EU-Lieferkettengesetz könnte Klagewelle gegen Unternehmen auslösen

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Das deutsche Lieferkettengesetz, das seit Januar 2023 gültig ist, wurde von der Wirtschaft teils scharf kritisiert. Unternehmen beklagen unter anderem exzessive Berichtspflichten und die Haftung für mögliche Rechtsverstöße innerhalb der Wertschöpfungskette, die sie seriös kaum überprüfen oder beeinflussen können. Branchen wie die Solarindustrie, die vorwiegend mittelständisch geprägt und gleichzeitig eng in globale Lieferketten eingebunden sind, spüren den erhöhten bürokratischen Druck unmittelbar.

Dabei fühlen sich gerade diese Industrien häufig dem Prinzip der Nachhaltigkeit aus eigenem Antrieb besonders verpflichtet.  Insofern sprach der damalige Vorsitzende des Verbands der Familienunternehmer, Reinhold von Eben-Worlée, vermutlich vielen Firmenchefs aus dem Herzen, als er im Magazin „Impulse“ das Gesetz „gut gemeint, aber miserabel verfasst“ nannte.

Ergänzend zu den inhaltlichen Schwächen wurde weithin bemängelt, dass Deutschland mit dieser Regelung einen Sonderweg bestreite, der hiesige Unternehmen gegenüber Wettbewerbern selbst innerhalb der EU benachteilige.

Verabschiedung der EU-Richtlinie gilt als sicher

Vor diesem Hintergrund verfolgten viele Manager die Diskussion um das EU-Pendant, die Richtlinie „zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit“, mit gemischten Gefühlen. Der Hoffnung, dass nach dem deutschen Alleingang künftig gleiche Regeln für alle europäischen Wettbewerber gelten, stand die Sorge entgegen, die Kommission könnte die hier geltenden Vorgaben im Rahmen der Direktive nochmals verschärfen.

Im März einigten sich die Mitgliedsstaaten auf einen Entwurf, dem das Europäische Parlament diese Woche bereits zugestimmt hat. Die darin enthaltenen Überwachungspflichten sind zweifellos umfangreicher als die Vorgaben des bestehenden deutschen Lieferkettengesetzes. Dabei bleibt hierzulande die Frage besonders spannend, wie die Bundesregierung die EU-Richtlinie konkret in nationales Recht überführen und ob sie über diese sogar noch hinausgehen wird.

Rechtsanspruch auf individuelle Klagen birgt Sprengkraft

Dementsprechend konzentriert sich die Diskussion in der Wirtschaft aktuell auf die Frage, ob und wie Unternehmen diesen erweiterten Ansprüchen im Geschäftsalltag gerecht werden können.

Dabei geraten die Konsequenzen bei möglichen Verstößen ein wenig aus dem Blick – doch die haben es in sich: Die Richtlinie enthält nämlich einen bislang wenig beachteten Passus mit erheblicher juristischer Sprengkraft, nach dem künftig Einzelpersonen, die sich als Betroffene von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden sehen, vor Zivilgerichten auf Schadensersatz klagen können.

Diese Regelung ist deshalb so kritisch, weil betroffene Personen dann nicht nur ein individuelles Verfahren anstoßen oder sich der Sammelklage beispielsweise einer NGO oder Gewerkschaft anschließen können; es besteht auch die Möglichkeit, ein Unternehmen zu beauftragen, das sich auf die Finanzierung von Prozessen spezialisiert hat. Solche Gesellschaften, die im Erfolgsfall einen Anteil an der erstrittenen Schadensersatzsumme erhalten, treten in Deutschland immer häufiger auf. Das ist ein profitables und völlig legales Geschäftsmodell.

Klagewelle ist nur eine Frage der Zeit

Rechtsstreitigkeiten können sich lange hinziehen und erhebliche Kosten insbesondere für die Rechtsverteidigung oder Gutachten verursachen. Ein Unternehmen, das diese Kosten der Rechtsverfolgung vorfinanziert und sich möglicherweise am Risiko beteiligt, ermöglicht einerseits Geschädigten, die individuell das Kostenrisiko eines Gerichtsprozesses nicht tragen könnten, das Durchsetzen ihrer Ansprüche. Andererseits bieten die Gewinnaussichten für die beteiligten Unternehmen natürlich Anreize, möglichst viele aussichtsreiche Verfahren aktiv anzustoßen.

Im Unterschied zu den USA, wo mit Sammelklagen teils spektakuläre Strafzahlungen erstritten werden, kennt das deutsche Recht diesen sogenannten ‚strafenden Schadenersatz‘ nicht, und auch die EU-Richtlinie schließt das explizit aus. Deshalb ist hierzulande entscheidend, welcher konkrete Schaden dem Betroffenen im Einzelfall entstanden ist. Bei einer Bündelung individueller Verfahren, die auf ähnlichen Vorwürfen beruhen, können dennoch erhebliche Summen zusammenkommen.

Deshalb dürfte es nach der Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht nur eine Frage der Zeit sein, bis eine entsprechende Klagewelle über hier ansässige Unternehmen hereinbricht.

Unternehmensgröße ist mitentscheidend

Die Solarindustrie kann die Entwicklung mit einer gewissen Gelassenheit betrachten, weil ab 2027 zunächst nur Unternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitern und einem weltweiten Konzernumsatz von über 1,5 Milliarden Euro betroffen sind. Ab 2028 sinken diese Schwellen auf 3000 Mitarbeiter und 900 Millionen Euro und dann ab 2029 nochmals auf 1000 Mitarbeiter und 450 Millionen Euro.

Allerdings müssen die von der Richtlinie betroffenen Unternehmen sicherstellen, dass ihre Zulieferer ebenfalls den Vorgaben genügen; das gilt im Zweifel auch für die Finanzierer und Entwickler großer Photovoltaik-Projekte, sofern sie die genannten Schwellenwerte erreichen. Dadurch entsteht, obwohl den Zulieferern selbst keine Strafen oder Bußgelder drohen, ein faktischer wirtschaftlicher Zwang zur Compliance.

Vorbereitung in sechs Schritten

Die Mitgliedsstaaten müssen die Richtlinie nach deren Verabschiedung innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht überführen, wobei die EU-Regelungen als Mindestvorgabe gelten. Demnach sind generell sechs Schritte abzuarbeiten, die sich an den OECD-Leitlinien für die Sorgfaltspflicht bei verantwortungsvollem Geschäftsgebaren orientieren.

Diese umfassen im Einzelnen

  • die Integration der Sorgfaltspflichten in die Unternehmenspolitik und die Managementsysteme,
  • die Identifizierung und Bewertung nachteiliger Menschenrechts- und Umweltauswirkungen,
  • die Verhinderung, Beendigung oder Minimierung tatsächlicher und potenzieller nachteiliger Menschenrechts- und Umweltauswirkungen,
  • eine Bewertung der Wirksamkeit entsprechender Maßnahmen, begleitende Kommunikation und schließlich
  • die Bereitstellung von Abhilfemaßnahmen.

Vorlaufzeit effektiv nutzen

Die Vorbereitung verläuft üblicherweise in zwei Phasen. Dabei werden zunächst die eigenen Prozesse analysiert und an den neuen Pflichtenkatalog angepasst. Anschließend ist zu definieren, wie sich die Einhaltung der Vorgaben im Geschäftsalltag dokumentieren und nachweisen lässt.

In der Umsetzung werden beispielsweise Zuständigkeiten und Berichtslinien definiert, passende Ressourcen und Kompetenzen aufgebaut und robuste Prozesse installiert, mit denen sich das Handeln der eigenen Zulieferer überprüfen und dokumentieren lässt. Gut vorstellbar ist, dass Zertifizierungsunternehmen oder Branchenverbände unter Beteiligung der Unternehmen hier in naher Zukunft entsprechende Nachweise und Risikoanalysen anbieten, zumal die EU-Kommission ihre geplanten Leitlinien zur praktischen Umsetzung der Sorgfaltspflicht wohl erst zweieinhalb bis drei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie veröffentlichen wird.

Alle genannten Schritte erfordern Zeit und Ressourcen, sodass man die verbleibende Periode bis zur Umsetzung der Richtlinie effektiv nutzen sollte. Eine umfassende Beratung kann dabei helfen, das zwingend notwendige Niveau an Compliance zu definieren und herzustellen.

Philipp Kärcher, Partner und Leiter des Frankfurter Büros der internationalen Anwaltskanzlei Watson Farley & Williams, ist spezialisiert auf Haftungsfragen, Compliance und ESG-Themen— Der Autor Rechtsanwalt Philipp Kärcher ist Partner und Leiter des Frankfurter Büros der internationalen Anwaltskanzlei Watson Farley & Williams. Er berät zahlreiche Unternehmen zu Haftungsfragen, Compliance und ESG-Themen. —

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