Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Fossile Subventionen jetzt abbauen und neue EEG-Anlagen wieder über den Strompreis vergüten

Hans-Josef Fell

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In der vergangenen Woche hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) dem Klimaschutz in Deutschland eine schwere Bürde auferlegt. In einem viel beachteten Urteil hat das BVG einer Klage der Union stattgegeben, wonach die Umschichtung von Mitteln aus dem nicht genutzten Sondervermögen für Corona-Hilfen nicht in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) hätte übertragen werden dürfen. Damit stehen plötzlich 60 Milliarden Euro nicht mehr für die Klimaschutzfinanzierung zur Verfügung. Das Urteil zeigt viele Verwerfungen in der aktuellen deutschen Politik und Rechtsprechung auf.

Die Union zerstört weiterhin alle Ansätze für wirksamen Klimaschutz

CDU und CSU geben immer wieder Lippenbekenntnisse ab, das Klima schützen zu wollen. Doch in 32 Jahren Unions-Regierung – 16 Jahre unter Bundeskanzler Kohl und 16 Jahre unter Bundeskanzlerin Angela Merkel – hat Deutschland als eine der größten Export-Nationen der Welt im Wesentlichen nur klimazerstörende Technologien in die Welt gebracht: Autos mit fossilen Verbrennungsmotoren, Erdöl- und Erdgasheizungen, Kohle- und Erdgaskraftwerke, Flugzeuge, die mit fossilem Kerosin betrieben werden, Kunststoffe und Pestizide aus Erdöl und Erdgas. Mit seiner klimazerstörenden Exportindustrie trägt Deutschland also eine besonders große Verantwortung für die dramatische Aufheizung der Erde. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2023 war es bereits 1,43 Grad Celsius wärmer als im vorindustriellen Durchschnitt, also knapp unter der völkerrechtlich verbindlichen 1,5 Grad Celsius-Grenze.

Darüber hinaus häufen sich die Meldungen, dass die Weltgemeinschaft laut dem jüngsten UNEP-Bericht mit voller Kraft ins Verderben auf einen Temperaturanstieg von 3 Grad Celsius zusteuert.

Selbst die bisher einzige erfolgreiche Industrierevolution für den Klimaschutz in Deutschland – das unter Rot-Grün mit dem EEG angestoßene Aufblühen der Solar- und Windkraftindustrie – hatte die Union unter Kanzlerin Merkel ab 2012 wieder jäh beendet.

Vor diesem Hintergrund des jahrzehntelangen dramatischen Klimaschutzversagens von CDU und CSU ist die Klage der Unionsfraktion gegen die Umschichtung der Corona-Hilfen für den Klimaschutz besonders schwerwiegend. Sie zeigt, dass die Union unter Friedrich Merz am Klimaschutz ebenso wenig interessiert ist wie die Union unter Helmit Kohl und Merkel. Sie hat keinen einzigen umsetzbaren Vorschlag zum Wegfall der 60 Milliarden Euro für die Klimaschutzfinanzierung gemacht. Destruktiver kann Politik nicht handeln.

Dass es Merz nur um destruktive Politik ohne konstruktive Klimaschutz- und Politikvorschläge geht, zeigt jetzt die angekündigte Prüfung einer Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen das 200 Milliarden Euro schwere Sondervermögen des Wirtschafts- und Stabilitätsfonds (WSF) der Bundesregierung, das zur Finanzierung der Energiepreisbremse dient. Zum Ergebnis dieser Prüfung sagte Merz laut ARD wörtlich:

„Auf dieser Grundlage werde ich dann die Entscheidung treffen, ob wir auch gegen den WSF nach Karlsruhe gehen.“

Eine unglaubliche verbale Entgleisung. Offensichtlich fühlt sich Merz schon als der kommende Alleinherrscher, der Entscheidungen ohne Abstimmung mit den zuständigen Gremien fällen will.

Selbst das Bundesverfassungsgericht erkennt nicht den Klimanotstand, in dem sich die Erde befindet

Auch das Bundesverfassungsgericht selbst ist widersprüchlich. Erst am 24. März 2021 stellte das BVG fest, dass die heutigen politisch bestimmten Klimaschutzmaßnahmen nicht ausreichen, um die Freiheitsrechte der jungen Generation auch nach 2030 zu gewährleisten.

Da aber die globale Temperatur und damit auch die extremen Wetterkatastrophen seit 2021 massiv zugenommen haben, hätte das BVG eigentlich selbst erkennen müssen, dass ein Klimanotstand besteht. So wie es auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres unentwegt benennt: Er hat wiederholt gewarnt, dass sich die Menschheit auf dem Weg zum kollektiven Suizid in die Klimahölle befindet. Dennoch kamen die Richterinnen und Richter des Bundesverwaltungsgerichts zu dem Schluss, dass die Bundesregierung die Umwidmung der Corona-Hilfen für den KTF nicht hinreichend begründet habe, als ob es keinen Klimanotstand gäbe. Dies ist völlig unverständlich. Das BVG hätte selbst den bestehenden globalen Klimanotstand als ausreichende Begründung zur Umschichtung der Mittel anerkennen können, auch wenn die Bundesregierung dies formal nicht ausreichend begründet habe.

Dennoch sollte die Bundesregierung jetzt die richtige Konsequenz ziehen und zügig den Klimanotstand formal ausrufen, um zukünftig mehr gesetzliche und grundgesetzliche Spielräume für Klimaschutzmaßnahmen zu haben.

Kanzler Scholz sieht noch immer keinen Klimanotstand

Allerdings wird sich die Bundesregierung damit schwertun, denn ausgerechnet Bundeskanzler Olaf Scholz verweigert bis heute eine Aussage, dass sich die Menschheit in einem Klimanotstand befindet. Ich war am 12. November 2021 dabei, als sich die Klimahunger-Streikenden der Letzten Generation mit dem neu gewählten Bundeskanzler Scholz getroffen haben. Beeindruckt war ich von der Hartnäckigkeit von Henning Jeschke und Lea Bonasera, als sie in diesem Gespräch Kanzler Scholz drängten, anzuerkennen, dass sich die Menschheit in einem dramatischen Klimanotstand befindet und so bedroht ist, wie es der UN-Generalsekretär unentwegt mahnt. Doch Kanzler Scholz hat sich bisher konsequent geweigert, die Klimanotlage der Menschheit anzuerkennen, und an dieser Haltung hat sich bis heute nichts geändert.

Hätten die Bundesregierung mit Kanzler Scholz längst den Klimanotstand ausgerufen, könnte sie jetzt womöglich noch über die 60 Milliarden Euro des KTF verfügen, weil dann das BVG möglicherweise die Klage der Union wegen ausreichender Begründung abgewiesen hätte.

Nun ist es wichtig endlich die fossilen Subventionen massiv abzubauen

Es ist völlig klar, dass das BVG-Urteil respektiert werden muss. Dies bedeutet, dass die Bundesregierung neue finanzielle Spielräume im Bundeshaushalt schaffen muss, um Klimaschutzfinanzierungen zu schaffen. Dies gelingt am besten mit dem Abbau klimaschädlicher fossiler Subventionen.

Etwa 70 Milliarden Euro gibt die Bundesregierung jährlich an Steuergelder aus, um die Nutzung von Erdöl, Erdgas und Kohle zu subventionieren. Das sind fast 100 Euro pro Tonne CO2-Emissionen.

Wenn diese Subventionen gestrichen werden und das freiwerdende Geld in den KTF gesteckt werden, dann gäbe es gleich eine doppelte Klimaschutzwirkung: Die Finanzierung von Klimagas-Emissionen mit Steuergeldern würde weitgehend beendet und gleichzeitig können mit diesen freiwerdenden Steuergeldern die 60 Milliarden des KTF finanziert werden, was das Bundesverfassungsgericht gerade unterbunden hat.

EEG-Vergütung für neue Anlagen müsste wieder aus dem Strompreis, statt aus dem Steuerhaushalt bezahlt werden

Parallel dazu sollten alle Maßnahmen ergriffen werden, die eine Klimaschutzwirkung ohne steuerliche Subventionen entfachen. Die Vergütungen des EEG wurden fast 20 Jahre lang aus dem Strompreis und nicht aus dem Steuerhaushalt bezahlt. Nun wackelt nach dem BVG-Urteil auch die Finanzierung der EEG-Umlage, weil sie aus dem KTF finanziert wird. Die EEG-Umlage nicht mehr aus dem Strompreis, sondern aus dem Steuerhaushalt zu bezahlen, war von vornherein ein dramatischer Fehler, vor dem ich immer gewarnt hatte.

Wenigstens die Vergütungen für neue EEG-Anlagen wieder aus dem Strompreis zu zahlen ist jetzt das Gebot der Stunde, damit es keinen Fadenriss beim Ausbau der erneuerbaren Energien gibt. Dadurch würde der KTF nicht mehr für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien gebraucht und gleichzeitig würde die mächtige EU-Kommission kaum mehr Forderungen an den Ausbau der Erneuerbaren stellen können. Genau das hat sie aber getan, als sie die massiv bremsenden Ausschreibungen statt fester Einspeisevergütung im Beihilferecht verordnete. Das EEG wäre dann keine Beihilfe mehr und Deutschland könnte die Kriterien des EEG endlich wieder alleine schaffen, so dass es ein Zurück zum exponentiellen Wachstum der erneuerbaren Energien geben könnte.

Wenn also die Ampelkoalition zur Finanzierung des Klimaschutzes angesichts des BVG-Urteils die fossilen Subventionen abbauen würde und die Vergütung für neue EEG-Anlagen wieder aus dem Strompreis finanziert, dann könnte das BVG-Urteil sogar zur Beschleunigung des Klimaschutzes beitragen und gleichzeitig Steuergelder einsparen – nur war dies aber gar nicht die Absicht der Union.

— Der Autor Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group. Er war 1998 bis 2013 Bundestagsabgeordneter für Bündnis/Die Grünen und ist Mit-Autor des Entwurfs des Erneuerbare-Energien-Gesetzes von 2000. https://hans-josef-fell.de/ —

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