Bundesregierung will Zufallsgewinne am Strommarkt offenbar rückwirkend abschöpfen

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Im Bundeswirtschaftsministerium wird derzeit händeringend nach einem Modell gesucht, wie die Zufallsgewinne der Kraftwerksbetreiber am Strommarkt abgeschöpft werden könnten. Auf Twitter tauchte nun eine vierseitige Präsentation aus dem Ministerium auf, was Rückschlüsse auf die Pläne zulässt. Danach ist eine „stufenweise Einführung“ denkbar. Die „Terminmarktabschöpfung ist komplex und Neuland“, heißt es dort. Daher sei eine mögliche Option, zunächst eine rückwirkende Abschöpfung der Zufallsgewinne zwischen 1. März und 30. November für den Spotmarkt vorzunehmen. Ab dem 1. Dezember soll neben dem Spot- auch der Terminmarkt in das „Zielmodell“ zur Abschöpfung einbezogen werden.

„Auf der Einnahmenseite der Strompreisbremse ist eine technologiespezifische Abschöpfung von Zufallsgewinnen geplant. Diese Abschöpfung am Strommarkt ist komplex, weil auch Einnahmen und Verluste am Terminmarkt berücksichtigt werden müssen.  Hier wird derzeit ein gestuftes Vorgehen diskutiert“, bestätigte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums auf Anfrage von pv magazine.

In der Präsentation ist ein „Treppenansatz“ vorgeschlagen, wonach die Abschöpfung der Zufallsgewinne anhand spezifischer Erlösobergrenzen erfolgen soll. Die EU-Notfall-Verordnung erlaube technologiespezifische Caps. In den Erlösobergrenzen für die verschiedenen Technologien würden die unterschiedlichen Betriebs- und Kapitalkosten berücksichtigt. Wie die Grafik oben zeigt, ist sie für die Erneuerbaren am niedrigsten angesetzt, wobei es keine Unterscheidung zwischen Photovoltaik, Windkraft, Biomasse oder Wasserkraft zu geben scheint. Die Abschöpfung wäre bei den Betreibern dieser Anlagen am höchsten, gefolgt von AKW- und Braunkohlebetreibern. Ziel des Bundeswirtschaftsministeriums ist die Abschöpfung von 90 Prozent der Zufallsgewinne, womit es glaubt, Anreize für systemdienliches Marktverhalten zu erhalten. Auch würde auf diesem Weg nicht in das bestehende Merit-Order-Prinzip eingegriffen.

Die Einnahmen sollen dann zur Entlastung der Haushalte und Industrie bei den Energiekosten sowie der Stabilisierung der Netzentgelten eingesetzt werden. „Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben am 10. Oktober eine EU-Verordnung über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise formal verabschiedet“, erklärte die Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums weiter. „Die EU-Verordnung sieht eine Abschöpfung übermäßiger Zufallsgewinne am Strommarkt und deren Verwendung für die Entlastung der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen vor. Zusätzlich soll eine Solidarity Contribution Zufallsgewinne bei den Energieerzeugern anderer Energieformen abschöpfen.“ Die Umsetzung des sogenannten Solidaritätsbeitrags befinde sich für die Jahre 2022 und 2023 in Prüfung.

In der ausführlichen Version des Konzepts aus dem Ministerium, die pv magazine ebenfalls vorliegt, sind noch weitere Details zu finden, so sollen Erneuerbaren-Anlagen mit und ohne EEG-Förderzusage inbegriffen sein. In der Diskussion ist demnach, die Zufallsgewinne bei Speicher, Steinkohle, Erdgas und Biomethan nicht abzuschöpfen. Die Abrechnung der Zufallsgewinne für die anderen Anlagen soll auf Basis eingespeister Erzeugung erfolgen. Für Erneuerbaren-Anlagen soll zur Ermittlung der variablen Kosten der anzulegende Wert oder gesetzliche Fördersatz herangezogen werden. Bei Erneuerbaren-Anlagen ohne anzulegenden Wert sei eine Abschöpfung oberhalb von 10 Cent pro Kilowattstunde geplant, was dem erhöhten Preisniveau von 2021 und mehr als Doppelte des langjährigen Durchschnitts entspreche, heißt es in dem Konzept.

entnommen aus dem Konzept „Strompreisbremse“ zur Umsetzung der EU-Beschlüsse

Darstellung: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz

Zur Abrechnung wird ein vereinfachtes Modell nach Proxygrößen wie Einspeisung, Kapazität und Referenzpreise vorgeschlagen. Der eingespeiste Strom soll zum Day-ahead-Preis abgerechnet werden. Ungenauigkeiten könnten durch die einkalkulierte Sicherheitsmarge aufgefangen werden. Um eine „Flucht“ in die Terminmärkte zu vermeiden, sei deren Einbeziehung ebenfalls wichtig. Bislang scheint die Bundesregierung damit Vorreiter, denn es sei das erste Konzept, was auch den Terminmarkt adressiere.

Gemeinsam mit dem Bundeskanzleramt und dem Bundesfinanzministerium werde „derzeit mit Hochdruck an der nationalen Umsetzung der europäischen Verordnung, der Strompreisbremse“ gearbeitet. Dabei sollen die Verbraucher im Zuge der Strompreisbremse ein vergünstigtes Basiskontingent bekommen und nur für darüber hinausgehende Strommengen einen höheren Preis zahlen. „Die Preissetzung am Großhandelsmarkt auf Basis der Merit Order soll nicht verändert werden, das Ziel ist, die problematischen Effekte der Merit-Order für Stromkunden zu ändern. Die Entlastung, die bei den Haushalten und Unternehmen ankommt, soll konsistent mit der Umsetzung der Gaspreisbremse erfolgen“, erklärte die Sprecherin zu den Plänen weiter. Auch ein Mehrverbrauch von Gas soll durch die Umsetzung möglichst vermieden werden. Voraussichtlich am 18. November soll das Kabinett über die Vorschläge beraten.

Da das Bundeswirtschaftsministerium davon ausgeht, dass die Ausgaben schneller anfallen, als die Einnahmen aus der Abschöpfung der Zufallsgewinne generiert werden können, soll es eine Zwischenfinanzierung über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds geben.

BEE hält Überlegungen in Teilen für verfassungswidrig

Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) reagierte direkt nach Bekanntwerden der Überlegungen aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Die Vorschläge seien ein „schwerer Vertrauensbruch“ und in Teilen „verfassungswidrig“. „Eine Rückwirkung massiver Markteingriffe auf den 1.3.2022 ist nach unserer Einschätzung zudem verfassungswidrig. Wir lehnen diese ab“, erklärte BEE-Präsidentin Simone Peter. Es sei ein klarer Bruch mit dem Prinzip der Investitions- und Planungssicherheit und könne angesichts der aktuellen Energiekrise existenzbedrohliche Auswirkungen haben. „Dieser massive Markteingriff kommt zu einer Unzeit, in der Ausschreibungen aufgrund der jahrelangen Ausbaubremse noch unterzeichnet sind,“ so Peter weiter. Die Branche sei gerade dabei, angesichts der Ausbauambitionen der Bundesregierung wieder Marktvertrauen zu schöpfen. Gleichzeitig gebe es noch viele Hemmnisse wie langsame Genehmigungen, fehlende Flächen und zu viel Bürokratie. Zusätzlich erschwerten steigende Zinsen und Lieferengpässe die Situation. „Dieser umfassende Markteingriff ist daher ein fatales Signal an die Branche und Investoren. Die Bundesregierung gefährdet dadurch die gerade jetzt dringend notwendigen Neuinvestitionen in die Sicherheit der deutschen Energieversorgung“, erklärte Peter.

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