Energiepolitik der Bundesregierung treibt die fossilen Energiepreise massiv nach oben

Hans-Josef Fell

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Der russische Finanzminister Anton Siluanow hat vor wenigen Tagen mitgeteilt: Fast 14 Milliarden Euro werden in diesem Jahr zusätzlich in Russlands Kriegskasse landen durch die Einnahmen aus dem russischen Energieverkauf.

Erneut zeigt sich, dass – und dies sogar mit steigender Tendenz – insbesondere die EU und Deutschland die größten Kriegsfinanzierer Russlands sind. All das Gerede von „erfolgreicher“ Sanktionspolitik ist nichts anderes als eine Selbsttäuschung. Der Grund ist, dass Deutschland und die EU es eben nicht schaffen, die russischen Energieeinkäufe sofort zu boykottieren.
Dabei war schon mit Kriegsbeginn klar, dass nur ein sofortiger vollständiger Energieboykott echten Eindruck auf die Öl-Eliten um Putin machen würde. Deutschland und die EU aber schaffen es bis heute nicht, einen Sofortboykott durchzusetzen.

Ganz im Gegenteil: Die unkoordinierten und unüberlegten Regierungshandlungen, insbesondere um die Energiekunden vor weiter steigenden fossilen Energiepreisen zu entlasten, führen immer tiefer in die Sackgasse, sodass Putin sich am Ende bestätigt fühlt: Die fossile und atomare Energieabhängigkeit der EU und Deutschlands führen dazu, dass sie weiter die russische Kriegskasse füllen.

Wichtig dabei ist, in der öffentlichen Debatte endlich nicht mehr pauschal über Energiepreise zu reden. Massiv gestiegen sind in den letzten Monaten nur die fossilen und atomaren Energiepreise, nicht aber die der Erneuerbaren Energien. Die „Rohstoffpreise“ von Solar- und Windenergie, die Sonnenstrahlen und der Wind sind ja kostenlos. Zwar gibt es auch bei erneuerbaren Energien eine geringfügige Preissteigerung bei den Technologieinvestitionen, beispielsweise über Preissteigerungen bei Materialien, was es bei den fossilen und atomaren Energien genauso gibt. Aber im Gegensatz zu diesen steigen eben keine Energierohstoffpreise, was auch langfristig die Energiepreise für Erneuerbare Energien kalkulierbar und niedrig halten lässt.

Die Bundesregierung hat bisher ausschließlich auf kosmetische steuerliche Aktivitäten zur Senkung der fossilen Energiepreise und auf Diversifizierungen beim Einkauf von Erdöl, Erdgas und Kohle meist aus anderen kriegsführenden oder antidemokratischen Regimen (Katar, Senegal, Kolumbien und andere)  gesetzt. Sie treibt damit die geopolitischen Spannungen und sogar die fossilen Energiepreise immer weiter nach oben.

Verabschiedete Gesetze für einen beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren oder gar effektive Energieeinsparmaßnahmen sind bis heute Fehlanzeige, obwohl nur dies echte und schnelle Entlastungen im Energiepreissektor ergeben würde. Stattdessen gibt es wirkungslose Tankrabatte, Energiepreishilfen und anderes. Alles hilflose Aktivitäten, die nur die Energiepreise und Staatsverschuldung nach oben treiben, die Kriegskasse Russlands auffüllen und das Klima schädigen.

Um das verstehen zu können, muss man sich einige wenige grundsätzliche Analysen und Fakten in Erinnerung rufen:

  • Die Energiepreise werden im Wesentlichen durch die globalen Rohölpreise bestimmt. Erdgas-, Kohle-, Strompreise gehen seit Jahrzehnten im groben Muster mit den Rohölpreisen rauf und runter. Natürlich gibt es immer Sondereffekte, wie die massiv in Frankreich steigenden Strompreise infolge des Stillstandes von über der Hälfte der Atomkraftwerke. Auch sind Steuern und Abgaben zwar nicht unerheblich, aber sie haben nicht den Einfluss wie die Rohölpreise. Energiesteuersenkungen können also gar nicht starke Rohölpreisanstiege kompensieren, wie sich in der aktuellen Situation um die Tankrabatte zeigt. Hier die aktuellen und historische Entwicklungen der Rohölpreise zum Studium.
  • Die Rohölpreise werden durch das globale Verhältnis von Angebot (Rohölförderung) und Nachfrage (globaler fossil/atomarer Energieverbrauch) bestimmt. Übersteigt die fossile Nachfrage die Rohölförderung, dann gehen die fossilen Preise schnell nach oben und umgekehrt. So gab es kurzfristig sogar negative Rohölpreise, als die Weltwirtschaft im April 2020 wegen Corona tief darniederlag. Seitdem zieht die Weltwirtschaft, insbesondere seit April 2021 wieder an und die Ölpreise sind daher stark gestiegen, insbesondere in diesem Jahr und das deutlich vor dem Krieg in der Ukraine. So haben sie sich von Januar 2022 von 80 US-Dollar/Barrel auf heute über 120 US-Dollar massiv verteuert.  Die Ölnachfrage und mit ihr die Energiepreise werden in den nächsten Monaten nochmal deutlich ansteigen, da die Weltnachfrage von Erdöl insbesondere in USA und Europa durch die beginnende Reisesaison erheblich ansteigen wird.
  • Jetzt zeigen die mit steigender Energienachfrage steigenden Energiepreise, dass das Angebot (die Förderung von Erdöl, Erdgas, Kohle) die steigende fossile Nachfrage nicht stillen kann.  Ein deutliches Indiz dafür, dass die Welt den Höhepunkt der Förderung fossiler Energie wohl erreicht hat. Bestärkt wird diese Beobachtung durch Äußerungen aus der OPEC.  So erklärte der Ener­gie­minister der VAE, Suhail Al-Mazrouei, vorgestern, dass das, was man von Seiten der OPEC an Meh­rmengen noch liefern könne, nicht sehr ermu­ti­gend sei. Mazrouei meint, dass die Ölpreise ihre Hochs bei Weitem noch nicht erreicht haben.
  • Zwar gibt es fieberhafte und höchst klimaschädliche Aktivitäten der fossilen Wirtschaft, neue Felder zu erschließen. Doch sie sind offensichtlich nicht so stark, dass sie die gestiegene fossile Energienachfrage stillen können. Die Analysen der Energy Watch Group (EWG) zeigen seit Jahren, dass dies nicht nur so bleiben wird, sondern wegen des massiven Rückgangs aus den seit Jahrzehnten erschlossenen Ölfeldern sich in den nächsten Jahren massiv verschärfen wird.
  • Im Klartext bedeutet dies: Wegen unzureichender Förderung fossiler Energien (und unzureichendem Ausbau der erneuerbaren Energien) treibt jede Nachfragesteigerung die fossilen Energiepreise nach oben. Umgekehrt kann nur eine Reduzierung (Umstellung auf erneuerbare Energien, Energieeinsparung) von fossiler Energienutzung die fossilen Energiepreise nach unten drücken, nicht aber steuerliche Maßnahmen wie Tankrabatte.

Wenn man diese Grundsätze kennt, erkennt man, dass die Handlungen der Bundesregierung keine Chance haben, die fossilen Energiekund*innen zu entlasten. Am Beispiel des Tankrabatts wird dies klar: Der Tankrabatt setzt das Signal niedriger Spritpreise. Die Nachfrage wird aber von den Kunden nicht gedrosselt, sondern steigt weiter. Genauso ist es an den Wochenenden vor Pfingsten geschehen, wo es Unmengen Staus auf den deutschen Autobahnen gab. Trotz hoher Spritpreise sogar vor dem Tankrabatt sind viele Autofahrer besonders viel gefahren.

Wahrscheinlich sind dies vor allem die 60 Prozent reicheren Menschen in unserer Gesellschaft, die sich jede Autofahrt leisten können und wollen, egal wie hoch der Spritpreis ist. Das allein zeigt die Verfehlung eines Tankrabatts. Über 60 Prozent der Autofahrer fahren Autos nach ihren Wünschen und orientieren sich nicht danach, wie hoch der Spritpreis ist. Egal wie hoch die Spritpreise oder Tankrabatte sind, für die meisten Autofahrer haben sie keinen Einfluss auf das Fahrverhalten. Für die etwa 30 Prozent Menschen mit geringem Einkommen gilt das aber nicht. Sie reduzieren massiv ihre Autofahrten, insbesondere bei Freizeitfahrten. Kommt mit Aktivitäten wie dem Tankrabatt eine spürbare Entlastung, dann fahren auch sie wieder mehr und steigern damit die Nachfrage, was wiederum die Energiepreise nach oben zieht.

Energiesteuersenkungen, Tankrabatte, direkte Energiepreisunterstützung aus dem Staatshaushalt führen allesamt zu einer Nachfragesteigerung von fossiler Energie und tragen damit zum gegenteiligen Effekt des Gewünschten bei: Die fossilen Energiepreise steigen mit der erhöhten Nachfrage; mit ihnen die Staatsverschuldung in Deutschland und die russischen Energieeinnahmen. Der Effekt: die Erdtemperatur wird beschleunigt aufgeheizt. Eine absurde Strategie der Bundesregierung und vieler anderer Staaten, wie Frankreich.

Natürlich ist es richtig, einkommensschwache Haushalte bei den hohen Energiepreisen, zum Beispiel für die Fahrt zur Arbeit finanziell zu unterstützen. Doch das muss gezielt auf diese Gruppe gerichtet sein. Was aber jetzt mit Tankrabatt und anderen Maßnahmen geschieht ist ein Gießkannenprinzip. Alle, auch die Energieverschwender aus Mittel- und Oberschicht, die ja über 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen, werden nun pauschal steuerlich entlastet, was nur zu einer erhöhten Nachfrage führt. Trotz hoher Spritpreise ist der Verkehr auf Autobahnen und Landstraßen in diesem Frühjahr massiv gestiegen. Die vielen Staus oder die endlosen sonntäglichen Motorradfahrten nehmen augenfällig zu. Der hohe Spritpreis und die Tatsache, dass sie damit auch persönlich zur russischen Kriegsfinanzierung beitragen, scheint diese alle nicht zu stören. Der Tankrabatt aber entlastet sie, was zu noch mehr Fahrten führt.

Auch der touristische Flugverkehr nimmt wieder massiv zu und mit ihm die Rohölnachfrage. So stark, dass KLM und andere Fluggesellschaften den Ticketverkauf eingestellt haben und Flüge storniert haben, weil ihr durch die Coronakrise dauerhaft geschmälerter Personalbestand keine Chance zur Abwicklung der sprunghaft gestiegenen Flugtouristen zulässt. Auch die Lufthansa warnt, im Sommer den Ansturm nicht bewältigen zu können.

Bundesverkehrsminister Wissing kennt darauf wieder nur eine Antwort: Eine Jobinitiative von der Regierung unterstützt, damit der Flugverkehr auch die massenhaften Tourist*innen im Sommerurlaub befördern kann. Genau das würde aber den Flugverkehr ausweiten, mit ihm den Verbrauch von Flugbenzin und so geht die Spirale weiter: Noch höhere Rohölpreise, höhere fossile Energiekosten, höhere russische Staatseinnahmen, schneller steigende Erdtemperatur.

Wo bleiben denn die Apelle der Politiker, wenigstens mal am Sonntag das Auto, das Motorrad stehen zu lassen und den Sonntagsausflug mit dem Rad oder ÖPNV zu machen, den Sommerurlaub im Inland zu verbringen, statt um die Welt zu jetten. Gründe für diese Apelle haben sie genug: Die Bundesbürger sollen endlich Energie sparen, um die russische Kriegsfinanzierung zu stoppen. Aber nein, alle sollen weiter Luxus mit hohem fossilem Energieverbrauch erlaubt bekommen und die Toten in der Ukraine interessieren da nicht.

Um die kommende weiterhin hohe fossile Energienachfrage zu ermöglichen, fahren Minister und Kanzler weiter in alle Welt – nach Katar, Senegal, Israel, Jordanien, um LNG, also höchst klimaschädliches Erdgas aus anderen Regionen der Welt als Ersatz für Russlands Energielieferungen zu bekommen. Doch auch das wird nichts nützen, denn alle diese Erdgas- und Erdölförderregionen haben ja nicht plötzlich viel mehr Erdgas und Erdöl als zuvor, sie können nur die Lieferwege ändern. Statt den bisherigen Kunden in Pakistan, Indien, Japan, China und andere werden nun die Öl- und LNG-Tanker nach Europa umgelenkt, weil die zur Ablösung russischer Energie höhere Preise zahlen. Auch das treibt die fossilen Energiepreise massiv nach oben.

Die Ölmultis freuen sich ob massiv erhöhter Gewinne.  Eine Sondersteuer wird gegen sie als multinationale Konzerne kaum durchsetzbar sein und würde eh nicht helfen, die fossilen Energiepreise zu senken.

Hinzu kommt, dass die Lieferung von LNG-Importen – auch aus den USA – keineswegs sicher ist. Das zeigt zuletzt die Explosion in der Erdgas-Förderanlage des Unternehmens Freeport, das nun die LNG-Produktion gestoppt hat. Dies führt zu Engpässen auch in Europa und damit zu weiteren Erdgas-Preissteigerungen, denn die Anlage wickelt rund 20% der LNG-Verarbeitung in den USA ab. Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, dass die Diversifizierung der Bundesregierung und der EU ein Irrweg ist.

Es bleibt nur eine Strategie, um die sich abzeichnende, weiter nach oben treibende fossile Energiepreisspirale zu durchbrechen: Schneller Umstieg auf Erneuerbare Energien in Verbindung mit Energieeinsparungen. Doch genau dies wird sträflich vernachlässigt von EU-Kommission und Bundesregierung.

Alle Versuche der Bundesregierung mit Steuerfinanzierungen wie Tankrabatten oder Hilfen für Personalaufstockungen für Urlaubsflüge führen nur immer weiter in den großen Crash aller aktuellen Krisen, die am Ende die menschliche Zivilisation auslöschen: Erdüberhitzung, Kriege, Wirtschaftscrash durch steigende fossile Energiepreise, Aufstände von Benzinwutbürger und vieles mehr.

Wann endlich begreifen Politiker aller Couleur, dass mit den schon der Vergangenheit falschen Instrumenten, der immer stärkeren Subventionierung des fossilen Energiesystem nur der tiefe Fall der gesamten Gesellschaft vorbereitet wird? Es wird höchste Zeit für eine radikale Umkehr mit im Zentru stehenden radikalen Maßnahmen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien.

— Der Autor Hans-Josef Fell saß für die Grünen von 1998 bis 2013 im Deutschen Bundestag. Der Energieexperte war im Jahr 2000 Mitautor des EEG. Nun ist er Präsident der Energy Watch Group (EWG). Mehr zu seiner Arbeit finden Sie unter www.hans-josef-fell.de. —

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