Agora Energiewende: Stromsektor lässt Emissionsminderungsziele in Reichweite rücken

Kohle-Tagebau mit Windanlage

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Die Erzeugung von Photovoltaik, Windkraft und Co. hat im vergangenen Jahr kräftig zugelegt, während die Kohlekraftwerke deutlich weniger Strom produzierten. In Summe hat dies zu einem erheblichen Rückgang der CO2-Emissionen im Stromsektor geführt hat. Sie seien um mehr als 50 Millionen Tonnen gesunken, heißt es in der Jahresauswertung „Die Energiewende im Stromsektor – Stand der Dinge 2019“ von Agora Energiewende. Insgesamt sind die Treibhausgasemissionen um 35 Prozent gegenüber 1990 zurückgegangen. Damit rücke das Einsparziel von 40 Prozent „überraschend in greifbare Nähe“.

Die Erneuerbaren haben nach Auswertung des Berliner Think Tanks knapp 42,6 Prozent der Stromnachfrage gedeckt – etwa fünf Prozent mehr als noch 2018. Erstmals sei auch mehr Strom aus Photovoltaik, Wind- und Wasserkraft sowie Biomasse produziert worden als auch Kohle- und Kernkraftwerken zusammen. Die Hauptursache dafür sieht Agora Energiewende in den gestiegenen Preisen für CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandel. Neben der verstärkten Einspeisung der Erneuerbaren-Anlagen führte auch ein gesunkener Stromverbrauch dazu, dass die fossilen Kraftwerke ihre Produktion an vielen Stunden des vergangenen Jahres reduzierten – auch weil sei nicht wettbewerbsfähig waren. Das Minus bei den Steinkohlekraftwerken beziffert Agora Energiewende mit 31 Prozent und der Braunkohlekraftwerke mit 22 Prozent gegenüber 2018. Die Gaskraftwerke profitieren von den steigenden CO2-Zertifikatspreisen. Ihre Produktion erhöhte sich um elf Prozent. Der Stromverbrauch lag mit 569 Terawattstunden auf dem niedrigsten Niveau der vergangenen 20 Jahre, was vor allem an einem geringen Wirtschaftswachstum, niedrigerem Stromverbrauch der energieintensiven Industrien sowie einem gesunkenen Eigenstromverbrauch von konventionellen Kraftwerken lag.

Den starken Zuwachs bei den Erneuerbaren führt der Berliner Think Tank auf den Zubau bei Photovoltaik-Anlagen sowie das gute Windjahr zurück. Allerdings starte die Energiewende „mit einer schweren Hypothek ins neue Jahrzehnt.  „Denn der Ausbau bei der Windenergie ist in den letzten zwei Jahren um über 80 Prozent eingebrochen und somit fast zum Erliegen gekommen. Weil zudem im Jahr 2019 die Ausschreibungen für neue Windkraftanlagen nicht voll ausgeschöpft wurden, werden wir auch in den nächsten Jahren keine beeindruckenden Zubauzahlen bei der Windenergie sehen“, erklärte Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. Er forderte eine rasche Änderung der politischen Rahmenbedingungen. „Ohne Windkraft werden wir weder den Kohleausstieg noch die Klimaschutzziele erreichen“, so Graichen weiter.

Zu den Kosten der Energiewende schreibt Agora Energiewende, dass neue Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen mittlerweile günstiger Strom produzieren als alle anderen Kraftwerkstypen. Die Förderkosten würden schon bald sinken, wenn die ersten Anlagen nach 20 Jahren aus dem EEG fallen. 2022 sieht Agora Energiewende den Wendepunkt bei der EEG-Umlage für gekommen – ab dann sollte sie kontinuierlich sinken. An den Strombörsen führe die verstärkte Einspeisung der Erneuerbaren-Anlagen bereits jetzt zu sinkenden Preisen. Gemeinsam mit Luxemburg seien 2019 die niedrigsten Stromgroßhandelspreise in Deutschland zu verzeichnen gewesen. Knappheiten am Strommarkt habe es nicht gegeben. „Das ist ein Zeichen dafür, dass die Versorgungssicherheit in Deutschland im vergangenen Jahr durchweg hoch war“, sagte Graichen.

Die gute Entwicklung im Stromsektor wird Agora Energiewende zufolge von den fehlenden Ambitionen und Fortschritten im Verkehrs- und Wärmesektor getrübt. Die CO2-Emissionen im Verkehr und bei Gebäude hätten 2019 sogar erhöht und die Einsparungen des Stromsektors teilweise zunichte gemacht. „Es besteht die Gefahr, dass – nach dem Rückgang der Emissionen in den vergangenen beiden Jahren – im Zeitraum 2020 bis 2022 – wieder ein Anstieg folgt“, so Graichen weiter mit Blick auf die Gesamtentwicklung. „Wir müssen mehr erneuerbare Energien zubauen, um den Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 auszugleichen und auch genügend Strom für Elektroautos und Wärmepumpen zu erzeugen.“

Nur so handele die Politik auch im Sinne der Bevölkerung. Agora Energiewende verweist auf repräsentative Umfragen des „Politbarometers“ der Forschungsgruppe Wahlen. Demnach ist seit Mai 2019 das Klima und die Energiewende das wichtigste Thema für die Wähler – noch vor Migration/Integration und Renten.

Mit Blick auf 2020 prognostiziert Agora Energiewende einen Photovoltaik-Zubau von etwa vier Gigawatt – also auf vergleichbarem Niveau wie 2019. Bei der Windkraft an Land sei dagegen erneut nicht mit mehr als einem Gigawatt Zubau zu rechnen. Die Produktion der Offshore-Windparks dürfte sich hingegen durch neue Inbetriebnahmen 2019 und 2020 weiter erhöhen. „Die Entwicklung bei Braunkohle, Steinkohle und Erdgas und damit der CO2-Emissionen 2020 ist offen und hängt von der Entwicklung der Kohle-, Gas- und CO2-Preise sowie der Windverhältnisse ab – zum jetzigen Zeitpunkt sind hierzu keine verlässlichen Aussagen möglich“, heißt es weiter. Es sei jedoch sehr wahrscheinlich, dass die Aussicht auf mögliche Entschädigungen im Zuge des Kohleausstiegs dazu führen werde, dass 2020 kein Kohlekraftwerk stillgelegt werde.

In der CDU/CSU werden die gesunkenen CO2-Emissionen als Erfolg des Emissionshandels gewertet. „Dies zeigt, dass der Bund mit der Einführung eines Emissionshandels in den Bereichen Wärme und Verkehr auf nationaler Ebene den richtigen Weg eingeschlagen hat“, erklärte Anja Weisgerber, Klimaschutzbeauftragte der Union. „In diesen Bereichen muss noch nachgelegt werden und der EU-Emissionshandel ist das beste Instrument. Denn mit dem Emissionshandel werden die CO2-Emissionen gedeckelt. Damit setzen wir auf eine gezielte Steuerung statt auf eine Steuererhöhung.“ Weisgerber zeigte sich überzeugt, dass der Emissionshandel ab 2021 in Deutschland zur Erreichung der Klimaziele effektiv beitragen werde.

Auf die Forderungen von Agora Energiewende nach verbesserten Rahmenbedingungen für den Ausbau der Windkraft ging die Unionspolitikerin dagegen nicht ein. Sie verwies dagegen auf die Bedeutung des Wasserstoffs als „ein Schlüsselrohstoff, der unverzichtbar ist“ für die Klimaziele. „Der nächste Schritt wird die nationalen Wasserstoffstrategie sein“, sagte Weisgerber. Eigentlich wollte die Bundesregierung diese schon bis zum Jahresende 2019 vorlegen. „Der Energiebedarf muss zunehmend durch CO2-neutrale gasförmige Energieträger ersetzt werden. Denn als Industrieland brauchen wir Energie- und Versorgungssicherheit und gleichzeitig Klimafreundlichkeit. Mit einer nationalen Wasserstoffstrategie werden wir deshalb die Weichen dafür stellen, dass Deutschland bei dieser Technologie die Nummer 1 in der Welt wird“, so Weisgerber.

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