Experiment am Strand

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Mit über 1.900 Sonnenstunden im Jahr ist die Ostseeinsel Usedom die sonnenverwöhnteste Region Deutschlands. Urlauber aus allen Teilen der Republik lieben ihre weißen Strände und Kiefernwälder. Ein Leipziger Bauingenieur hat sich jetzt für umweltbewusste Erholungssuchende etwas Besonderes ausgedacht. „Urlaub im Passivhaus“ lautet das Motto des Feriendomizils von Andreas Naumann. Was im niederösterreichischen Waldviertel schon bekannt ist, wird in Neuendorf auf Usedom gerade eine ganz neue Ferienerfahrung. Drei Wohnungen mit Blick aufs Achterwasser bietet Naumann interessierten Ostseeurlaubern an, Versorgung mit Solarwärme und Sonnenstrom inklu sive. „Durch die Sanierung auf Passivhausstandard erreichen wir angenehme Temperaturen über das ganze Jahr ohne den Einsatz konventioneller Heizungstechnik oder Klimaanlage“, sagt der Entwickler passivhaustauglicher Holzbausysteme. „Die Energie, die die Bewohner brauchen, stellen wir vor Ort her.“

Von der Werkstatt zum Passivhaus

Vor drei Jahren hat der Leipziger das Gebäude der alten Stellmacherei in Neuendorf auf Usedom erworben. Wo früher Räder und landwirtschaftliche Werkzeuge aus Holz hergestellt wurden, bewundern heute Feriengäste die Möglichkeiten der Sonnenenergie und einer energieeffizi enten Bauweise. Seit zweieinhalb Jahren lotet Naumann mit einem Team aus Handwerkern und Studenten an seinem Forschungsobjekt die energetischen und finanziellen Optimierungsmöglichkeiten aus.

Das kubische Gebäude mit Satteldach wurde im 19. Jahrhundert in Ziegelmauerwerk errichtet. Naumann fand einen großen Raum, einen Dachboden im Rohzustand und einen niedrigeren Anbau vor. Innerhalb dieses Volumens kreierte der Planer drei separat erschlossene Ferienwohnungen, zwei im Erdgeschoss und eine unter dem Dach mit angeschlossener Dachterrasse. Angelehnt an das von ihm konzipierte Holzbausystem entwickelte er für die Sanierung der Fassade eine 35 Zen timeter starke Holzschalenkonstruktion mit mineralischer Dämmung. Die Fassade hängte er entkoppelt vor das bestehende Mauerwerk. Und in diese Ebene setzten die von ihm geschulten Fensterbauer auch die eigens entwickelten Holzkastenfenster ein. „Unsere Kastenfenster werden in Leipzig hergestellt und sind richtig teuer, aber dafür auch sehr gut“, sagt der Ingenieur und gelernte Zimmermann.

Die Südostfassade bildete Naumann komplett als Solarwand aus. Die thermische Fassade und ein kleinerer nach Südwesten ausgerichteter Kollektor füllen den 750-Liter-Pufferspeicher mit Warmwasser, das die Bewohner für ihren Hausgebrauch und den Betrieb der Heizkörper in den Badezimmern nutzen.

Ausgeklügelte Dachkonstruktion

Neuland betrat Naumann mit der Nutzung von Solarstrom. Studenten installierten eine Photovoltaikanlage mit einer Spitzenleistung von 3,7 Kilowatt auf der südwestlichen Dachfläche. Sie verbauten 70 Quadratmeter Dünnschichtfolien von Uni-Solar, die auf Blechen montiert angeliefert wurden, als Dachhaut einer Kaltdachkonstruktion. Denn Naumann hatte der Anlage noch eine weitere Funktion zugedacht. „Wir wollten uns die aufwändige Verlegung von Erdsonden für die Vortemperierung der Frischluft sparen“, erläutert der Konstrukteur. Also suchte er nach einer anderen Lösung für die Luftvorwärmung. Und wurde unterhalb der photovoltaischen Dachhaut fündig. Die warme Luft, die unter den mit Photovoltaikfolien belegten Metallbahnen entsteht, heizt nun die Frischluft für das Gebäude vor. Die Wärme wird mithilfe kleiner Computergebläse in das Lüftungssystem gebracht. Der Tüftler sucht aber noch eine leisere Lösung.

Die PV-Anlage produziert neben Strom so viel Wärme, dass auch bei diffusem Licht die Luft mit fünf bis zehn Grad Celsius ins Gebäude hineinkommt. „Selbst bei klirrender Kälte und klarem Himmel erreicht sie noch fünf Grad“, erklärt Naumann. „Das ist eine gute Alternative zu den Erdsonden, für die bei vielen Sanierungsprojekten gar kein Platz ist.“ Im Sommer temperiert die Lüftungsanlage mit der kühlen Abend- und Nachtluft die Wohnungen. Rund 30 Kubikmeter Frischluft strömen pro Stunde in die Wohnräume. Und zwar so langsam, dass die Bewohner keinen Luftzug spüren. Die verbrauchte Luft wird in Küche und Bad abgesaugt und aus dem Gebäude geblasen. Die Lüfter laufen mit Gleichstrom, den sie direkt von der PV-Anlage bekommen. Den Rest der rund 4.000 Kilowattstunden, die jährlich auf dem Dach produziert werden, speist Naumann ins örtliche Stromnetz ein. Das entspricht etwa der Menge, die von den Urlaubern verbraucht wird. „Die Dünnschichtfolien haben einen niedrigen Quadratmeterpreis und einen hohen Ertrag pro Kilowattpeak“, erklärt Naumann seine Entscheidung für diese Technologie.

Freilandlabor kommt gut an

Architekten und Studenten aus allen Teilen Deutschlands sind am Know-how des Leipziger Bauingenieurs interessiert. Naumann betreut zahlreiche Diplomanden und nutzt die Baustelle für regelmäßig stattfindende Architektenworkshops. So lange, bis schließlich auch die Außenwände verputzt sind. „Wir haben noch einiges vor. Kleine Windräder sollen bald zusätzlich Strom produzieren“, sagt der Visionär.

Die Resonanz auf sein Projekt ist auf der Insel sehr positiv. „Es gibt sogar Interessenten, die das Haus ganzjährig bewohnen möchten.“

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