Für Verbraucher mag das Geschehen an der Strombörse in Leipzig etwas irreal wirken. Strom kostet hier nur zwischen drei und fünf Cent pro Kilowattstunde, also ein Sechstel bis ein Zehntel des Verbraucherpreises. Der Preis variiert je nach Angebot und Nachfrage um etwa drei, selten zehn Cent. Eigentlich also ein geringer Wert. Doch in diesem steckt das Wohl und Wehe vieler Unternehmen. Und auch die Zukunft der Erneuerbaren Energien entscheidet sich zu einem Teil auf diesem virtuellen Parket. Daher ist das Strommarktdesign zu einem heißen Eisen der Energiewende geworden.
Derzeit wird an der Strombörse Energie gehandelt. Kraftwerksbetreiber bekommen Geld, wenn ihr Strom verkauft wird. Daher heißt dieser Markt auch „Energy Only“ Markt. Dabei wird nach der so genannten Merit Order geboten. Verkauft wird jeweils zum Preis des teuersten gerade noch notwendigen Kraftwerks. Dieser stammt in steigender Reihenfolge aus erneuerbaren Energien, deren variable Kosten verschwindend gering sind, Atomkraftwerken, Braunkohlekraftwerken, Steinkohlekraftwerken und ganz am Ende aus Gaskraftwerken. Da durch die erneuerbaren Energien zunehmend Überkapazitäten entstehen, laufen die Gaskraftwerke nur noch selten, mit der Folge, dass deren Betreiber unter Einnahmeausfällen leiden. Langfristig werden diese Gaskraftwerke jedoch benötigt, da sie besonders flexibel produzieren können und die schwankende Erzeugung aus Wind- und Solarkraftwerken ausgleichen.
Dieses Problem können im Prinzip so genannte Kapazitäts- oder Leistungsmärkte lösen. In ihnen werden Kraftwerksbetreiber zusätzlich für das Bereithalten einer bestimmten Kraftwerksleistung bezahlt, was den Investitionskosten entspricht. Der Strom wird zusätzlich bezahlt, was die Brennstoffkosten deckt.
Tobias Huschke, Energy Brainpool: Contra Kapazitätsmärkte
Tobias Huschke, strategischer Leiter beim Analyse- und Beratungsunternehmen Energy Brainpool hält die Kapazitätsmärkte trotzdem zum jetzigen Zeitpunkt nicht für nötig. Das Unternehmen prognostiziert seit rund zehn Jahren die Preise an der Strombörse und hat dafür ein fundamentales Simulationsmodell für den Energiemarkt entwickelt.
Momentan müssten Überkapazitäten am Markt abgebaut werden und bis zur Vollendung des Atomausstiegs 2022 werde sich das nicht ändern. Im folgenden Jahrzehnt nehmen nach den Analysen an der Strombörse dann die Häufigkeit und die Extreme der Preisschwankungen zu. Diese würden ausreichen, um Stromspeicher und Gaskraftwerke zu finanzieren. Die Aufgabe sei zwar trotzdem, die Gaskraftwerke am Netz zu halten. Das lasse sich aber mit der strategischen Reserve lösen. Sie ist sei ein einfacher Kapazitätsmarktmechanismus, bei dem Kraftwerksbetreiber schon heute für das Vorhalten von Kraftwerkskapazität Geld bekommen. Er reiche aus, um in Extremsituationen die Versorgungssicherheit aufrecht zu erhalten.
Das andere Problem der derzeitigen Strommarktorganisation ist, dass die erneuerbaren Energien zu fallenden Strommarktpreisen führen und dadurch die EEG-Umlage wegen des Merit Order Effekts steigt. Das lässt sich nach Ansicht von Huschke aber auch dadurch lösen, dass das Umlageverfahren umgestellt wird.
Außerdem birgt eine Entscheidung für Kapazitätsmärkte auch Risiken. Kapazitätsmärkte erhöhen laut Huschke die Kosten, da nicht mehr der Markt reguliere, wie viel Kraftwerke gebaut werden müssen sondern zum Beispiel eine staatliche Regulierungsbehörde. Ein solches System sei anfällig für dafür, dass die notwendige Kapazität zu hoch geschätzt wird. Das freut vielleicht Kraftwerksbetreiber, die deshalb wohl auch größtenteils für eine solche Marktreform sind. Doch gerade in der Politik gebe es aus diesem Grund noch viele Gegner von Kapazitätsmärkten.
Huschke plädiert deshalb dafür, zum jetzigen Zeitpunkt eine Entscheidung für komplexe, kaum rückgängig zu machendes Kapazitätsmarktmodell zu vermeiden.
Kern der Frage
Der Kern der Frage ist, ob der Markt rechtzeitig funktionieren wird, so dass mögliche Kraftwerksbetreiber mit den nötigen zwei bis fünf Jahren Vorlauf den Bau von Gaskraftwerken beginnen, wenn sich höhere Preise an der Strombörse abzeichnen. Huschke sagt, man könne zumindest noch abwarten, bevor man eine Entscheidung darüber trifft.
Eberhard Holstein, Grundgrün: pro Kapazitätsmärkte
Eberhard Holstein, Geschäftsführer des Stromhandelsunternehmens Grundgrün, ist der Auffassung, dass der Strommarkt nicht so gut funktionieren wird. Er war Ende der neunziger Jahre beteiligt, Modelle zur Liberalisierung des Strommarkes zu entwickeln, als auf das heutige liberalisierte Energy Only System umgestellt wurde.
Wenn man rein auf den Energy Only Markt vertraue, komme es zu Knappheitssituationen mit Knappheitspreisen, also extrem hohen Preisen. Das motiviere zwar Investoren, neue Gaskraftwerke zu bauen. Doch es bleibe in einem Markt immer ein geringer Prozentsatz von Knappheitssituationen, bei denen man selbst für einen hohen Preis kein Strom kaufen könne. Dann müssten bestimmte Verbraucher abgehängt werden. Das liege auch daran, dass im Unterschied zu anderen Waren Strom nicht gelagert werden kann.
Die strategische Reserve sei im übrigen eine Art Kapazitätsmarkt, nur dass die Preise nicht transparent seien. Holstein erhofft sich von Kapazitätsmärkten daher, dass die Preise transparenter und damit auch niedriger sind als im heutigen System. Das sei beileibe kein Schritt zurück vor die Liberalisierung in die Zeit der Monopole. Ein Leistungsmarkt sei auch unter marktwirtschaftlichen Randbedingungen machbar. Michael Fuhs
Auf dem Forum Solarpraxis diskutieren Thobias Huschke und Eberhard Holstein am Donnerstag, 21.11., um 13:45 an einemThementisch das „Strommarktdesign der Zukunft“ mit allen, die dort dazu stoßen.Hier können Sie sich anmelden.
siehe auch:
Keine Einigkeit zur zukünftigen Organisation des Strommarkts. In Berlin diskutierten im Mai 2013 Experten darüber, welches der drei diskutierten Kapazitäts-Marktmodelle die Versorgungssicherheit mit Strom am günstigsten sicherstellen kann.
Strommarkt neu gedacht. Ein Interview mit Uwe Leprich, Energieexperte am IZES in Saarbrücken im Sommer 2012 zur Frage, wie die Erneuerbaren Energien und der Strommarkt zusammenfinden können.Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert werden. Wenn Sie mit uns kooperieren und Inhalte von uns teilweise nutzen wollen, nehmen Sie bitte Kontakt auf: redaktion@pv-magazine.com.
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