Leopoldina will CCS

CO2, Energiewende

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Die alt-ehrwürdige, 1652 gegründete Gelehrtengesellschaft „Leopoldina“, 2008 zur Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands ernannt, engagiert sich für CCS. In der Rubrik „Nationale Empfehlungen“ hat sie kürzlich den Beitrag „Kohlenstoffmanagement integriert denken: Anforderungen an eine Gesamtstrategie aus CCS, CCU und CDR“ veröffentlicht.

Wie schon dem Titel zu entnehmen ist, will sie keine Debatte, ob CCS sinnvoll ist oder nicht, sondern gründet – ebenso wie die Bundesregierung – ihre Ausführungen auf das Axiom „Keine Klimaneutralität ohne CCS“. Doch kommt sie nicht umhin, dem Widerspruch hierzu sogleich Raum geben zu müssen: „Im Vergleich zur Vermeidung der Treibhausgas-Entstehung kann Kohlenstoffmanagement nur einen kleinen Beitrag zum Klimaschutz leisten.“

Man fragt sich nun, warum sich die Gelehrtengesellschaft im Weiteren nicht mit den Möglichkeiten beschäftigt, die einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. So wäre es doch etwa interessant, einmal im Detail zu vergleichen, wodurch man mehr Klimaschutz fürs Geld erhält: durch raschen und vollständigen Wechsel auf erneuerbare Energien oder durch Fortsetzung der Kohlenstoffverbrennung mit nachgeschalteter Abscheidung, Verfrachtung und Verpressung eines Teils des CO2.

Die Leopoldina stellt aber einen anderen Vergleich an: den zwischen den Risiken, mit denen CCS verbunden ist und jenen, die bei Nichtanwendung des CCS eingegangen werden.

CO2-Endlagerundichtigkeit ist kein Risiko, sondern Gewissheit

Bei der Darstellung der CCS-Risiken geht es sehr schmallippig zu. Lediglich alte Bohrlöcher werden als potentielle Leckagepunkte genannt. Dass durch die Gas- und Ölförderung der gesamte Gesteinskörper des viele Quadratkilometer umfassenden Feldes in Bewegung gekommen ist, dass es Niveausenkungen und Erdbeben gab, wobei Risse und Brüche entstanden, durch die CO2 entweichen kann, dass durch das Einpressen des CO2 das Gestein – Hand in Hand mit neuerlichen Erdbeben – wieder angehoben wird und dabei noch mehr Wegsamkeiten erhält, so dass Undichtigkeit der Lagerstätte kein „Risiko“, sondern gewiss ist (was Geologen ohne weiteres bestätigen) – das führt die Leopoldina nicht aus.

Untersuchung zu Sleipner und Snøhvit wird ignoriert

Stattdessen teilt sie mit: „Erfahrungen mit der CO2-Speicherung liegen beispielsweise aus dem Sleipner-CCS-Projekt vor, das seit 1996 vor der Küste Norwegens CO2 geologisch speichert. Die bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, dass die Technologien zuverlässig betrieben werden können“. Allerdings ignoriert die Leopoldina hierbei geflissentlich die profunde Untersuchung „Norway’s CCS: Industry models or cautionary tales?“, die Grant Hauber im Auftrag des Institute for Energy Economics and Financial Analysis im Juni 2023 mit dem Ergebnis vorlegte, dass Sleipner und Snøhvit nicht als Modellprojekte, sondern als vor CCS warnende Beispiele zu betrachten sind. Dass die Leopoldina diese Untersuchung übergeht, entspricht nicht einer sauberen wissenschaftlichen Arbeitsweise.

Klimaschutz durch Vermehrung des CO2-Gehaltes der Luft?

Und die Leopoldina übergeht noch mehr: Bei 21 der weltweit 30 Unternehmungen, die mit dem Begriff „CCS“ gemeint werden, handelt es sich (laut Evaluierungsbericht der Bundesregierung) um EGR (Enhanced Gas Recovery, verstärkte Gasförderung) oder EOR (verstärkte Ölförderung). Hierbei wird das CO2 in das Förderfeld gepresst, nicht um dort dauerhaft zu verbleiben, sondern um das Öl oder Gas zwecks Intensivierung der Förderung nach oben zu treiben. Die Hälfte des CO2 gelangt hierbei sogleich wieder mit in die Atmosphäre, der Rest bleibt einstweilen unten. Der Energieexperte Jeffrey Michel rechnete aus, dass die Verpressung von 1 Tonne CO2 eine Förderungsvermehrung von 3,6 Barrel Öl bewirkt. Durch deren Verbrennung werden 1,8 Tonnen CO2 freigesetzt. Durch die Nachbehandlung per EOR wurde der Atmosphäre also eine Tonne CO2 mehr zugeführt, als wenn das fossile Kraftwerk sein CO2 direkt in die Luft gelassen hätte.

Der Gas- oder Ölförderer zahlt dem Kraftwerksbetreiber für das CO2 einen Preis, mit dem das Verfahren finanziert wird. Die – freilich nur behauptete – CO2-Wegspeicherung wird also durch ein Mehr an CO2-Emission ökonomisch ermöglicht.  EGR/EOR fällt übrigens unter den Begriff „Carbon Capture and Use“ (CCU – CO2-Abscheidung und Nutzung) und stellt finanziell den Löwenanteil des CCU weltweit dar.

Warum kommt der Leopoldina nicht die Frage, wie es um den Geisteszustand einer Gesellschaft bestellt ist, die den CO2-Gehalt der Atmosphäre durch Maßnahmen vermindern möchte, die ihn in Wirklichkeit erhöhen?

Leopoldina: die Bevölkerung ist schuld, dass CCS eingesetzt werden muss

Worin bestehen nun nach Meinung der Leopoldina die Risiken, denen man sich durch Nichtanwendung des CCS aussetzt? Antwort: Ohne CCS wären „noch viel umfassendere individuelle Verhaltensänderungen … notwendig“. Weiter heißt es: „Dies gilt zum Beispiel für die Erfordernis eines deutlich stärkeren Rückgangs des Fleischkonsums (zur Verringerung von Methanemissionen) sowie stärkere Einschränkungen bei der Schaffung von Wohnraum und Mobilität. Ob all diese Veränderungen, die in vergleichsweise kurzer Zeit erfolgen müssten, gesellschaftlich getragen würden, ist zumindest sehr fraglich.“

Die breite Bevölkerung also wird als Schuldige identifiziert. Man vermutet, dass sie nicht bereit sein wird, für den Klimaschutz den Gürtel genügend enger zu schnallen. Leopoldina erklärt sie als verantwortlich dafür, dass die unliebsame CCS-Technik eingesetzt werden muss.

Geschäftsinteressen der Fossil-Konzerne für Leopoldina kein beachtenswerter Faktor

Auf die Struktur dieser Beweisführung möchte ich jetzt nicht weiter eingehen. Aber gibt es da nicht auch noch andere? Sie essen vermutlich auch gern ein Rindersteak, haben große Wohnungen und fliegen viel, aber das ist alles völlig unbedeutend im Verhältnis zu dem, was sie hauptsächlich machen: fossile Kraftwerke betreiben, die zuständig sind für den größten Anteil der CO2-Emissionen!

Die Fossil-Konzerne sind schließlich die Kernursache des ganzen Klimaproblems. Bereits in den 1960er Jahren wussten sie, was sie mit der Kohlenstoffverbrennung anrichten. Als dann der Klimawandel öffentlich wahrgenommen wurde, leugneten sie ihn, um die Weiterführung ihrer Geschäftstätigkeit zu rechtfertigen. Als die Klimaleugnung angesichts immer drastischerer Fakten nicht mehr funktionierte, packten sie die CCS-Idee aus: Ja, die CO2-Emissionen sind schlecht, aber durch CCS kann man sie unschädlich machen und somit die Stromerzeugung in fossilen Kraftwerken klimafreundlich weiterführen.

Dass die konventionellen Konzerne ihren Markt nicht an die erneuerbaren Energien abgeben wollen und ihren immer noch machtvollen Einfluss nutzen, um die Energiewende zu bremsen, wie es nur geht – hat die Leopoldina das noch nicht bemerkt oder verschließt sie davor die Augen? Warum erwähnt sie in ihrem Papier die Geschäftsinteressen der Fossil-Konzerne mit keiner Silbe, ist das kein Faktor in diesem Kontext?

Verbindung zwischen den erneuerbaren Energien und den Menschen wird nicht gesehen

Die Erneuerbaren als Alternative erscheinen in dem Papier auch nur sehr abstrakt, als „Emissionsvermeidung“, welcher theoretisch die Priorität vor CCS zugesprochen wird. Mit den Erneuerbaren verbunden sind aber Menschen – aus Fleisch und Blut! Und zwar diejenigen, die in dem Papier als zähe, unbewegliche Masse charakterisiert werden.

Wie geringschätzend ist das Menschenbild, das hinter dieser Beurteilung steckt? Millionen aus besagter Masse bringen die Energiewende voran, versorgen sich mit emissionsfreiem Strom vom Dach, steigen mit einem Steckermodul in die erneuerbare Energiewelt ein. Und wer damit anfängt, dem öffnet sich der Horizont weiter. Wer erfahren hat, wie gut es tut, den Strom nicht vom Konzern, sondern ohne Rechnung von der Sonne zu bekommen, der probiert auch weitere Veränderungen seiner Lebensweise aus. Der erfährt auch – anders als die Leopoldina meint – dass ein klimafreundlicher Lebensstil keinen Verzicht bedeutet, sondern einen Gewinn, indem man neue, andere und sogar bessere Werte kennen und schätzen lernt.

Bitte Hermann Scheer lesen!

Mit der rein technokratischen Denkweise, in der sich die Wissenschaftler der Leopoldina bewegen, lässt sich solches freilich nicht begreifen. Es sei mal wieder dringend empfohlen, den führenden Initiator der weltweiten Energiewende, Hermann Scheer, zu lesen https://www.pv-magazine.de/2022/08/12/bitte-hermann-scheer-lesen/. In seinem letzten Buch „Der energethische Imperativ“ hat er mit dem „h“ die Energie mit der Ethik zusammengebracht. Das gab es zuvor noch nie, diese beiden Dimensionen waren einander herzlich fremd. Scheer hat in seinem Buch ausgeführt, dass sie zusammenkommen müssen, wenn der Wechsel von fossil und atomar auf Sonne, Wind und Wasser gelingen soll.

Das bestätigt sich gerade auch an der Thematik dieses Artikels: Wenn die Ethik ins Spiel kommt, ist CCS mit seinen wahrheitsfernen Behauptungen und Versprechungen augenblicklich weg vom Fenster – was im Sinn des Klimaschutzes und überhaupt einer lebenswerten Zukunft nötig ist.

— Der Autor Christfried Lenz, politisiert durch die 68er Studentenbewegung, Promotion in Musikwissenschaft, ehemals Organist, Rundfunkautor, Kraftfahrer und Personalratsvorsitzender am Stadtreinigungsamt Mannheim, Buchautor. Erfolgreich gegen CCS mit der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“, nach Zielerreichung in „Saubere Umwelt & Energie Altmark“ umbenannt und für Sanierung der Erdgas-Hinterlassenschaften, gegen neue Bohrungen und für die Energiewende aktiv (https://bi-altmark.sunject.com/). Mitglied des Gründungsvorstands der BürgerEnergieAltmark eG (http://www.buerger-energie-altmark.de/). Bis September 2022 stellvertretender Sprecher des „Rates für Bürgerenergie“ und Mitglied des Aufsichtsrates im Bündnis Bürgerenergie (BBEn). Seit 2013 100-prozentige Strom-Selbstversorgung durch Photovoltaik-Inselanlage mit 3 Kilowattpeak und Kleinwindrad. —

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