Mittelwerte besser als Datenblattangaben

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Es fing wie immer mit einem Anruf an, mit dem ein Kunde seinem Ärger über eine Solaranlage Luft machte. Die Kontrollmessung mit einem Kennlinienmessgerät zeigte dann, dass der zwei Jahre alte Solargenerator 33 Prozent weniger Leistung erbrachte, als er eigentlich müsste. Dann kam der Ärger mit dem Modulhersteller über die Garantie. Jörg Tappeser, Inhaber eines Unternehmens, das mehr als 250 Solaranlagen gebaut und schon viele untersucht hat, würde sich zwar anderes wünschen, vermutlich sei der Ärger aber marktüblich. Der Hersteller unterstellt ihm zunächst einen Messfehler. Daraufhin hat Tappeser mit einem zweiten Kennlinienmessgerät nochmals geprüft. An diesem Punkt kam er dann ins Staunen. „Die beiden Geräte lagen in ihren Ergebnissen 20 Prozent auseinander“, sagt Tappeser.

Installateure und Gutachter kaufen die Kennlinienmessgeräte, um nachweisen zu können, ob eine Anlage so funktioniert, wie es der Planung entspricht. Der Clou ist, dass man die Leistung bei den herrschenden Umweltbedingungen misst. In Deutschland bedeutet das, dass die Einstrahlung geringer und die Modultemperatur höher ist als die in den Standardtestbedingungen (STC) festgelegten 1.000 Watt pro Quadratmeter und 25 Grad. Eine Software rechnet die Messwerte daher auf die Werte bei Standardtestbedingungen um (siehe photovoltaik 10/2009, Seite 74). Diesen Wert vergleichen die Experten dann mit der Nennleistung, die sie für die gesamte Anlage aus Datenblattangaben der Module berechnen. Je genauer ein Messgerät misst, desto kleinere Abweichungen vom erwarteten Wert lassen eine Reklamation zu. Wenn die Messwerte mit verschiedenen Geräten 20 Prozent auseinanderliegen wie bei dem Beispiel von Jörg Tappeser, werden viele kleinere Fehler nicht erkannt.

Schritt-für-Schritt-Analyse am ISE

Daniela Dirnberger ist die Frage nach der Genauigkeit der Kennlinienmessung systematisch angegangen. Die Wissenschaftlerin arbeitet am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in der Abteilung Qualitätssicherung Module und Kraftwerke und weiß ziemlich genau, welche Parameter die Unsicherheit der Kennlinienmessgeräte beeinflussen. „Wir sind die Schritte durchgegangen, die eine Messung erfordert, und haben dabei überlegt: Was kann man falsch machen und worauf muss man achten, damit man es richtig macht?“

Zunächst war das eine Arbeit am Schreibtisch. Die Messgeräte liefern die Stromwerte eines Strings bei verschiedenen Spannungswerten. Um auf Standardtestbedingungen umzurechnen, nutzt sie zwei Formeln, die auch nach der IEC 60891 dafür vorgesehen sind (siehe Kasten). In diese Formeln gehen zum einen die Messwerte für Strom, Spannung, Einstrahlung und Modultemperatur ein. Zum anderen benötigt man vier Parameter α, β, K und Rs, die die Charakteristika eines Moduls beschreiben. Alle diese Werte sind nur mit einer bestimmten Genauigkeit bekannt – darum geht es in Dirnbergers Arbeit.

„Jeder der Schritte, die ich bei einer Kennlinienmessung durchführe, jede Größe, die ich messe, ist mit einer Unsicherheit behaftet“, erklärt sie. „Bei der Hochrechnung auf Standardtestbedingungen kombinieren sich die Unsicherheiten der verschiedenen Eingangsgrößen zur Unsicherheit des Endergebnisses.“ Das geht nach dem sogenannten Fehlerfortpflanzungsgesetz. Wenn Hersteller allerdings andere Verfahren zur Umrechnung benutzen, gilt die von Daniela Dirnberger berechnete Fehlerfortpflanzung nicht. „Es gibt Messgeräte, die ein einfaches Standardumrechnungsverfahren anbieten, das vor allem bei hohen Temperaturen falsche Ergebnisse liefert. Die Abweichungen zu einem Verfahren aus der Norm können allein dadurch bis zu fünf Prozent betragen“, sagt sie.

Unsichere Messwerte

Als ersten Schritt muss die Ingenieurin die Unsicherheiten der sechs Eingangsgrößen selber eruieren. Beim von Dirnberger verwendeten Gerät beträgt sie für die Spannungs- und Strommessung nur 0,03 Prozent. Das ist sehr wenig im Vergleich zu den Unsicherheiten der anderen Größen.

Viel größer ist zum Beispiel die Unsicherheit der Einstrahlungsmessung mit Hilfe einer Referenz-Solarzelle. „Nimmt man eine Zelle, die nicht kalibriert ist, hat man schon alleine fünf Prozent Ungenauigkeit dadurch, dass die Referenzzelle die Einstrahlung nur mit plus/minus fünf Prozent Genauigkeit misst“, sagt Dirnberger. Da sich diese Unsicherheit direkt in die Gesamtunsicherheit des errechneten Leistungswertes fortpflanzt, sollte man eine kalibrierte Zelle benutzen.

Allerdings ist auch Kalibrierung nicht gleich Kalibrierung. Dirnberger hat sowohl sekundär kalibrierte als auch primär kalibrierte Referenzzellen benutzt. Primär kalibrierte Zellen werden zum Beispiel von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt geeicht. Sie haben eine Messunsicherheit von nur plus/minus 0,6 Prozent. Sekundär kalibrierte werden mit Hilfe der primären Solarzelle kalibriert, wodurch die Messunsicherheit dieser sekundär kalibrierten Solarzelle auf plus/minus zwei Prozent steigt. Sie ist dafür günstiger.

Bei den Referenzzellen kommt es nicht nur auf die Kalibrierung und die daraus resultierenden Unsicherheiten an, sondern auch auf die Temperatur der Zellen während der Messung. Der Messwert muss nämlich auf 25 Grad umgerechnet werden. Deshalb ist der gemessene Leistungswert umso genauer, je näher die Temperatur bei 25 Grad liegt.

Als letzter Messwert geht die Temperatur nicht der Referenzzelle, sondern der zu vermessenden Module ein. Am meisten Unsicherheit bringt es hierbei mit sich, dass die Module eines Strings eine unterschiedliche Temperatur haben können. Für ein Feld von 100 Modulen liegt die Abweichung typischerweise zwischen zwei und drei Prozent. „Unter einem Prozent liegt sie nur, wenn kein Wind weht“, sagt Dirnberger.

Unsichere Parameter

Nachdem sie die Unsicherheiten der Messwerte analysiert hat, muss Daniela Dirnberger im zweiten Schritt die Unsicherheiten der Parameter α, β, K und Rs abschätzen, die das Modul beschreiben und zur Umrechnung auf die Standardtestbedingungen nötig sind. Sie tragen zu einer sehr großen Unsicherheit bei.

Die Frage ist zunächst, woher Installateure und Wissenschaftler die Werte nehmen können. Die Temperaturkoeffizienten α und β stehen zum einen in den Datenblättern der Module, zumindest wenn diese der Norm entsprechen. Dirnberger und ihre Kollegen haben außerdem rund 120 Messungen von Temperaturkoeffizienten und 80 Messungen bei verschiedenen Strahlungsstärken gemacht, um die Unsicherheiten durch die fraglichen Parameter genau abzuschätzen.

Die Ergebnisse für die Temperaturkoeffizienten erstaunen. Bei einigen Modulen stimmen die am ISE gemessenen Werte zwar mit den Werten aus den Datenblättern überein, bei anderen Modulen weichen sie aber um bis zu 20 Prozent ab. Bilden die Freiburger Wissenschaftler den Mittelwert aus den Messungen an einer Technologie, zum Beispiel polykristallinen Solarmodulen, beträgt die Streuung nur zehn Prozent.

Die Streuung der modulspezifischen Messwerte um den Mittelwert ist also deutlich kleiner als die Streuung um die Datenblattangaben. „Wir halten es deshalb für besser, einen Technologie-gemittelten Durchschnittswert zu verwenden als Datenblattangaben“, sagt Dirnberger. Noch besser ist es allerdings, die Werte für einen Modultyp nachzumessen, um einen modulspezifischen Wert mit geringer Unsicherheit zu erhalten.

Welche Unsicherheiten erreicht das Fraunhofer ISE oder ein Ingenieurbüro nun konkret? Dazu haben Dirnberger und ihre Kollegen für zwei typische Umgebungssituationen die einzelnen Unsicherheiten zusammengerechnet.

Die eine ist der „beste Fall“, bei dem sie eine primär kalibrierte Referenzzelle und die Parameter α, β, K und Rs verwendet haben, die sie für diesen Modultyp experimentell im ISE-Prüflabor CalLab PV Modules bestimmt haben. Bei einer Messung bei 800 Watt pro Quadratmeter Einstrahlung und einer Modultemperatur von 45 Grad können sie so die Nennleistung eines Strings auf 3,3 Prozent genau bestimmen. Im anderen Fall, dem „typischen“, verwenden sie eine sekundär kalibrierte Referenzzelle und die über viele Module der gleichen Technologie gemittelten Parameter. Damit erreichen sie immerhin noch eine Genauigkeit von plus/minus 4,2 Prozent. Steigt die Modultemperatur auf 65 Grad, steigt allerdings auch die Unsicherheit auf plus/minus 6,4 Prozent.

Um diese verhältnismäßig kleinen Unsicherheiten zu erreichen, muss man allerdings nicht nur die entsprechende Referenzzelle verwenden und die Modulparameter wie das ISE selbst bestimmen. Man muss auch sonst alles richtig machen. „Diese Zahlen sind nur ein Anhaltspunkt, sie gelten nicht, wenn beispielsweise das Kennlinienmessgerät nicht kalibriert ist oder die Messungen bei unstabilen Bedingungen durchgeführt werden“, warnt Andreas Steinhüser, Teamleiter am Fraunhofer ISE für Anlagenprüfungen.

Praktisches Vorgehen wichtig

So ist auch das praktische Vorgehen sehr wichtig. Der Temperatursensor zur Messung der Modultemperatur sollte an der Rückseite eines Moduls angebracht werden, das eine Temperatur hat, die etwa dem Mittelwert für alle Module entspricht. Wird zum Beispiel ein Modultisch aus 50 oder 100 Modulen gemessen, ist die Temperatur oft am Rand niedriger als in der Mitte. Ein Grad Unterschied führt in der Umrechnung zu bis zu einem halben Prozent mehr oder weniger Leistung. Wenn die Bedingungen nicht stabil sind, also zum Beispiel starker Wind weht, erhöht das die Unsicherheit in der Temperaturmessung, weil sich dadurch meist die Inhomogenität der Temperatur über einen Modultisch erhöht. Auch durchziehende Wolken erhöhen die Ungenauigkeit der Einstrahlungsmessung, weil Reflexionen des Sonnenlichts durch die Wolken die spektrale Zusammensetzung des Lichts verändern. Selbst bei der Montage der Referenzzelle kann man Fehler machen. Sie muss exakt in derselben Ausrichtung und Neigung wie die Module montiert werden und sollte sich so nah wie möglich an den gerade zu vermessenden Modulen befinden. Bevor eine Messung durchgeführt wird, sollte sich die Referenzzelle außerdem thermisch stabilisiert haben.

Dass es so möglich ist, entsprechend der Fehlerabschätzung genau zu arbeiten, hat Daniela Dirnberger vorgemacht. „Wir haben die Unsicherheiten bei einer Kennlinienmessung im Feld unter realen Bedingungen untersucht“. Dazu hat sie einen String mit drei polykristallinen Modulen mehrmals im Verlauf von vier Monaten draußen und dann im Labor vermessen und eine Abweichung deutlich unter drei Prozent gefunden.

Allerdings ist es mit Messung und Umrechnung nicht getan. Danach muss man noch mehr Korrekturen berücksichtigen. Bis zu zwei Prozent Verluste durch Schmutz auf den Modulen, bis zu 0,8 Prozent durch die Verluste durch elektrischen Mismatch der Module und bis zu 0,5 Prozent elektrische Leitungsverluste reduzieren die gemessene Leistung im Vergleich zur Summe der Nennleistungen der Module. Wer den Messwert mit einem Erwartungswert vergleicht, sollte das einrechnen.

Große Fehler möglich

Und wie erklären sich die Abweichungen bei Jörg Tappeser, bei dem die Differenz der Werte von zwei Geräten bei 20 Prozent lag? Er fragte die Hersteller der beiden Kennlinienmessgeräte. Der Hersteller des Geräts, das weniger Leistung anzeigte, unterstellte zunächst, er habe falsch gemessen. Bei einem Besuch vor Ort habe dieser Hersteller allerdings zugegeben, dass das nicht stimme, erzählt Tappeser. Er erklärte sich bereit, die Module im Labor untersuchen zu lassen. So lässt sich Klarheit schaffen, welches Gerät den richtigen Wert anzeigt.

Als Tappeser die Labordaten für die Leistung der vorher vermessenen Module erhielt, zeigte sich, dass keines der beiden Geräte vollständig falsch gemessen hatte. Die Messwerte unterschieden sich zwar um 20 Prozent, die Labormesswerte mit dem Flasher lagen aber genau in der Mitte. Wenn die Referenzzelle nicht richtig kalibriert ist, das Gerät nicht die richtigen Modulparameter verwendet und noch einige andere Widrigkeiten dazukommen – zum Beispiel eine hohe Modultemperatur oder eine schwache Lichteinstrahlung – hält es auch Daniela Dirnberger für möglich, dass der Messfehler bei zehn Prozent liegt. Genau das scheint also der Fall gewesen zu sein.

Den Modulhersteller überzeugte die Labormessung. Danach lag die Leistung der Anlage um 15 Prozent unter der Nennleistung. Außerdem bewiesen auch Elektrolumineszenzaufnahmen die Modulschäden. Er hat die Module anstandslos ausgetauscht und auch die Montagekosten übernommen.

Jörg Tappeser hat jetzt immer ein Referenzmodul im Kofferraum, das ihm das Labor vermessen hat. Ein Vergleich neuer Messungen mit Messungen am Referenzmodul hilft ihm, einzuschätzen, wie groß die Messunsicherheit ist.

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Umrechnung Messwerte auf Werte bei Standardtestbedingungen

Die IEC 60891 erlaubt drei Methoden, um Messwerte auf Standardtestbedingungen umzurechnen. Die ISE-Forscher nutzen die Prozedur 1, bei der jedes Strom- und Spannungswertpaar einzeln umgerechnet wird. Dafür gelten die Formeln: siehe Foto oben.

Dabei bezeichnet I die Stromstärke, U die Spannung, E die Einstrahlungsintensität, der Index m die gemessenen Werte, der Index STC die Werte bei Standardtestbedingungen. α ist der Temperaturkoeffizient des Kurzschlussstromes, β der der Leerlaufspannung. Da die Spannung bei einer nach oben korrigierten Stromstärke durch den seriellen Innenwiderstand der Zelle etwas sinkt, geht auch der Serienwiderstand Rs in die Rechnung ein. Der Korrekturfaktor K ist nötig, weil es noch weitere Effekte gibt.

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