EU-Kommission macht Vorschlag zur Strommarktreform – Merit-Order bleibt

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Die Merit-Order bleibt, aber dafür soll der europäische Energiemarkt in der Zukunft stärker von Langzeit-PPAs und zweiseitigen Differenzverträgen geprägt sein. So lässt sich der Kommissionsvorschlag zur lang erwarteten Strommarktreform der Europäischen Union zusammenfassen.

Seit Herbst 2021 und spätestens mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine sind die Energiepreise enorm angestiegen. Der Grund dafür: Trotz eines in einigen Preiszonen beachtlichen Anteils erneuerbarer Energieerzeugung sind die Strompreise an die Kosten der fossilen Erzeugung gekoppelt. Um Endverbraucher und die Industrie vor solchen Preisen zu schützen, mussten die Mitgliedstaaten beispiellose staatliche Hilfen für bezahlbare Energie leisten. Stichwort: Doppel-Wumms in Deutschland.

Seither wurde innerhalb der EU über eine Neugestaltung des Energiebinnenmarktes verhandelt. Mitgliedstaaten waren sich einig, dass kurzlebige Preisschwankungen an den Märkten für fossile Rohstoffe keine so katastrophalen Auswirkungen auf Verbraucherstrompreise mehr haben dürfen. Während auf Spanien auf substanzielle Veränderungen drängte, mahnten Länder wie Deutschland oder die Niederlande: „Das Kind nicht mit dem Bade auszukippen“. Zu starke Einschnitte in Marktmechanismen könnten das Investitionsklima in erneuerbare Energien trüben und somit den Ausbau ins Stocken geraten lassen.

Der Kommissionsvorschlag stellt einen Kompromiss dar und sieht vor, die Elektrizitätsrichtlinie, die Elektrizitätsverordnung und die Verordnung zur Integrität und Transparenz des Energiemarktes (REMIT) zu überarbeiten.

Stabile Preise

Oberstes gesetztes Ziel der Überarbeitung des Energiebinnenmarktes ist die Stabilisierung der Preise. Der Merit-Order-Mechanismus bekam im Zuge der Preissteigerung im vergangenen Jahr viel Aufmerksamkeit. Ganz abschaffen kann die Kommission diesen nicht. Denn der Mechanismus ist nicht gesetzlich vorgeschrieben, sondern eine Funktionsweise von Märkten homogener Güter wie Strom.

Die EU-Kommission hat sich in ihrem Vorschlag allerdings darauf geeinigt, dass erneuerbare Energien, die staatliche gefördert werden, durch einen zweiseitigen Differenzvertrag (CfD) gedeckelt werden müssen. Die Einspeisevergütung in Deutschland stellt einen einseitigen Differenzvertrag dar. Der Preis ist für den Erzeuger nur nach unten hin gedeckelt. Nach oben ist alles möglich, wie sich im vergangenen Jahr gezeigt hat. Bei einem zweiseitigen Differenzvertrag würde der Gesetzgeber einen Preisdeckel festlegen. So sollen mögliche Übergewinne des Stromhandels an Haushalte weitergegeben werden

Konsultationsprozess für Differenzverträge

Im Vorfeld des Entwurfs hielt die Kommission ein Konsultationsprozess innerhalb der Energiebranche ab, bei dem 70 Prozent der Teilnehmer zweiseitige Differenzverträge für ein probates Mittel zur Strompreis-Stabilisierung einschätzten.

Ein weiterer Vorschlag für stabile Preise: die Marktbedingungen für Langzeit-PPAs verbessern. Stromanbieter sollen ihren Strom zu größeren Anteilen über Langzeitverträge einkaufen – auch Hedging genannt. Somit würden die Stromanbieter nicht Gefahr laufen, bei erneuten Marktschwankungen die hohen Preise direkt an Kunden weiterzugeben oder staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen. Die Stromanbieter sollen im Rahmen ihrer durch die Festverträge entstehenden Strommengen Langzeit-PPAs für erneuerbare oder nicht-fossile Erzeugung sichern.

Derzeit bestehen noch Schwachstellen im PPA-Markt , heißt es von der EU-Kommission. Diese liegen vor allem in den Kreditrisiken der Käufer. Daher sollen Mitgliedstaaten verpflichtet werden, marktbasierte Haftungen und Garantien für PPAs sicherzustellen. Auch das würde zu gesicherten Einnahmen seitens der Erzeuger führen und das Investitionsklima für erneuerbare Energien verbessern.

Mehr Verbraucherschutz

Die Energiemarktreform sieht auch vor, für mehr Transparenz, Integrität und Verbraucherschutz zu sorgen. So sollen Mitgliedstaaten künftig schutzbedürftige Verbraucher festlegen, die im Krisenfall von regulierten Strompreisen profitieren können. Dazu sollen aber nur Haushalten und mittelständische Unternehmen zählen. Regulierte vergünstigte Strompreise für die Industrie, soll es nicht geben. Damit droht dem Plan von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das Aus. Er hatte nach einem Treffen mit Industrievertretern, darunter aus der Photovoltaik-Branche, zugesagt, im ersten Halbjahr ein Konzept für einen nationalen oder europäischen Industriestrompreis – auch „Dekarbonisierungsstrompreis“ – vorlegen zu wollen. Nach einem Bericht der „Financial Times“ hat die EU-Energiekommissarin Kadri Simson diesen Plänen nun eine Absage erteilt. Eine Deckelung der Stromkosten für die Industrie würde dem europäischen Binnenmarkt schaden. Nach dem Zeitungsbericht forderte Simson die Bundesregierung auf, gerechtere Reformen zur Senkung der Strompreise zu unterstützen. „Viele Mitgliedstaaten haben unterschiedliche Haushaltsmöglichkeiten, um ihre Industrie zu subventionieren“, zitiert die „Financial Times“ Simsons Reaktion auf die sich abzeichnenden deutschen Vorschläge. „Wir müssen berücksichtigen, dass es in der EU einen fairen Wettbewerb geben muss.“

Die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) und die nationalen Regulierungsbehörden sollen nach dem Vorschlag der EU-Kommission die transparente Preisbildung und Integrität wettbewerbsorientierter Märkte besser überwachen. Besonders die REMIT-Anpassung soll die Datenqualität der Überwachung verbessern und Marktmissbrauch vorbeugen.

Kollektiver Eigenverbrauch und Mieterstrom

Die Reform des Strommarktdesigns soll neben stabilen Preisen auch zu mehr Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen führen. Daher soll das neue Marktdesign Investitionen in Wind- und Solarparks durch Endkunden ermöglichen. Der Weg zu Bürgerenergieprojekten soll somit vereinfacht werden. Außerdem soll ein unkompliziertes Teilen von überschüssigem Strom von Photovoltaik-Dachanlagen mit Nachbarn in der unmittelbaren Umgebung ermöglicht werden. Diese Form des kollektiven Eigenverbrauchs sei bereits in einigen Mitgliedstaaten teilweise möglich. Allerdings gibt es keine EU-weite, einheitliche Regelung. In manchen Teilen des Binnenmarkts ist sowas gänzlich verboten. Das soll sich ändern. Dabei geht es auch darum, Endkunden ohne privates Dach die Möglichkeit zu geben, sich vor hohen Strompreisen durch Investitionen in erneuerbare Energieanlagen zu schützen. Eine Transparenzpflicht für Handelsfristen und Netzengpässen seitens der Netzbetreiber soll Einspeisung von erneuerbaren Energien erleichtern.

Flexibilität ermöglichen

Ein weiterer Vorschlag zur Preisstabilisierung liegt in der Förderung von Systemflexibilität und Speicherkapazität. So sollen alle Endverbraucher Zugang zu dynamischen Strompreisen erhalten, um Elektroautos und Wärmepumpen kosteneffizienter betreiben zu können. Außerdem werden die Mitgliedstaaten nach dem Kommissionsvorschlag dazu verpflichtet, ihre Bedarfe und Ziele für Speicher- und nicht-fossile Flexibilitätskapazität zu formulieren.

Bei Ausschreibungen und Förderrichtlinien sollen zukünftig neue Rahmen für Speicher und Laststeuerung berücksichtigt werden. Neben dem Vorschlag zu einem neuen Strommarktdesign veröffentlichte die EU-Kommission zusätzlich noch ein weiteres Papier mit Empfehlung zur rechtlichen Handhabung von Speichern im Stromsystem.

Der Kommissionsvorschlag muss noch vom Rat und Parlament bestätigt werden.

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