Klimaschutz-Turbo oder fossiles Schrottwichteln – Was der Vattenfall-Deal für Berlin bedeutet

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Die kürzlich angekündigte Vereinbarung zwischen dem Berliner Senat und Vattenfall sorgt für kontroverse Diskussionen in der Energiewirtschaft. Der Deal, der als wegweisender Schritt für die Energiewende, für Klimaschutz und Preisstabilität in der Hauptstadt gelten soll und schon gefeiert wird, steht auf wackeligen Beinen, wenn man genauer hinschaut und sich nicht von den gigantischen 1,6 Milliarden Euro ablenken lässt. Erworben werden sollen nicht nur das Fernwärmenetz, sondern auch zehn alte Kraftwerke und 100 Blockheizkraftwerke. Einige drängende Fragen und kritische Punkte werfen Schatten auf die Tragfähigkeit dieses Vorhabens.

Ungereimtheiten im Deal: Transparenz ist gefragt

Ein erster Blick auf die sozialen Medien zeigt, dass bislang wenige Menschen in der Branche ihre Gedanken zu dem Deal äußern. In meinem Linkedin-Beitrag habe ich einmal erste Fragen aufgeworfen, die ich hier etwas ausführlicher diskutiere. 

Allen voran steht die Frage nach den genauen CO₂-Einsparungen, die dieser Deal bringen soll. Denn immerhin werden Milliarden-Beträge ausgeben, die bei den dringenden Investitionen in saubere Wärme fehlen. Welche Zahlen liegen überhaupt zugrunde? Wer hat sie berechnet, und wurden sie von unabhängiger Seite überprüft? Oder werden hier gerade Medien, NGOs, Politik und Steuerzahler für dumm verkauft? Dazu lässt sich kaum etwas finden, obwohl der Deal finanziert werden soll aus dem „Sondervermögen“, besser gesagt den „Sonderschulden“ für Klimainvestitionen.

Auch die Assets im Portfolio von Vattenfall werfen Fragen auf. Wie lange halten die alten Kraftwerke noch, wann kommen die Generalsanierungen, wie lange hält „Reuter West“ (Anm. der Redaktion: ein Steinkohle-Heizkraftwerk in Berlin)? Teilweise sind die Kraftwerke bereits über 30 Jahre im Betrieb – zahlt nun der Steuerzahler die Generalsanierung, die eigentlich über die Gewinne der letzten Jahre hätte, refinanziert werden müssen? Diese Fragen sind für alle zehn Kraftwerke und 100 Blockheizkraftwerke zu klären. Sind die Zahlen von einem unabhängigen Gutachter validiert worden, und gibt es ein Wertgutachten? In der Kraftwerksliste der Bundesnetzagentur finden sich die Inbetriebnahmen, die teilweise weit in die 70er Jahre zurückgehen. Was, wenn Berlin zu den 1,6 Milliarden Euro noch kräftig draufzahlt, für Sanierungen? Oder gar Ersatz-Investitionen in Milliardenhöhe nötig werden, damit in Berlin die Heizungen nicht abgedreht werden?

Die letzten Jahre haben uns gezeigt, dass wir eine Fossilpreiskrise hatten. So schnell wie möglich kalkulierbare saubere Energien ins Netz zu bekommen, wäre die sicherste Strategie für Preisstabilität. Jetzt noch einen Deal zu feiern, der wirklich alle Preisrisiken unter dem Dach der Steuerzahler akkumuliert, hat wenig mit wirtschaftlichem Sachverstand zu tun.

Konzernlogiken bei Betreibern großer Infrastrukturen

Ein weiterer Fokus liegt auf der Instandhaltung und strategischen Entscheidungen von Vattenfall. Als ehemaliger Bahn-Manager kenne ich die Logik der Infrastruktur-Geschäftsmodelle noch zu gut: Instandhaltungen werden häufig aufgespart, weil ja irgendwann eine neue Infrastruktur kommen soll, aber noch nicht entschieden ist. Die Logik des Fixkosten-Geschäfts heißt auch, die Erlöse von den Nutzern einnehmen und bei der Instandhaltung sparen. Was also steckt im Netz an Assets? Und an möglicherweise aufgesparter Instandhaltung? Und wo wir schon bei der Bilanz sind: Welche Pensionsverpflichtungen könnten als „langer Rattenschwanz“ in der Bilanz versteckt sein, die jetzt auf den Steuerzahler zurollen könnten?

Und sowieso – wann verkauft eigentlich ein Konzern seine Assets? Entweder, wenn er mit dem Rücken an der Wand steht und „Cashcows“ veräußert oder wenn die strategischen Risiken so groß sind, dass man aus dem Geschäft lieber heute als morgen aussteigt. Think about it. 

Also ganz im Ernst: War Berlin beim Schrottwichteln ganz vorne mit dabei oder kauft die Stadt sich eine exzellente Wärmeinfrastruktur für einen Schnäppchen-Preis ein?

Diskussion über Management und Innovation: Alte Strukturen versus neue Wege

Die Diskussion über das Management ist ein weiterer wichtiger Punkt. Wie die Berliner Morgenpost bereits darstellt, werden nun fähige Manager gesucht, aus den alten Fossil-Konzernen wie Vattenfall, Gasag und Eon. Aber sind das die, die auf der vorderen Stuhlkante sitzen und danach brennen, aus dreckiger Wärme saubere Wärme zu machen und die Innovationen anzustoßen, die Berlin bis 2035, vielleicht sogar schon eher mit sauberer Wärme versorgen? Diese Innovationen entwerten doch gerade „fossiles“ karriererelevantes Technologiewissen, hier wären eher Start-up-Manager gefragt, die bereits erfolgreich neue Technologien skaliert haben.

Perspektiven für die Zukunft: Saubere Wärme und technische Dekarbonisierung

Die Fraunhofer-IEE-Studie von 2021, veröffentlicht auf buerger-begehren-klimaschutz.de, beleuchtet die technischen Möglichkeiten zur Dekarbonisierung zwischen 2030 und 2035. Abwärme aus Industrieprozessen und Rechenzentren (23,6 Prozent), Wärme aus Flusswasser (12,9 Prozent), Solarthermie (16,5 Prozent) sowie tiefe und oberflächennahe Geothermie (17,9 und 12,8 Prozent) werden als größte und machbare Potenziale identifiziert. Vier Milliarden Euro werden veranschlagt, die jetzt dringender denn je nötig wären. Von einem Rückkauf des Wärmenetzes, der 10 Kraftwerke und 100 Blockheizkraftwerke steht da nichts drin. Auch die Studie für eine Wärmestrategie im Auftrag des Landes Berlins diskutiert die Notwendigkeit eines Rückkaufes nicht.

Tatsächlich regelt das Berliner Energiewende-Gesetz in den Paragrafen 22 fortführend bereits den Vorrang für klimaneutrale Wärme. Die Andienung ist damit geregelt. Es braucht kein eigenes Netz. 

Brilliante Investition oder fossiles Schrottwichteln?

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass kaum jemand den Vattenfall-Deal kritisch hinterfragt – weder in den Medien noch bei den Klimaverbänden, als ob das Aufkaufen von „fossilem Schrott in Spe“ die natürlichste Voraussetzung sei, bevor man wirklich in saubere Wärme investiert. Es möge sich aber bitte auch niemand beschweren, wenn all die Risiken eintreffen und Berlin sich seine fossilfreie Zukunft weg investiert hat. 

Kaum sind die ersten Jubelmeldungen herum, folgen die Ankündigungen des Finanzsenators, insgesamt 1,8 Milliarden Euro im nächsten Haushaltsjahr einzusparen, sechs Prozent für jeden Etat. Wo da noch Geld für Investitionen in saubere Wärme herkommen sollen, bleibt eine mehr als intellektuelle Frage. Und müsste der Finanzsenator in seiner Logik nicht alle noch absehbaren Gewinne zur Finanzierung des Kreditdeals einsetzen – und eben nicht zur Investition in saubere Wärme? 

Berlin will perspektivisch auch noch das Gasnetz erwerben, eine Infrastruktur, die in einer dekarbonisierten Welt weitestgehend überflüssig wird. Gas wird zunehmend verschwinden, die Infrastrukturkosten bleiben, die Unwirtschaftlichkeit ist vorgezeichnet, die „stranded assets“ gewiss. Wer glaubt, dass deutlich teurerer Wasserstoff in den Gasnetzen preisstabilisierend wirkt, hat ebenfalls die Hausaufgaben nicht gemacht.  Man fragt sich, ob die budgetschweren PR-Kampagnen von Vattenfall „In einer Generation fossilfrei leben“ oder Gasag „So sicher wie … ihre Wirkung im politischen Berlin voll erreichten, auf Kosten von Klima, Steuerzahlern und Co.

Und ergänzend: Berlin hatte einen Volksentscheid Berlin 2030 klimaneutral, der eine Mehrheit bekam, aber wegen senatsseitig sabotiertem Termin nicht das nötige Quorum erreichen konnte. Die Dringlichkeit zur schnellen Dekarbonisierung war und ist da. Heute, fast ein Jahr später nach dem Regierungswechsel fehlt noch wie vor die Ernsthaftigkeit und Schnelligkeit der Dekarbonisierung, obwohl genügend Studien vorliegen zu den wichtigsten Hebeln. Wenn also Klimaaktivisten auf die Straße gehen und manche sich auch dort ankleben, dann hat das nicht nur mit ihrer Sorge zu tun, sondern auch mit der fehlenden energischen Ernsthaftigkeit und mit Deals, die nicht und falsch nachvollziehbar sind. Man möge sich bitte künftig bei der Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe, Franziska Giffey (SPD), beschweren, wenn Klimaaktivisten wieder losziehen und Staus produzieren.

Dekarbonisierung zur Expo 2035 oder den symbolischen Kaufpreis von einem Euro

Und andererseits: Was könnte das für Berlin ein Gamechanger sein, stiege man forciert in die saubere Wärme ein und macht Berlin 2035 zum weltweiten Vorbild, präsentiert auf einer Expo 2035 in Berlin, für die der Verein Global Goals Berlin wirbt. Was könnte das an Innovations- und Wachstumsimpulse auslösen, wenn man die 1,6 Milliarden Euro in saubere Wärme, aber nicht in den fossilen Schrott steckt. 

Noch ließe sich das alles ändern, denn die aktuelle Koalition aus CDU und SPD im Berliner Abgeordnetenhaus verfügt nur über eine Mehrheit von sechs Stimmen. Für den abschließenden Kauf bedarf es des Votums im Abgeordnetenhaus. Um diese sechs Stimmen umzudrehen, anbei die zugegebenermaßen prosaische Campaigning-Strategie. Oder einfach den Deal für einen symbolischen Euro abschließen.

– Der Autor Heinrich Strößenreuther ist als langjähriger Klima- und Verkehrsexperte bekannt. Er gründete den Volksentscheid Baum, die KlimaUnion, GermanZero, Changing Cities und den Volksentscheid Fahrrad. Bis 2015 war Strößenreuther Mitglied bei den Grünen, seither ist er bei der CDU. Neben seinem politischen Engagement ist er als Spindoctor, Autor und Keynote-Speaker aktiv, bei der Deutschen Bahn ehemals als Interims-Manager. Zurzeit ist Strößenreuther auf Ost-Tour für „Clevere Städte“.–

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