Agora-Studie weist Weg zum klimaneutralen Stromsystem bis 2035

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Ein Erneuerbaren-Anteil von 80 Prozent bis 2030 und 100 Prozent bis 2035 ist nur zu erreichen, wenn die Bundesregierung ihr Oster- und ihr Sommerpaket nachschärft. Das geht aus einer neuen Studie des Think Tanks Agora Energiewende hervor. Prognos und Consentec haben die Agora-Experten beim Erstellen der Studie unterstützt.

Konkret ist nach Einschätzung der Studienautoren unter anderem eine stärkere Priorisierung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren erforderlich, um auf das nötige Tempo beim Ausbau von Photovoltaik, Windenergie und Stromnetz zu kommen. Zugleich braucht es die Absicherung von Investitionen in Erneuerbare-Anlagen sowie in den Bau regelbarer Kraftwerke, die bereit für den Betrieb mit grünem Wasserstoff sind. Auch müsse das Übertragungsnetz weit stärker ausgebaut werden als bislang vorgesehen, um die Versorgung bei 100 Prozent Erneuerbaren zu sichern. Nicht zuletzt ist eine Reform der Netzentgelte unverzichtbar, so die Experten.

Im Bereich der Photovoltaik halten die Autoren entsprechend dem EEG-Gesetzesentwurf eine Leistung von 108 Gigawatt bis 2025, von 215 Gigawatt bis 2030 und von 309 Gigawatt bis 2035 für notwendig. Derzeit sind gut 60 Gigawatt am Netz. Bei der Windenergie an Land sind es 77 Gigawatt bis 2025, 115 Gigawatt bis 2030 und 357 Gigawatt bis 2035, bei der Offshore-Windenergie 12 Gigawatt bis 2025, 30 Gigawatt bis 2030 und 58 Gigawatt bis 2025. Heute sind rund 55 Gigawatt onshore und 8 Gigawatt offshore installiert.

Agora schlägt symmetrische Marktprämie vor

Für das Erreichen der Klimaziele im Stromsektor muss sich der Studie zufolge die Erzeugung erneuerbaren Stroms von heute 243 auf 595 Terawattstunden bis 2030 mehr als verdoppeln – und bis 2035 auf 845 Terawattstunden mehr als verdreifachen. ​ Damit das gelingt, muss die Regierung laut Agora die Fristen der Bundesländer für die Bereitstellung von zwei Prozent der Fläche für Windkraftanlagen verkürzen und eine endgültige Klärung der Vereinbarkeit von Artenschutz und Windkraft erreichen. Die steigende Stromnachfrage geht vor allem auf neue Verbraucher wie etwa Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen, Elektrodenkessel und Elektrolyseure für die Erzeugung von grünem Wasserstoff zurück.

Ebenso sei es unverzichtbar, verlässliche Investitionsbedingungen für den Zubau von Photovoltaik- und Windenergie-Anlagen zu schaffen. So schlägt die Agora-Studie etwa die Absicherung langfristiger Stromlieferverträge vor. Zudem plädieren die Experten für die Einführung einer symmetrischen Marktprämie, die Anlagenbetreibern eine feste Einspeisevergütung garantiert, aber ab einem bestimmten Gewinn auch Rückzahlungen erfordert.

Zusätzlich müssen Agora zufolge auch die Voraussetzungen für flexiblen Stromverbrauch geschaffen werden. Hierfür müssten beispielsweise Preissignale den Betrieb oder das Laden von Elektrofahrzeugen, Wärmepumpen, Elektrodenkesseln, Elektrolyseuren oder Batteriespeichern in den Stunden attraktiv machen, in denen viel erneuerbarer Strom vorhanden ist. Bisher werden flexible Strommengen durch hohe Netzentgelte bestraft. „Die längst überfällige Reform der Netzentgelte ist die entscheidende Stellschraube, um bei neuen Verbrauchern und in der Industrie einen flexiblen Betrieb anzureizen“, sagt Simon Müller, Direktor Deutschland bei Agora Energiewende. „Es braucht eine schnelle Lösung noch diesen Herbst, damit wir für neue Elektroautos und Wärmepumpen gleich die Flexibilitäten fördern, die hohe Anteile Erneuerbarer Energien absichern.“

Integrierte Systemplanung notwendig

Das Übertragungsnetz muss der Studie zufolge bis 2035 zusätzlich um 15.000 Kilometer aus- und umgebaut werden, ein Plus von 40 Prozent. Mit Blick auf 100 Prozent Erneuerbare im Jahr 2035 brauche es außerdem Lösungen im Umgang mit Netzengpässen. Dazu gehört nach Ansicht der Autoren auch, die Einführung geografischer Preissignale im Stromsystem zu prüfen, um ein zuverlässiges Zusammenspiel von Erzeugung und Verbrauch zu gewährleisten.

Zentral sei zudem die Ausarbeitung und Implementierung eines Maßnahmenpakets für einen sicheren Systembetrieb bei 100 Prozent Erneuerbaren, das etwa Technologien für Systemdienstleistungen fördert. Eine integrierte Systemplanung von Stromnetzen und Wasserstoffinfrastruktur statt der aktuell überwiegend getrennten Planung könne zudem dafür sorgen, dass sich der Infrastrukturausbau sinnvoll und kostensparend ergänzt.

„Wir müssen das Ziel einer vollständig erneuerbaren Stromversorgung so schnell wie möglich erreichen“, sagt Müller.  Gerade angesichts der aktuellen fossilen Energiekrise sei das wichtiger denn je. „Ein erneuerbarer Stromsektor ist zudem das Fundament der Klimaneutralität: Im Verkehr, beim Heizen und in der Industrie ist die Verfügbarkeit von grünem Strom die Voraussetzung für das Erreichen der Klimaziele.“ Daher müsse die Bundesregierung jetzt den nötigen Paradigmenwechsel einläuten, um den Boden für ein klimaneutrales Stromsystem bis 2035 zu bereiten.

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