Im Schattenreich

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Im Jahr 2007 wurden wir erstmalig mit der Frage konfrontiert, wie lange eine Photovoltaikanlage Anwohner blenden könne. Einige Nachbarn einer Lärmschutzwand, an der die Anlage errichtet werden sollte, befürchteten gravierende Nachteile für ihren Wohnkomfort. Um die pauschal und emotional geführte Debatte durch nachprüfbare Fakten zu versachlichen, beauftragte uns der Anlagenerrichter, die Zeiten zu berechnen, in denen tatsächlich Sonnenlicht auf Fenster reflektiert werden kann.Bei gegebener Anlagen- und Fenstergeometrie ist dies unter Berücksichtigung aller möglichen Sonnenstände im Jahresverlauf an einem bestimmten Ort eine berechenbare Aufgabenstellung. Schwieriger hingegen ist die Frage zu beantworten, ob das reflektierte Sonnenlicht überhaupt stört.

Sicher kennt jeder Situationen, in denen man von der Sonne selbst oder ihren Spiegelungen geblendet wird. Nasse Straßen, Pfützen, Seen oder auch Fenster, verglaste Fassaden und Autoscheibenkönnen uns plötzlich und unerwartet durch punktuell oder flächig reflektiertes Sonnenlicht das Sehen erschweren. Intuitiv wendet sich der Blick dann von dieser grellen Stelle ab. Besonders im Verkehr können derartige Reflexionen sehr unangenehm und unter Umständen sogar gefahrenträchtig sein.

Aber wie verhält es sich, wenn Sonnenlicht in unser Wohnzimmer oder auf den Balkon reflektiert wird? Hier gibt es eine große Bandbreite möglicher Empfindungen, von willkommener Aufhellung biszum Sich-gestört-Fühlen. Ähnlich groß ist die Bandbreite der bisher wenigen gerichtlichen Beurteilungen in Nachbarschaftsstreitigkeiten, wenn ein Anwohner sich durch reflektiertes Sonnenlicht von PV-Anlagen gestört fühlte. Sie reicht von empfohlenem Selbstschutz durch Jalousien oder Hecken bis zur Unzumutbarkeit bei Reflexionen, die pro Tag länger als 20 Minuten dauern.

Indiz aus dem Umweltamt

Erstmals meldete sich bei mir letzten Sommer ein Mitarbeiter eines Umweltamtes, um mitzuteilen, dass die knapp einstündige Reflexionsdauer, die ich im Rahmen eines Blendschutzgutachtens für eine PV-Anlage errechnet hatte, eine unzumutbare Immission darstelle und damit der Bebauungsplan für diese Anlage nicht genehmigungsfähig sei. Nach der Schattenwurfrichtlinie seien 30 Minuten am Tag maximal zulässig.

Völlig irritiert fragte ich, was die Schattenwurfrichtlinie mit reflektierter Sonnenstrahlung zu tun haben soll. Der Umweltamt-Mitarbeiter erklärte, dass im Länderarbeitskreis für Immissionsschutz (LAI) das Thema Reflexionen von Photovoltaikanlagen besprochen worden sei. Und weil es dafür keine Grenzwerte gebe, habe ein Experte aus dem Gremium, eine Koryphäe für Lichtimmissionen, empfohlen, die Grenzwerte der Schattenwurfrichtlinie für Windenergieanlagen zu übernehmen. Diese beschränkt die rhythmischen Unterbrechungen der Sonneneinstrahlung durch Windkraft-Rotoren im Wohnbereich auf 30 Minuten täglich. Dabei geht es wohlgemerkt um eine sich periodisch ändernde Lichteinstrahlung, nicht um Blendung.

Das steht auch in der Windenergieanlagen-Schattenwurfrichtlinie (1) für jeden nachzulesen, unter Kapitel 1.1 ist der Anwendungsbereich klar umrissen: „Die Hinweise finden Anwendung bei der Beurteilung der optischen Wirkungen von Windenergieanlagen auf den Menschen. Sie umfassen sowohl den durch den Windenergieanlagen-Rotor verursachten periodischen Schattenwurf als auch die Lichtreflexe (Disco-Effekt).“ In Kapitel 3.2 wird die zeitliche Begrenzung hergeleitet: „In der Laborstudie … wurde festgestellt, dass bereits eine einmalige Einwirkung des (fluktuierenden, der Autor) Schattenwurfs von 60 Minuten zu Stressreaktionen führen kann.

Aus Vorsorgegründen wird daher die tägliche Beschattungsdauer auf 30 Minuten begrenzt.“ Eigentlich verbietet sich damit von vornherein, denselben Grenzwert für weniger stressgenerierende kontinuierliche Lichteinwirkung zu übernehmen, zumal diese Richtlinie an anderer Stelle Wechsellicht mit der typischenFrequenz der Rotorblätter grundsätzlich als fünffach störender beurteilt als kontinuierliches Licht.

Neu: die Absolutblendung!

Doch Genehmigungsbehörden sehen das anscheinend anders. Seit diesem Sommer häufen sich immissionsschutzrechtliche Einsprüche gegen Bebauungspläne und Bauanträge für Photovoltaikanlagen mit dem Argument, die zeitlichen Grenzwerte der Schattenwurfrichtlinie würden überschritten. Zum Teil verlangen Umweltämter sogar, dass alle nach Baurecht zulässigen Gebäude (die vielleicht niemals gebaut werden!) durch vorsorgliche Maßnahmen wie Hecken am Solarpark oder veränderte Modulaufstellung vor Reflexionszeiten von 30 Minuten zu schützen sind. Auch bestehende natürliche Vegetation zwischen Solaranlage und Häusern wird nicht als Abschirmung anerkannt – sie könnte ja abgeholzt werden.

Welche Belästigung oder Gefahr, die die Gleichstellung mit periodischem Schattenwurf erlaubt, geht aber nun vonreflektiertem Sonnenlicht aus? „Die Absolutblendung“, erklärte mir im Herbst ein zuständiger Referatsleiter in einem (anderen) Umweltamt. Die Licht-Richtlinie werde gerade überarbeitet und danach werde die Absolutblendung dem periodischen Schattenwurf entsprechend behandelt.

Der Begriff Absolutblendung klingt bedrohlich. Verstanden wird darunter, dass im Gesichtsfeld so hohe Leuchtdichte auftritt, dass das Auge sich nicht mehr anpassen kann, etwa durch Verengung der Pupillen. In einem bestimmten Bereich sieht es nicht mehr, und es kommt zu Ausweichreaktionen wie Zukneifen der Augen und Weggucken. Dass diese Absolutblendung außer beim Blick in die Sonne auch beim Betrachten reflektierender Flächen auftreten kann, ist unbestritten. Das gilt aber für alle reflektierenden Flächen.

Fehlende Information

Und was hatte es mit der Überarbeitung der Licht-Richtlinie auf sich? Die sogenannte Licht-Richtlinie (2) dient der„einheitlichen Messung und Beurteilung der Wirkung von Lichtimmisionen für den Vollzug des BImSchG“ (3, Kapitel 1 Allgemeines). In der derzeit veröffentlichten Form ist sie nach dem in einem anderen Unterkapitel (Kapitel 2) umrissenen Anwendungsbereich ausschließlich gültig für „künstliche Lichtquellen aller Art wie zum Beispiel Scheinwerfer zur Beleuchtung von Sportstätten, von Verladeplätzen und für Anstrahlungen sowie Lichtreklamen, aber auch hell beleuchtete Flächen wie zum Beispiel angestrahlte Fassaden“. Ausdrücklich heißt es darin: „Statische technische oder bauliche Einrichtungen (…), die das Sonnenlicht reflektieren, sind nach Baurecht zu behandeln.“ Und im Baurecht sind eben keine Grenzwerte für Reflexionen festgelegt und der Gesetzgeber plant auch keine. Es gilt nur ein allgemeines Rücksichtnahmegebot.

Der Länderausschuss für Immissionsschutz hält sich derzeit bedeckt. Die Licht-Richtlinie werde derzeit überarbeitet und mit der Veröffentlichung der überarbeiteten Version sei im Novemberzu rechnen, hieß es lapidar auf Anfrage. Zurzeit könne im Übrigen keine Aktualisierung mitgeteilt werden. Da hilft es auch nicht, dass Gutachter bereits jetzt von Verwaltungen mit den geplanten Bestimmungen konfrontiert werden.

Denn was für Gutachter gilt, gilt anscheinend nicht für Behörden, die die Gutachten später lesen. In den für Immissionsschutz zuständigen Behörden kursieren zunehmend Anleitungen, welche Anforderungen Photovoltaikanlagen zu erfüllen haben, um immissionsschutzrechtlich unbedenklich zu sein. Allen ist gemeinsam die 30-Minuten-Grenze mit dem Hinweis auf die Schattenwurfrichtlinie, ansonsten werden unterschiedliche Kriterien hervorgehoben. Manchmal werden Anlagen ab 100 Meter Entfernung zur Wohnbebauung als unbedenklich bezeichnet, manchmal zählen nur Reflexionen mit einem Abstandswinkel zur Sonne von über zehn Grad als Immissionen. In der Regel erfährt der Anlagenerrichter oder der von ihm beauftragte Blendgutachter aber erst nach Abgabe von Gutachten, auf welche Aspekte es in der betreffenden Region ankommt.

Geheimpapier ohne Logik

Es ist im Übrigen nicht so, dass es noch keinen Entwurf gäbe. In der Schublade des Länderausschusses liegt ein Papier, datiert auf den 15. Dezember. Wenig überraschend: In diesem Entwurf finden sich alle Aspekte, die in den unterschiedlichen Ämtern zur Beurteilung herangezogen werden.

Beim Lesen reibt sich der Gutachter verwundert die Augen. Vor allem beeindruckt die Logik, mit der Reflexionen von Photovoltaikanlagen – und nur von Photovoltaikanlagen! – in diese Licht-Richtlinie für künstliche Lichtquellen integriert werden. Der Satz „Statische technische oder bauliche Einrichtungen (…), die das Sonnenlicht reflektieren, sind nach Baurecht zu behandeln“ wird einfach ergänzt durch den angefügten Satz: „Demgegenüber stellen Reflexionen des Sonnenlichts von Photovoltaikanlagen Immissionen im Sinne des BImSchG (§ 3 Abs. 2 BImSchG) dar, die nach Anlage 2 dieser Hinweise ermittelt und beurteilt werden können.“ In der Anlage 2 wird dann die Absolutblendung zum Grund dafür erklärt, die Nachbarschaft vor Reflexionen von Photovoltaikanlagen zu schützen. Wohlgemerkt: Unter die Richtlinie fallen die Reflexionen, die von Photovoltaikmodulen ausgehen können. Die Reflexionen, die genauso auch von sonstigen Glas- oder glatten Metalloberflächen wie schicken, großen, modernen Glasfassaden ausgehen, sollen erstaunlicherweise nicht unter die Richtlinie fallen. Es soll also mit verschiedenerlei Maß beurteilt werden.

Auch die Logik, mit der der anvisierte Grenzwert von 30 Minuten begründet wird, besticht. Mit dem Hinweis darauf, dass es bisher keine Wirkuntersuchungen zu diesen PV-Reflexionen gebe, wird erklärt, dass diese Absolutblendung (eben nur die von PV-Anlagen) wie der periodische Schattenwurf für Windkraftanlagen zu betrachten sei (dessen stressgenerierende Wirkung nachgewiesen ist). Der einzige erkennbare Zusammenhang zwischen dem periodischen Schattenwurf von Windkraftanlagen und reflektierter Sonnenstrahlung an Photovoltaikanlagen ist die regenerative Stromerzeugung. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Verwaltungsinterne Richtlinien sind als solche übrigens gerichtlich nicht überprüfbar. Erst wenn eine Behörde auf ihrer Grundlage einen Bauantrag abgelehnt hat, könnte jemand dagegen klagen, und erst dann würde ein Richter zu beurteilen haben, ob die Behörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Solch ein Gerichtsverfahren dauert mindestens zwei Jahre, bis dahin werden schon zahlreiche Anlagen verhindert worden sein. Es lohnt sich also für die Solarbranche, sich schon jetzt zu wehren.

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Literatur

(1) Hinweise zur Ermittlung und Beurteilung der optischen Immissionen von Windenergieanlagen (WEA-Schattenwurf-Hinweise), verabschiedet auf der 103. Sitzung des Länderausschusses für Immissionsschutz (LAI)

(2) Hinweise zur Messung und Beurteilung von Lichtimmissionen gem. Beschluss des Länderausschusses für Immissionsschutz vom 10. Mai 2000

(3) Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz)

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Wolfgang Rosenthal ist Ingenieur bei der Solarpraxis AG in der Abteilung Engineering und hat bereits über 50 Blendgutachten erstellt. 

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