Gerüstet für den Paradigmenwechsel

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„Wenn man letztes Jahr in eine Dünnschichtfabrik ging und die Leute fragte, warum sie eigentlich auf Dünnschicht setzen, kam meist die Antwort: Weil wir kein oder kaum teures Silizium brauchen und weil wir sehr billige Module herstellen können“, erzählte Wolfgang Seeliger, Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg, auf der EPIA International Thin Film Conference Mitte November in München. Binnen weniger Monate habe sich die Situation grundlegend gewandelt: „Silizium ist jetzt ausreichend und günstig am Markt verfügbar, und bei kristallinen Modulen haben wir jüngst einen kräftigen Preisverfall gesehen.“

Im Wettbewerb mit der kristallinen Technologie hat sich die Ausgangsbasis für Dünnschichthersteller zuletzt also deutlich verschlechtert – zumindest verglichen mit der Ausnahmesituation vor einem Jahr. Die Euphorie der Branche ist verflogen, wie die Konferenz der European Photovoltaic Industry Association (EPIA) in der bayerischen Landeshauptstadt zeigte. An deren Stelle ist die sachliche Auseinandersetzung mit den kurz- und langfristigen Herausforderungen für die Dünnschicht getreten. „Bei der Konferenz im letzten Jahr waren die Teilnehmer alle ganz aufgekratzt. Heute werden die Diskussionen hier viel nüchterner geführt“, brachte es ein Besucher auf den Punkt. Dass der Ballon etwas an Luft verloren hat, lässt sich auch an der Teilnehmerzahl ablesen: Besuchten im Vorjahr noch 350 Branchenvertreter die Konferenz, so verzeichnete die EPIA bei der zweiten Auflage fast 100 Teilnehmer weniger. Diese kamen vor allem aus Deutschland; etwa jeder vierte reiste aus dem europäischen Ausland, den USA oder Asien an.

Doch auch wenn etwas mehr Ruhe und Pragmatismus eingekehrt ist: Der Optimismus der Dünnschichtbranche bleibt im Prinzip ungebrochen. Genährt wird er unter anderem von der Studie „Set for 2020“, die die Managementberatung A.T. Kearney im Auftrag der EPIA erstellt hat und die Ausgangspunkt der meisten Vorträge und Debatten der Konferenz war. Das zentrale Ergebnis der Studie, das inzwischen in die Technology-Roadmap der EU eingeflossen ist (Siehe Artikel Seite 56): Die Solarenergie könnte 2020 mit einer installierten Kapazität von 390 Gigawatt bis zu zwölf Prozent zur europäischen Stromversorgung beitragen – solange gewisse technologische, politische und ökonomische Bedingungen erfüllt sind. Dazu gehören unter anderem eine bessere internationale Koordination bei der langfristigen Planung von Investitionen, die intensive Zusammenarbeit aller Akteure im Markt, eine breite politische Unterstützung und die schnelle und umfassende Einführung von Speicher- und smarten Netztechnologien. Die EPIA spricht bei diesem Szenario von einem Paradigmenwechsel.

Die Dünnschichttechnologie kann 2020 etwa 30 Prozent des Photovoltaikanteils tragen, machte Bernhard Dimmler, Chief Technology Officer bei Würth Solar, in seiner Keynote deutlich. Dimmler vertrat hier den EPIA-Präsidenten Winfried Hoffmann von Applied Materials, der seine Teilnahme an der Konferenz kurzfristig absagen musste. Etwas mehr als die Hälfte des Dünnschichtanteils werden siliziumbasierte Module ausmachen, den Rest teilen sich CIS-/CIGS- und CdTe-Module. Um das 30-Prozent-Ziel zu erreichen, müssen die Dünnschichthersteller ihre Produktionskapazität allerdings Jahr für Jahr um 42 Prozent steigern. „Es ist unsere Verantwortung, dies möglich zu machen“, appellierte Dimmler an das Auditorium.

Reichen die Rohstoffe?

Ein solch massives Wachstum setzt voraus, dass ausreichend Rohstoffe und andere Materialien zur Verfügung stehen – allen voran Indium, Gallium, Selen und Tellur, die die Halbleiterverbindungen der CIS-/CIGS-Dünnschichtmodule bilden. Sind die Vorräte dieser Elemente groß genug, dass CIS/CIGS maßgeblich zum Zwölf-Prozent-Ziel beiträgt? Und können sie wirtschaftlich erschlossen werden? Diese Fragen beantwortete Peter Rigby vom belgischen Materialtechnologie-Konzern Umicore. Er warnt davor, das Thema der Rohstoffversorgung auf die leichte Schulter zu nehmen. Hier gebe es noch viel Forschungsbedarf: „Um die Nachfrage zu bedienen, müssen optimale Wege für Förderung, Aufarbeitung und Recycling entwickelt und angewandt werden“, so Rigby. Zudem sei damit zu rechnen, dass die Preise für diese seltenen Metalle stark schwanken werden, denn die Extraktion und Aufbereitung der Materialien sei sehr komplex und kapitalintensiv. Steige die Nachfrage, brauche es Zeit, neue Kapazitäten zu schaffen. Und das wirke sich direkt auf den Preis aus.

Verkomplizierend kommt hinzu, dass die betreffenden Metalle in der Erdkruste in so geringer Konzentration vorhanden sind, dass sie nur als Nebenprodukte bei der Gewinnung von Elementen wie Kupfer, Zink oder Blei verfügbar sind. Von der Förderung dieser Basismetalle hängt also ganz wesentlich ab, ob die Dünnschichthersteller auf ausreichend Indium, Gallium, Selen und Tellur zurückgreifen können. Am entspanntesten sei die Situation bei Selen, so Rigby: Zwar wachse allein für PV-Anwendungen der Bedarf pro Jahr um 33 Prozent, wenn das Paradigmenwechsel-Szenario der EPIA eintreffe. Doch mit dem erwarteten Ausbau der Fördermenge von Kupfer um vier Prozent jährlich lasse sich die Nachfrage nach dem Nebenprodukt Selen auch 2020 erfüllen. Hinzu komme, dass es durchaus möglich sei, Selen in anderen Industriebereichen durch alternative Materialien zu ersetzen.

Auch bei Gallium sei kein Engpass zu befürchten. Ebenso sollte Indium die Branche vor relativ wenig Probleme stellen: Das Weltvorkommen betrage laut der Indium Corporation 65.000 Tonnen, erklärt Rigby, während der Nettobedarf der gesamten Industrie 2020 bei weniger als 1.000 Tonnen liege. Dazu komme ein großes Kontingent, das aus Produktionsrückständen gewonnen werden könne. Dennoch seien erhebliche Anstrengungen nötig, um die Erträge bei Förderung und Aufbereitung zu erhöhen sowie um die Logistik bei der Sammlung von Produktionsrückständen zu verbessern. Hinter der Verfügbarkeit von Tellur dagegen stehe ein kleines Fragezeichen. Ein großes Problem liege darin, dass die Konkurrenz groß sei, denn das Element ist auch für andere Anwendungen, etwa für Flash-Speicher, unverzichtbar – 2020 wird nur ein Viertel der verfügbaren Menge für Dünnschichtmodule genutzt werden. Rigby sieht zwei Lösungsansätze: „Auf der einen Seite brauchen wir optimierte Prozesse, um so viel Material wie möglich aus Kupferschlämmen zu gewinnen.“ Das allerdings setze voraus, dass sich die erheblichen Investitionen, die die Kupferindustrie hierfür aufwenden muss, amortisieren werden. Zum anderen hält Rigby das umfassende Recycling von CdTe-Modulen sowie den Rückständen aus deren Produktion für unabdingbar.

System zur Wiederverwertung

Ein solches System für die Wiederverwertung hat der US-Konzern First Solar aufgebaut, der mit einem Anteil von aktuell 59 Prozent den Markt für Dünnschichtmodule dominiert. Das Unternehmen setzt ausschließlich auf Cadmiumtellurid-Module. Diese können nach Ende ihres Lebenszyklus an First Solar zurückgegeben werden. Die Module werden zunächst grob geschreddert und dann in kleine Stücke gebrochen, um die Laminierfolie vom Glas zu trennen. Anschließend werden die Halbleiterschichten durch einen Laugungsprozess in einer Edelstahltrommel abgelöst. Der Trommelinhalt kommt dann in eine Separationseinheit, die die Fest- und Flüssigstoffe trennt. Die metallhaltigen Flüssigkeiten werden danach in einem dreistufigen Ausfällungssystem gereinigt. Abschließend werden die ausgefällten Materialien in einem Eindicker konzentriert. So entsteht ein Filterkuchen, der an spezialisierte Unternehmen weitergegeben wird, um daraus Halbleiterrohstoffe zurückzugewinnen. Parallel zur Ausfällung und Entwässerung trennt First Solar auf einem Rüttelsieb Glas und Laminierfolie. Nach einer gründlichen Reinigung von Halbleiterrückständen kann das Glas dann recycelt werden. Mit diesem Verfahren gelingt es dem Unternehmen nach eigenen Angaben, 95 Prozent des Halbleitermaterials und 90 Prozent des Glases wiederzuverwerten.

Auch die EPIA selber verfolgt das Thema Recycling mit Nachdruck: So lädt der Verband gemeinsam mit dem Joint Research Center der EU-Kommission sowie der Interessengruppe „PV Cycle“ am 26. Januar 2010 nach Berlin zur „1st International Conference on PV Module Recycling“. In drei Streams widmet sich die Konferenz dem aktuellen Stand der Recyclingtechnik bei PV-Modulen, den Erfahrungen mit der Wiederverwertung aus anderen Industriebereichen sowie den Recyclinginitiativen außerhalb der Europäischen Union.

Ob die Dünnschicht signifikant zum Erreichen des Zwölf-Prozent-Ziels beitragen kann, hängt auch davon ab, ob es den Unternehmen gelingt, den rasanten Kurs der Kostensenkung beizubehalten, waren sich die Redner der EPIA-Konferenz einig. Ein Price Experience Factor (PEF) – die Preisreduktion bei Verdopplung der akkumulierten Produktion – von mehr als 20 Prozent sei nötig und möglich, meinte Bernhard Dimmler von Würth Solar. Thomas Pellkofer, Strategy Analyst bei Applied Materials, sah das genauso. Er verwies unter anderem auf die Display-Hersteller, von deren Entwicklungen die Dünnschichtbranche in hohem Maße profitiert: Hier betrug der PEF in den letzten zwölf Jahren 35 Prozent. Gerade in der Produktion von besonders großformatigen Modulen liegt laut Pellkofer ein wichtiger Ansatz zur Kostensenkung – kein Wunder, liefert Applied Materials mit seiner „SunFab“ doch eine Produktionsanlage, mit der sich garagentorgroße Module herstellen lassen. „An uns soll die Kostenreduktion nicht scheitern“, so Pellkofer.

Auch bei der Glasproduktion ist noch viel Luft, die Kosten zu senken, meinte Stephen Carney von Linde. Mit den gängigen Technologien entstehen beim Schmelzen, Härten und Beschichten von Float Glass für die Dünnschichtindustrie Kosten von 13 bis 21 Euro pro Quadratmeter. Carney hat mehrere Ansatzpunkte zur Kostenreduktion identifiziert: So lässt sich zum Beispiel ein Euro einsparen, wenn die Produktionsplanung besser an der Nachfrage ausgerichtet wird. Dies setzt jedoch ein engeres Zusammenspiel der an der Lieferkette Beteiligten voraus. Ein höherer Eisengehalt im Glas kann die Kosten um bis zu 40 Cent senken. Der gleiche Betrag lässt sich einsparen, wenn bei den Furnace-Prozessen Roll-Verfahren eingesetzt werden. Das mit zwei bis sechs Euro pro Quadratmeter größte Potenzial zur Kostenreduktion liegt jedoch darin, beim Härten und Beschichten des Glases wo immer möglich von Offline- auf Online-Prozesse umzustellen.

Wie viel Kapital für die einzelnen Rohstoffe und Materialen aufgebracht werden muss, um das Zwölf-Prozent-Ziel zu erreichen, untersuchte Gert Doucet, Marketing Manager for Photovoltaic Encapsulates beim Chemiekonzern Dupont – allerdings nicht allein für das Dünnschichtsegment, sondern bezogen auf die gesamte Photovoltaik. Doucet machte jedoch zugleich deutlich, dass in der Wahl hochwertiger Materialien ein Hebel liegt, um die Lebensdauer eines Moduls zu verlängern und damit die Erzeugungskosten für den Strom zu senken.

Am ökologischen Profil feilen

Auf eine andere Ressource richtete Mariska de Wild-Scholten vom niederländischen Energy Research Center (ERS) die Aufmerksamkeit: auf die Energie, die für die Modulproduktion verbraucht wird. Zwar sei der Bedarf in den letzten Jahren stark gesunken, so dass ein in Südeuropa installiertes Cadmiumtellurid-Modul heute bereits nach etwa zehn Monaten die Energie erzeugt hat, die für seine Herstellung aufgewendet wird. Nur wenig schlechter schneiden amorphe und mikromorphe Siliziummodule sowie CIS-/CIGS-Module ab; ihre „Energy Payback Time“ liegt zwischen 14 und 17 Monaten. Nichtsdestotrotz sollten alle Partner in der Logistikkette nach weiteren Möglichkeiten suchen, Energie zu sparen. Zum einen aus ökonomischen Gründen, zum anderen, um das ökologische Profil der Branche nicht zu gefährden.

Dazu gehöre auch, so de Wild-Scholten, das Problem der Klimakiller Stickstofftrifluorid (NF3) und Schwefelhexafluorid (SF6) in den Griff zu bekommen. Beide Gase werden genutzt, um die Prozesskammern in der Produktion von Dünnschichtmodulen zu reinigen. Laut einer Studie des Intergovernmental Panel on Climate Change gehören beide Stoffe zu den gefährlichsten Treibhausgasen; sie wirken 17.000-mal (NF3) beziehungsweise 22.000-mal (SF6) stärker als Kohlendioxid. Zwar wandte Robert Kuba, General Manager der Schott Solar Thin Film, ein, dass in seinem Unternehmen laut einer TÜV-Prüfung der Ausstoß von NF3 unter der Nachweisgrenze bleibe. Doch das Problem liege vor allem bei den Gasherstellern, machte de Wild-Scholten deutlich, denn dort entweichen 16 Prozent des produzierten Volumens in die Atmosphäre. Eine Aussage, die Kuba erstaunte: „Es kann ja wohl nicht sein, dass dort beim simplen Umfüllen von einem Behälter in einen anderen ein solcher Schwund entsteht“, wunderte sich der Thin-Film-Chef von Schott Solar. Bernhard Dimmler von Würth Solar wies darauf hin, dass sämtliche Daten zu solchen Emissionen mit Vorsicht zu genießen seien, da die Datenlage schlecht sei. „Aber es ist natürlich wichtig, dass sich unsere Branche dieser Problematik bewusst ist“, machte Dimmler deutlich.

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