Rosatom will in Lingen Brennelemente herstellen, Macron will sechs neue AKW bauen

Teilen

Die Lobbyerfolge der Atomwirtschaft und der Atommilitärs nehmen in der Politik wieder beängstigend zu. Ganz so, als gäbe es keine Probleme mit dem Atommüll, dem sozial wie ökologisch verheerenden Uranbergbau, keine katastrophalen Unfälle von Majak, Three Mile Island, Sellafield, Tschernobyl bis Fukushima und keine Zunahme der Kriegsgefahren – auch eines Atomkrieges.

So hat vor wenigen Tagen der französische Präsident Macron den Neubau von sechs neuen Atomkraftwerken der neuen Generation EPR (european pressure reactor) bis 2050 und eine Laufzeitverlängerung der uralten französischen Atomkraftwerke auf 50 Jahre angekündigt.

16 Jahre nachdem der französische Reaktorbauer Areva schonmal eine Atomrenaissance mit dem EPR ausgerufen hatte, die nie erfolgt ist, wagt jetzt Macron erneut eine Atomrenaissance anzukündigen. Das Ganze kann nur als blamabel für seine Analysefähigkeiten eingeordnet werden. Denn warum sollte ihm nun das gelingen, was Frankreich bis heute nicht geschafft hat: Der Neubau und die Inbetriebnahme von immer vollmundig angekündeten EPR-Reaktoren.

Dabei gibt es gegenüber 2006 sogar noch eine neue Dimension: Noch nie war Atomkraft so hoffnungslos unwirtschaftlich gegenüber erneuerbaren Energien wie heute. Bezeichnend ist, dass in Frankreich gerade wegen des Ausfalls von bis zu 30 Prozent aller Atomkraftwerke die Börsenstrompreise deutlich höher sind als in Deutschland. Im Januar 2022 mussten im Marktgebiet Frankreich im Durchschnitt 21,1 Cent pro Kilowattstunde gezahlt werden. Deutschland liegt mit 16,8 Cent pro Kilowattstunde deutlich darunter, insbesondere wegen des hohen Anteils von Windstrom.

Macron legt einen gleichermaßen hochgefährlichen wie sündhaft teuren Plan auf. Der aktuelle Ausfall der französischen Atomkraftwerke kommt, weil sie plötzlich gefährliche Risse zeigen. Dabei weiß doch jedes Kind: Je älter solche komplexen Technologien sind, desto störanfälliger werden sie. Die uralten, maroden Reaktoren in Frankreich bedrohen auch uns in der gesamten EU. Zudem ist klar, dass der Neubau von EPR-Reaktoren vor allem auch militärisch motiviert ist. Ein schlimmes Anheizen der Rüstungsspirale just in dem Moment, in dem der Frieden in Europa mit der Russland-Ukraine-Krise hoch gefährdet ist.

Gleichzeitig gibt es die weit gediehenen Bestrebungen der französischen Atomfirma Framatome, mit dem russischen Atomkonzern auf deutschem Boden in Lingen gemeinsam Brennelemente herzustellen. Damit würde der russische Atomrüstungskonzern Rosatom tiefe Einblicke in die europäische Atomrüstung bekommen. Man kann nur den Kopf schütteln, dass dies angesichts der kriegsgefährlichen Spannungen um die Ukraine nicht sofort von der französischen wie deutschen Regierung gestoppt wird.

Die Brennelemente-Fabrik im niedersächsischen Lingen verfügt über eine unbefristete Betriebsgenehmigung und ist, genauso wie die Urananreicherungsanlage in Gronau, vom Atomausstieg ausgenommen. Seit vielen Jahren schon fordern Atomkraftgegner die Schließung der beiden Anlagen und weisen darauf hin, dass die Atomfabriken für den Weiterbetrieb vieler maroder Reaktoren im Ausland mitverantwortlich sind. Die französische Betreiberin in Lingen, die EDF-Tochter Framatome, beliefert halb Europa mit Brennelementen, darunter Uraltmeiler in Belgien, Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden und Finnland. Bis vor Kurzem versorgte sie auch deutsche Atomkraftwerke.

Seit Jahren schreibt die Firma rote Zahlen. Auch aus ökonomischer Sicht wäre deshalb eine Schließung sinnvoll. Doch für die Atommacht Frankreich, die einige ihrer Reaktoren mit Brennelementen aus Lingen versorgt, hat die Fabrik offenbar eine strategische Bedeutung. So plant Präsident Macron, die 2018 vereinbarte Atom-Kooperation mit Russland auf Lingen auszuweiten. Mit Gründung eines Joint Ventures soll das russische Staatsunternehmen TVEL, Tochter des Global Players Rosatom, mit 25 Prozent in die Brennelementproduktion in Lingen einsteigen.

Das Kartellamt hatte das von Framatome beantragte „Gemeinschaftsunternehmen“ bereits im März 2021 unter der CDU/CSU/SPD-Regierung innerhalb nur eines Monats genehmigt. Entscheidend ist jedoch, ob das Bundeswirtschaftsministerium dem Atom-Deal zustimmt. Die Investitionsprüfung wurde im Frühjahr letzten Jahres unter Peter Altmaier zur Geheimsache erklärt. Nun wird sie unter Robert Habeck fortgesetzt und hat Medienberichten zufolge noch zu keiner Entscheidung geführt. Die Frist, die dem Ministerium nur zehn Monate Prüfzeit einräumt, ist damit bereits überschritten.

Der Einstieg von TVEL – sollte er tatsächlich genehmigt werden – würde dem Atomgeschäft in Europa eine enorme Dynamik verleihen. Durch eine neue Produktionslinie russisch gearteter Brennelemente erschlösse sich für Framatome ein neuer Markt in Osteuropa, während sich TVEL/Rosatom auf dem westeuropäischen Energiemarkt etablieren könnte.

Wladimir Sliwjak, russischer Umweltaktivist und Träger des Alternativen Nobelpreises, ist überzeugt davon, dass Russland mit dem Atomdeal seinen Einfluss im Westen vergrößern will. Da der Atomkonzern auch für den militärischen Nuklearbereich verantwortlich ist, bestünde die Gefahr, dass Technologien in Lingen vom russischen Militär genutzt werden. Nach Sliwjaks Ansicht könne das nicht ausgeschlossen werden.

Aus diesem Grund wäre das Joint Venture auch nicht mit der Außenwirtschaftsverordnung vereinbar. Sie verbietet „Unionsfremden“, sich an einer inländischen Firma zu beteiligen, wenn dadurch die öffentliche Ordnung oder Sicherheit in der EU bedroht sein könnte. Der Spiegel berichtete 2021 ausführlich darüber.

Die tatsächliche Atompolitik der CDU wird immer klarer ersichtlich: ein nur halbherziger Atomausstieg unter Kanzlerin Merkel 2011, der die Atomfabriken in Lingen und Gronau unangetastet ließ, sowie die Finanzierung einer neuen Generation von Atomkraftwerken. Ein CDU-Wirtschaftsminister Altmaier verhindert nicht den Einstiegsversuch von Rosatom in Lingen. Der neue Parteichef der CDU, Friedrich Merz, will „vorurteilsfrei“ überprüfen lassen, ob die Atomenergie nicht doch wieder eine Chance in Deutschland bekommen soll. Die ranghöchste Mandatsträgerin der CDU, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, setzt sich über alle Widerstände hinweg und erklärt die Atomenergie in der EU-Taxonomie zu einer grünen Energie. Die CDU ist mit riesigen Schritten auf dem Weg zurück zur Atompartei.

Es liegt nun in der Hand des neuen Wirtschaftsministers Robert Habeck, diesem Atomspuk der CDU in Lingen ein Ende zu setzen. Fast alle reden davon, dass Nord Stream 2 angesichts der russischen Militäraufmärsche und Bedrohungen der Ukraine nicht genehmigt werden soll. Um den russischen Atomeinstieg in Deutschland ist es in den politischen Äußerungen aber merkwürdig still.

Es ist zwingend erforderlich, dass Wirtschaftsminister Habeck den Einstieg Rosatoms auf deutschem Boden noch verhindert. Der Erhalt des Weltfriedens ruft nach atomarer Abrüstung und nicht nach Aufrüstung mit Hilfe der sogenannten „friedlichen“ Nutzung der Atomenergie, die nie friedlich orientiert war. Die Atomgefahren erfordern die schnelle Abschaltung der Atomkraftwerke überall und schon gar keine Brennelementebelieferung von deutschem Boden aus. Und die Ökonomie erfordert eine Konzentration auf die wesentlich kostengünstigeren erneuerbaren Energien statt eines Verbrennens von Geld für sehr teure Atomkraft.

— Der Autor Hans-Josef Fell saß für die Grünen von 1998 bis 2013 im Deutschen Bundestag. Der Energieexperte war im Jahr 2000 Mitautor des EEG. Nun ist er Präsident der Energy Watch Group (EWG). Mehr zu seiner Arbeit finden Sie unter www.hans-josef-fell.de. —

Die Blogbeiträge und Kommentare auf www.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion@pv-magazine.com.

Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert werden. Wenn Sie mit uns kooperieren und Inhalte von uns teilweise nutzen wollen, nehmen Sie bitte Kontakt auf: redaktion@pv-magazine.com.