Strom vom Stahldach

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Ein Blick in die nahe Zukunft zeigt Industriehallen mit dunkelrot schimmernden Dächern. Es handelt sich nicht um Ziegel, sondern um Versuchsgebäude mit Farbstoffsolarzellen.

Corus, einer der weltweit größten Stahlproduzenten, ansässig in Wales, wagt ein neues Projekt. Ende 2009 plant das Unternehmen, auf Demonstrationshallen erste Module mit Farbstoffsolarzellen zu installieren. Unterstützt wird es dabei von der walisischen Regierung und dem Material- und Know-how-Lieferanten Dyesol. Neu ist die Kombination von Farbstoffsolarzellen auf Stahl. Das metallene Dach bildet dabei ein Bestandteil der Farbstoffsolarzellen.

Ende der 80er Jahre hat Michael Grätzel, Professor an der schweizerischen Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), das Grundprinzip der Farbstoffsolarzellen entwickelt. Wie der Name schon verrät, absorbiert ein Farbstoff das Licht in den Farbstoffsolarzellen, ähnlich wie bei der Photosynthese, die in Pflanzenzellen abläuft. Dort erzeugt das grüne Chlorophyll durch aufgenommenes Licht elektrische Ladungen, die über eine lange Transportkette in chemische Energie umgewandelt werden. In der Farbstoffsolarzelle übernehmen metallorganische Komplexverbindungen des Metalls Ruthenium die Absorption des Lichtes.

Beschichteter Stahl

Eine Farbstoffsolarzelle besteht aus zwei Elektroden in Form von beschichteten Metall-, Kunststoff- oder Glasschichten, die wie ein Sandwich den Inhalt umschließen. Auf die Innenseite der Arbeitselektrode werden Nanopartikel von Titandioxidpaste im Siebdruck aufgetragen. Für die Versiegelung der Elektrodenränder verwenden die Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut ISE in Freiburg Glaslot, ein Glaspulver, das nach Erhitzen mit den Glasplatten verschmilzt.

Abschließend injizieren sie unter hohem Druck Farbstoff, der sich monomolekular in die poröse Schicht des Titandioxids setzt, dazu kommt eine jodhaltige Elektrolytflüssigkeit. Das Licht regt die Elektronen des Farbstoffs an, welche dann über den Halbleiter Titandioxid zur leitenden Schicht der Arbeitselektrode wandern. Anschließend fließen sie zu dem externen Energieverbraucher und von dort zur Gegenelektrode. Die im Farbstoff fehlenden Elektronen liefert nun der Elektrolyt nach. Die fließenden Elektronen an der Gegenelektrode füllen dann die Lücken im Elektrolyten wieder auf. Die Elektronen der Farbstoffmoleküle sind nun wieder bereit, durch Photonen angeregt zu werden.

Die Farbstoffsolarzellen im Corus-Projekt werden direkt auf die Stahloberfläche aufgebracht. Dies geschieht folgendermaßen: Im so genannten Roll-to-roll-Verfahren werden sechs Meter lange Stahlbleche mit einem Film beschichtet. Dieser besteht aus einer direkt auf dem Stahl befindlichen Isolierschicht, dann einer leitenden Elektrode, Titandioxid, Farbstoff und dem Elektrolyten in Form eines synthetischen Gels. Eine transparente, leitfähige Elektrode deckt diese ab. Sie ist mit einer polymerbasierten und durchsichtigen Folie auf der Außenseite laminiert, die langlebig sein soll. Die Materialien der Elektroden, die für dieses Projekt eingesetzt werden, sind zum Patent angemeldet und somit noch nicht öffentlich bekannt. Um die Stahlelemente, die das Dach der Industriehallen bilden, steif zu machen, profilieren die Hersteller das dünne Metall.

Versiegelung muss halten

„Bis Farbstoffsolarzellen an Fassaden und Dächern als Energielieferant arbeiten, bedarf es noch einiger Schritte“, so Diplomingenieur Claus Lang-Koetz, Teamleiter für Innovative Technologien am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. „Massenproduktionsanlagen sind vor hohe Anforderungen gestellt. Die sorgsame Herstellung im Labor muss erst noch fehlerfrei in Fertigungsmaschinen ablaufen können“, betont Andreas Hinsch, Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. Im Moment ist dies in Deutschland noch nicht der Fall. Er rechnet damit, dass in zwei bis drei Jahren die Zertifizierungsverfahren an Modulen für die Gebäudeintegration beginnen und dann die Pilotproduktion startet. Die Kontrolle der Normen aus Solar- und Baubereich ist der letzte Schritt, bevor die serienreifen Produkte in den Verkauf gehen können.

Wie lange die Zellen haltbar sind, möchte Hinsch nicht prognostizieren. Wichtig sei, wie lange die Versiegelung der Elektrodenschichten gegen Wind und Wetter bestehen kann. Beide Mitarbeiter der Fraunhofer-Institute arbeiteten für das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt Colorsol. Ziel war es, die neue Technologie zur Anwendungsreife zu bringen. Ende letzten Jahres präsentierten die Verbundpartner ihre Ergebnisse.

Sylvia Tulloch ist Managing Director innerhalb der Dyesol-Gruppe. Sie äußert sich optimistischer als die deutschen Experten. „Die Stahlmodule mit Farbstoffsolarzellen von Corus finden in ein bis zwei Jahren ihre ersten Käufer.“

Vielfältige Optik

Dyesol verkaufte dem Stahlproduzenten die firmeneigenen Exklusivrechte für die Nutzung dieser Solarzellen auf Stahl. Sylvia Tulloch gründete mit ihrem Ehemann Gavin Tulloch in der Nähe von Canberra das Unternehmen, das Rohstoffe, Produktionsmittel und Beratung zur Herstellung der sogenannten Grätzel-Zellen liefert.

Über eine Lizenz des Grätzel-Patents der Ecole Polytechnique Fédérale verfügen die Firmen Dyesol, G24 Innovations in Wales, die schweizerische Firma Solaronix und das japanische Unternehmen Aisin Seiki. Ingenieur Lang-Koetz sieht die Vorteile der Farbstoffsolarzellen vor allem in den guten Möglichkeiten der Fassadenintegration. Die Zellen können gegenüber herkömmlichem Photovoltaikmaterial farbig und transparent sein und lassen sich mit Mustern gestalten.

Im Fraunhofer-Institut druckten die Wissenschaftler eine Streuschicht Zirkondioxid in Kreisform auf das Glas innerhalb transparenter Zellen. Diese führt dazu, dass das Licht in der Zelle besser eingefangen wird. Die Zelle wird an diesen Stellen intransparent und dunkelrot. Ohne die Streuschicht wäre sie bernsteinfarben. Das Design kann der Kunde vorgeben. Es hat nur minimale Auswirkungen auf die Effizienz der Solarzelle. Oxidierte Iodid-Ionen sorgen für bräunliche Farbgebung. Allgemein bekannt ist diese Substanz auch als desinfizierende Tinktur für Wunden. Rote Farbstoffzellen entstehen durch den verwendeten Farbstoff.

Keine Konkurrenz

Für alle farbstoffbasierten Zellen gilt: Bei steigender Temperatur sinkt die Effizienz nicht, sondern steigt sogar etwas an. Auch Zellen, die im Schatten liegen, produzieren Strom. Das ist günstig, da sie an senkrechten Wänden und an temporären Schattenseiten ihren Platz finden können. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die neuartigen Grätzel-Module mittels Siebdruck kostengünstiger und einfacher als Siliziumzellen produziert werden. Die Effizienzen der Farbstoffzellen sind geringer als die der Siliziumzellen. Im Labor erreichten die Forscher solare Wirkungsgrade von bis zu elf Prozent, in Modulen nur circa fünf Prozent. Dies ist auch die Effizienz der Zellen, die der Stahlproduzent Corus für die Dächer der Industriehallen verwendet. Der Wissenschaftler Hinsch sieht wegen ihrer unterschiedlichen Eigenschaften die Farbstoffsolarzelle nicht als Konkurrenz zur Siliziumzelle.

Einen Haken gibt es allerdings doch: Es ist ungewiss, wie lange die Farbstoffsolarzellen unter Einfluss von Witterungen haltbar sind. Damit sich der Einbau in einer Fassade lohnt, sollte das Modul mindestens 20 Jahre wirksam sein. Wenn es nicht mehr genug Strom produziert, muss die Möglichkeit bestehen, es auszutauschen. „Die Technik der Austauschbarkeit von Glaselementen ist nichts Neues“, sagt Lang-Koetz. Der Systemanbieter Systaic, Partner des Projektes Colorsol, benutzt eine Click-und-Connect-Technik, mit der auch schon kristalline Indachmodule verbunden werden. Die Wissenschaftler konnten im Projekt Colorsol die relativ kurze Lebensdauer der Farbstoffsolarzellen, die drei bis sieben Jahre betrug, verlängern. Ursache für die kurze Haltbarkeit war der versiegelnde Kleber, der nach einiger Zeit die Elektrodenplatten nicht mehr luftdicht miteinander verschloss. Daraufhin zersetzte sich der Elektrolyt und trat aus den Zellen aus. Mit Hilfe von Glaslot gelang es ihnen, den Inhalt zuverlässiger zu versiegeln.

Akteure positionieren sich

Die Firma Solaronix hat für Anwendungen im Innenbereich von Gebäuden eine Stabilität von mindestens zehn Jahren gemessen. Im Outdoor-Bereich haben die Forscher seit viereinhalb Jahren Zellen beobachtet und beschleunigte Alterungsversuche durchgeführt. 6.000 Stunden volles Sonnenlicht, im Labor erzeugt, sollen ungefähr dem Außenlicht von sieben Jahren in Zentraleuropa entsprechen. Das Ergebnis ist eine Lebenserwartung von mindestens 20 Jahren. Die Firma Dyesol spricht sogar von 25 Jahre haltbaren Zellen. Mittels der Berechnung kann also die Haltbarkeit im Außenbereich extrapoliert werden. Die Praxis wird zeigen, ob sie den Bedingungen des realen Lebens standhalten.

Zu den in der Forschung aktiven japanischen Unternehmen zählen Fujikura, Toyota, Toshiba und Sharp mit der 11,3 Prozent effizienten sogenannten Sharp-Zelle. „Dies ist der Weltrekord an Farbstoffsolarzellen-Wirkungsgrad“, erklärt Hinsch. Die Firmen Sony, Fujikura und Aisin Seiki richteten sich für eine Testproduktion ein. Die Anwendungen der Zellen reichten von elektronischen Gütern (Sony) bis zu Fassadenelementen, sagt Toby Meyer, Geschäftsführer der schweizerischen Firma Solaronix. Der Hersteller beliefert weltweit Firmen mit den für die Zellen notwendigen Rohstoffen und befindet sich somit in Konkurrenz mit Dyesol.

Haltbar und wetterfest

„Produkte, die keine Standardmodultests wie in der Baubranche durchlaufen müssen, werden den Markt schneller erreichen“, schätzt Hinsch. In der Baubranche müssen sich Hersteller, bevor ein Produkt in die kommerzielle Serienfertigung geht, auf bestimmte Standards einigen. Die Zeitspanne ist hier besonders groß, da die Module Ansprüchen an Haltbarkeit und Wetterbeständigkeit genügen müssen. Kürzlich stellte Sony den noch nicht serienreifen Prototyp einer Lampe vor. Sie besteht aus vier Farbstoffsolarzellen und generiert mit diesen ihre eigene Energie. Diese würfelförmige Lampe ähnelt einer Laterne mit Blumendekor, die sanftes Licht spendet. Das britische Unternehmen G24 Innovations plant, mit mobilen Handy-Aufladegeräten in die Produktion zu gehen. Menschen aus Regionen ohne Stromzufuhr sollen von diesen durch Farbstoffsolarzellen betriebenen Chargern profitieren. Ursprünglich hatte G24I für das Frühjahr 2007 die ersten kommerziellen Produkte angekündigt. Seitdem sind keine weiteren Informationen an die Öffentlichkeit gedrungen.

Folien am Start

Bürogebäude mit farbig-transparenten Glasfassaden, die den Strom für die Klimaanlage produzieren? In Italien liefen schon Tests von Pilotanlagen für Glasfassadenelemente. Laut Dyesol sollen in zwei Jahren erste Produkte verkäuflich sein. Die Universität Roma Tor Vergata will zusammen mit den Unternehmen ERG Renew und der großen Fassadenfirma Permasteelisa in die erste industrielle Fertigung einsteigen. Auch die Türkei meldet Interesse an farbigen Glasfassaden. Das Unternehmen Nesli hat mit der finanziellen Unterstützung der türkischen Entwicklungsbank TKB die Firma Dyesol mit einer Projektstudie für eine Massenfertigungsanlage beauftragt. „Integriert auf Folien tritt die Farbstoffsolarzelle in Konkurrenz zu den organischen polymerbasierten Solarzellen“, dies ist die Einschätzung von Andreas Hinsch. Als filmartiges Material mit flüssigem Inhalt kann sie auf die unterschiedlichsten Oberflächen appliziert werden und beispielsweise Akkus von Handys und anderen mobilen Geräten mit Strom versorgen.

Aber Konkurrenz muss nicht sein. In Fassadenelementen kommen die Vorteile der Farbstoffzellen besser zur Geltung, „denn dort zeigen sie einen höheren Wirkungsgrad als auf Folien“, erklärt Hinsch. Es bleibt abzuwarten, ob die beschichteten Stahldächer in Wales ihre Funktion erfüllen. Wind und Regen werden Materialien und Versiegelung auf die Probe stellen. Und nur in natura wird sich wirklich zeigen, wie zukunftstauglich die Innovation ist.

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