Entscheidende Vernetzung

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„Das komplette Photovoltaikmodul wird hier angeliefert. Daraus müssen wir die Probe entnehmen, also zuerst die Rückseitenfolie entfernen, um dann an die Laminatfolie zu kommen. Da hineinzuschneiden, das tut manchmal schon richtig weh“, seufzt Benjamin Lippke. Und trotzdem hat der Werkstoffwissenschaftler am Photovoltaik-Institut Berlin bereits über hundertmal zum Messer gegriffen – im Dienst der Wissenschaft. Er untersucht die Güte der Versiegelung, welche die Zellstränge innerhalb eines Solarmoduls umhüllt. Bei gut dreißig Prozent der Bauteile, die er aufgeschlitzt hat, hat der Kunststoff-Experte Mängel gefunden: „Das merkt man oft schon, wenn man das Laminat für unseren Labortest aus den Modulen herausholt. In manchen Fällen löst es sich fast von alleine ab, bei anderen sitzt man stundenlang da, bis man genug Material gesammelt hat, weil es so fest haftet.“ Rein äußerlich sieht man es den farblosen, transparenten Folien nicht an, ob sie ein Solarmodul bis ans Ende seines Lebens vor den Einflüssen der Witterung schützen werden. Ethylenvinylacetat (EVA) heißt der Kunststoff, der die Stränge eines Moduls üblicherweise umhüllt und mit dem Deckglas und der Rückseitenfolie verbindet.

Doch nicht immer funktioniert dieser Schutz so problemlos, wie viele Modulhersteller sich das wünschen würden. Denn die Folien müssen aufgeschmolzen und dabei durch eine chemische Reaktion gehärtet werden – ein Vernetzer verknüpft die kettenförmigen Polymermoleküle miteinander. „An Stellen, die unzureichend vernetzt sind, kann im Laufe der Zeit Feuchtigkeit eindringen und die Lebensdauer des Moduls beeinträchtigen“, erklärt Stefan Krauter, Professor für Nachhaltige Energiekonzepte an der Universität Paderborn und Geschäftsführer des Photovoltaik-Instituts Berlin (PI Berlin).

Um aus den einzelnen Komponenten des Moduls einen festen Verbund zu erschaffen, werden die Schichten wie in einem Sandwich übereinandergestapelt: Glas, EVA, die Zellstränge, eine weitere Schicht EVA und schließlich die Rückseitenfolie oder ein Glassubstrat. Diese Anordnung wird dann in Laminatoren bei rund 150 Grad Celsius zu den fertigen Modulen verbacken.

Im ersten Schritt schmelzen dabei die Kunststofffolien. In diesem Zustand liegen die Kettenmoleküle ungeordnet in der Schicht wie Spaghetti auf einem Teller. Sie können sich bewegen und aneinander vorbeigleiten. Ab einer bestimmten Temperatur sorgen dann Zusatzstoffe, sogenannte Peroxide, dafür, dass sich zwischen den einzelnen Molekülketten feste Bindungen bilden. Aus dem EVA-Kunststoff entsteht ein Netzwerk, das die Zellen umschließt und mit Glas und Rückseitenfolie verbindet.

Der richtige Vernetzungsgrad ist dabei entscheidend: Ist er zu niedrig, bietet der Kunststoff keinen ausreichenden Schutz. Bei zu hohen Werten verliert die Folie ihre Flexibilität. Dehnt sich das spröde Material in der Hitze der Sonne aus, können feine Risse in der Folie entstehen, durch die Luftfeuchtigkeit eindringen und die Zellen beschädigen kann. Üblicherweise sollten die Werte je nach Hersteller zwischen 70 und 90 Prozent liegen.

Für ungenügende Vernetzungsgrade kann es viele verschiedene Gründe geben: Eventuell war die Zeit im Laminator zu kurz gewählt, um eine ausreichende Vernetzung zu erreichen. Die Temperatur kann zu hoch oder zu niedrig eingestellt worden sein. Oder der EVA-Hersteller hat versehentlich nicht genügend hohe Mengen an Peroxiden beigemischt. Außerdem spielt die Lagerung eine wichtige Rolle: „Das Material sollte kühl, trocken und lichtgeschützt aufbewahrt werden und möglichst lange in der Verpackung verbleiben, damit der Vernetzer nicht ausdampft“, sagt Benjamin Lippke. Der Werkstoffwissenschaftler hat am Photovoltaik-Institut eine bereits bekannte Methode weiterentwickelt, mit der sich die Güte der EVA-Vernetzung bestimmen lässt. In den internationalen Qualitäts-Standards (zum Beispiel IEC 61215 und IEC 61730 für kristalline Siliziummodule) sind solche Tests zwar nicht vorgeschrieben, aber manche Geldgeber fordern weitere Belege dafür, dass die Photovoltaikanlagen ihren Dienst wie zertifiziert verrichten. Solch ein Vernetzungstest kann hier wertvolle Hinweise liefern.

Oft unzureichend vernetzt

In einer groß angelegten Versuchsreihe haben die Berliner Vernetzungsexperten rund 250 Proben von 120 Modulen verschiedener Hersteller untersucht. Ein gutes Drittel der Proben wies Werte auf, die auf eine unzureichende Vernetzung schließen ließen. Teilweise unterschieden sich die Vernetzungsgrade an unterschiedlichen Stellen ein und desselben Moduls deutlich voneinander, erklärt Stefan Krauter: „Das hängt unter anderem davon ab, wie der Laminator aufgebaut ist – also von der Güte der Temperaturverteilung auf der Ober- und Unterseite des Gerätes. Es kann auch sein, dass durch eine ungleichmäßige Oberfläche der thermische Kontakt nicht überall gleich gut ist. Dann kann es zu einem inhomogenen Wärmeübergang kommen.“ Kernstück der Analyse ist eine an die sogenannte Soxhlet-Methode angelehnte Extraktion. Ein Soxhlet-Aufsatz gehört zur Standardeinrichtung vieler Chemielabore und funktioniert ähnlich wie eine Kaffeemaschine: In einem Filter befindet sich die Probe, in diesem Fall etwa ein Gramm der kleingeschnittenen EVA-Folie, auf die von oben ein heißes Lösungsmittel tropft. Die Flüssigkeit schwemmt die nicht vernetzten Bestandteile aus dem Kunststoff heraus. „Wir arbeiten zusätzlich mit einer leichten Druckdifferenz. Unser Extraktor ähnelt also eher einer Espresso-Maschine“, scherzt Benjamin Lippke.

Zwischen sechs und 22 Stunden kann die Extraktion für eine Messung dauern. Die Zeit hängt von den Bedingungen während der Herstellung des Moduls ab. Die Extraktion kann erst dann als abgeschlossen betrachtet werden, wenn sich das Gewicht der Probe nicht mehr signifikant ändert. Vergleicht man die Massen vor und nach dieser Behandlung, kann man den Vernetzungsgrad berechnen.

Zähe Probenentnahme

Doch was sich theoretisch einfach anhört, offenbart in der Praxis dann doch seine Tücken. Das beginnt schon bei der Probenentnahme für diese destruktive Methode. Zunächst wird die Rückseitenfolie entfernt, um an das darunterliegende EVA zu kommen, sagt Benjamin Lippke: „Je nach Art des Materials kann es bis zu zwei Stunden dauern, bis wir genug EVA von dem Modul wieder abgezogen haben. Das muss anschließend aufbereitet werden, zum Beispiel von Verstärkungsmaterialien und Zellrückständen befreit werden.“ Auch das Lösungsmittel unterlag am Photovoltaik-Institut Berlin einem steten Optimierungsprozess. Schließlich ist die Wahl auf Tetrahydrofuran (THF) gefallen. Einerseits ermöglichen ihm seine chemischen Eigenschaften, die unvernetzten Bestandteile aus der EVA-Folie herauszulösen. Und andererseits liegt sein Siedepunkt so niedrig, dass niemals die Temperatur erreicht wird, bei der sich noch unverbrauchte Reste von Peroxid im Kunststoff nachträglich vernetzenkönnen, was die Messwerte verfälschen würde.

Als Filter hat sich ein engmaschiges Edelstahlnetz bewährt. Hülsen aus Cellulose, wie sie häufig im Soxhlet-Extraktor verwendet werden, können ein falsches Gewicht vorgaukeln. Denn das Material reagiert auf die Luftfeuchtigkeit und bindet Wasser. Eine besonders sorgfältige Trocknung des Filters ist in diesem Fall unumgänglich.

Schnellere Variante

„Solche Extraktionsmethoden, mit denen man den unvernetzten Anteil des EVA bestimmt, haben sich mittlerweile bewährt“, urteilt der Fachmann für Solarenergie Nicolas Bogdanski beim TÜV Rheinland in Köln. Die Prozedur, welche die TÜV-Mitarbeiter aus Köln nutzen, ähnelt dem Verfahren, das am PI Berlin entwickelt wurde: Wenige Gramm der Folie werden über einen gewissen Zeitraum bei erhöhter Temperatur im Lösungsmittel Toluol gelagert. Dabei gibt der Kunststoff die nicht vernetzten Komponenten allmählich an das Lösungsmittel ab. Anschließend wird die Probe getrocknet und gewogen. Nicolas Bogdanski glaubt: „Der Soxhlet-Test und unsere Methode unterscheiden sich nicht maßgeblich voneinander. Sie liefern meiner Einschätzung nach vergleichbare Ergebnisse. Sie haben auch gewisse Nachteile: Sie dauern relativ lange und benötigen verhältnismäßig viel Probenmaterial, weshalb lokale Variationen kaum aufgelöst werden.“ Eine Alternative dazu, die der TÜV Rheinland zukünftig anbieten möchte, ist die Dynamische Differenzkalorimetrie (Differential scanning calorimetry, DSC). Dabei wird ein kleines Stück der teilvernetzten EVA-Folie kontrolliert erhitzt. Ähnlich wie im Laminator setzt bei einer bestimmten Temperatur die chemische Reaktion zwischen den nicht verbrauchten Peroxiden und den Kettenmolekülen des EVA ein. Gemessen wird die Reaktionswärme, aus der sich auf den Vernetzungsgrad schließen lässt. „Viele Hersteller benutzen zur Kontrolle des Produktionsverfahrens bereits die DSC-Methode, weil sie wesentlich schneller ist und mit deutlich kleineren Probenmengen auskommt – üblicherweise mit wenigen Milligramm EVA“, sagt Nicolas Bogdanski.

Allerdings: Auch die DSC hat ihre Tücken. Sie eignet sich vor allem für Proben, in denen noch deutliche Restmengen des Peroxids vorhanden sind. Und sie liefert keine absoluten Werte für den Gehalt des nicht vernetzten Anteils. Meist sind zusätzliche Kenntnisse über die Herstellung, Verarbeitung und Lagerung der Folien nötig, um die Messergebnisse einordnen zu können. Dazu erklärt der TÜV-Rheinland-Experte Bogdanski: „Die DSC könnte sich in Zukunft zur Standardmethode entwickeln. Aber im Moment kommt man nicht um Extraktionsmethoden herum, wie etwa den Soxhlet-Test, wenn man zuverlässige, absolute Werte an dem Material aus Modulen ermitteln möchte.“ Ein Manko hat der Test jedoch: Er ist so aufwändig, dass er sich nur für Investoren eignet. Sie nehmen sehr große Mengen Module ab und können es sich leisten, eine Stichprobe in einem Prüflabor testen zu lassen. An der Frage, wie wichtig das ist, scheiden sich die Geister. Einige Händler, die nicht genannt werden wollen, geben zu bedenken, dass die Notwendigkeit eines solchen Tests vom Vertrauen in den Hersteller abhängt.

Eine zerstörungsfreie Alternative zu den etablierten Vernetzungstests hat die Firma Laytec entwickelt. Dabei berührt ein Messkopf nur wenige Sekunden lang das Modul, wenn es direkt nach der Lamination auf Raumtemperatur abkühlt. Aus dem mechanischen Verhalten des Kunststoffes in einem bestimmten Temperaturbereich lasse sicheindeutig auf den Vernetzungsgrad schließen, erklärt Volker Birk, Vice President Business Development bei dem Berliner Unternehmen: „Bei unserem System Laytec X Link nähert sich eine Art Prüfstempel der Oberfläche an und nimmt die Messung vor. Der Durchmesser der Kontaktstelle beträgt einige Millimeter. Wir empfehlen daher, das Modul abzurastern – also an fünf bis neun verschiedenen Punkten zu messen, um auch Inhomogenitäten zwischen Rand und Zentrum des Moduls zu erfassen.“ Die Vorteile der Prüfmethode liegen auf der Hand: Das Modul übersteht den Vernetzungstest unbeschädigt; es lässt sich daher eine hundertprozentige Kontrolle aller Module erzielen. Die Dauer der Messung verkürzt sich im Vergleich zu der Extraktionsmethode von etlichen Stunden auf wenige Sekunden. Und das X-Link-System eignet sich hervorragend dafür, die Messungen in den Produktionsprozess zu integrieren. Abweichungen vom optimalen Vernetzungsgrad lassen sich so umgehend nachweisen. „Durch diese direkte Messung ergibt sich die Möglichkeit, sofort auf den Prozess einzuwirken und zum Beispiel die Vernetzungsdauer zu optimieren“, sagt Volker Birk. „Sollten die Folien unzureichend vernetzt sein, können die Kunden die Anlage unverzüglich stoppen und den Laminator oder im Labor die Folie überprüfen.“

Neu: zerstörungsfreie Methode

Der Laytec-Mitarbeiter betont dabei die Verlässlichkeit der Messmethode. Langjährige Erfahrungen mit dem System, die andere Vernetzungstests auszeichnen, fehlen in diesem Fall zwar, räumt Volker Birk ein. Aber die Ergebnisse seien in hohem Maße reproduzierbar. Bei Reihen mit rund einhundert Messungen des Vernetzungsgrades an einem bestimmten Punkt der EVA-Folie habe das X-Link-System nur geringe Schwankungen um den Mittelwert im Nachkommabereich geliefert.

Die Soxhlet-Methode schneide im Vergleich dazu schlechter ab, argumentiert der Experte. Das hätten Tests gezeigt, bei denen das X-Link-System auf einer Folie zunächst Stellen mit gleichem Vernetzungsgrad identifiziert habe. Diese Folienstücke haben die Laytec-Mitarbeiter anschließend einer Extraktion unterzogen, um den Vernetzungsgrad zu bestimmen. Die Schwankungsbreite lag in diesem Fall bei rund zehn Prozent. Das Fazit steht für Volker Birk fest: „Man kann daher mit unserer Methode einem Investor eindeutig nachweisen, dass alle Module in der gleichen Qualität vernetzt worden sind.“ Allerdings: So wichtig der Vernetzungsgrad als Qualitätsmerkmal auch ist, so kann er doch nie allein die Güte der Versiegelung beschreiben. Davon sind die Experten des PI Berlin überzeugt. Bei einer unsauberen Oberfläche des Deckglases oder der Rückseitenfolie zum Beispiel kann es dazu kommen, dass die EVA-Folie trotz vorschriftsmäßiger Vernetzung schlecht an der Abdeckung haftet. Ein zusätzlicher Abzugstest („peel-off test“) kann daher die Ergebnisse der Vernetzungsprüfung ergänzen, führt Stefan Krauter aus: „Dafür wird die Rückseitenfolie in Form eines Streifens angeschnitten. Dann messen wir die Kraft, die nötig ist, den Streifen vom Glas beziehungsweise von der Zelle zu lösen. Diese hängt vom Vernetzungsgrad und von der Oberflächenbehandlung ab. Und das erlaubt uns dann weitergehende Aussagen über die Lebenserwartung des Moduls. Die Kombination beider Methoden ergibt ein realistisches Bild.“

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