IRENA-Chef: Alleine in 2023 wurden mehr Erneuerbare Energien zugebaut, als die Atomenergie in 70 Jahren insgesamt erreicht hat

Hans-Josef Fell

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Letzte Woche war in Abu Dhabi die diesjährige Vollversammlung der International Renewable Energy Agency (IRENA). Über 180 Nationen und damit fast alle der bei den Vereinten Nationen anerkannten Nationen nahmen als Mitglieder der IRENA teil.

Die IRENA ist eine Regierungsorganisation, die seit ihrer Gründung im Jahr 2010 das Ziel verfolgt, den globalen Ausbau Erneuerbarer Energien zu unterstützen. Bis 2010 gab es nur zwei internationale Energieregierungsorganisationen: die IAEO in Wien, die den Ausbau der Atomenergie fördert, und die IEA in Paris, deren Auftrag nach der Ölkrise von 1973 darin besteht, die Versorgungssicherheit mit fossilen Energien zu gewährleisten. Ausgehend von Eurosolar mit seinem Präsidenten Hermann Scheer gelang es, die IRENA auf den Weg zu bringen. Während meiner Zeit im Bundestag war ich intensiv am Gründungsprozess beteiligt.

Im Mittelpunkt der Vollversammlung standen die neuen Analysen der IRENA zum Ausbau Erneuerbarer Energien. Ein Bericht beleuchtete auch das globale Ziel der Verdreifachung Erneuerbarer Energien bis 2030, das auf der Klimakonferenz COP28 in Dubai beschlossen wurde.

Erfolg: Der Ausbau erneuerbarer Energien ist wesentlich stärker als in vergangenen Vorhersagen angenommen und stellt die Atomenergie vollständig in den Schatten

Nach diesem IRENA-Bericht ist der Ausbau erneuerbarer Energien wesentlich erfolgreicher und stärker als noch vor Jahren für möglich gehalten wurde. Im letzten Jahr 2023 wurden etwa 473 Gigawatt (GW) neue Kapazitäten an erneuerbaren Energien installiert. Dies betrifft hauptsächlich Photovoltaik (346 GW) und Windkraft (116 GW), aber auch Wasserkraft (7 GW), Bioenergie (4 GW), Geothermie (0,2 GW) und Meeresenergien (0,002 GW).

Der Generalsekretär der IRENA, Francesco La Camera, betonte in seinem Redebeitrag vor der IRENA-Vollversammlung, dass der Zubau an erneuerbaren Energien allein im letzten Jahr 2023 mit 473 Gigawatt deutlich höher liegt als die gesamte Atomwirtschaft in den letzten 70 Jahren aufgebaut hat. Tatsächlich liegt die aktuelle installierte elektrische Nettoleistung der Atomkraft im Jahr 2023 bei etwa 378 Gigawatt, wobei ein geringfügiger Nettozubau von 4 Gigawatt verzeichnet wurde, also etwa so viel wie allein an Bioenergiekapazitäten zugebaut wurde.

Herausforderung: Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist aktuell noch nicht stark genug

Allerdings betonte der IRENA-Bericht auch klar, dass die gegenwärtig erfreulich hohen Ausbaugeschwindigkeiten immer noch nicht ausreichen, um das Ziel der Verdreifachung bis 2030 zu erreichen. Daher wurde auf der IRENA-Vollversammlung immer wieder die Mahnung laut, die Ausbaugeschwindigkeiten weiter zu beschleunigen.

In meinem Redebeitrag bei der IRENA Coalition for Action betonte ich ebenfalls, dass selbst das Ziel der COP28, nämlich die Verdreifachung der Erneuerbaren-Energien-Kapazitäten bis 2030, viel zu niedrig angesetzt ist, um effektiven Klimaschutz zu erreichen. Das Ziel müsste die Erreichung von 100 Prozent Erneuerbaren bis 2030, spätestens 2035 sein.

Deutsche Regierung tritt offensiv für erneuerbare Energien ein

Anders als viele andere Regierungen trat die deutsche Regierung auf der IRENA-Versammlung offensiv mit Forderungen zum beschleunigten Ausbau und dafür notwendigen politischen Rahmenbedingungen auf. Dies war wohltuend stärker als in der Zeit unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Deutschland wurde durch Staatssekretär aus dem Bundeswirtschaftsministerium, Stefan Wenzel (Bündnis 90/Die Grünen), vertreten.

Hier ist sein Redebeitrag, den er mir dankenswerter Weise zur Verfügung stellte. Er hob sich deutlich von den zahlreichen allgemeinen Aussagen zu erneuerbaren Energien ab, die viele andere Regierungsvertreter boten, und machte klar, dass sie weiterhin an Atomenergie, Kohle, Erdöl und Erdgas festhalten möchten:

„Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich möchte die Dringlichkeit der Umsetzung der COP28-Energieergebnisse unterstreichen, die Deutschland sehr begrüßt. Wir brauchen Tempo und Größe, um die Effizienz zu verdoppeln und die erneuerbaren Energien zu verdreifachen, Methan zu reduzieren und unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu beenden.

Wir brauchen verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen. Was das bedeutet:

  • Der erste wichtige Punkt ist, dass jeder Verbraucher und jedes Unternehmen, das erneuerbaren Strom produziert, den Strom ins Netz einspeisen kann und eine Vergütung erhält.
  • Der zweite wichtige Punkt ist, dass der Netzbetreiber das Netz so betreibt, dass Flexibilität unterstützt wird und verschiedene Speicher gut genutzt werden. Das können Großspeicher, Pumpspeicherkraftwerke, Elektroautos oder Wärmepumpen sein.
  • Der dritte Punkt ist, dass die Strompreise für die Verbraucher kostendeckend sein müssen. Mit erneuerbaren Energien können wir niedrigere Kosten für unsere Volkswirtschaften erreichen als mit fossilen Energien und wir können ländliche Gebiete, die bisher keinen Zugang zu Strom hatten, mit netzfernen Lösungen erschließen.

In Ländern mit schwieriger wirtschaftlicher Entwicklung, hohen Zinssätzen oder hoher Inflation brauchen wir Instrumente, um Investitionsrisiken – ob real oder vermeintlich – zu mindern. Das könnten zum Beispiel Garantiezahlungen von öffentlichen Entwicklungsbanken sein. Daran arbeiten wir mit verschiedenen Instrumenten und Partnern.“

IRENA Coalition for Action

Neben der eigentlichen Aktivität der Regierungen gibt es bei der IRENA seit 2014 auch ein Beratungsgremium, welches unabhängig von Regierungsinteressen die IRENA-Aktivitäten unterstützt: Die IRENA Coalition for Action.

Von Anfang an konnte ich daran mitwirken.

Die Coalition for Action hat in ihren Arbeitsgruppen bereits vielbeachtete Vorschläge erarbeitet, die auf das Ziel der Erreichung von 100 Prozent erneuerbaren Energien, den Ausbau der Bürgerenergien sowie die Einbindung der Landwirtschaft mit Agri-Photovoltaik und nachhaltigen Biokraftstoffen abzielen.

100 Prozent erneuerbare Energien als entscheidendes Ziel

Auf der IRENA-Versammlung wurde die neueste Studie der IRENA Coalition for Action vorgestellt: Eine Übersicht über alle weltweit verfügbaren wissenschaftlichen Untersuchungen zur Deckung des globalen Energiebedarfs mit 100 Prozent erneuerbaren Energien.

Die Vorstellung dieser Übersicht durch die IRENA ist besonders bedeutsam, da immer noch einige Regierungen weltweit die Machbarkeit von 100 Prozent Erneuerbaren  anzweifeln. Die Studie wurde aufgrund meines Vorschlags von der Coalition for Action aufgegriffen und umgesetzt.

Wesentliche Inhalte dieser Veröffentlichung zu 100 Prozent erneuerbaren Energien:

Drei Szenarien für die Energiewende mit dem Ziel, bis 2050 100 Prozent erneuerbare Energie zu erreichen, wurden betrachtet:

  1. Das Lappeenranta-Lahti University of Technology (LUT) „Global 100% RE Scenario“ in Zusammenarbeit mit der Energy Watch Group (Bogdanov et al., 2021).
  2. Das 1,5°C-Szenario der University of Technology Sydney (UTS) in ihrem „Achieving the Paris Climate Goals“ Report (Teske, 2019).
  3. Das 100 Prozent Wind-Wasser-Solar (WWS) Szenario der Stanford University, das speziell 145 Länder abdeckt (Jacobson et al., 2022).

Diese Szenarien wurden ausgewählt, weil sie den Grundsätzen von 100 Prozent Erneuerbarer entsprechen, global angelegt sind und ihre Analyse bis 2050 erstrecken.

Die wichtigsten Empfehlungen lauten wie folgt:

  • Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien und Ausstieg aus fossilen und atomaren Brennstoffen.
  • Erhöhung der politischen Ziele für erneuerbare Energien, um einen Anteil von bis zu 100 Prozent aus Erneuerbaren zu erreichen. Dies erfordert die Schaffung von Rahmenbedingungen und Anreizen für ihren Einsatz und Ausbau, einschließlich der Planung und Entwicklung von Stromnetzen und lokalen Versorgungsketten.
  • Aufgrund ihrer Ausgereiftheit, rasch sinkenden Kosten und Einsatzfähigkeit bieten erneuerbare Energien eine sichere Energieversorgung, ohne dass auf neue Innovationen oder riskante und schädliche nukleare und fossile Technologien zurückgegriffen werden muss.

Angesichts der Wettbewerbsfähigkeit erneuerbarer Energietechnologien sollte die Erkundung und Förderung fossiler Brennstoffe sowie der Bau neuer Infrastrukturen und Anlagen für fossile Brennstoffe vollständig eingestellt werden. Die Fortsetzung der Förderung fossiler Brennstoffe und des Ausbaus der Infrastruktur führt zu Fehlinvestitionen sowie sozioökonomischen und ökologischen Auswirkungen und Folgekosten. Zudem besteht die Gefahr, dass die globale Erwärmung den Grenzwert von 1,5 Grad Celsius überschreitet. Ein vollständiger Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe und Subventionen für fossile Brennstoffe auf gerechte und ausgewogene Weise sollte daher eine Priorität auf der energiepolitischen Agenda darstellen.

Es bleibt zu hoffen, dass diese Analyse ihre Wirkung nicht verfehlen wird. Jedenfalls ist es erstmals gelungen, die Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien als machbar und ökonomisch vorteilhaft auf globaler Ebene den Regierungen der Welt vorzustellen.

Klimawandel hat auch die Vereinigten Arabischen Emirate erreicht

Während der IRENA-Konferenzen in Abu Dhabi wurden die schlimmen Konsequenzen der Erdaufheizung sichtbar:

Es gab es einen solch heftigen Regensturm, wie man ihn bisher im trockenen Wüstenstaat seit vielen Jahrzehnten nicht kannte. Die Ölscheichs der Emirate können wohl Öl bohren, aber die von ihnen verursachten Klimawandelschäden können sie offensichtlich nicht abfedern.

Jedenfalls ist in unserem Luxushotel, St. REGIS SAADIYAT, wo die IRENA-Vollversammlung stattfand, das Dach so undicht, dass es in den riesigen Versammlungsräumen Wassereinbrüche wie unter einer Dusche gab. Es war alles sehr beängstigend.

Danach war die Technik für den Rest der IRENA-Tagung vielfach ausgefallen:  Dolmetscher konnten nicht mehr arbeiten, die großen Bildschirme fielen aus. Ausgerechnet unsere Veranstaltung, wo wir die 100 Prozent erneuerbare Energien Studien vorstellten, musste abgebrochen werden. Tagelang war in großen Teilen Abu Dhabis das Internet und der Verkehr massiv eingeschränkt. Aber ich selbst und die Teilnehmer der Konferenz haben zum Glück alles bestens überstanden – nur tausende umgeknickte Palmen leider nicht.

— Der Autor Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group. Er war 1998-2013 MdB für Bündnis/Die Grünen und ist Mit-Autor des Entwurfs des Erneuerbare-Energien-Gesetzes von 2000. http://hans-josef-fell.de 

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