Was die Koalitionsverhandlungen jetzt liefern müssen, damit wirksamer Klimaschutz bis 2030 möglich wird

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Fridays for Future haben es am Wahlabend nochmal auf den Punkt gebracht: Kein Wahlprogramm der im Bundestag vertretenen Parteien hat ein Klimaschutzprogramm, das zur Einhaltung des in Paris vereinbarten 1,5 Grad Celsius Ziels führen kann.

Dabei wissen wir heute sehr genau, welchen katastrophalen Auswirkungen die jüngeren Generationen ausgesetzt sein wird, wenn wir die Erderwärmung nicht spätestens um 1,5 Grad Celsius herum stoppen. Eine jüngste Studie hat dies aus Sicht der heutigen Kinder beschrieben: Demnach erlebt eine 1960 geborene Person im Schnitt etwa zwei bis sechs Hitzewellen. In die Lebenszeit eines 2020 geborenen Kindes fallen dagegen durchschnittlich zehn bis 26 Hitzewellen, wenn der globale Temperaturanstieg auf 1,5 Grad begrenzt wird. 15 bis 29 Hitzewellen sind es bei einem Anstieg von 2,0 Grad – und 21 bis 39 Hitzewellen, wenn die derzeitigen Klimastrategien der Regierungen beibehalten werden.
Menschen, die heute jünger als 40 Jahre sind, würden „ein bisher nie dagewesenes Leben“ führen, was Dürren, Hitzewellen, Überschwemmungen und Ernteausfälle angehe, sagte Hauptautor Wim Thiery von der Freien Universität Brüssel. Die Ergebnisse zeigten eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit der jungen Generationen und legten drastische Emissionsreduzierungen nahe.

Wenn also die zukünftige Regierung auf dem Boden der Verfassung stehen will, die nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes auch die Freiheit der kommenden Generationen garantieren muss, dann müssen die Koalitionäre ihre Klimaschutzwahlprogramme radikal aufstocken. Diese müssen dringend Pläne für 100 Prozent erneuerbare Energien und weitere Maßnahmen enthalten, damit das 1,5 Grad Celsius-Ziel eingehalten werden kann. Das gilt auch für Bündnis 90/Die Grünen, die zwar das weitaus offensivste Klimaschutzprogramm gegenüber den anderen Parteien haben, aber immer noch ein unzulängliches.

Falls dies den kommenden Regierungsparteien nicht gelingt, dann müssen wir als Bevölkerung nicht unbedingt verzweifeln, sondern eben den Klimaschutz selbst in die Hand nehmen: 100 Prozent erneuerbare Energien im eigenen Lebensumfeld verwirklichen, nur noch biologisch angebaute Lebensmittel essen und einen Konsum selbst so orientieren, dass damit kein Müll mehr produziert wird.

All das ist möglich. Alle Technologien existieren bereits, viele Firmen stehen in den Startlöchern, um Klimaschutzprodukte massenhaft auf den Markt zu bringen.

Und vor allem: im wichtigsten Klimaschutzfeld, der Energieversorgung, sind heute die emissionsfreien Erneuerbaren schon wesentlich billiger als die umweltschädlichen fossilen und atomaren Energien.

Daher dürfte es eigentlich leicht sein, für alle auf Klimaschutz umzusteigen, denn erneuerbare Energien sind günstiger als die gerade explodierenden Erdgaspreise und auch billiger als die steigenden Benzin und Dieselpreise, sowie der Strom aus immer teurer werdenden Erdgas-, Atom- und Kohlekraftwerken.

Es macht also keinen Sinn mehr, sich die teure Klimazerstörung zu leisten, da der Klimaschutz inzwischen wesentlich billiger ist.
Nur, das ist in der Gesellschaft noch nicht angekommen, gerade weil Journalisten von ARD, ZDF bis „Bild“-Zeitung oder „Handelsblatt“ immer noch das falsche Narrativ im Wahlkampf hochgehalten haben, wonach der Klimaschutz eine finanzielle Belastung sei, statt die frohe Botschaft zu verkünden, dass Klimaschutz nun billiger ist, als die Klimazerstörung. Diese frohe Botschaft kann aber die Gesellschaft selbst verbreiten, mit dezentralen Aufklärungsveranstaltungen organisiert von tausenden Initiativen.

Mit jedem Beispiel der persönlichen Umstellung auf Klimaschutz werden viele Nachbarn folgen, wenn sie hören, dass es sich sogar rechnet. Genauso geht es mit Unternehmen, sei es kleine und mittlere oder sogar große Konzerne. Jedes erfolgreiche Beispiel wird Nachahmer finden. So kann ein Schneeballsystem für den Klimaschutz entstehen, welches eine Dynamik entfachen kann, Klimaschutz mit Nullemissionen bis 2030 zu verwirklichen, selbst wenn die neue Koalition ihre Klimaschutzpolitik so unzulänglich macht wie bisher.

Gleichwohl wäre es natürlich eine massive Beschleunigung, wenn auch die kommende Koalition in Berlin endlich ernst macht und wesentlich bessere Klimaschutzmaßnahmen auf den Weg bringt als in den Wahlprogrammen steht.

Und die Chancen dafür sind durchaus gegeben, wenn alle Beteiligten Politiker endlich erkennen, dass Klimaschutz keine finanzielle und ökonomische Belastung ist, sondern allen auch ökonomische Vorteile verschafft.

Die drei entscheidenden Maßnahmenkomplexe dafür sind:

  • Keine Subventionen mehr für fossile und atomare Geschäfte. Der Subventionsabbau muss also voll in das Zentrum der Koalitionsvereinbarung gestellt werden.
  • Beseitigung der hohen Bürokratie und Genehmigungshürden, die nicht nur bei Windkraft oder Freiflächen-Photovoltaik entscheidende Hindernisse sind, sondern überall beim Ausbau der erneuerbare Energien, also auch bei Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie und auch die notwendigen Speicher und Umstellungen der Heizungen oder Verkehrsantriebe.
  • Aktive Unterstützung beispielsweise mit einer neu zu schaffenden Kombikraftwerksvergütung, die alle Investitionen in systemdienliche Ökostrominvestitionen befördert.

Wenn diese drei Maßnahmen umfassend um in Verbindung mit den politischen Zielen der Emissionsreduktion auf Null und Schaffung großer Kohlenstoffsenken beides bis 2030 dann wird der Klimaschutz in Deutschland explosionsartig verwirklicht und mit ihm das Beispiel und die Anleitung vieler anderer Länder, es ebenso zu tun.

Wenn sie mehr zu diesen politischen Analysen, wie sie nicht im ZDF oder ARD gebracht werden, wissen wollen, schauen Sie sich die Sendung bei Transparent TV mit Franz Alt, Eicke Weber, Frank Farenski und mir an.

— Der Autor Hans-Josef Fell saß für die Grünen von 1998 bis 2013 im Deutschen Bundestag. Der Energieexperte war im Jahr 2000 Mitautor des EEG. Nun ist er Präsident der Energy Watch Group (EWG). Mehr zu seiner Arbeit finden Sie unter www.hans-josef-fell.de. —

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