Unnötige Mehrarbeit für Installateure: Abschaffung der 70 Prozent-Kappung für Photovoltaik-Altanlagen?

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Für Neuanlagen wird durch das EEG 2023 die 70  Prozent-Kappung für kleine Photovoltaik-Anlagen ab 1. Januar  2023 abgeschafft. Das kann man als Vereinfachung sehen. Zurzeit wird diskutiert, die 70-Prozent-Kappung auch für Photovoltaik-Altanlagen abzuschaffen. Das halten wir aus Sicht der Praxis für kontraproduktiv. Erstens wäre die Umstellung von Altanlagen unverhältnismäßig aufwändig und würde die Energiewende verlangsamen. Zweitens würde sie viel weniger bringen als aufgrund theoretischer Zahlen erwartet wird, und insbesondere nicht zur Linderung einer Energiemangelsituationen im kommenden Winter beitragen.

Erklärung der 70 Prozent-Kappung

Seit dem EEG 2012 müssen Photovoltaik-Anlagen bis 30 Kilowatt Leistung (ab EEG 2021: bis 25 Kilowatt) die Einspeiseleistung auf 70 Prozent der installierten Leistung begrenzen (oder alternativ, was selten gewählt wurde, Einrichtungen zur ferngesteuerten Drosselung einbauen). Der Sinn der 70 Prozent-Kappung ist, dass der Netzausbau, insbesondere im Niederspannungsnetz, dann nur auf 70 Prozent der Leistung ausgelegt sein muss. Andererseits gehen nur 1 bis 5 Prozent der jährlich erzeugten Energie verloren, da im Wesentlichen nur die Leistungsspitzen bei voller Sonne mittags abgeschnitten werden.

Abschaffung für Altanlagen unverhältnismäßig aufwändig

Da die 70 Prozent-Kappung für Altanlagen vom Netzbetreiber für den Netzausbau berücksichtigt wurde, muss man natürlich die Abschaffung von der Genehmigung des Netzbetreibers in jedem einzelnen Fall abhängig machen. Das bedeutet, dass eine Fachfirma einen Antrag beim Netzbetreiber stellen muss und dieser eine Netzverträglichkeitsprüfung durchrechnen muss, ob die Erhöhung der Leistung ohne Netzausbau möglich ist. Wenn es genehmigt wird, müsste die Drosselung der Anlage vor Ort von einer Fachfirma aufgehoben werden.

Das wäre für die Netzbetreiber und die Fachfirmen ein unverhältnismäßiger Mehraufwand, und würde von beiden Seiten her den Bau und den Anschluss von Neuanlagen verlangsamen, denn in vielen Regionen herrscht akuter Fachkräftemangel.

Wenn diese Möglichkeit ins Gesetz kommt und dann bei uns ein Kunde anruft und will, dass die 70 Prozent-Drosselung für seine Altanlage aufgehoben wird, müssen wir ihm sagen: “Wir müssen Neuanlagen bauen, um die Zubauziele der Energiewende zu schaffen. Daher haben wir keine Zeit für solche Dinge, die wenig bringen.”

Abschaffung für Altanlagen bringt wenig

In der Diskussion werden oft 5 Prozent der Energie genannt, die verloren gehen würden. Das ist ein Maximalwert für die besten Süddächer. In der Praxis unserer Berechnungen kommen meist etwa 1 bis 3 Prozent heraus. Aber auch dieses Potenzial kann nur für Neuanlagen gehoben werden, nicht für Altanlagen! Es gab nämlich zur Realisierung der 70 Prozent-Kappung zwei Möglichkeiten: Entweder es wurde ein kleinerer Wechselrichter mit circa 70 Prozent der Modulleistung eingebaut. Für diese Altanlagen wäre ein Austausch gegen einen größeren Wechselrichter unverhältnismäßig teuer und wird sicher nicht gemacht werden. Oder es wurde eine Steuerung eingebaut, die die Energie aus den Leistungsspitzen weitgehend in den Eigenverbrauch und/oder Stromspeicher verschob. Eine Aufhebung der 70 Prozent-Kappung bringt in beiden häufigen Fallgruppen nur 0 bis 1 Prozent mehr Jahres-Energie.

Die bei Abschaffung der 70 Prozent-Kappung zusätzlich mögliche Energie würde nur bei Spitzenleistung, also im Wesentlichen im Sommer um die Mittagszeit frei. Im Winter überschreiten nur steile Süddächer die 70 Prozent, für die allermeisten Anlagen würde im Winter praktisch nichts zusätzlich erzeugt. Der Beitrag zu Linderung einer Energiemangelsituation im kommenden Winter, der oft als Begründung angeführt wird, ist also nicht realistisch.

— Der Autor Hermann Schrag ist Physiker und seit 30 Jahren Solarexperte. Er führt seit 20 Jahren das Unternehmen Schrag Sonnenstrom. —

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