Agora Energiewende verteidigt Speicherstudie

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Speicher sind bis 2033 nicht nötig, um Kosten im Stromsystem zu senken. Mit dieser Aussage provozierte der Think Tank Agora Energiewende letzte Woche die Speicher- und die Erneuerbaren-Energien-Branche (Zum Artikel zur Agora-Studie). So meldeten sichEurosolar und derBundesverband Speichersysteme BVES zu Wort. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende, widerspricht der Kritik im Interview mit pv magazine. Zusätzlich haben wir unter dem Interview noch detaillierter zusammengefasst, was die Experten wirklich berechnet haben, da die Studienergebnisse sehr komplex sind (siehe unten).

In der aktuellen Studie beziehen Sie sich auf den Netzentwicklungsplan. Netze werden so ausgebaut, wie vorgesehen. Richtig?

Patrick Graichen: Die Annahmen der Studie wurden auf Basis einer Voruntersuchung gesetzt, die die Kosten verschiedener Flexibilitätsoptionen – etwa Netze, Flexibilisierung der Kraft-Wärme-Kopplung und Nachfragemanagement – verglichen hat. Infolgedessen wurde in der Studie angenommen, dass innerhalb Deutschlands das Netz so ausgebaut wird, wie es der Bundesbedarfsplan vorsieht. Die Grenzkuppelstellen in das Ausland haben wir allerdings nicht so angenommen, wie es die Europanetzplanung vorsieht. Wir haben hier einen deutlich geringeren Zubau angenommen.

Die Frage, ob man den schon geplanten Netzausbau reduzieren könnte, wenn man mehr Speicher installiert, haben Sie also nicht beantwortet?

Es war nicht nötig, das hier zu untersuchen, weil wir in unserer Optimierungsstudie vor einem Jahr bereits die Frage beantwortet hatten, was geschieht, wenn sich der Netzausbau um zehn Jahre verzögert. Demnach liegt auch unter solchen Umständen der Anteil der Stromproduktion, die im Jahr 2033 abgeregelt werden muss, bei etwas über fünf Prozent der Gesamtproduktion. Dadurch kann man grob abschätzen, wie groß das Potenzial für neue Speicher wäre. Und angesichts der geringen Menge von Strom, der überhaupt zum Speichern zur Verfügung stände, kann man schlussfolgern: Riesig ist dieses Potenzial nicht.

Sie schreiben in der Einleitung zu Ihrer Studie, dass Sie sich auf die Betrachtung einer wahrscheinlichen Zukunft fokussiert haben. Ein großer Kritikpunkt von Eurosolar und vom BVES an Ihrer Studie ist, dass es auch eine andere mögliche Zukunft geben könnte. Sehe ich das richtig?

Die Kritiker gehen im Prinzip davon aus, wir in Deutschland die Netze nicht ausbauen und die Flexibilisierung durch das Lastmanagement nicht kommt. Deshalb sehen sie einen höheren Speicherbedarf. Aus unserer Sicht ist diese Überlegung in ihrer inneren Logik zwar richtig, aber Netzausbau und Lastmanagement sind nach heutigem Stand des Wissens viel kostengünstiger als Speicher. Es wäre insofern politisch nicht klug, diese beiden kostengünstigeren Varianten nicht auszubauen.

Der BVES kritisiert auch, dass Sie den Must-Run Anteil nicht berücksichtigen würden. Das ist der Anteil an konventionellen Kraftwerken, die nur laufen, um bei Bedarf schnell hochfahren und Regelleistung zur Verfügung stellen zu können. Speicher, so der BVES, könnten diesen Anteil reduzieren, was einen ökonomischen Nutzen hätte. Ist es richtig, dass Sie das nicht berücksichtigt haben?

Nein, das ist nicht richtig. Das Problem des Must-runs wurde intensiv diskutiert und in der Studie berücksichtigt. Allerdings waren sowohl die Analyse als auch die Schlussfolgerungen hierzu qualitativer Art. Technisch kann das Problem des Must-run fossiler Kraftwerke zur Bereitstellung von Regelleistung in den nächsten 10 bis 20 Jahren beseitigt werden. Dazu sind Speicher sehr gut geeignet, aber auch andere Optionen wie Wind- und Photovoltaik-Anlagen oder die Nachfrageseite. Unsere Schlussfolgerung ist deswegen: Speicher und andere Flexibilitätsoptionen müssen gleichberechtigten Zugang zum Regelleistungsmarkt erhalten. Welche Technologie dann zum Zuge kommt, entscheidet der Markt.

Das heißt aber, in der quantitativen Kosten-Nutzen-Abschätzung ist dieser Effekt, der für einen größeren Speichereinsatz sprechen könnte, nicht berücksichtigt. Oder?

In der quantitativen Kosten-Nutzen-Abschätzung wurde der Effekt nicht berücksichtigt, weil er – bezogen auf die Gesamtsystemkosten – sehr klein ist und damit im Rauschen untergegangen wäre. Deshalb haben wir ja den Effekt gesondert untersucht. Das Ergebnis ist, dass es im Bereich der Regelenergie zur Absenkung der Must-Run-Problematik einen Markt von etwa 600 Megawatt gibt, der für Speicher und andere Flexibilitätsoptionen geöffnet werden sollte.

Sie lassen in Ihrer Studie relativ große Kapazitäten Kohlekraftwerke weiter laufen. Zu Zeiten, in denen dann durch die Solarstrom- oder Windstromerzeugung Überschüsse in Deutschland da sind, können diese in europäische Nachbarländer exportiert werden. Dadurch haben Sie natürlich auch immer Kohlekraftwerke laufen, unabhängig von Must-Run. Wenn es diesen Export in Ihrem Modell nicht gäbe, sähe die Welt doch ganz anders aus?

Wenn wir Deutschland als Insel modellieren würden, dann sähe die Welt anders aus. Aber Deutschland ist keine Insel, und es ist auch nicht wahrscheinlich, dass die europäische Integration zurückgedreht wird. Im Gegenteil, es gibt einen „Ten Year Net Development Plan“, in dem die Länder Europas vereinbart haben, dass sie die Grenzkuppelstellen ausbauen. Wir diskutieren gegenwärtig ja auch über ein zusätzliches Kabel Deutschland-Norwegen. Es wäre meines Erachtens realitätsfremd, die Grenzkuppelstellen auszublenden.

Diese Stromnetzsimulationen sind ja extrem komplex. Sehr viele Parameter spielen da mit rein. Glauben Sie nicht, dass alles vielleicht auch ganz anders kommen kann?

Es kann in der Tat alles ganz anders kommen. Die Speicher können noch einmal deutlich günstiger werden, als in dem Gutachten angenommen wurde. Oder es könnte sich ein Zweitverwertungsmarkt etablieren, bei dem alte Elektroautobatterien oder alte Pedelec-Batterien für das Stromsystem genutzt werden. Es ist unheimlich schwer zu projizieren, was kommen wird und deswegen sind solche möglichen Entwicklungen nicht Bestandteil der Studie gewesen. Da alles anders kommen kann, haben wir aber unsere Schlussfolgerung entsprechend gezogen: Der Markt für Speicher wird dynamisch wachsen, und wir sollten ein Level Playing Field schaffen, auf dem die einzelnen Flexibilitätstechnologien untereinander konkurrieren können.

Sie werden in der FAZ mit dem Rat an die Politik zitiert, zusätzliche Markteinführungsprogramme für Stromspeicher im Elektrizitätssektor seien aus Ihrer Sicht nicht notwendig. Was ist mit dem bestehenden Speicherförderungsprogramm?

Ich bin der Meinung, das bestehende Speicherprogramm sollte weitergeführt, aber dahingehend geändert werden, dass es die Systemintegration von Batteriespeichern in den Fokus nimmt. Darüber hinaus brauchen wir keine Speichereinführungsprogramme, sondern  eigentlich nur gute Rahmenbedingungen, damit jene Entwicklungen, die von alleine kommen, nicht behindert werden.

Noch mehr Klarheit

(Artikel mit Zusatzinfo)

Die Kritik an der Agora-Studie betrifft vor allem die Frage, welche Alternativen für den Ausbau von Kraftwerken, Netzen und Flexibilitäten berücksichtigt wurden.

Da es nicht möglich ist, alle sehr komplexen und technischen Details in einem Interview abzubilden, haben wir die Berechnungsgrundlagen in einem separaten Interview bei Agora abgefragt und stellen sie hier zusammengefasst dar.

Die Kernaussage, ein Ausbau von Stromspeichern senkt die Kosten der Energiewende bis 2033 nicht oder nur unwesentlich, basiert auf den Kostenberechnungen, die in der Studie auf den Seiten 14 und 15 dargestellt sind. Diese zeigen den Zusatznutzen beziehungsweise die Zusatzkosten, wenn mehr Speicher installiert werden als in dem Referenzszenario, bei dem der Speicherzubau auf dem Niveau von 2013 festgefroren wird.

Seite 14 der Agora Studie, Kosten-Nutzen-Abschätzung für das Jahr 2023.

Für die Szenarien vergleicht das IAEW der RWTH Aachen die Vollkosten für das Stromsystem. Dabei sind der Netzausbau und der Kraftwerksausbau fest vorgegeben, in dieser Studie entsprechend dem Netzentwicklungsplan und dem Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierung. Das Programm optimiert den Betrieb der Kraftwerke und berücksichtigt zum Beispiel Brennstoffkosten, Betriebskosten, den Einsatz von Lastmanagement, den Stromhandel mit dem Ausland und Kosten für abgeregelte Leistung erneuerbarer Energien.

Betriebskostenvergleich

Im Vergleich zum Referenzszenario haben die Experten des IAEW an der RWTH Aachen vier weitere Szenarien  für die Jahr 2023 und 2033 gerechnet. In 2023 wurde für die zusätzlichen Szenarien eine installierte Speicherkapazität zwischen null und acht Gigawatt Kurzzeit- und ein bis drei Gigawatt Langzeitspeicher festgelegt, für 2033 waren diese Werte deutlich größer. Die meisten Zusatzkosten verursacht in 2023 das Szenario mit acht Gigawatt Kurzfrist- und einem Gigawatt Langzeitspeicher. Verglichen mit den Gesamtkosten des Stromsystems – die in anderen Studien etwa auf 80 Milliarden Euro geschätzt werden, machen diese zusätzlichen 2,4 Milliarden Euro im Jahr 2023 pro Jahr rund drei Prozent aus. Das Szenario mit zwei Gigawatt Kurzzeitspeicherleistung erhöht die Gesamtkosten immerhin noch um knapp ein Prozent.

Da in der Berechnung des IAEW der Netzzubau und der Kraftwerkszubau fest vorgegeben sind, wird nicht geprüft , ob es in einem der Szenarien nicht eventuell günstiger wäre, Netze weniger oder anders auszubauen oder weniger konventionelle Kraftwerke zu errichten.

Die Aussage der Agora-Experten muss daher so genau gelesen werden wie sie formuliert wurde: Bei dem jetzt geplanten Ausbau des Netzes und des Kraftwerkparks wird ein Zubau von Speichern die Kosten für den Betrieb des Kraftwerksparks nicht senken.

Vollkosten versus Marktbetrachtung

Die Simulationen des IAEW berechnen den unter der Perspektive der Gesamtsystemkosten optimalen Einsatz der technischen Infrastruktur. Aus Sicht von Agora Energiewende sollten die Märkte solch einen Einsatz anreizen. In der Studie wird an einigen Stellen darauf hingewiesen, was dafür nötig ist (zum Beispiel die Öffnung des Marktes für Flexibilitäten), aber nicht grundsätzlich diskutiert, ob das Optimum in der Vollkostenbtrachtung dem Optimum auf dem realen Energiemarkt entspricht.

Die Simulationen geben auch keine Antwort auf die Frage,  ob es aus mikroökonomischer Perspektive im realen Markt ökonomisch sinnvoll ist, Photovoltaikanlagen oder Windkraftanlagen mit Speichersystemen zu koppeln, um ein ausgeglicheneres Stromprodukt auf dem Markt verkaufen zu können. Es war einer der Einwände des BVES, dass dieses berücksichtigt werden sollte.

Berücksichtigung von Regelenergie

Das Programm simuliert das Stromsystem so, dass zu jedem Zeitpunkt Stromangebot und Nachfrage deckungsgleich sind. Es enthält also auch die Erzeugungskosten der Sekundärregelenergie. Die Kosten der Primärregeleenergie berücksichtigt das Programm so nicht. Es berücksichtigt jedoch nach Aussage von Agora, welche Rolle Speicher bei der Bereitstellung von Sekundärregelleistung spielen können und was es in den verschiedenen Szenarien kostet, diese vorzuhalten.

Der Markt der Primärregelleistung wurde allerdings qualitativ untersucht. Er macht laut Agora lediglich 600 Megawatt aus und ist damit in den Augen der Experten zu klein, um bei der Kosten-Nutzen-Grafik auf den Seiten 14 und 15 wesentliche Ausschläge zu verursachen. Agora sagt daher, dass es die besondere technische Eignung von Batteriespeichern für diesen in den Schlussfolgerungen betont.

Begünstigung lokal produzierten Stroms

Ein anderer Kritikpunkt ist, dass in der Studie mögliche Netzengpässe ausgeblendet werden. Wenn an einer Stelle in Deutschland Strom benötigt wird, ist es in der Studie unerheblich, wo er produziert wurde. Es stellt sich also die Frage, ob es einen zusätzlichen Wert hätte, wenn Strom lokal produziert und lokal verbraucht wird, weil das den Bedarf an Netzausbau reduziert. Das zu untersuchen war nicht Ziel der Studie, da der Netzausbau ja vorgegeben war, der genau diese Netzengpässe vermeiden soll.

Speicher in Niederspannungsnetze

Zusätzlich haben die Agora Experten berechnet, ob sich mit Speichern der Ausbau der Verteilnetze günstiger gestallten lässt. Für die betrachteten Niederspannungsnetze ist dies  der Fall gewesen. Das Ergebnis haben die Agora Experten hochgerechnet auf einen Bedarf von rund 700 Megawatt in 2033. Bei der Untersuchung wurden fünf Szenarien gerechnet, einige davon sehen vor, dass der Photovoltaikstrom auf 70 Prozent der Nennleistung abgeregelt werden kann. (Interview und Text von Michael Fuhs)Kommentar zur Studie

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