Megawattspeicher erobern die Netze

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Seit dem Jahr 2013 hat es in Deutschland bei netzgekoppelten Batteriesystemen ein rasantes Wachstum gegeben. In den vergangenen drei Jahren haben sich die jährlichen Zubauraten für Speichersysteme jedes Jahr in etwa verdoppelt. 2015 wurden dann rund 20.000 neue netzgekoppelte Speichersysteme verkauft und installiert. Die überwiegende Mehrheit dieser Anlagen sind Heimspeichersysteme, unter anderem für die Speicherung von Solarstrom, mit einer Speicherkapazität von unter zehn Kilowattstunden.

Es gibt drei wesentliche Faktoren, die zu diesem Markterfolg der Heimspeichersysteme beigetragen haben:

  1. eine abgesenkte Einspeisevergütung für Solarstrom, die eine Netzeinspeisung des überschüssigen Solarstroms immer weniger attraktiv macht
  2. fallende Preise für Batteriesysteme, die Investitionen in Heimspeicher auch für Privathaushalte immer erschwinglicher machen
  3. ein Förderprogramm für kleine Speichersysteme, das bis Ende 2015 bis zu 30 Prozent der Investitionskosten für Speichersysteme bezuschusst hat.

Bislang von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, haben die Investitionen in Batteriespeicher der Megawatt-Größenklasse im Jahr 2016 völlig neue Dimensionen erreicht, mit Einzelinvestitionen von mehr als 100 Millionen Euro. Während Ende des letzten Jahres erst einige Megawatt an Batteriespeichersystemen im Kraftwerksmaßstab in Deutschland am Netz waren – die meisten davon als Pilotanlagen –, sollen bis Ende des nächsten Jahres rund 200 Megawatt an Großspeichern Netzdienstleistungen übernehmen. Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, als es für Speichersysteme dieser Größenordnung keinerlei Förderanreize gibt.

Die Haupteinnahmequelle dieser Systeme ist die Bereitstellung von Primärregelleistung (PRL) für das deutsche Stromnetz. Die PRL ist jene Regelleistung, die innerhalb von Sekunden Abweichungen zwischen Angebot und Nachfrage im Stromnetz ausgleicht. Die Anbieter von Primärregelleistung messen permanent die Netzfrequenz. Sobald sie eine Abweichung von der Sollfrequenz von 50 Hertz erfassen, entziehen sie dem Stromnetz Leistung, wenn die Frequenz zu hoch ist, oder sie stellen zusätzliche Leistung zur Verfügung, wenn die Netzfrequenz 50 Hertz unterschreitet. Hierbei muss die volle Primärregelleistung innerhalb von 30 Sekunden bereitgestellt werden.

In Deutschland hat der Primärregelleistungsmarkt ein Volumen von rund 600 Megawatt und wird auf wöchentlicher Basis versteigert. Unter der Voraussetzung, dass die angekündigten Investitionen in große Batteriespeichersysteme wie geplant umgesetzt werden, kann ab Ende 2017 ein Drittel des deutschen Primärregelleistungsmarktes durch große Batteriesysteme abgedeckt werden. Im vergangenen Jahr haben konventionelle Kraftwerke noch 97 Prozent dieses Marktes unter sich aufgeteilt.

Wer steckt hinter den Investitionen in Megawatt-Batteriespeicher?

Der größte Investor im Segment batteriegestützter Primärregelleistung in Deutschland ist die Steag GmbH aus Essen. Seit mehr als 75 Jahren ist das Unternehmen mit konventionellen Kraftwerken in der Energieerzeugung in Deutschland aktiv und hat vor zehn Jahren begonnen, sein Portfolio um erneuerbare Energiequellen zu erweitern. Mit einem Investitionsvolumen von rund 100 Millionen Euro wird Steag insgesamt rund 90 Megawatt an Batterieleistung realisieren. Diese Speicherkapazität wird verteilt über sechs Standorte entstehen (drei im Saarland und drei in Nordrhein-Westfalen), an denen die Steag bereits konventionelle Kraftwerke betreibt. Alle sechs Systeme haben die gleiche technische Konfiguration und bestehen aus Containerlösungen basierend auf Lithium-Ionen-Batterien mit einer Kapazität von jeweils 15 Megawatt.

Die Lithium-Ionen-Zellen bezieht Steag von LG Chem aus Südkorea, wohingegen das fertige Speichersystem – konfiguriert in Industriecontainern – bei der französischen Firma Nidec zusammengestellt wird. Da die Speichereinheiten an den Standorten bestehender konventioneller Kraftwerke errichtet werden, können die Speichersysteme die gesamte bereits vorhandene (Netz-)Infrastruktur mit nutzen. Dennoch werden die Batteriesysteme unabhängig von den Kraftwerken betrieben und auch separat vermarktet. Da ferner die konventionellen Kraftwerke am Standort der Batteriesysteme ebenfalls präqualifiziert sind, Primärregelleistung zur Verfügung zu stellen, konnte Steag auf Investitionen in Redundanzsysteme verzichten, die andernfalls erforderlich gewesen wären, um eine stabile Primärregelleistung garantieren zu können für den Fall, dass ein Batteriesystem ausfällt.

Das erste von Steags Speichersystemen wurde Ende Juni in Lünen, Nordrhein-Westfalen, in Betrieb genommen, an dem Standort, wo die Steag vor 80 Jahren ihr erstes Kohlekraftwerk errichtet hat. Im Laufe dieses Sommers durchläuft das System in Lünen eine Reihe von Tests, die absolviert werden müssen zur Präqualifizierung der Speicher für eine Teilnahme am Primärregelleistungsmarkt. Eines der Kriterien, die im Rahmen der Tests überprüft werden, ist die Fähigkeit des Systems, die bereitzustellende Regelleistung für mindestens 30 Minuten mit beiden Vorzeichen erbringen zu können. Christian Karalis, Projektmanager bei Steag, hat keine Zweifel, dass bis zum Herbst dieses Jahres alle Tests erfolgreich abgeschlossen sein werden. Unter dieser Voraussetzung können bis zum ersten Halbjahr 2017 alle sechs Speichersysteme den kommerziellen Betrieb aufnehmen.

Mercedes gibt Gas

Nach vorliegenden Plänen wird kommendes Jahr der zweitgrößte Anbieter von batteriebasierter Primärregelleistung in Deutschland kein traditionelles Unternehmen aus dem Energiesektor sein, sondern die Mercedes-Benz Energy GmbH, eine Tochterfirma des Automobilherstellers Daimler. Bis Mitte 2017 plant das Unternehmen, insgesamt 29 Megawatt an Primärregelleistung verteilt über drei verschiedene Standorte am Netz zu haben.

Das größte der drei Mercedes-Benz-Projekte mit einer Leistung von rund 20 Megawatt wird Lithium-Ionen-Batterien verwenden, die in Elektrofahrzeugen ihr Lebensdauerende erreicht haben. Diese Schwelle ist erreicht, wenn die Speicherkapazitätder Batterien auf weniger als 80 Prozent des ursprünglichen Wertes gefallen ist, was mit einer entsprechenden Einschränkung der Reichweite der Autos einhergeht.

Marcus Brunner, Leiter Vertrieb & Marketing bei Mercedes-Benz Energy, findet, dass diese Batterien für stationäre Anwendungen bestens geeignet sind. Er erwartet, dass die„Second-Use“-Batterien noch für mindestens weitere zehn Jahre verwendet werden können, bevor sie schließlich recycelt werden. „Der Einsatz von Lithium-Ionen-Batterien zur Erbringung von Primärregelleistung entspricht der Betriebsart, welche die geringste Alterung der Batterien verursacht“, führt er aus. „Bei dieser Anwendung hat die Batterie typischerweise einen Ladezustand von um die 50 Prozent, und es werden nur überschaubare Mengen an Energie entzogen beziehungsweise zugeführt. Dies ist auch der Grund, warum wir diesen Anwendungsfall auch für unser zweites kommerzielles System nutzen, wo wir fabrikneue Batterien zum Einsatz bringen.“

Ersatzbatterien in Großspeichern gelagert

Dieses zweite Projekt hat eine Größe von 1,2 Megawatt. Die Motivation für Mercedes-Benz Energy, ein Speichersystem mit fabrikneuen Batterien aufzubauen, hat folgenden Hintergrund: Als Automobilhersteller ist die Daimler AG verpflichtet, Original-Ersatzteile für das gesamte Fahrzeug für mindestens acht Jahre ab dem Herstelldatum des Fahrzeugs vorzuhalten. Als Konsequenz des rasanten technologischen Fortschritts im Batteriesegment sind jedoch die Batterien, die Daimler in seine aktuellen Elektrofahrzeuge einbaut, nicht mehr kompatibel mit den Batterien der Elektrofahrzeuge, die in der Vergangenheit ausgeliefert wurden. Wirtschaftlich wäre es nicht sinnvoll, Fertigungskapazitäten für die Altsysteme vorzuhalten, nur um bei Bedarf die erforderlichen Ersatzteile für die bestehende Flotte fertigen zu können, wenn sie in der Zukunft benötigt werden. Stattdessen wird die gesamte Menge der erwarteten Ersatzbatterien hergestellt, bevor der Produktionsprozess auf die nächste Generation an Batterien umgerüstet wird.

„Lithium-Ionen-Batterien können nicht für Jahre gelagert werden, ohne dass sie regelmäßig genutzt werden. Eine passive Lagerung der Batterien würde zu einer viel schnelleren Alterung der Batterien führen“, verweist Brunner. „Indem wir diese Ersatzbatterien zur Erbringung von Primärregelleistung einsetzen, können wir am besten gewährleisten, dass die Funktionalität und die Langlebigkeit der Batterien erhalten bleibt“, betont er. Die Tatsache, dass für Mercedes-Benz Energy die Erbringung von Netzdienstleistungen aus übergeordneter Konzernsicht eigentlich nur einen sekundären Nutzen ihrer Batterien darstellt, könnte sie in ihrer Preisgestaltung flexibler machen. Das Unternehmen muss nicht die vollen Kosten der Batterie allein durch die Einkünfte aus der Erbringung von Primärregelleistung amortisieren.

Marcus Brunner wäre nicht überrascht, wenn andere Hersteller von Elektrofahrzeugen diesem Beispiel folgen würden. „Es steckt noch eine Menge wertvoller Nutzungsdauer in den Batterien, sobald sie nicht mehr für mobile Anwendungen geeignet sind.“ Brunner geht davon aus, dass Mercedes-Benz Energy die eigenen Dienstleistungen auch auf weitere Länder ausdehnen wird, sobald das Geschäftsmodell in Deutschland erfolgreich validiert ist.

Hybridspeicher vereint verschiedene Stärken Neben den oben genannten kommerziellen Projekten startete im September auch ein wissenschaftliches Projekt, das Großbatteriesysteme zur Bereitstellung von Netzdienstleistungen evaluiert. Am Institut für Energieerzeugung und Speichersysteme der RWTH Aachen hat das M5BAT-Projekt seinen Regelbetrieb genommen. Die Abkürzung steht für 5 Megawatt Batteriespeicherkapazität, mit denen Netzdienstleistungen zur Verfügung gestellt werden. Die Wissenschaftler an der RWTH Aachen setzen dabei ein Hybridspeichersystem ein, bestehend aus fünf verschiedenen Batterietechnologien: Zwei bleibasierte Batterietechnologien und drei Lithium-Ionen-Batterietechnologien mit unterschiedlichen Anoden- und Kathodenmaterialkombinationen (Lithium-Mangan-Oxid, Lithium-Eisenphosphat und Lithium-Titanat) kommen zum Einsatz.

Insgesamt hat das Projekt ein Budget von 11,4 Millionen Euro, von denen rund fünf Millionen von Industriepartnern beigesteuert werden. Ein wesentliches Ziel des Forschungsprojekts besteht in der Analyse der Performance und Alterung der unterschiedlichen Batterietechnologien unter realen Lastbedingungen. Aus den Ergebnissen wollen die Wissenschaftler Rückschlüsse ziehen, ob tatsächlich hybride Batteriesysteme, bestehend aus verschiedenen Batterietechnologien, eine kostenoptimierte Option darstellen können, um in Zukunft große Batteriesysteme zu realisieren, die von den Stärken der verschiedenen Technologien profitieren.

Tjark Thien, der Projektmanager des M5BAT-Projekts an der RWTH Aachen, geht davon aus, dass mit sinkenden Systempreisen Batterien eine immer wichtigere Rolle im Stromerzeugungsmix spielen werden. „Aufgrund der fluktuierenden Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen sind heutzutage konventionelle Kraftwerke gezwungen, ihre Leistung innerhalb von vergleichsweise kurzer Zeit in einer viel größeren Bandbreite anzupassen, als das noch vor drei bis vier Jahren erforderlich war“, erklärt Thien. „Diese Leistungsanpassungen führen zu einer zusätzlichen Belastung der Kraftwerke und lassen sie schneller altern. Je mehr Batteriespeicher in das Stromnetz integriert werden, umso eher können die Rampen, mit denen die Leistung der konventionellen Kraftwerke angepasst wird, in einem langsameren Tempo erfolgen, was zu einer schonenderen Nutzung des konventionellen Kraftwerksparks führen würde.“ Das Beispiel Deutschland zeigt, welche Dynamik im Markt für Netzdienstleistungen entsteht, sobald die Voraussetzungen gegeben sind, dass Batteriespeichersysteme konkurrenzfähig werden.Götz Fischbeck

Der AutorGötz Fischbeck ist seit dem Jahr 2012 Geschäftsführer der Unternehmensberatung Smart Solar Consulting, die Firmen aus der Solar- und Speicherbranche in strategischen Fragestellungen sowie bei Finanzierungsthemen unterstützt.

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