Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigt Genehmigung des Standardbilanzkreisvertrages durch die Bundesnetzagentur

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Ab dem 1. Mai 2020 verwenden die Übertragungsnetzbetreiber einen neuen „Standardbilanzkreisvertrag – Strom“. Der neue Standardbilanzkreisvertrag enthält diverse Neuregelungen zu Meldepflichten, Sicherheitsleistungen und Kündigungsrechten. Diese können empfindliche Auswirkungen auf kleinere Bilanzkreisverantwortliche haben und auf solche, die vor allem erneuerbare Energien in ihrem Bilanzkreis führen. Die Bundesnetzagentur hatte den Vorschlag der Übertragungsnetzbetreiber Tennet TSO GmbH, 50 Hertz Transmission GmbH, Amprion GmbH, Transnet BW GmbH mit Beschluss vom 12. April 2019 genehmigt (Beschluss vom 12.04.2019 – BK618-061).

Gegen diese Genehmigung hatte die Sunnic Lighthouse GmbH, Direktvermarkter und Bilanzkreisverantwortlicher, vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf Beschwerde erhoben. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen und damit den Weg freigemacht für die Anwendung der verschärften Modalitäten für Bilanzkreisverantwortliche im Stromsektor (Beschluss vom 04.12.2019, Az. VI-3 Kart 757/19 [V]). Der Beschluss ist rechtskräftig.

Allgemeines zum Bilanzkreisvertrag

Ein Bilanzkreis ist ein virtuelles Energiemengenkonto, in dem Handelsgeschäfte über eingespeiste und ausgespeiste (verbrauchte) Strommengen verbucht werden. Jede Einspeise- und Entnahmestelle von Strom muss einem Bilanzkreis zugeordnet werden. Der Bilanzkreis wird von einem Bilanzkreisverantwortlichen geführt, wie beispielsweise einem Direktvermarkter. Der Bilanzkreisverantwortliche erstellt eine Prognose auf Viertelstundenbasis über die für den Folgetag geplanten Käufe und Verkäufe, den sogenannten Fahrplan, der auch nachträglich korrigiert werden kann. Der Fahrplan ist Grundlage für die Lastflussberechnungen des Übertragungsnetzbetreibers. Ziel ist, dass sich Geschäfte über eingespeiste und verbrauchte Strommengen die Waage halten. Der Bilanzkreis ist dann ausgeglichen. Werden Abweichungen nicht anderweitig ausgeglichen (etwa durch Handel am Intraday-Markt), setzt der Übertragungsnetzbetreiber zum Ausgleich Regelenergie ein. Die Kosten für die Regelenergie trägt der Bilanzkreisverantwortliche als sogenannte Ausgleichsenergie.

Der Bilanzkreisvertrag regelt die Rechte und Pflichten von Bilanzkreisverantwortlichen und Übertragungsnetzbetreibern. Er ist für den Bilanzkreisverantwortlichen die Eintrittskarte in den Markt: Ohne Bilanzkreisvertrag kann der Bilanzkreisverantwortliche nicht tätig werden. Aufgrund dieser gewichtigen Rolle muss der Standardbilanzkreisvertrag durch die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde genehmigt werden.

Änderungen im neuen Standardbilanzkreisvertrags

Der neue Standardbilanzkreisvertrag enthält gegenüber der Vorgängerregelung von 2011 diverse Verschärfungen. Diese führen gerade für kleine Bilanzkreisverantwortliche zu einem höheren Verwaltungsaufwand und treffen in besonderem Maße „erneuerbare“ Bilanzkreise:

  • Deklaration: Neu eingeführt wird die Verpflichtung zur Deklaration der maximal über den Bilanzkreis gehandelten Leistung und Energiemengen. Änderungen sind binnen fünf Werktagen zu melden, wenn sich die Leistung um 20 Prozent, mindestens 10 Megawatt oder die Strommenge um 240 Megawattstunden/Tag oder 2.000 Megawattstunden/Woche erhöht (sogenanntes Toleranzband). Bei fluktuierenden erneuerbaren Energien ist die theoretisch mögliche Produktionsspitze anzugeben.
  • Sicherheitsleistung: Die Deklaration ist in Zukunft Grundlage für die Berechnung der Höhe der Sicherheitsleistung, die vom Übertragungsnetzbetreiber in „begründeten Fällen“ – bereits bei Vertragsschluss – gefordert werden kann. Die Sicherheit ist binnen zehn Werktagen nach der Anforderung zu leisten. Wegen der Anknüpfung der Deklaration an Maximalwerte ist im Verhältnis zur durchschnittlichen Stromproduktion für erneuerbare Energieträger eine höhere Sicherheit zu leisten als für fossile Energieträger.
  • Außerordentliche Kündigung nach Abmahnung: Neu eingeführt wurde die Möglichkeit einer Abmahnung bei einem Verstoß gegen „wesentliche Vertragspflichten“. Mahnt der Übertragungsnetzbetreiber in zwölf Monaten zweimal ab, hat er ein außerordentliches Kündigungsrecht. Wird der Bilanzkreisvertrag gekündigt, darf der Bilanzkreisverantwortliche nicht mehr als solcher tätig werden.
  • Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund: Bei der bereits im alten Standardbilanzkreisvertrag vorgesehenen außerordentlichen Kündigung wurden die Regelbeispiele verschärft. Eine vorherige Anhörung ist nicht für alle Regelbeispiele vorgesehen, der Übertragungsnetzbetreiber muss dann lediglich die Interessen des Bilanzkreisverantwortlichen berücksichtigen. Eine Prüfung des Verstoßes durch die Bundesnetzagentur vor Ausspruch der Kündigung ist nicht (mehr) vorgesehen.
  • Kettenzuordnung: Bei der sogenannten Kettenzuordnung können einem Unterbilanzkreis weitere Unterbilanzkreise zugeordnet werden. Bisher musste der Hauptbilanzkreisverantwortliche der Zuordnung eines Unterbilanzkreises ausdrücklich zustimmen. Im neuen Bilanzkreisvertrag ist eine pauschale Zustimmung des Hauptbilanzkreisverantwortlichen zur Kettenzuordnung vorgesehen. Ihn treffen auch die finanziellen Folgen der (unberechtigten) Zuordnung von Unterbilanzkreisen.
  • Nachträgliche Fahrplananmeldung und urgent call: Schließlich wurde die Möglichkeit einer nachträglichen Fahrplananmeldung eingeschränkt. Neu eingeführt wurde ein sogenannter „urgent call“. Danach kann der Übertragungsnetzbetreiber – zweimal jährlich auch ohne Anlass – bis 10:00 Uhr des Folgetages eine abschließende Fahrplananmeldung fordern. Bei langen Wochenenden oder Brückentagen kann dies schwierig werden, insbesondere, wenn erst Daten von Unterbilanzkreisen eingeholt werden müssen.

Auswirkungen auf Bilanzkreisverantwortliche mit Erneuerbare-Energien-Portfolios

Im Bereich der Energieversorgung sind die – unstreitig hoch wichtige – Netzstabilität und die ebenfalls im Europarecht und im nationalen Recht vorgesehene verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien gegeneinander abzuwägen. Der neue Standardbilanzkreisvertrag kann jedoch erhebliche Auswirkungen auf die Erneuerbare-Energien-Branche haben, ohne dass die Systemstabilität auch nur einen Deut verbessert wird. Diese treffen nicht nur Bilanzkreisverantwortliche. Da jede Erzeugungsanlage einem Bilanzkreis zugeordnet sein muss, treffen Erschwernisse für Bilanzkreisverantwortliche auch die Erzeuger.

Aufgrund der Fluktuation von Photovoltaik und Windkraft ist das Risiko von Prognoseabweichungen höher als bei Gas- oder gar Atomkraftwerken. Damit steigt auch das Risiko eines unausgeglichenen Bilanzkreises und den daran anknüpfenden Rechtsfolgen. Der Standardbilanzkreisvertrag enthält aber keine Sonderregelungen für erneuerbare Energien. Zu befürchten ist daher, dass „erneuerbare“ und missbräuchlich handelnde Bilanzkreisverantwortliche in einen Topf geworfen werden. Ein Bilanzkreis, der wegen einer nicht vorhergesehenen Wetterentwicklung unausgeglichen ist, sieht nun einmal bilanziell nicht anders aus als ein potenziell missbräuchlich geführter Bilanzkreis. Nicht ohne Grund haben die Übertragungsnetzbetreiber im Beschwerdeverfahren mehrfach auf das Aufsichtsverfahren gegen mehrere Stromhändler wegen Unregelmäßigkeiten beim Regelenergiehandel im Juni 2019 und die Kostenexplosion aufgrund des Mischpreisverfahrens Bezug genommen, die völlig andere Problemkreise betreffen. Angesichts der Fülle interpretationsbedürftiger Generalklauseln und der Zurücknahme der vorherigen Kontrolle durch die Bundesnetzagentur ist es nicht verwunderlich, dass Bilanzkreisverantwortliche den neuen Standardbilanzkreisvertrag mit Unbehagen beäugen.

— Die Autorin Andrea Schmeichel ist Rechtsanwältin im Energierechtsteam von Margarete von Oppen bei Arnecke Sibeth Dabelstein in Berlin. —

 

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