Mit Tarnkappe ins Netz

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Rote, blaue und weiße Elektrobauteile thronen auf der grünen Leiterplatte wie Lagerhallen auf dem Miniaturmodell eines Gewerbegebietes. Für Elektroingenieure keine Besonderheit. Für Hans-Peter Beck, Leiter des Instituts für elektrische Energietechnik an der Technischen Universität (TU) Clausthal, ist der Aufbau dennoch richtungsweisend. „So sieht der Wechselrichter der Zukunft aus“, sagt er. Das handliche Gerät auf dem Labortisch simuliert per Software tonnenschwere Synchronmaschinen, wie sie in konventionellen Kraftwerken eingesetzt werden. Dadurch sollen Solaranlagen nicht mehr als Fremdkörper in den Stromnetzen erscheinen.

Genau das ist zurzeit nämlich noch ein Manko der Photovoltaik. Bisher tunWechselrichter nur eines: Sie verwandeln die Gleichspannung aus den Solarzellen in Wechselspannung. Dazu zerhacken sie die Gleichspannung, unterbrechen sie im 20-Millisekunden-Takt und polen sie dabei um. Transformatoren und weitere Elektronikschaltungen bringen die Spannung in Sinuskurvenform und trimmen sie auf die erforderlichen Netzwerte. Anders als konventionelle Kraftwerke, die Generatoren zur Stromerzeugung nutzen, können Wechselrichter bisher nicht regelnd eingreifen, um Spannung, Frequenz und die Synchronität von Strom und Spannung im Stromnetz zu stabilisieren. „Die Qualität des dezentral erzeugten Stroms ist schlicht ungenügend“, sagt Beck. Deshalb verlangt auch dieMittelspannungsrichtlinie des Bundesverbandes der Elektrizitäts- und Wasserwirtschaft, die seit 1. Januar in Kraft ist und die Einspeisung in das Mittelspannungsnetz regelt, dass sie den Generatoren in den Kraftwerken ähnlicher werden (siehe photovoltaik 01/2009).

Blinder Passagier

Nach der neuen Richtlinie müssen die Wechselrichter in Zukunft Blindleistung zur Verfügung stellen. Blindleistung ist ein Phänomen, das nur bei Wechselstrom auftritt und dessen Name leicht in die Irre führt. Blindleistung verrichtet im Prinzip nämlich gar keine Arbeit. Trotzdem belastet sie das Stromnetz und die Stromerzeuger. Um das zu verstehen, hilft nur ein Blick in die Grundlagen der Elektrizitätslehre. Wirkleistung – das ist der Teil der Leistung, der nutzbare Arbeit verrichtet – ist das Produkt aus Strom und Spannung. Zur Blindleistung kommt es, wenn der Strom hinterherhinkt, in der Fachsprache ist er dann phasenverschoben (siehe Grafik Seite 60).Dazu, dass Strom und Spannung nicht im Gleichtakt schwingen, kommt es zum Beispiel, wenn ein Staubsauger angeschlossen wird. Jedes Mal wenn die Wechselspannung sich umpolt, muss sich auch das Magnetfeld umpolen, das die Spulen des Elektromotors umgibt. Physikalische Gesetze verlangen dabei, dass der Strom durch die Spulen und die im Magnetfeld gespeicherte Energie im Gleichtakt steigen und fallen. Bei der Umpolung wird zunächst die im Magnetfeld gespeicherte Energie frei und fließt zurück zum Stromgenerator. Da der Energieab- und -aufbau Zeit benötigt, hinkt auch der Strom der Spannung hinterher. Da im nächsten Moment der Stromgenerator Energie in den Magneten pumpen muss, damit sich das Feld in entgegengesetzter Richtung aufbaut, fließt im Prinzip über die Zeit gemittelt genauso viel Blindleistung vom Stromerzeuger zu dem Staubsauger wie zurück. Doch da Ströme fließen, kommt es in der Praxis beim Hin- und Herpumpen der Blindleistung zu den in den Leitungen üblichen Verlusten. Das ist der Grund, warum Blindleistung nicht nur mit Strömen das Netz belastet, sondern auch Energie kostet.

Mehr Aufwand bei Wechselrichtern

Die Leistung, die ein Wechselrichter der neuen Generation einspeist, soll einen Blindleistungsanteil von bis zu fünf Prozent enthalten können. Das geht nur auf Kosten der Wirkleistung: „Um auf die gewohnte Wirkleistung zu kommen, müssen die Leistungsteile größer dimensioniert oder zusätzliche Wechselrichter eingesetzt werden“, sagt Bernd Engel vom Wechselrichterhersteller SMA in Kassel. Für eine 660-Kilowatt-Anlage beispielsweise müssten dann statt 60 Wechselrichtern mit elf Kilowatt gleich 63 Wechselrichter angeschafft werden. Das entspreche überschlägig weniger als einem Prozent der Gesamtkosten für eine Photovoltaikanlage. Doch auch der Wirkungsgrad der Wechselrichter leidet. „Er sinkt um etwa 0,3 Prozent, weil Blindströme, wie alle Ströme, Reibungsverluste wegen der ohmschen Widerstände in den Leistungen erleiden“, erklärt Engel.Nicht nur fehlende Blindleistung kann dieStabilität der Stromnetze ins Wanken bringen, auch ein Überangebot von Wirkleistung kann gefährlich werden und die Netzfrequenz dramatisch in die Höhe treiben. „Das Paradebeispiel dafür ist der Blackout am 4. November 2006, von dem viele Teile Europas betroffen waren“, berichtet Engel. Damals erschwerte ein Leistungsüberangebot aus Windkraftwerken die Frequenzregulierung im Netz. Nach der neuen Richtlinie müssen die Wechselrichter deshalb die eingespeiste Leistung drosseln können.

Lernen von den Konventionellen

Dass Frequenz und Leistung im Stromnetz direkt voneinander abhängen, liegt am Wechselspiel von Turbinen und Generatoren der konventionellen Kraftwerke. Man kennt es vom Fahrraddynamo. Der Generator bremst die Turbine aus. Und das umso stärker, je mehr Strom durch ihn fließt, also je mehr Leistung durch Verbraucher am Netz abgezogen wird. Um die Frequenz im Lot zu halten, muss die Turbine dann mehr Dampf machen. Nur wenn mechanische Leistungszufuhr und elektrischer Leistungsbedarf im Gleichgewicht sind, ist die Frequenz konstant. Allerdings rotieren in den großen Synchronmaschinen tonnenschwere Turbinen, die durch ihre Trägheit kleinere Leistungsschwankungen puffern.Doch das, was die konventionelle Technik für Wechselrichterhersteller interessant macht, ist vor allem, wie einfach Synchrongeneratoren geregelt werden können: Über den Dampfdruck, der das Drehmoment steuert, lässt sich die Wirkleistung des Generators sehr einfach regeln. Gleichzeitig kann die Blindleistung gesteuert werden: Auf dem drehenden Teil des Generators sitzt eine sogenannte Erregerspule. Der Strom durch die Erregerspule bestimmt, wie viel Blindleistung der Generator dem Netz zur Verfügung stellt. Ähnlich einfach soll es in Zukunft bei den Wechselrichtern funktionieren. „Wir haben die Kraftwerkseigenschaften mit mathematischen Modellen in elektronische Schaltungen, Steuer- und Regelprozesse übersetzt“, erklärt Beck seinen Kniff. Die virtuelle Maschine misst dazu Strom und Spannung im Netz. Via Computerprogramm und Transistoren steuert ein Mikrocontroller den Ausgangsstrom, als wäre der Wechselrichter eine reale Synchronmaschine, der über eine Art virtuelles Drehmoment und eine Art virtuellen Erregerstrom geregelt wird. Beck nennt diesen Wechselrichter-Prototypen deshalb „virtuelle Synchronmaschine“. Damit kann er Solaranlagen eine Tarnkappe aufsetzen. Da der virtuelle Synchrongenerator nicht auf die Trägheit schwerer Turbinenteile zurückgreifen kann, muss er Leistung anderweitig puffern können, je nach Aufgabe mit unterschiedlich hoher Kapazität. Um zum Beispiel fünf Prozent Blindleistung bei einem 80-Kilowatt-Wechselrichter zur Verfügung zu stellen, muss er vier Kilowatt über eine Periode von zehn Millisekunden, also rund 40 Joule speichern können. Das lässt sich mit Kondensatoren leicht bewerkstelligen. Wenn Schwankungen über eine Sekunde ausgeglichen werden sollen, benötigt man aber bereits eine Kapazität von 80 Kilojoule. Das Kondensatorpaket wiegt dann schon über 30 Kilogramm. Das ist allerdings eine Aufgabe, die über das hinausgeht, was die Mittelspannungsrichtlinie fordert und nach Becks Aussagen vor allem für Länder mit schwachen Stromnetzen nötig ist. Die Fachleute geben der Einheit für die Blindleistung übrigens einen anderen Namen, den man auch in Spezifikationen der entsprechenden Geräte findet: Statt Kilowatt steht dort Kilovoltampere reaktiv, kurz kVAr.

Fehlerresistenz gefragt

Die neue Richtlinie enthält noch eine ganz andere Forderung. Wechselrichter sollen künftig auch bei Netzstörungen am Netz bleiben. „Fault ride through“, den Fehler durchfahren, nennen die Experten diese Fähigkeit. Eine Revolution auf der Leiterplatte, denn bisher sollten sich die Wechselrichter im Fehlerfall vom Netz trennen. „Inzwischen weiß man aber, dass sich der Fehler noch verschlimmern kann, wenn viele Anlagen auf einen Schlag ausfallen“, erklärt SMA-Ingenieur Engel den Hintergrund für die geänderte Auflage. „Die Anlagen sollen deshalb auch dann weiter einspeisen, wenn dort beispielsweise nur 100 Volt statt 230 Volt herrschen.“ Dafür brauchen die Wechselrichter neue Sensoren und eine geeignete Steuerung. Diese zu entwickeln, ist dabei die größte Herausforderung. „Was die dynamische Netzstützung betrifft, sitzen die meisten Hersteller noch am Reißbrett“, sagt Stefan Erling vom Zentralverband Elektrotechnik und Elektroindustrie in Frankfurt am Main.Der Clausthaler Ingenieur Beck ist überzeugt, mit seiner virtuellen Synchronmaschine in jedem Fall auf der sicheren Seite zu sein. Denn sie erfüllt die Anforderungen der Mittelspannungsrichtlinie schon heute und kann zudem, im Gegensatzzu herkömmlichen Wechselrichtern, externe Speichersysteme ansteuern. So vermag sie nicht nur auf Unter- und Überfrequenzen zu reagieren, sondern auch größere Spannungsschwankungen auszugleichen. Sie hat noch einen Vorteil gegenüber anderen Regelverfahren in Wechselrichtern. Wenn viele dezentrale Anlagen an einem Stromnetz angeschlossen sind, besteht die Gefahr, dass sich Schwankungen aufschaukeln, da jede Anlage alleine regelt und in der Summe dann zu viel des Guten getan wird. Das kann man unterbinden, indem die Wechselrichter miteinander kommunizieren. Doch einfacher ist der Ansatz von Beck. Die virtuelle Synchronmaschine hat wie ihr großer Bruder in den konventionellen Kraftwerken eine Dämpfung an Bord, die ein Aufschaukeln verhindert, nur eben in Form von Speicher und Steuerung satt in Form rotierender Massen. Um Unregelmäßigkeiten zu erkennen, brauchen seine Geräte auch keine Funkverbindungen. „Die virtuelle Synchronmaschine läuft mit dreiphasigem Drehstrom und kann Instabilitäten direkt erkennen“, erklärt der Ingenieur das Prinzip. Der Wirkungsgrad der virtuellen Synchronmaschine liegt Peter Beck zufolge zwischen 95 und 98 Prozent, je nach Auslegung und der geforderten Spannungsqualität. Da sie sich allein durch die Art der Schaltung von herkömmlichen Wechselrichtern unterscheidet, soll sie auch nicht mehr kosten. Wie gut diese virtuelle Synchronmaschine in der Praxis wirklich funktioniert, soll jetzt ein Feldversuch im öffentlichen Netz zeigen.

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