„Das wird schon nicht so schlimm kommen“

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„Das wird schon nicht so schlimm kommen“, „Wir Menschen erfinden schon rechtzeitig was, damit das nicht eintreten wird“, „Uns wird das nicht so schlimm treffen“, oder schlimmer „Das sind Horroszenarien, die nur wegen Stimmenfang für die Grünen erfunden wurden“ oder „Sie wollen nur mit Angstmache auf Stimmenfang gehen“. Solche oder ähnliche Denkweisen werden einem häufig entgegengebracht, wenn man auf die fatalen Folgen des menschengemachten Klimawandels hinweist.

Diese Mentalität des Verdrängens, Verschiebens und Von-Sich-Weisens ist für die Menschheit typisch und ist auf einen psychischen Abwehrmechanismus zurückzuführen, der zum Zweck hat, belastende, schmerzende und unangenehme Gedanken zu verbannen, um den eigenen Geist vor Verzweiflung zu schützen. In vielerlei Hinsicht ist diese Taktik des menschlichen Gehirns gesund und richtig. Wenn es allerdings um globale Katastrophen geht, die durch menschliches Handeln erst ausgelöst werden und folglich auch durch konsequentes Gegensteuern wieder in den Griff gebracht werden können, ist die Taktik des Verdrängens katastrophal.

Besonders Politiker sind in einer Position, in der das Kopf-in-den-Sand-stecken, wie es in den letzten Jahrzehnten im Falle der Klimakrise getan wurde, gänzlich inakzeptabel ist. Es ist sogar explizit die Aufgabe der Politik, unangenehme Situationen, die in der Bevölkerung lieber verdrängt oder ignoriert würden, anzugehen und den Menschen nahe zu bringen.

Dennoch ist besagte Laissez-Faire-Haltung à la „Das wird schon nicht so schlimm kommen“ gerade in jüngster Zeit, insbesondere im Zusammenhang mit der Klimakatastrophe aber auch im Kontext anderer menschengemachter Katastrophen, sehr aktuell.

Besonders in den letzten Wochen ist diese genau diese Haltung mit schlimmstem menschlichen Leid, Opfern, Toten und großen Zerstörungen bestraft worden. Es ist vieles schlimmer gekommen, als die meisten es sich überhaupt nur vorstellen konnten, und dennoch stehen wir erst am Anfang.

Aus dem Kontext der globalen Klimakatastrophe fallen einem viele Beispiele ein: Waldbrände, Überschwemmungen, Dürren und Hungersnöte. Auch Hurrikan Ida, der verheerende Hurrikan, der in den letzten Tagen, genau 16 Jahre nach Hurrikan Katrina, New Orleans ein zweites Mal zerstörte, nur diesmal noch viel destruktiver.

Kaum jemand konnte sich vorstellen, dass es noch schlimmer als Katrina kommen könnte. Eine Frau aus New Orleans, die Hurrikan „Ida“ ausgesessen hat so wie die Stürme davor, wird zitiert: „Noch nie hat es das Haus so geschüttelt wie diesmal.“ Diesmal aber ist es schlimmer gekommen, das Dach zerstört, um sie herum ist ihr Wohngebiet ein Trümmerfeld. Tatsache ist aber, dass Wissenschaftler bereits seit vielen Jahren vor stärkeren Extremwettern warnen, Und auch, dass Hurrikan Katrina keine Ausnahme bleiben würde, war abzusehen.

Doch die Verdängungskunst der Menschen und Politiker ist mal wieder voll zur Geltung gekommen. Vor 16 Jahren hätte man bereits Maßnahmen des aktiven und effektiven Klimaschutzes treffen können. Man hätte dafür sorgen können, dass 1. durch Klimaminderung wie Ausbau von erneuerbaren Energien die gesamte Erderwärmung gebremst wird und 2. durch Maßnahmen der Klimaanpassung die schlimmsten Effekte des Hurrikans womöglich zu verhindern.

Dasselbe gilt für die Hochwasser im Ahrtal. Wohl kaum jemand hat sich vorstellen können, welch unvorstellbare Zerstörungskraft ein Hochwasser auch in Deutschland haben kann. Dabei ist seit 30 Jahren klar, dass die Wetterkatastrophen immer schlimmer und heftiger werden, je höher die Erdtemperatur steigt. Selbst angesichts der vom Wetterdienst vorhergesagten Hochwassermengen waren die Behörden offensichtlich überfordert, die tatsächliche Lage am Katastrophentag im Ahrtal richtig einzuschätzen. „Das wird schon nicht so schlimm kommen“, mag sich der Landrat gedacht haben. Er soll am Tag, als das Wasser kam, bereits nachmittags aufgefordert worden sein, den Katastrophenfall auszurufen. Dies ist erst um 23.09 Uhr erfolgt. Die Jahrhundertflut Mitte Juli führte zu 133 Toten. Heute ist der Landrat ein gebrochener Mann.

Ein weiteres Beispiel, das zwar nichts mit der Klimakrise zu tun hat, aber dennoch eindeutig ein Resultat des menschlichen Verdrängens ist, ist die verzögerte und dürftige Hilfeleistung in Afghanistan. Seit Monaten gibt es offizielle Schreiben von der deutschen Botschaft, bis hin zu Hilfsorganisationen und sogar Soldaten, die auf die bevorstehende schnelle Machtergreifung der Taliban hingewiesen haben und die Hilfe für sowie eine schnelle Ausreise von deutschen Staatsbürgern, Botschaftspersonal, Hilfsorganisationen, Ortskräften sowie bedrohten afghanischen Unterstützer gefordert haben. Genau darauf ist aber nicht ausreichend vorbereitet worden, wohl mit der Mentalität der Bundesregierung, „das wird schon nicht so schlimm kommen“.

Das Patenschaftsnetzwerk Afghanischer Ortskräfte hat außerordentlichen Mut gefunden, die massiven Defizite der Bundesregierung auch der Öffentlichkeit mitzuteilen. Der Bundesregierung wird vollkommen zu Recht unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen. Man habe afghanische Helfer „bewusst zurückgelassen“. Verantwortlich dafür sei auch Kanzlerin Merkel. Das gilt natürlich nicht nur für Kanzlerin Merkel, versagende Verantwortung trägt natürlich das gesamte Bundeskabinett insbesondere mit Vizekanzler Olaf Scholz, Außenminister Maas und Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer.

Das fatale Ergebnis dieses Versagens auf Grund einer Mentalität „Das wird schon nicht so schlimm kommen“ kann nicht schlimmer sein. Den etwa 50.000 Ortskräften (und ihren Angehörigen) wurde schon länger versprochen, dass sie vor einer eventuellen Machtübernahme der Taliban nach Deutschland ausreisen könnten. Tatsächlich wurden bis zum 27. August lediglich 5347 Menschen durch die Bundeswehr ausgeflogen, darunter über 4100 Afghanen.

Was den Zurückgebliebenen droht ist klar: Schon jetzt werden schwere Menschenrechtsverletzungen aus dem Land gemeldet, darüber berichtete die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, bei einer Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf. Nach diesen Berichten gab es etwa Massenhinrichtungen von Zivilisten und ehemaligen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte.

Diese Mentalität „es wird schon nicht so schlimm kommen“ zieht sich wie ein Muster durch die Denk- und Handlungsweisen der Menschheit und hält sie davon ab, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Handlungen zu ergreifen. Dies gilt umso mehr für schleichende, lange Jahre sich aufbauende Katastrophenursachen, wie es die Erdüberhitzung ist.

Es ist klar seit über 30 Jahren. Jeder konnte wissen, dass es auch in Deutschland zu solch unerträglichen Katastrophen wie im Ahrtal kommen wird. Das große Problem ist: Es wurde lange Zeit, und wird letztendlich immer noch nicht, in dieser Dringlichkeit kommuniziert. Politiker fallen nach wie vor dem psychischen Mechanismus des Verdrängens zum Opfer. Nicht zuletzt, auch weil sie ihre Ämter erhalten wollen und „unangenehme Wahrheiten“, wie Al Gore es 2006 mit seinem Film ansprach, lieber verschweigen wollen, denn: Die will ja keiner hören.

Doch es zeichnet sich eine Wende ab: Politiker und Parteien werden mehr und mehr an ihrer Kompetenz gemessen, Katastrophen korrekt einzuschätzen. Zumindest ist das bei der Klimakrise der Fall, wenn man sich die junge Generation anschaut. Das ist nämlich die Generation, die sich ein weiteres Verdrängen nicht leisten kann. Sie wird der unmittelbaren Realität der Erderwärmung in ihrem Leben noch härter ausgesetzt sein als je zuvor. Man kann nur hoffen, dass dies Umdenken schnell genug geschieht, um das Schlimmste zu verhindern.

— Der Autor Hans-Josef Fell saß für die Grünen von 1998 bis 2013 im Deutschen Bundestag. Der Energieexperte war im Jahr 2000 Mitautor des EEG. Nun ist er Präsident der Energy Watch Group (EWG). Mehr zu seiner Arbeit finden Sie unter www.hans-josef-fell.de. —

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