Distressed Corporate PPA: Haftung und Konfliktlösung im internationalen Stromlieferungsvertrag

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Stromlieferungsverträge (PPA) mit Kraftwerken im Ausland oder mit ausländischen Partnern sind wie alle langlaufenden Austauschverträge der erhöhten Gefahr von Leistungsstörungen ausgesetzt.

Der Kanon zur Einteilung der Störungen in Spät-, Schlecht- und Nichtleistung, mit anderen Worten „nicht oder nicht vertragsgemäß zu leisten“, gilt auch bei Lieferverträgen von Elektrizität, die in vielen Rechtsordnungen dem jeweiligen nationalen Kaufrecht unterstellt werden.

Mit Blick auf den Kraftwerksbetreiber als Stromproduzenten lässt sich überblicksartig folgende Haftungseinteilung vornehmen, die als grobe Richtschnur für das gemeinsame Verständnis der Vertragspartner bei der Suche nach einer Konfliktlösung aufgrund einer Vertragsstörung dienen kann:

  • interne (unsystematische) Leistungsstörungen: Der Grund dieser Leistungsstörung liegt in der Verantwortungssphäre des Kraftwerksbetreibers. Dazu gehören verspätete Kapazitätsbereitstellungen, Quantitäts- und Qualitätsunterschreitungen, vertragswidrige Abregelungen, mangelnde oder ausgefallene Fernsteuerungs- oder Überwachungssysteme, Verstöße gegen ESG oder Compliance Vereinbarungen, versäumte oder fehlerhafte Übertragung von Herkunftsnachweisen etc.

Merksatz: Der Produzent trägt das Beschaffungs- und auch das Preisrisiko. Die Haftung (Pflicht, für eine Leistungsstörung einzustehen) setzt Verschulden (Vorsatz, grobe oder leichte Fahrlässigkeit) voraus. Bei Streitigkeiten bereits über die Haftungsbegründung sollten bei grenzüberschreitenden Konflikten internationale Schiedsgerichte zur Streitentscheidung angerufen werden; geht es „lediglich“ um die Schadenshöhe (schadensausfüllender Tatbestand), reicht es gegebenenfalls aus, Schiedsgutachter mit der Feststellung des genauen Schadens zu beauftragen. Entsprechende Klauseln sollten im PPA unbedingt vereinbart werden.

  • externe (systematische) Leistungsstörungen: Der Grund dieser Leistungsstörung liegt außerhalb der Verantwortungssphäre des Betreibers. Sie sind zeitlich begrenzt oder von unbestimmter Dauer; sie betreffen einzelne Kraftwerke, Sektoren oder sogar Länder. Sie zeichnen sich aus, von den Vertragspartnern bei Vertragsschluss nicht erwartbar und in der Nachfolgezeit nicht beeinflussbar zu sein („unabhängig, unvorhersehbar, unabwendbar“). Dazu gehören sog. Force-Majeure-Events (wie Lieferkettenunterbrechungen aufgrund von Covid- oder Embargo-Maßnahmen) aber auch staatliche Eingriffe („Change in Law Event“) zur Marktbeeinflussung, teilweise auch als Folge von Ereignissen höherer Gewalt. Im Fall von staatlichen Markteingriffen werden nicht selten Belastungen konkreten Personengruppen auferlegt (etwa durch Steuern oder Abgaben).

Merksatz: Viele Rechtsordnungen halten nur allgemeine Regelungen für den Fall von externen Leistungsstörungen vor, die entweder zur Leistungsbefreiung, Vertragsanpassung oder Rücktritt führen können. Den Vertragspartnern eines PPA ist es daher anzuraten, eigene Force-Majeure- oder Hardship-Klauseln zu verwenden, die eine dem Vertragsverhältnis und Risiko angemessene Haftungsverteilung vorsehen. Bei Streitigkeiten über die Haftung beziehungsweise Haftungsverteilung sowie die genaue Rechtsfolge der Störung empfiehlt es sich insbesondere im internationalen Konflikt, alternative Streitbeilegungsmethoden anzuwenden (ADR/Mediation), welche die Interessen beider Vertragspartner zu gleichen Teilen berücksichtigen und eine faire Vertragsanpassung ermöglichen.

  • von Dritten zu vertretende Leistungsstörungen: Der Grund dieser Leistungsstörung liegt in der Verantwortungssphäre einer dritten Person, die mit einem oder beiden Vertragspartnern in Vertragsbeziehungen steht. Zu diesen Personen gehören unter anderem die Dienstleister für den operativen Betrieb und Reparaturen (O&M), Vermarktungsagenten, Beratungsunternehmen bis hin zu Finanzinstituten und Sponsoren zur Finanzierung des Kraftwerkbaus durch ein Bauunternehmen (EPC-Contractor).

Merksatz: Derjenige Vertragspartner haftet ganz oder teilweise für Pflichtverletzungen Dritter, der sich ihrer im Rahmen seiner vertraglichen Leistungspflicht bedient, beziehungsweise über die er faktisch die Kontrolle oder Einflussmöglichkeit zur Schadensminderung und -verhinderung hatte. Im Konfliktfall der PPA-Vertragspartner gibt es häufig Fallkonstellationen, bei denen verantwortliche Dritte in die Streitigkeit einbezogen werden müssen. Dies kann bereits auf der außergerichtlichen Stufe im Rahmen einer Mehrparteienmediation erfolgen, aber auch im internationalen Schiedsverfahren, sofern die Vertragspartner eine passende Schiedsordnung gewählt haben, die eine solche Möglichkeit vorsieht und unterstützt (sog. „Multi-Party“-Verfahren, vgl. ICC 2021 Arbitration Rules, Art. 7 ff.)

— Der Autor Jochen Beckmann arbeitet als Rechtsanwalt & Abogado sowie als Wirtschaftsmediator und Schiedsrichter (ICC) bei der internationalen Wirtschaftsprüfungs-, Steuer- und Rechtsberatungsgesellschaft Rödl & Partner in Barcelona. Der promovierte Jurist berät und vertritt insbesondere Unternehmen aus den Bereichen internationaler Anlagenbau sowie Erneuerbare Energien in Spanien. —

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