EU-Taxonomie: Widerstand der Experten gegen Aufnahme der Atomkraft

Flaggen vor EU Parlament

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Scharfe Kritik von den eigenen Experten erntete die EU-Kommission für ihre Pläne zur Taxonomie-Verordnung. Die Plattform für nachhaltige Finanzen der EU sprach sich klar gegen die Aufnahme von Atomkraft in die EU-Taxonomie aus, für Gaskraftwerke forderte sie strengere Vorgaben.

Die EU-Plattform für nachhaltige Finanzen besteht aus Klimaexperten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen. Am Freitag veröffentlichten sie auf 44 Seiten ihre Bedenken. Atomkraft erfülle nicht die Anforderung „do-no-significant-harm“, eine Vorgabe der Taxonomie, dass eine Aktivität keine gravierenden Umweltschäden auslösen dürfe, heißt es in der Stellungnahme, die pv magazine vorliegt. Weder bestehende noch neue Atomkraftwerke sollten daher als Taxonomie-konform betrachtet werden.

Gaskraftwerke könnten hingegen durchaus in die Taxonomie aufgenommen werden – wenn sie einen Grenzwert von 100 Gramm CO2 pro Kilowattstunde einhalten. Dieser Grenzwert gelte für alle anderen Technologien. Eine Ausnahme für Gas lehnen die Experten ab. Die EU-Kommission hatte einen Wert von bis zu 550 Gramm pro Kilowattstunde vorgesehen.

Laut Bericht  ist die grüne Taxonomie nicht für Übergangstechnologien gedacht. Für diese arbeiten die Experten demnach derzeit an einer „bernsteinfarbenen“ Kategorie. Mitglieder der Plattform befürchten, dass die EU-Kommission mit ihrem Vorstoß die Taxonomie untergrabe. Das ausgerechnet die eigene Expertengruppe die Vorschläge der Politiker so vehement ablehnt, legt den Verdacht nahe, dass ausgerechnet diejenigen, die sich mit dem Thema gut auskennen, vorab nicht gefragt wurden – oder dass die EU-Kommission die Ansichten der wissenschaftsnahen Plattform ignoriert. Ein Sprecher der Kommission sagte pv magazine auf Nachfrage, derzeit könne man noch keine Stellungnahme zur Veröffentlichung der Plattform abgeben.

Am vergangenen Freitag endete die zuvor verlängerte Frist für die EU-Mitgliedstaaten, ihre Stellungnahme abzugeben. Bereits abzusehen war, wir die Ampelkoalition reagieren wird. „Aus Sicht der Bundesregierung ist Atomenergie nicht nachhaltig. Deshalb lehnen wir eine Aufnahme in den delegierten Rechtsakt unter der Taxonomie-VO ab“, heißt es da. Da Deutschland aus der Atomenergie aussteigt, benötigt hierzulande auch niemand eine Finanzierung dafür. Schwerer tun sich die Verantwortlichen beim Thema Gas. Zwar heißt es klar: „Angesichts der ambitionierten Klimaziele gilt es den Ausstieg aus der Nutzung sämtlicher fossiler Energieträger voranzutreiben. Aus diesem Grund ist aus Sicht der Bundesregierung auch die Nutzung von Erdgas langfristig nicht nachhaltig.“ Die Betonung liegt hier auf langfristig, denn die Koalition hat ein „aber“ angehängt.

Während die Plattform für nachhaltige Finanzen härtere Kriterien fordert, verlangt Deutschland in fünf Punkten Änderungen. So seien die vorgegebenen Beimischungsquoten dekarbonisierter Gase „nicht realistisch zu erreichen.“ Und wenn alte Gaskraftwerke durch moderne, wasserstofftaugliche Anlagen ersetzt werden, dann mit weniger strengen Auflagen. „Die Verpflichtung zu einer Treibhausgas-Reduktion von 55 Prozent ist hierbei unrealistisch“, kritisiert die Bundesregierung.

Auf politischer Ebene entscheidet sich diese oder kommende Woche, wie es weitergeht, erklärte ein Sprecher der EU-Kommission pv magazine. Dann wolle die Kommission ihren endgültigen Vorschlag vorlegen. Parlament und Mitgliedstaaten hätten dann vier bis sechs Monate Zeit, diesen mit den erforderlichen Mehrheiten abzulehnen, was als unwahrscheinlich gilt.

Den angekündigten Klagen von Österreich und Luxemburg gegen den Plan sieht er gelassen entgegen. Dafür gebe es keinen Ansatzpunkt. Ein Rechtsstreit habe jedenfalls keine aufschiebende Wirkung, der delegierte Rechtsakt der Kommission könne auch vor einem Urteil in Kraft treten. Was das für Finanzierungsinstrumente bedeutet, die grüne AKW oder Gaskraftwerke finanzieren, ob diese beispielsweise umdeklariert werden müssen, sollte doch ein Kläger Recht bekommen, ließ er offen.

Insbesondere die Fondsbranche beobachtet die Vorgänge in Brüssel. „Von einem wissenschaftlichen Konsens sind wir jetzt zu einem politischen Kompromiss übergegangen“, kritisiert Alix Chosson, führender Nachhaltigkeits-Analyst bei der Fondsgesellschaft Candriam. Er sieht das grundlegende Ziel der EU-Agenda für nachhaltige Finanzen gefährdet. Ursprünglich wollte die EU mehr Transparenz und eine einheitliche Definition, was grün und nachhaltig bedeutet.

Ein Sprecher des deutschen Fondsverbands BVI erklärte auf Anfrage: „Es ist nicht Aufgabe der Fondswirtschaft zu entscheiden, ob Atomenergie oder Erdgas nachhaltig sind.“ Allerdings solle die Taxonomie Maßstäbe für die Bewertung von Nachhaltigkeit setzen. Das solle erleichtern, nachhaltige Geldanlagen zu verbreiten, erläutert er und fordert: „Daher muss sich die EU-Taxonomie strikt an wissenschaftlichen Kriterien orientieren.“ (Jochen Bettzieche)

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