Wenn Gutachter danebenliegen

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Der Anruf des Installateurs klang besorgt. Kein Wunder, denn nach Aussage eines Gutachters, den der Investor im Rahmen einer Routineüberprüfung beauftragt hat, hatte er einen fatalen Fehler gemacht bei der Errichtung einer Photovoltaikanlage. Einen Fehler, der nur durch eine komplette Demontage des Generators und anschließender Neuerrichtung mit anderen Modulen zu beheben sein würde. Der Vorwurf lautet, dass er ungeeignete Module eingesetzt habe.

Der Gutachter bezog sich dabei auf die Montageanleitung des Modulherstellers Ningbo Qixin Solar Electrical Appliance Co. Ltd. Auf Seite 3 steht dort unter dem Oberbegriff „Environment conditions“ die Forderung „humidity: below 85RH%“.

Übersetzt steht also an dieser Stelle in der Montageanleitung, dass eine relative Luftfeuchtigkeit von 85 Prozent nicht überschritten werden darf. Der Gutachter kam daher zu dem Schluss: Die Module dürfen nur bis zu einer Luftfeuchtigkeit von 85 Prozent betrieben werden. Die Verwendung bei der vorliegenden Anlage ist also unzulässig. Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein Betroffener bei der DGS Berlin meldet, um fremde Gutachten von uns bewerten zu lassen. Darf ein Modul, das nach IEC 61215 zertifiziert ist, nicht bei einer Luftfeuchtigkeit über 85 Prozent betrieben werden, wenn in der Anleitung ein derartiger Maximalwert vermerkt ist?

Tau auf einem Modul: ein nicht zulässiger Betriebszustand?

Foto: DGS Berlin/ Udo Siegfriedt

Luftfeuchtigkeit ein Problem?

Um den Sachverhalt zu bewerten, muss man unserer Ansicht nach zunächst die Frage stellen, was der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Solarmoduls ist. Dies sollte sicherlich die Montage im Außenbereich sein, und zwar an Stellen mit möglichst hoher Einstrahlung mit dem Ziel, dort über einen Zeitraum von mindestens 20 Jahren Wind und Wetter zu trotzen und dabei Sonnenlicht in elektrische Energie umzuwandeln. Der Nachweis, dass die Module diesem Verwendungszweck genügen, erfolgt dabei unter anderem durch die Prüfungen im Rahmen der IEC-Zertifizierung.

Trotz des Ziels wird es aber sicherlich Grenzen geben, die nicht überschritten werden dürfen und die natürlich an geeigneter Stelle wie einer Montageanleitung genannt werden sollten. Bezüglich der vom anderen Gutachter bemängelten Luftfeuchtigkeit gibt es durchaus einen Sachverhalt, der unter bestimmten Bedingungen zu Problemen führen kann. Gegenden mit häufig sehr hoher Luftfeuchtigkeit und bestimmten Temperaturzyklen belasten die Module erheblich stärker als normale klimatische Bedingungen und können dazu führen, dass Feuchtigkeit in die Module eindringt, es Delaminationen und andere Probleme gibt. So wird ein Einsatz in den Tropen sicherlich höhere Anforderungen an die Module stellen als ein Einsatz in Deutschland.

Könnte sich hier der Grund für die Mangel verbergen? Wohl kaum, denn unabhängig vom Standort können sich immer Werte für die Luftfeuchtigkeit von mehr als 85 Prozent ergeben, sobald man im Außenbereich montiert. Hier reicht bereits der Morgentau, um derartige Verhältnisse zu erreichen, was vom anderen Gutachter auch so in seiner Stellungnahme genannt wird. Wäre die Angabe des Herstellers, dass 85 Prozent Luftfeuchtigkeit nicht überschritten werden darf, also tatsächlich gültig, würde dies automatisch bedeuten, dass die Module unabhängig vom Standort nicht im Außenbereich montiert werden dürfen. Von einem bestimmungsgemäßen Einsatz könnte dann aber keine Rede mehr sein.

Gutachter dürfen sich durch solche Anblicke nicht täuschen lassen. Normativ ist Moosbewuchs nicht untersagt.

Foto: DGS Berlin/ Udo Siegfriedt

Hier ist also was anderes passiert. Offenbar sind Angaben auf der Montageanleitung entweder falsch oder müssen in einem anderen Kontext verstanden werden. So steht unmittelbar vor der Angabe zur Luftfeuchtigkeit eine Temperaturangabe, die sich auf die Lagerung der Module bezieht. Derartige Angaben werden gemacht, um auch die Verpackung zu schützen. In diesem Zusammenhang wäre eine Begrenzung der zulässigen Luftfeuchtigkeit auch durchaus sinnhaft.

Außen bemoost, innen intakt. Die meisten Steckverbinder halten die Belastung aus.

Foto: DGS Berlin / Udo Siegfried

Da dies zudem nicht die einzige Stelle der Montageanleitung mit unstimmigen Angaben war, ergibt sich nach Ansicht der DGS Berlin eher der Schluss, dass die Angabe von maximal 85 Prozent Luftfeuchtigkeit nicht für montierte Module gilt, ja gar nicht gelten kann, da ansonsten auch die IEC-Zertifizierung nicht möglich gewesen wäre. Somit geht die DGS Berlin davon aus, dass der Installateur mit für den Anwendungsfall geeigneten Modulen gearbeitet hat und ihm kein Fehler nachgesagt werden kann.

Kein Einzelfall

Das ist kein Einzelfall, wie ein weiteres Beispiel zeigt. Bei einer 13 Jahre alten Anlage wurde festgestellt, dass eine sehr ungünstige Leitungsverlegung vorliegt, so dass bei einigen Modulsteckern Feuchtigkeit eindringt und zu Korrosion führt. Ein zu Rate gezogener Gutachter kam zu dem Schluss, dass es sich bei den Steckverbindern nicht um MC4-Stecker handelt, sondern um Verbinder eines unbekannten Herstellers. Seine daraus resultierende Behauptung: Die Stecker weisen keinen zertifizierten Schutzgrad auf, was damit die Ursache für den Mangel sei. Nur, wie kommt er darauf, dass sie nicht zertifiziert sind, wenn er nicht weiß, welcher Verbinder verwendet wurde? Dies allein ist also schon eine ziemlich weit hergeholte Annahme.

Was er zudem übersehen hat: Sein im Bericht beigefügtes Musterbild eines MC4-Steckers zeigt die heutige Bauform mit Sicherheitsbedruckung. Die Stecker vor 13 Jahren sahen aber anders aus. Und da die DGS Berlin bei einem Vor-Ort-Termin durchgängig den Aufdruck MC auf allen Steckern gefunden hat, kann man davon ausgehen, dass doch Steckverbinder von Multicontact in der Anlage verwendet werden, zumal der Modulhersteller versichert, dass in der fraglichen Produktionszeit ausschließlich Multicontact zum Einsatz kam.

Dass die verwendeten Stecker, von wem auch immer sie letztendlich gefertigt wurden, prinzipiell geeignet sind, ergibt sich auch daraus, dass in der Anlage lediglich sehr wenige Verbindungen auffällig sind. Bei einer Stichprobe, bei der vor Ort Stecker geöffnet wurden, waren bis auf die bekannten auffälligen Stellen dann auch alle Stecker einwandfrei, obwohl der Moosbefall auf der Steckeroberfläche in dieser Anlage erheblich ist.

Aufgaben eines Gutachters

Auch dieser zweite Vorgang zeigt: Teilweise werden von Gutachtern unzutreffende Bewertungen abgegeben, die einem Installateur oder Planer viel Geld und auch Reputation kosten können, selbst wenn fachgerecht gearbeitet wurde. Im letzten Beispiel war es übrigens sogar ein gerichtsbestellter Gutachter speziell auch für Photovoltaik.

Die beschriebenen Fälle zeigen symptomatisch eines der häufigsten Missverständnisse darüber, was die Aufgabe eines Gutachters ist und wie er diese Aufgabe erfüllen kann und letztendlich auch soll. Worum geht es bei einer fachlichen Stellungnahme und einem Fachgutachten? Auch wenn es hier unterschiedliche Fragestellungen geben kann, soll mit einem Fachgutachten für Photovoltaikanlagen geklärt werden, ob eine Anlage fachgerecht errichtet wurde, gegebenenfalls verbunden mit der Frage, ob die Errichtung entsprechend noch vorhandener vertraglicher Vereinbarungen erfolgte. Hierbei referenziert ein Gutachter natürlich auf die vorhandenen Normen und Regeln der Technik.

Seine Aufgabe muss dabei aber sein, die Normen und Regeln der Technik auch bezüglich der Anwendbarkeit zu bewerten. Nach Ansicht der DGS Berlin kann dies nicht einfach durch ein Herunterbeten von Normtexten erfolgen. Für Normen bei technischen Einrichtungen gibt es zwar auch im rechtlichen Bereich die sogenannte Vermutungswirkung, sprich ein Gericht geht davon aus, dass eine Anlage bei Einhaltung von Normen fachgerecht errichtet wurde. Aber weder gibt es den Umkehrschluss, dass bei eine abweichenden Ausführung eine technische Einrichtung automatisch nicht fachgerecht errichtet wurde, noch gibt es die absolute Sicherheit, dass diese bei Einhaltung von Normen auf jeden Fall dem allgemein anerkannten Stand der Technik entspricht. Genau an dieser Stelle beginnt dann auch die wirklich wichtige Arbeit eines Gutachters. Er soll nicht primär schauen, ob Normtexte eingehalten werden, sondern bewerten, ob Normziele erfüllt werden.

Die Vorgehensweise des Gutachters vor allem im ersten beschriebenen Fall konterkariert diesen Ansatz in sein genaues Gegenteil. Die Angabe des Herstellers wird nicht hinterfragt, sondern dafür verwendet, eine fachlich korrekte Arbeit eines Installateurs zu diskreditieren. Dass dies auch noch durch einen unabhängigen Gutachter passiert, macht es dem Installateur noch schwieriger, seine geleistete Arbeit zu verteidigen. Bei ihm wird schnell davon ausgegangen, dass er aufgrund seines Eigeninteresses die Sachlage verfälscht.

Oft wird aber vergessen, dass es auch für den Gutachter Gründe gibt, bestimmte Sachverhalte verfälscht oder zumindest verändert darzustellen. Gerade das Beharren auf den Wortlaut von Normen nämlich sorgt dafür, dass sich ein Gutachter nicht aus dem Fenster lehnen muss bei der Bewertung eines fraglichen Sachverhaltes, sondern einfach darauf verweist, dass dies „halt so gemacht werden muss laut Norm“, selbst wenn eine andere Lösung vergleichbar ist. Dabei ist die Folge einer solchen Vorgehensweise nicht nur, dass die fachlich korrekte Arbeit des Installateurs als mangelhaft dargestellt wird. Viel schlimmer ist, dass ihm ein hoher wirtschaftlicher Schaden droht bis hin zur Insolvenz, die sich bei einem kleineren Betrieb schnell einstellen kann, wenn tatsächlich eine komplette Anlage rückgebaut und neu errichtet werden muss.

Insofern stellt sich hier sogar die Frage, ob andersrum in so einen Fall dem Gutachter nicht zumindest Fahrlässigkeit nachgesagt werden muss mit entsprechenden rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen.

— Der Autor Udo Siegfriedt ist Gutachter bei der DGS Berlin-Brandenburg und Co-Autor des DGS-Leitfadens „Photovoltaische Anlagen“. Neben der technischen Beratung und Planungsunterstützung und der Mitarbeit bei Normen ist er tätig als Dozent im Rahmen der DGS-Solarschule und in internationalen Projekten. www.dgs-berlin.de 

 

Der Beitrag erschien auch in der November-Ausgabe 04/2018 des pv magazine Deutschland

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