Handwerker sind die Programmierer von morgen

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Gesellschaft, Wirtschaft und Politik arbeiten gerade gemeinsam am Ausbau der erneuerbaren Energien. Einige Maßnahmen wurden schon erlassen, andere werden noch diskutiert. Insgesamt droht die Energiewende aber an der “handwerklichen” Umsetzbarkeit zu scheitern – also am Fachkräfte-Dilemma.

Wie prekär die Lage ist, zeigt die kürzlich erschienene Studie vom Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung. Demnach fehlen Deutschland knapp über 216.000 Fachkräfte für den Ausbau der Solar- und Windenergie. Ein Grund für die Situation ist unter anderem der demografische Wandel. Denn unsere Gesellschaft altert – und damit eben auch unsere Handwerker. Die Politik setzt gerade alle möglichen Hebel in Bewegung, um gegen das Problem vorzugehen. Insbesondere Diskussionen rund um die Migrationspolitik beschäftigen die Öffentlichkeit. Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, sprach sich vor kurzem für eine neue Willkommenskultur aus. Nur so könne Deutschland Arbeitskräfte aus dem Ausland gewinnen und diese auch halten. Um dies zu ermöglichen, diskutiert die Regierung gerade über den Abbau von Hürden bei der Einwanderung. Vorgesehen sind Erleichterungen bei der Akkreditierung von ausländischen Abschlüssen, der Abbau bürokratischer Hürden und ein Punktesystem für die Zuwanderung. Anderswo sprechen Politiker und Politikerinnen über das Rentenalter und altersgerechte Arbeitsplätze.

SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil betonte vor kurzem, dass nicht das gesetzliche, sondern das tatsächliche Renteneintrittsalter steigen müsse. Damit fordert er Unternehmen auf, auch Fachkräfte über 60 einzustellen. Solche Maßnahmen sind langfristig wichtig, machen aber heute und morgen kaum einen Unterschied. Deshalb sind einige Bundesländer selbst aktiv geworden und haben eigene Strategien zur Bewältigung des Fachkräftemangels entwickelt. Berlin will beispielsweise bald eine Ausbildungsumlage einführen. Alle Betriebe, die nicht ausbilden, müssen dann zahlen. In Nordrhein-Westfalen ist ab Mitte 2023 eine Prämie für die Meisterprüfung vorgesehen: Wer die Prüfung im Handwerk ablegt, erhält eine Prämie von 2500 Euro. Solche Maßnahmen sind angesichts der aktuellen Lage zwar wichtig und richtig, aber dennoch nicht genug.

Klar ist: Dreh- und Angelpunkt des Geschehens sind die Betriebe – und genau die haben es gerade am schwersten. Die meisten befinden sich in einer regelrechten Zwickmühle: Die Nachfrage explodiert. Das wiederum erhöht den Druck und belastet die Mitarbeitenden zusätzlich. Gleichzeitig müssen Betriebe  nicht nur Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen halten, sondern auch neue finden. Viele werden kreativ und versuchen selbst Lösungen zu entwickeln – doch das können sie nicht alleine.

Mit neuem Image zur Energiewende

Viele Handwerker gehen gerade in den wohlverdienten Ruhestand. Sie nehmen Expertise und Erfahrung mit und hinterlassen eine Lücke, die kaum zu schließen ist. Bedeutendes Wissen geht so verloren, denn die Ausbildungszahlen stagnieren seit Jahren. Dadurch entsteht ein struktureller Mangel, der sich zusätzlich verstärkt: Viele Handwerker kehren ihrem Lehrberuf nach einer gewissen Zeit den Rücken und orientieren sich um. Handwerkliche Berufe sind aktuell einfach nicht attraktiv genug. Während sich andere Branchen in den letzten Jahren komplett gewandelt haben, hat sich im Handwerk verhältnismäßig wenig getan.

Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmervorteile sind fast gleichgeblieben. Doch die Fachkräfte sind nicht mehr dieselben wie vor 30 Jahren. Ihre Bedürfnisse und Anforderungen haben sich verändert. Die große Frage ist also: Wie lassen sich diese mit den Arbeitsweisen im Handwerk vereinbaren? Eine mögliche Lösung liefert die Geschichte der Software-Entwickler: Als sie dringend gebraucht wurden, wollte niemand programmieren. Erst mit den richtigen Anreizen hat sich das geändert. Verbesserte Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmervorteile machten den Beruf beliebter. Heute gehört er sogar zu den attraktivsten Berufen überhaupt.

Genau einen solchen Imagewechsel braucht auch das Handwerk. Denn für die Energiewende sind wir auf alle Arbeitskräfte angewiesen – von jungen Leuten, frisch von der Lehre bis hin zu erfahrenen Experten. Gerade letzteren müssen wir mehr Aufmerksamkeit schenken: Ihre Expertise und Erfahrung sind im Kampf um die Klimaziele wertvoll und unabdingbar. Es ist wichtig, dass wir ihnen die Möglichkeiten geben, sich weiterzuentwickeln: Über attraktive Weiterbildungen können auch erfahrene Handwerker neue Karrierewege entdecken und ihr Wissen erweitern.

Neue Chancen halten den Beruf attraktiv – auch 30 Jahre nach der Ausbildung. So bleibt schließlich auch mehr Zeit für wichtigen Wissenstransfer zwischen ihnen und den jungen Handwerkern von morgen. Die Strukturen und das nötige Angebot haben wir hierzulande schon, nur werden sie noch zu wenig genutzt. Deshalb braucht es mehr Räume, wo sich Handwerker und Betriebe miteinander vernetzen und austauschen können. Besteht eine gemeinsame Grundlage, lassen sich auch Perspektiven und Chancen aufzeigen und besser kommunizieren.

Letzten Endes sind es die Betriebe, welche über die Entwicklung ihrer Mitarbeiter entscheiden. In der aktuellen Lage können sich aber viele Unternehmen schlichtweg nicht leisten, ihre Mitarbeiter weiterzubilden – auch wenn sie es gerne würden. Besonders für kleinere Betriebe ist die Lage schwierig: Fachkräfte fehlen, ebenso das Geld und die Zeit, um Handwerker ohne Erfahrung einzustellen. Und genau da muss die Politik ansetzen: Wir müssen sie darin unterstützen, überhaupt mehr in Aus- und Weiterbildungen investieren zu können. Es ist wichtig, dass der erhöhte Druck durch die Energiewende nicht einfach an die Betriebe und Fachkräfte weitergereicht wird. Sie sind es, die schließlich die Energiewende für uns alle stemmen. Gerade deshalb gilt es für die Gesellschaft und insbesondere für die Politik, diese auch zu entlasten. Die Dynamik im Markt muss dazu führen, dass das Handwerk wieder attraktiver wird – eben auch als Karriereweg. Darüber hinaus dürfen Betriebe in der aktuellen Lage kreativ sein: Erste Praxisbeispiele zeigen, dass sogenannte “Solar-” oder “Elektro-Helfer”, die eine kurze, intensive Schulung bekommen, schnell eine echte Hilfe auf der Baustelle sein können.

Verantwortung übernehmen

Erst wenn Betriebe entlastet und Fachkräfte zufriedener sind, schaffen wir einen Imagewechsel im Handwerk. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Druck der Energiewende allein auf den Betrieben und Fachkräften lastet. Gerade ihnen sollten wir besondere Wertschätzung entgegenbringen. Schließlich sorgen sie für die Umsetzung der Klimaziele. Am Ende des Tages ist die Energiewende ein politisches Projekt, weshalb es auch die Aufgabe der Politik ist, den richtigen Rahmen zu setzen – und zwar jetzt.

— Der Autor Konrad Geiger ist Gründer und Geschäftsführer von Power Us. Power Us ist mit über 50.000 Nutzern und Nutzerinnen die führende Karriereplattform für Elektroniker und Anlagenmechaniker SHK. Vor Power Us hat Konrad Geiger an der WHU – Otto Beisheim School of Management studiert und unter anderem für Google in Dublin gearbeitet. https://powerus.de/

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