voran. Weltweit gab es bei stationären Speichern 2020 ein Wachstum von 200 Prozent. Und es wird erwartet, dass die weltweite Produktionskapazität bis 2025 auf 500 Gigawattstunden ansteigen wird. Preise purzeln, die Investitionen in Großspeicher sowie Produktionskapazitäten gehen durch die Decke. Ein Rekord jagt den anderen.

Es wird Zeit, dass dieser Trend auch in Deutschland ankommt und in Szenarien reflektiert wird. Die Diskrepanz zwischen weltweiten Marktentwicklungen im Speicherbereich und den grundlegenden Modellierungen des Energiesystems gilt es zu überwinden. Gerade die stark gefallenen Preise für Batteriespeicher, der technische Fortschritt bei Speichertechnologien und das exponentielle Wachstum des globalen Speichermarkts verlangen eine Neubewertung der Rolle von Speichersystemen.

Photovoltaik-Zubau braucht Speicher

Das mahnt auch jüngst unser „PV Think Tank“ in einem Impulspapier an. Denn: Der Ausbau der Erneuerbaren wird unweigerlich stocken, wenn schon in wenigen Jahren nicht mehr ausreichend Flexibilität im System ist. Engpässe dieser Art gibt es schon heute spürbar. Speicher strategisch im Energiesystem einzubinden, wird daher zur Lösung. Das Potenzial kann kaum überschätzt werden.

— Der Autor Fabian Zuber befasst sich seit zwanzig Jahren mit Energiewende-Themen, etwa mit der Photovoltaik und Bürgerenergie. Er ist Projektleiter bei der Reiner Lemoine Stiftung und Mitkoordinator des PV Think Tanks. —

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