Atomkraft – Nein danke!

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Jeder kennt diese etwas verstaubte Parole aus den 1970er- und 1980er-Jahren, die allerdings zumindest in Deutschland kaum noch zu lesen oder hören ist, nachdem die Bundesregierung anlässlich der Nuklearkatastrophe im Atomreaktor Fukushima Daiichi in Japan im Jahre 2011 den Atomausstieg beschloss. Auch weltweit ist der Kernenergieausbau nach diesem Zwischenfall weitestgehend zum Erliegen gekommen. Mit den neuesten Entwicklungen und Ankündigungen zum Thema Klimaschutz im In- und Ausland dürfte jedoch die Sorge berechtigt sein, dass es mit der Nutzung der Kernspaltung als CO2-arme Energiequelle noch nicht zu Ende ist. Die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen deren zu kurz gegriffene Klimaschutzbemühungen hat die Regierung in den letzten Wochen zu einer schnellen Nachbesserung genötigt. Diese erfolgte dann in einer Geschwindigkeit, wie sie bis dato keiner für möglich gehalten hatte. Allein die Konzepte zur konkreten Umsetzung fehlen oder sind noch zu nebulös formuliert. Aus diesem Grunde ist zu befürchten, dass manchen Politikern in Deutschland – aber auch weltweit – in den kommenden Jahren wieder nichts Besseres einfällt, als die gute alte Kernenergie als die beste, wenn nicht einzige fristgerecht realisierbare Lösung zu präsentieren.

„Regenerative Energiequellen sind zu unzuverlässig, da wetterabhängig, die bekannten Speichertechnologien sind noch zu teuer und deren öffentliche Förderung belastet die Volkswirtschaft“, so die ewige Leier, die wir uns laufend von konservativer Seite anhören müssen. Dabei ist die Nutzung der Sonnenenergie mittlerweile nachweislich die wirtschaftlichste Form der Energieerzeugung und Speichertechnologien werden auch immer preiswerter. Diese Aussage muss allerdings nach aktuellem Stand wieder relativiert werden. Leider schlagen wir uns noch immer mit einer Materialverknappung an allen Fronten herum. Das beginnt beim Polysilizium für die Solarzellenfertigung, geht über diverse Edelmetalle bis hin zu Glas- und Aluminium für die Modulproduktion. Darüber hinaus fehlen Bauteile für Wechselrichter, Stahl für die Unterkonstruktion und Kupfer für die Solarkabel. Zu allem Überfluss steigen die Frachtraten aus China beinahe täglich. Alle diese Faktoren lassen momentan die Modulpreise, sowie die Gesamtkosten für Photovoltaik-Anlagen in die Höhe schnellen. Sollten also Zweifler Recht behalten – ist Solarenergie zu teuer?

Nun, wir haben es hier eindeutig mit den Nachwehen der weltweiten Pandemie zu tun. Einerseits wurden Produktionen Corona-bedingt zumindest kurzzeitig heruntergefahren, der internationale Frachtverkehr reduziert oder sogar eingestellt. Andererseits stieg aber das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung und damit die Nachfrage nach Photovoltaik, insbesondere im Kleinanlagensektor. Die negativen Effekte sind aber nur von kurzer Dauer – zum Jahreswechsel dürfte sich die Situation normalisiert haben. Echte Zukunftsprognosen möchte zwar noch niemand abgeben, zu turbulent waren die letzten eineinhalb Jahre, aber eine Trendwende ist schon sehr realistisch – spätestens im Frühjahr 2022. Bis dahin heißt es: Durchhalten und um Verfügbarkeiten und Liefermengen kämpfen, mit den Auftraggebern nachverhandeln und Projekte realisieren, bei denen es beim Preis nicht auf den letzten Cent ankommt.

Was ist in Deutschland eigentlich genau passiert, das Anlass zur Sorge bereitet?

Nach einer Verfassungsbeschwerde von Klimaschützern, unter anderem aus der Fridays-For-Future-Bewegung, erklärte das Bundesverfassungsgericht das erst kürzlich von der Regierung verabschiedete Klimaschutzgesetz in Teilen als verfassungswidrig, da die dort vorgesehene Emissionsminderung ab 2031 nicht genügt, um Klimaneutralität zu erreichen. Man dürfe kommenden Generationen auf der Erde keine Situation hinterlassen, welche deren Freiheits- und Grundrechte einschränkt, sondern müsse die Lasten gerecht verteilen, so die Begründung des Urteils. Die Nachbesserung der Regierungsparteien, wohl auch im Hinblick auf den angehenden Wahlkampf, folgte auf den Fuß. Statt 2050 soll Deutschland jetzt bereits 2045 klimaneutral sein und das Klimaziel für 2030 wurde von 55 auf 65 Prozent Treibhausgasminderung angehoben. Klimafachleute warnen zwar davor, dass diese Vorgaben noch immer nicht ausreichen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, doch mancher Industrievertreter gibt schon einmal zu bedenken, dass dies alles viel zu teuer sein wird und dem Wirtschaftsstandort Deutschland den Todesstoß versetzen wird – immer das alte Lied.

Nun ist ja im Zusammenhang mit dem schrittweisen Abschalten aller Atomkraftwerke auch immer wieder von einer zu erwartenden „Stromlücke“ die Rede, die nicht mit erneuerbaren Energien, sondern nur mit Erdgas zu füllen ist. Wird sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier nach dem Karlsruher Urteil nun von seiner Erdgas-Strategie verabschieden? In jedem Falle ist in allen Reduzierungsszenarien auch immer die Rede von Treibhausgassenken, also technischen oder natürlichen Verfahren, CO2 aus der Atmosphäre zu holen und wieder dauerhaft in einzulagern. Es wird im Klimagesetz ja auch der irreführende Begriff „Klimaneutralität“ verwendet und nicht „Nullemission“ oder „100 prozentige regenerative Energieerzeugung“. Hier werden uns jedoch Ausgleichsmöglichkeiten vorgegaukelt, die bei näherer Betrachtung irreal sind. Es sterben durch den Klimawandel aktuell schon deutlich mehr Wälder, als neu angepflanzt und aufgezogen werden können. Und die technische Entnahme von Kohlenstoff aus der Luft mit anschließender Einlagerung in ein Reservoir unter der Erde, die sogenannte CO2-Sequestrierung, ist weder sicher noch energetisch sinnvoll umsetzbar.

Der Erfolg der deutschen Klimabewegung bei der Einforderung ambitionierterer Klimaziele wird wohl weltweit Nachahmer dazu anstiften, in ihren Ländern ebenfalls Klage einzureichen, was prinzipiell sehr positiv zu bewerten ist. So entsteht meiner Meinung nach aber auch die große Gefahr, dass uns in der Folge die Kernenergie als Notlösung präsentiert wird. Allerdings ist es denkbar beziehungsweise zu erwarten, dass bei wiederauflebenden Atomausbauplänen ebenfalls Verfassungsbeschwerde eingelegt wird, da auch der zwangsläufig anfallende radioaktive Atommüll eine Bürde ist, die folgenden Generationen nicht ohne Weiteres zugemutet werden kann. Insofern ist das Gerichtsurteil richtungsweisend in vielerlei Hinsicht.

Droht uns dennoch eine Renaissance der Atomenergie?

Zunächst einmal folgende Feststellung: selbst nach dem jeweils neuestem Stand der Technik sind Atommeiler nie hundertprozentig sicher, wie man am Unfall im Kernkraftwerk Fukushima unschwer erkennen kann. Auch der erst zwei Jahre vor dem Super-GAU in Tschernobyl errichtete russische Reaktor war damals das Modernste, was es in den 80ern gab. Die Techniker vor Ort konnten jedoch nicht damit umgehen und ließen einen an sich harmlosen Testlauf außer Kontrolle geraten. Menschliches Versagen verursachte dort also eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes. Solch ein verunglücktes Kraftwerk muss in Folge stark gesichert und über viele hunderttausend Jahre bewacht werden. Doch auch jetzt schon drohen die beiden Reaktorruinen wieder Probleme zu bereiten. Aus Tschernobyl wird von Besorgnis erregenden Vorkommnissen im Inneren des Sarkophags berichtet und auch in Fukushima bahnt sich eine weitere Umweltkatastrophe durch das Ablassen der gigantischen Mengen an kontaminiertem Kühlwasser ins Meer an. Ist dann ein weiterer solcher Vorfall überhaupt in irgendeiner Form zu verantworten? Der unmittelbare Nutzen von Kernenergie steht doch in keinstem Verhältnis zum Schaden, der bei einem Unfall entsteht!

Sonne und Wind hingegen werden seit mehr als 30 Jahren ohne größere Störfälle zur Energieerzeugung genutzt. Bei einer Stilllegung von Erzeugungsanlagen bleiben nur wertvolle Rohstoffe übrig, die zunehmend gut recycelt werden können. Zwar gibt es bisweilen Proteste durch Anwohner, die sich vornehmlich durch die räumliche Nähe von Windparks belästigt fühlen. Es handelt sich im Vergleich zur Kernkraft aber um vergleichsweise junge Technologien. Kontinuierliche Weiterentwicklung macht sie in den kommenden 10 bis 20 Jahren vermutlich so effizient und unauffällig, dass sich keiner mehr an ihrem Erscheinungsbild stört.

Um also eine Exhumierung der bereits totgeglaubten Atomkraft überflüssig zu machen, benötigen wir eine Beschleunigung des Ausbaus von erneuerbaren Energien auf die doppelte Geschwindigkeit – im Minimum. Dies gelingt durch die Abschaffung vieler heute noch existierenden Hürden, insbesondere für die Errichtung von Onshore-Windparks, und die Schaffung von neuen Anreizen für den privaten Ausbau. Allerdings sollten diese nicht unbedingt in einer Erhöhung der EEG-Vergütung münden, bei der nur wieder höhere Anlagenpreise gerechtfertigt werden und mancher Hersteller seine Marge maximieren kann. Vielmehr sollten intelligentere Fördermaßnahmen ins Spiel gebracht werden wie Steuerersparnisse, Abschaffung von Umlagen für die Betreiber oder echte Industrieförderung für die Ansiedelung von lokalen Produzenten. Wenn das Material nicht mehr um die halbe Welt gefahren wird, kann viel CO2 eingespart werden – und die Produkte können obendrein preiswerter angeboten werden.

Übersicht der nach Technologie unterschiedenen Preispunkte im Mai 2021 inklusive der Veränderungen zum Vormonat (Stand 17.05.2021):

— Der Autor Martin Schachinger ist studierter Elektroingenieur und seit über 20 Jahren im Bereich Photovoltaik und regenerative Energien aktiv. 2004 machte er sich selbständig und gründete die international bekannte Online-Handelsplattform pvXchange.com, über die Großhändler, Installateure und Servicefirmen neben Standardkomponenten auch Solarmodule und –wechselrichter beziehen können, welche nicht mehr hergestellt werden, aber für die Instandsetzung defekter Photovoltaik-Anlagen dringend benötigt werden. —

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