pv magazine: Welchen Nutzen hat die Entwicklung von Smart Grids in Deutschland?
Jakob Wachsmuth: Wir haben in Deutschland die Entscheidung getroffen, die Energiewende dezentral umzusetzen und dabei vor allem auf Wind- und Solarenergie zu setzen. Dies bringt zwei große Herausforderungen mit sich. Zum einen eine stark steigende Anzahl von Anlagen und Akteuren, die wir in das Gesamtsystem integrieren müssen. Zum anderen das zeitlich stark fluktuierende Dargebot von Wind und Sonne. Das ist eine komplexe Herausforderung, die nur in einem größeren Verbund und unter Einsatz einer intelligenten Steuerungs- und Regelungstechnik gelingen kann.
Für mich bezeichnen Smart Grids genau das, also die intelligente Vernetzung und Regelung einer steigenden Anzahl von Erzeugern, Speichern und Prosumenten – das heißt Verbrauchern mit eigenen Erzeugungsanlagen – durch den Einsatz von IT. Dies ist nicht nur eine systemische Notwendigkeit für die Gestaltung eines nachhaltigen Energiesystems sondern bietet auch ökonomische Chancen. Insbesondere im Bereich der Dienstleistungen öffnen sich durch Smart Grids vielfältige Spielräume für neue Akteure.
Welche Arten von Smart Grids unterscheiden Sie? Welche halten Sie für besonders sinnvoll?
Bei SmartGridsBW haben wir eine sehr breit angelegte Auffassung von Smart Grids. Dazu zählen auch der sehr wichtige Verbund von Strom-, Wärme- und Gasversorgung sowie die Integration von Mobilität. Deswegen sprechen wir von Smart Grids auch immer im Plural. Die Unterscheidung in Microgrids, bei denen es um die intelligente Vernetzung auf der Ebene von Liegenschaften geht, und größer angelegten Smart Grids-Konzepten ist dabei für uns weniger wichtig. Wir gehen davon aus, dass alle diese Konzepte künftig eine Rolle spielen werden.
Nach Ansicht von SmartGridsBW wird das künftige Energiesystem ein Verbund von Zellen sein, die in gewissem Umfang autonom agieren, aber stets in die Prozesse der höherliegenden Netzebenen eingebunden sind. Einzelne Zellen können dabei die unterschiedlichsten Ausmaße annehmen: von der Liegenschaft über Quartiere, Arealnetze und Verteilnetze bis hin zu den Regelzonen auf Übertragungsnetzebene. Dieser zellulare Ansatz erlaubt es, mögliche Probleme mit dem Datenschutz und der Steuerung des komplexen Systems schon auf dezentraler Ebene zu begegnen. Zugleich können die Effizienzvorteile eines großflächigen Verbunds genutzt und die Kosten so im Rahmen gehalten werden.
Welche Smart Grids gibt es schon in Deutschland und speziell Baden-Württemberg?
Von großflächigen Smart Grids sind wir in Deutschland noch ein ganzes Stück entfernt. Mit den E-Energy-Projekten wurde in Deutschland in sechs Modellregionen – zwei davon in Baden-Württemberg – Pionierarbeit geleistet. Diese als Demonstration angelegten Smart-Grids-Projekte waren allerdings noch recht forschungslastig. Mittlerweile zeigt eine Vielzahl kleinerer Demonstrationsprojekte, was heute schon möglich ist. Dabei werden auch viele Erfahrungen mit dem Betrieb von Smart Grids gesammelt.
Auf der Netzseite experimentiert beispielsweise unser Vereinsmitglied Netze BW in sogenannten Netzlaboren. Hier wird unter anderem am Einsatz von regelbaren Ortsnetztransformatoren geforscht, die Spannungsschwankungen in Verteilnetzen mit zunehmender Einspeisung aus Erneuerbaren ausregeln. Ein weiteres Projekt ist die Umwandlung von Nachtspeicheröfen in Windspeicheröfen durch einen gezielten Einsatz von Windstrom in Zeiten hoher Windeinspeisung.
Im Bereich smarter Endkundenversorgung ist unser Mitglied MVV Energie mit dem Projekt Strombank aktiv. Dabei kann ein Stromspeicher durch Vernetzung mit Verbrauchern in der Cloud wie eine Bank für Strom genutzt werden. In ähnlicher Weise sind auch einige innovative Stadtwerke und smarte Quartierskonzepte von Kommunen unterwegs. Darüber hinaus gibt es eine zunehmende Zahl von Gewerbebetrieben, die Lastmanagement betreiben, also ihren Verbrauch der tatsächlich verfügbaren Menge an Energie anpassen.
Bei SmartGridsBW bereiten wir gerade die Smart Grids-Route Baden-Württemberg vor, mit der wir bereits bestehende Projekte in Form einer Webseite und App gesammelt darstellen. Damit wollen wir das Thema einer breiteren Öffentlichkeit verständlich und erlebbar machen. Die Webseite soll im 2. Quartal dieses Jahres an den Start gehen. Mittelfristig soll es dann an ausgewählten Leuchtturmstandorten auch spezielle Besucherangebote geben, zum Beispiel das Probewohnen in einem Smart Home.
Welche Vorteile haben Smart Grids für Betreiber von Solaranlagen und für die Quartiersversorgung?
Momentan gibt es zwei Stoßrichtungen bei der Entwicklung smarter Quartiere. Einerseits geht es um die Maximierung des Eigenverbrauchs von Solarstrom, um die Kosten für den Strombezug zu verringern. Andererseits geht es um die Integration von Erneuerbare-Energien-Anlagen in virtuelle Kraftwerke, die mit ihrer Flexibilität das Gesamtsystem stützen und dadurch am Markt zusätzliche Profite erlösen. Beides geschieht durch den Einsatz entsprechend dimensionierter und gesteuerter Speicher, die unter Umständen durch ein dezentrales Last- und Einspeisemanagement ergänzt werden.
Aus Sicht von SmartGridsBW ist dabei entscheidend, die Quartiere so zu gestalten, dass sie von den Bewohnern einfach und gewinnbringend genutzt werden können und sich trotzdem netzdienlich verhalten. Das heißt, dass sie das übergeordnete Netz nicht belasten, sondern im Gegenteil bei Bedarf stützen. Um solche innovativen Konzepte mit Vorbildcharakter zu fördern, haben wir den Smart-Grids-Quartier-Award BW ins Leben gerufen. Diesen werden wir im Rahmen der 1. Jahreskonferenz von SmartGridsBW am 5. und 6. März in Mannheim erstmals verleihen.
Wann werden Smart Grids in größerem Maßstab in Deutschland eingeführt?
Bis wir Smart Grids-Technologien in Deutschland in der Fläche im Einsatz sehen, werden sicherlich noch eine Hand voll Jahre ins Land gehen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat aber gerade aktuell die Ausschreibung „Schaufenster intelligente Energie“ auf den Weg gebracht. Darüber sollen ab 2016 mindestens zwei Projekte gefördert werden, die den Einsatz von Smart Grids in der Fläche demonstrieren – eins mit dem Schwerpunkt auf Wind- und eins mit dem Schwerpunkt auf Solarenergie.
SmartGridsBW treibt diesbezüglich schon länger das Vorhaben C/sells voran, mit dem der zellulare Ansatz bei der Integration der hohen solaren Einspeisung in Teilen Baden-Württembergs verwirklicht werden soll. Wir haben bereits über 30 interessierte Partner ins Boot geholt, von Netzbetreibern über Hersteller und Entwickler bis hin zu Anwendern. Nichtsdestotrotz sind wir an der Integration weiterer Partner interessiert. (Das Gespräch führte Mirco Sieg)
– Am 5. und 6. März 2015 findet die 1. Jahreskonferenz von SmartGridsBW in Mannheim im Congerss Center Rosengarten statt. Das Leitthema „Flexibilität ist ein Produkt“ wird dort von rund 25 Rednern in Vorträgen und Podiumsrunden umfassend beleuchtet. Durch eine Kombination aus Tagung und Fachausstellung soll ein größtmöglicher Informationsaustausch garantiert werden. Auf dem sogenannten „Marktplatz der Flexibilitätsinnovationen“ präsentieren Unternehmen und Personen am 6. März ihre Ideen zur Gestaltung intelligenter Vernetzungen. –
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