Die Erdgas-Jagd der deutschen Bundesregierung kennt kein Ende. Aus fernen autokratisch regierten Ländern wie Katar soll es genauso neue Erdgasmengen geben wie auch Frackinggas aus Deutschland selbst, was vor allem die FDP fordert. Dabei ist Erdgas und insbesondere Frackinggas höchst klimaschädlich und insbesondere in den Frackingregionen auch enorm gesundheitsschädlich. Problematisch ist deshalb auch die Haltung des Gesundheitsministers. Während es an Warnungen vor der nächsten Coronawelle nicht mangelt, fehlt es noch immer an echter Aufklärung bezüglich der zunehmenden Gesundheitsschäden durch Frackinggas und andere fossile Gesundheitsgefahren wie Hitzewellen infolge der Erdaufheizung.
Erschließung neuer Gasfelder im Senegal
Nachdem Kanzler und Minister in den vergangenen Monaten durch die Welt gereist sind, um fossile Energien aus Russland durch andere fossile Energien aus zum Teil ebenfalls autokratischen Regimen (etwa Katar, Lybien) zu ersetzen, wurde diese fossile Diversifikationsstrategie der Ampelkoalition beim G7 Gipfel in Elmau nun auf die Spitze getrieben.
Noch vor Kurzem hatten sich die G7 Staaten dazu verpflichtet, künftig nicht mehr in fossile Projekte im Ausland zu investieren. Dieses Vorhaben wurde nun unter Federführung von Bundeskanzler Olaf Scholz zurückgenommen. Denn damit Deutschland die Erschließung eines neuen Gasfelds im Senegal vorantreiben und sich finanziell an dem Projekt beteiligen kann, setzte sich Olaf Scholz dafür ein, diese in Glasgow getroffene Vereinbarung eines baldigen Endes der Finanzierung internationaler fossiler Projekte zu revidieren. Der Präsident des Senegal will im Dezember 2023 mit der Produktion anfangen, zunächst sind 2,5 Millionen Tonnen Flüssiggas pro Jahr vorgesehen, im Jahr 2030 dann 10 Millionen Tonnen.
Täuschung der Bevölkerung über den Zeithorizont der Gasförderung
Auch in Deutschland selbst ist die Diskussion um die Erschließung neuer Erdgasfelder und insbesondere um Frackinggas neu entbrannt. Dabei könnte neues Frackinggas in nennenswerten Mengen erst in etwa zehn Jahren fließen. Für den Ersatz von russischem Erdgas also viel zu spät. Dennoch wird das Frackingverbot offen in Frage gestellt, das einst wegen der hohen gesundheitlichen, ökologischen und klimaschädigenden Gefahren gesetzlich erlassen wurde.
Damit bleibt sich Olaf Scholz selbst treu, hat er doch den Ausbau von Nord Stream I und II stets unterstützt und mit der Mär von Erdgas als klimafreundlicher Brückentechnologie den Bau neuer Erdgasinfrastruktur unermüdlich vorantrieben. Nicht nur dass dieses Vorgehen dem Klimaschutz diametral entgegensteht – siehe hierzu die Erdgas-Studie der Energy Watch Group – auch führt der Bundeskanzler die Bürger mit der Behauptung, diese neuen Gasprojekte könnten einen Beitrag zur Lösung der aktuell drohenden Gasknappheit leisten, in die Irre. Denn anders als der Öffentlichkeit vorgegaukelt wird, helfen diese Gasfelder gegen den nun kurzfristig drohenden Gasmangel in Deutschland nicht im Geringsten. Stattdessen haben sie jedoch massive Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit.
Direkte Gesundheitsgefahren der Erdgasförderung
Die direkt messbaren Gesundheitsgefahren durch die Förderung von Erdgas werden in der öffentlichen Debatte noch immer kaum beachtet. Dabei sind Fracking-Hotspots die Krankheits-Hotspots der Erde. So zeigt beispielsweise eine Anfang des Jahres veröffentlichte Studie der Universität Harvard, dass die Lebenserwartung von Menschen, die in der Nähe von Fracking-Projekten leben, unter anderem aufgrund der Luftverschmutzung signifikant sinkt. Mit dem Einkauf von Frackinggas aus beispielsweise den USA nimmt die deutsche Bundesregierung somit nicht nur die weitere Überhitzung der Erde, sondern auch eine frühere Sterblichkeit der Menschen in den Fracking-Gebieten billigend in Kauf.
Indirekte Gesundheitsgefahren der Erdgasförderung durch Erdüberhitzung
Neben den Emissionen aus der Frackingwirtschaft gibt es natürlich eine ganze Menge weitere, die mit dem fossil-atomaren Energiesystem zusammenhängen. So zum Beispiel die Luftverschmutzung durch das Verbrennen fossiler Energierohstoffe, welche nach Angaben der WHO für über sieben Millionen Tote jährlich vor allem durch Lungenkrankheiten verantwortlich ist. Zum Vergleich: Bisher werden von der WHO etwa insgesamt sechs Millionen Tote der Coronapandemie in den letzten beiden Jahren zugeordnet. Auch Radioaktivitätsemissionen aus Uranbergbau, Unfällen und Betrieb von Reaktoren und Atommüllentsorgung sorgen für erhebliche Krankheitsbelastungen.
In besonderem Maße zeigen sich aber zunehmend auch die Gesundheitsauswirkungen durch die Erdüberhitzung. Sprich, die CO2-Emissionen aus dem Verbrennen von Erdgas, Kohle und Erdöl wirken sich global durch die zunehmende Erdaufheizung mit einer steigenden Anzahl an Hitzetagen auch immer stärker als zum Teil tödliche gesundheitliche Gefahren aus. Erstmals habe es auch in Deutschland in den Jahren 2018-2020 eine Übersterblichkeit durch sommerliche Hitze in drei aufeinander folgenden Jahren gegeben. Schlimm war es zum Beispiel im Hitzesommer 2003 in Paris, wo gekühlte Zelte aufgestellt wurden, um der hohen Anzahl von Hitzeleichen Herr zu werden. Die Hitzerekorde bereits im Juni dieses Jahr in Deutschland und der EU könnten Vorbote auf einen schlimmen Hitzehochsommer 2022 sein.
Welche gesundheitlichen Gefahren die Drei-Grad-Erwärmung mit sich bringt, auf die wir mit den aktuellen Maßnahmen noch vor Ende dieses Jahrhunderts zusteuern, erläuterte zuletzt Stefan Rahmsdorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung anschaulich. Was nach finsteren Dystopien klingt, wird jedoch für die nächste Generation schon gesundheitliche Realität, wenn Politiker weltweit nicht endlich in den Krisenmodus schalten.
Mangelhafter Beitrag des Gesundheitsministeriums zur Bewältigung der Klimakrise
Doch vorsorgliche Maßnahmen, Warnungen, Handlungsempfehlungen oder gar gesetzliche Maßnahmen wie zur Coronapandemie sind aus dem Gesundheitsministerium von Karl Lauterbach kaum zu hören. Die Medien sind voll mit Warnungen vor einer neuen Coronawelle im Herbst, jedoch sucht man fast vergeblich nach Warnungen vor Hitzegefahren im Sommer. Gleichzeitig gibt es auch keine Einsprüche des Gesundheitsministers zu den beschriebenen fossilen Projekten seiner Regierung, wie zum Beispiel dem Bau klimaschädlicher LNG-Terminals, dem Wiederanfahren von stillgelegten Kohlekraftwerken oder dem Tankrabatt, die alle dazu beitragen, dass Hitzeperioden weiter zunehmen. So werden die Hitzekrankheiten und Todesfälle in den kommenden Jahren analog zur Erdaufheizung weiter zunehmen, was als Versagen auch dem Gesundheitsministerium angerechnet werden muss.
Es braucht eine systemische Gesundheitspolitik innerhalb der planetaren Grenzen
Die Ignoranz des Bundeskanzleramtes bezüglich der massiven Klima- und Gesundheitsschäden durch Erdgas und andere fossile Energieträger wiegt besonders schwer, wenn ihr aus dem Gesundheitsministerium nichts entgegengesetzt wird. Statt einer kurativen Gesundheitspolitik, die (wie zuletzt in der Coronapandemie) ihren Fokus darauf legt, nachträgliche Schadensbegrenzung zu betreiben, braucht es endlich eine präventive Gesundheitspolitik, die den Zusammenhang zwischen menschlicher Gesundheit und intakten Erdsystemen zur Maxime ihres Handeln macht.
Erfreulicherweise gewinnt eben dieser ganzheitliche systemische Blick auf unser Gesundheitssystem im Rahmen des Forschungsfeldes der „Planetaren Gesundheit“ zumindest innerhalb der Wissenschaft immer weiter an Bedeutung – es bleibt nur zu hoffen, dass dieses Konzept endlich auch zu den (gesundheits-)politischen Entscheidungsträgern durchdringt.
— Der Autor Hans-Josef Fell saß für die Grünen von 1998 bis 2013 im Deutschen Bundestag. Der Energieexperte war im Jahr 2000 Mitautor des EEG. Nun ist er Präsident der Energy Watch Group (EWG). Mehr zu seiner Arbeit finden Sie unter www.hans-josef-fell.de. —
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Es gibt ganz deutliche Gefahren fuer die Gesundheit der Demokratie und der Menschenrechte.
Norwegen hat den Notstand ausgerufen – Streiks sind jetzt verboten um den Krieg am Laufen zu halten.
Das UK ghat kaum nenenswerte Gasvorraete, die Ruestungsindustrie waere platt in 2-3 Tagen sollten die norwegischen Arbeiter nicht liefern.
https://www.bbc.com/news/business-62058512
Abgesehen vom fuer die Allgemeinheit gesuenderen Frieden waeren zahlreiche Leben in der Ukraine gerettet.
Juri, ganz so krass sehe ich das jetzt nicht.
UK hat Verträge zu Einspreicherung von Gas und entsprechender Rücklieferung im Winter mit der EU!!!! UK hat also Vorsorge getroffen.
@Hans-Josef, der Aufruf zum Gesundhischutz scheint nicht aus der Luft gegriffen.ok.
Jedoch vermisse ich umsomehr einen Aufruf an die Bevölkerung, jetzt wirklich und anstrengend auf Alternativen zu Gas-Heizung umzuschwenken.
Trotz aller in meinen Augen bisher sinnvollen Bemühungen der Bundesregierung ersteinmal um Schadensbegrenzung auch mit Hilfe von weiteren nicht- demokratischen Staaten wird es unumgänglich, sich so bald als möglich vom Gas als Energeilieferant lösen zu müssen.
Einfach und schnell wird das nich lösbar, jedoch aus meiner Brille unumgänglich und wirklich dringend.
Sollte der Gas-Stopp aus Russland kommen, geht die Sache sehr schnell.
Die LNG Terminals und Gaskraftwerke als BHKWs etc. werden (nach einer oberflächlichen Google-Suche) Afa-Zeiträume von 15 bis 20 Jahren haben. Das ist schonmal besser als 50 Jahre. Aber es ist natürlich insofern illusorisch, da 1) das Mehr an Gas die nächsten Jahre auf dem Weltmarkt nicht zur Verfügung steht und 2) wir dann, wenn es dann zur Verfügung stünde, die Infrastruktur bereits bis Mitte der 2040-er Jahre wirtschaftlich betreiben müssten.
Auch wenn seitens der Verantwortlichen argumentiert wird, dass man die Infrastruktur im Falle eines früheren Ausstiegs weiterverkaufen könne – was wiederum für das Klima völlig sinnfrei wäre.
Mit der angestrebten Treibhausgasneutralität bis 2045 wird es ziemlich knapp. Immerhin: Rechnerisch ist es nicht unmöglich.
Was ich vermisse, ist eine mitreißende Vision, eine verbindende Geschichte, etwas, dass die Menschen konkret zum Handeln mobilisiert. Man sieht die ersten Versuche dazu, z.B. vor den 20-Uhr Nachrichten. „Wir müssen unsere Lebensweise“ ändern, ob wir wollen oder nicht. Sonst untergraben wir die zukünftigen Voraussetzungen für das menschliche Leben (Trinkwasser, lebensfunktionierende Temperaturen, Nahrungsmittel etc.). Die Dramatik hat imho Greta Thunberg schon richtig im Ton getroffen, aber sie ist noch nicht in das kollektive Bewusstsein durchgedrungen.
„Management by objectives/targets“ ist schon einmal besser als nichts, aber es ist frustrierend, wenn man dauernd seine Ziele verfehlt. Man sieht an der FDP, dass die schon keine Lust mehr darauf haben z.B. im Verkehrsministerium. Ständig ist der Verkehrsminister der „Depp“, weil er die Ziele nicht erreicht. Da wird man dann irgendwann bockig. Das Ministerium alleine kann seine Ziele nicht erreichen, weil unsere Vorstellung von Mobilität ein natürlicher und mächtiger Gegenspieler zur Klimaneutralität ist. Das ist wie 2 sich abstoßende Pole – die kommen nicht zusammen, zumindest nicht von alleine.
Die Gesundheitspolitik ist im Hamsterrad von Covid-19 gefangen. Ich sehe nicht, dass sie da auf absehbare Zeit wieder rauskommen. Die sozialversicherungspflichtigen AN sollen erstmal das System via Zusatzbeitrag retten. Sehr einfallsreich, Herr Minister. Von anderen Themen wie Effizienz im Gesundheitswesen, menschenwürdige Arbeit und Krankheit mal ganz abgesehen. Und dann irgendwann Klima und Gesundheit. Bleiben wir beim Klima 😉
Die Fossilindustrie kämpft auf allen Ebenen gegen die Abkehr von Gas und Öl wie man beispielsweise an der Werbung vor 20 Uhr im TV aktuell wieder sehen kann.
Wie wärs mal für ein Werbeverbot für Firmen, die Öl und Gas vertreiben?
Grossstädte arbeiten an Hitzeschutzplänen. Das Thema ist in den Verwaltungen angekommen. Innenstädte haben teilweise 5-10 Grad höhere Temperaturen an Hitzetagen wie das Umland.
Das Thema Verhältnis-Prävention und Gesundheitsförderung steht aber nicht hoch auf der politischen Agenda. Damit gewinnt man bisher keine Wahl.