Heute teuer, morgen teurer

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In früheren Tagen, als ich noch in der Berliner Innenstadt wohnte, besuchte ich regelmäßig den Wochenmarkt, um frisches Obst und Gemüse zu kaufen. Ein türkischstämmiger Gemüsehändler pries dort seine Ware immer mit den Worten an: „Heute billich, morgen teuer!“ Es wäre beinahe erstrebenswert, könnten wir Photovoltaik-Großhändler unsere Module mit einem ähnlichen Spruch anbieten. Leider kann aktuell niemand in der Branche behaupten, Solarmodule seien preiswert – im Gegenteil. Nach einer kurzen Verschnaufpause kletterten die Preise in den letzten Wochen wieder nach oben. Seit dem bisherigen Tiefststand im September 2020 stiegen die Preise für fabrikneue A-Ware bereits um durchschnittlich 20 Prozent auf ein Niveau, wie wir es zuletzt im April 2019 gesehen haben.

Ein Ende des Preisanstiegs ist momentan noch nicht in Sicht. Bis zum Jahresende könnte dieser Trend nämlich noch anhalten, abhängig vom Weltmarktgeschehen und der Entwicklung der Corona-Pandemie.  Allein, der vermeintliche Übeltäter ist entlarvt, worauf ich gleich noch detailliert eingehen werde. Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis wird dazu führen, dass Akteure die Realisierung ihrer geplanten Photovoltaik-Projekte entweder auf unbestimmte Zeit verschieben oder aber – wie die Kunden des oben zitierten Gemüsehändlers – sich die begehrte Ware lieber heute als morgen sichern, bevor sie noch tiefer in die Tasche greifen müssen. Preisunterschiede ergeben sich bei vergleichbaren Modulmarken und -technologien eigentlich nur noch daraus, ob beziehungsweise seit wann die Produkte bereits in Europa lagern oder ob sie noch von Asien kommend über den Ozean gefahren werden müssen. Ausnahmsweise ist nämlich kurzfristig verfügbare Spotmarktware preiswerter als Bestellware, die noch produziert und verschifft werden muss – eine verkehrte Welt!

Aber was läuft hier schief, so dass längerfristige Lieferverträge keinen Sinn mehr ergeben und Planungssicherheit nur noch ein Wunschtraum aus längst vergangenen Zeiten ist?

Es begann alles damit, dass der internationale Warenverkehr nach Beginn der Covid-19-Pandemie nach und nach aus den Fugen geriet. Zunächst standen einzelne Produktionsbetriebe still, so dass dringend benötigte Produkte gar nicht erst in Umlauf kamen. Containerschiffe konnten nicht ausgelastet werden, erste Lieferungen verzögerten sich. Als die Fertigungen zumindest in China wieder anliefen, hatte der Virus bereits die Umschlagplätze erreicht. Speditionen, Hafengesellschaften und Zollbehörden konnten -wenn überhaupt – nur noch mit angezogener Handbremse arbeiten. Personal fiel krankheitsbedingt aus, Seeleute und Hafenarbeiter mussten in häufig Quarantäne, der Warenverkehr konnte weder zu Land noch zu Wasser frei fließen. Bisweilen wurden wichtige Überseehäfen für Tage geschlossen und abgeriegelt. Aufgrund dieser Unsicherheiten wurden bestehende Kapazitäten bei den Reedereien schrittweise runtergefahren, um sie nicht ungenutzt zu lassen und in eine unkontrollierbare Kostenfalle zu geraten.

Nachdem sich dann Anfang 2021 die Unsicherheit über den Verlauf der Pandemie etwas gelegt hatte, viele Menschen sich mit dem Virus und ihrer (finanziellen) Situation arrangiert hatten, fing das Chaos bei der globalen Warenverteilung erst richtig an. Durch Ausganssperren und Arbeit von Daheim wuchs das Bedürfnis, dieses Zuhause zu verschönern oder den eigenen Lebenswandel nachhaltiger zu gestalten. Nach einer monatelangen Flaute flammte zumindest in den Industriestaaten plötzlich eine Konsumlust auf, die auch vor der Solarbranche keinen Halt machte. Viele Akteure hier wissen sicherlich von einem sehr erfolgreichen und lukrativen ersten Halbjahr zu berichten. Doch die Reedereien und Speditionen hatten ihre Kapazitäten runtergefahren und waren auf einen derart schnellen Anstieg des Warenaufkommens einfach nicht vorbereitet. Außerdem arbeiteten viele Dienstleister und Behörden noch immer nicht im Normalbetrieb. Innerhalb kürzester Zeit gab es viel mehr Transportnachfrage als Angebot. Frachtschiffe stauten sich vor den Häfen, Container waren nicht dort, wo sie gerade gebraucht wurden. Dadurch steigerten sich dann auch die Umschlagzeiten im internationalen Warenverkehr um 20 bis 30 Prozent im Vergleich zu den Zeiten vor der Pandemie.

Fazit: Es gibt weltweit noch immer zu viele Waren für zu wenige Schiffe, die Logistikketten funktionieren nicht, wie sie sollten. Die Folge ist, dass die Frachtraten seit dem Herbst letzten Jahres geradezu explodierten. Das knappe Gut wird teuer verkauft, Reedereien überkompensieren den Kostenanstieg, machen offenbar gute Gewinne damit, was die Preise weiter nach oben treibt. Kostete ein Container Seefracht von China nach Rotterdam vor der Pandemie etwa 1500 bis 2000 US-Dollar, sind die Preise mittlerweile auf 15.000 bis 18.000 US-Dollar hochgeschnellt. Damit verteuert sich jedes asiatische Solarmodul, welches hier in Europa eingesetzt werden soll, erheblich. Auf die aktuelle Modulleistung umgerechnet hat sich der Frachtanteil von ehemals circa 0,4 bis 0,6 Eurocent pro Wattpeak auf 5 bis 6 Eurocent etwa verzehnfacht. Der Transportkostenanteil beträgt somit nicht mehr 2, sondern bis zu 20 Prozent des Gesamtpreises!

Dass sich derart verteuerte Produkte in Europa nicht mehr gut verkaufen lassen, haben die chinesischen Modulhersteller schnell gemerkt. Teilweise werden Liefermengen reduziert, teilweise Termine verzögert, bis man einen halbwegs bezahlbaren Carrier gefunden hat. Die neueste Masche ist aber der Versuch, das Frachtrisiko für zukünftige Lieferungen auf den Käufer abzuwälzen. Die Ware wird nicht mehr wie bisher üblich mit den Incoterms CIF/ FCA Rotterdam oder DDP, die Anlieferung Frei Baustelle beziehungsweise Lager angeboten, sondern EXW oder FOB, also ab Fabrik oder Frei Containerschiff. Preissteigerungen beim Transport gehen damit voll zulasten des Abnehmers, eine belastbare Kaufpreiskalkulation oder die Bestimmung eines verbindlichen Anlieferungstermins wird damit schwierig bis unmöglich. Es ist zu befürchten, dass kaum ein Endkunde diese Unsicherheit bei der Projektrealisierung mitmachen wird – das Risiko bleibt dabei vollständig auf der Seite des Errichters. Aus diesem Grunde würde ich dringend davon abraten, solche Vertragsbedingungen zu akzeptieren, zumindest solange die Situation im internationalen Frachtverkehr so unvorhersehbar ist.

Hohe Transportkosten machen sich nicht nur beim unmittelbaren Wareneinkauf, sondern in der kompletten Wertschöpfungskette bemerkbar. Die ständige Verteuerung der Rohstoffe und Vorprodukte lassen die Margen der Herstellern und Händlern schmelzen. Wo die Kosten an die Verbraucher weitergegeben werden, heizen sie die Inflation an. Dies ist ein Teufelskreis, aus dem wir vermutlich nur durch verstärkte lokale Wertschöpfung und weniger internationalen Frachtverkehr ausbrechen können. Doch regionale Produkte sucht man in der Photovoltaik-Branche, insbesondere bei Solarmodulen vergeblich – die wenigen existierenden Angebote können auf absehbare Zeit die ansteigende Nachfrage niemals decken. Eine schnelle Skalierung, insbesondere bei Silizium, Wafern und Zellen ist kapitalintensiv und zeitaufwändig, wurde bisher verschlafen. Ob die nach oben zeigende Preisspirale dann zwangsläufig zu einem baldigen Markteinbruch führt – es ist leider zu befürchten!

Übersicht der nach Technologie unterschiedenen Preispunkte im August 2021 inklusive der Veränderungen zum Vormonat (Stand 16.08.2021):

— Der Autor Martin Schachinger ist studierter Elektroingenieur und seit über 20 Jahren im Bereich Photovoltaik und regenerative Energien aktiv. 2004 machte er sich selbständig und gründete die international bekannte Online-Handelsplattform pvXchange.com, über die Großhändler, Installateure und Servicefirmen neben Standardkomponenten auch Solarmodule und –wechselrichter beziehen können, welche nicht mehr hergestellt werden, aber für die Instandsetzung defekter Photovoltaik-Anlagen dringend benötigt werden. —

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