„Anschlag auf die Energiewende“

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„Gigantische, revolutionäre Zerstörung der Energiewende und damit des Klimaschutzes“ resumiert Frank Farenski. Seinem Gespräch mit Andreas Piepenbrink, Geschäftsführer von E3/DC, ist zu entnehmen, dass mit dem „Barometer-Gutachten“ des Bundeswirtschaftsministeriums beabsichtigt wird, einer dem dezentralen Wesen der erneuerbaren Energien entsprechenden Struktur aus autonomen, in sich autarken, aber zusätzlich miteinander vernetzten Energiezellen den Riegel vorzuschieben. Die von Millionen klimaschutzengagierten Menschen über Jahrzehnte hin dezentral und demokratisch vorangetriebene Energiewende soll demnach zur Sackgasse erklärt werden. Die Schlüsselgewalt für das gesamte energetische Geschehen soll über ein allumfassendes Netz wieder in die Hände alter, vom Hunger nach Maximalprofit getriebener Konzerne gelangen.

Das Vorhaben ist nicht ganz neu (siehe zum Beispiel den Artikel „Statt Spinnennetz gute Nachbarschaften“).  Jetzt sollen offenbar Nägel mit Köpfen gemacht werden.

Die Bundesregierung wählt hierfür einen Moment, in welchem ohnehin Änderungen am bisherigen System anstehen: Nach 20 Jahren EEG fallen nun Anlagen nach und nach aus der Förderung, und entgegen verbaler Hoffnungsmache seitens der Regierung bleibt der 52-Gigawatt-Photovoltaik-Deckel nach wie vor bestehen und wird demnächst erreicht. Danach gebaute Anlagen bis 750 Kilowatt erhalten dann keine staatlich garantierte Einspeisevergütung mehr.

Gespräch von Frank Farenski und Andreas Piepenbrink (E3/DC) zum „Barometer-Gutachten“ des BMWi

Zum besseren Verständnis der nationalen Situation sollte allerdings auch die internationale Lage betrachtet werden. Diese ist geprägt von einer noch nicht dagewesenen Krise der fossilen Energie. Da die Vorräte an Öl und Gas nun mal nicht wachsen, sondern weniger werden, hat die einschlägige Industrie rabiate Techniken entwickelt, wodurch die Fördermengen zunächst erhalten und sogar vergrößert werden konnten. In den USA hat Fracking einen Gas- und Öl-Boom ausgelöst. Da die Technik sehr teuer ist, basierte dieser allerdings von Anfang an auf Krediten. Jetzt, wo die Öl- und Gaspreise extrem sinken, platzen die Schuldenblasen reihenweise. Die Sache hat eine völlig andere Dimension als die Immobilienblasen 2007.

Hans-Josef Fell schrieb dazu im Februar in „Die fossile Energiewirtschaft in der Krise – Kommt bald der große Crash?“: „Nun sind ein krisenanfälliger Ölmarkt und die Probleme der fossilen Energien für den Klimaschutz eine gute Nachricht. Doch steht zu befürchten, dass ein größerer Crash von Energieunternehmen auch die restliche Weltwirtschaft in eine Krise stürzen könnte.“ Und an anderer Stelle: „All dies zeigt: die Öl- und Erdgasbranche steckt ganz tief in der Krise und hofft, dass es keiner bemerkt.“

Diese Hoffnung wird nun – exakt getimed und mit schier unfassbarer Perfektion – erfüllt: Wenn der Tsunami aus Pleiten und Arbeitslosigkeit anrollt, wird Corona als Ursache dastehen und nicht die krisenhafte, Klima und Umwelt zerstörende fossile Energiewirtschaft.

Letztere bäumt sich auf, und in diesem Kontext ist auch das Vorhaben der Bundesregierung zu sehen. Den jahrzehntelangen Enthusiasmus klimaschützender, gemeinwohlorientierter und demokratisch gesonnener Menschen zugunsten rein aus Profitinteresse handelnder Oligarchen abzuwürgen, ist nicht nur hässlich und destruktiv, sondern hat auch etwas Verzweifeltes.

Andreas Piepenbrink bedauert, dass aus den Reihen der Energiewende-Akteure niemand „aufsteht“. Auch das ist aber nicht neu. Wir haben nämlich durchaus einen Anteil daran, dass die Regierungen die Deformation und Sinnverkehrung des ursprünglichen EEG   durchziehen konnten:

  • Die Änderung des Wälzungsmechanismus der EEG-Umlage 2010, die es ermöglichte, die erneuerbaren Energien als Strompreistreiber zu diffamieren,
  • die „Sonnensteuer“ auf Eigenverbrauch,
  • die bösartigen, absurden, rein der Abschreckung dienenden bürokratischen Vorschriften –

dies und vieles mehr, das ab 2012 zum Verlust von 80.000 Arbeitsplätzen in der Photovoltaik-Branche in Deutschland führte, wurde von den Erneuerbaren-Verbänden und Firmen ohne nennenswerten Widerstand geschluckt.

Die Gründe hierfür scheinen mir darin zu liegen, dass Teile der Energiewende-Bewegung bis zum heutigen Tag nicht wirklich wahrnehmen, dass die Bundesregierung ganz klar auf der Seite der konventionellen Energiekonzerne steht und deren Partikularinteressen so weit unterstützt, wie es angesichts der nach wie vor stabilen Pro-Energiewende-Mehrheit in der Bevölkerung politisch irgend machbar ist. So findet man in Stellungnahmen immer wieder ein Bemühen, die Bundesregierung wohlmeinend beraten zu sollen, da ihr Fachwissen für die erneuerbaren Energien fehlen würde. Das ist naiv und lächerlich. Das Wissen, das die Bundesregierung braucht, um ihre Ziele zu verfolgen, nämlich die Unterstützung der konventionellen und die Beschränkung der erneuerbaren Energie, hat sie in hervorragendem Maße.

Auch bei Piepenbrink selbst gibt es noch die Tendenz, die Regierung auf Sinnwidrigkeiten hinzuweisen. So versteht er nicht, wie es sein kann, dass ein 10-jähriges Förderprogramm der Länder zur Speicherentwicklung, dass eine Menge Geld gekostet hat, im Fall des Bestehenbleibens des 52-Gigawatt-Deckels zu Makulatur wird. Klar, die Speicher sind den Konventionellen der unangenehmste Dorn im Auge. Denn wenn es genügend Speicher gibt, hat das letzte Stündlein der fossilen Energie unwiderruflich geschlagen. Und für Maßnahmen, die dies verhindern, setzt man mit dem größten Vergnügen Millionen in den Sand.

Alle, denen es ernsthaft um Klimaschutz und Energiewende geht, sollten wirklich begreifen, dass die herrschende Politik nicht unfähig, sondern Gegner der Energiewende ist – und zwar ein hoch potenter Gegner. Durch ihre Gesetzgebung arbeitet diese Politik in raffinierter und oft nicht leicht durchschaubarer Weise gegen Klimaschutz und Energiewende.

Ich kann nur aufrufen, uns unabhängig von der Politik mit unseren Nachbarn zusammenzutun, Solarmodule und Batteriespeicher zu kaufen und uns gemeinsam mit Sonnenstrom zu versorgen – und zwar ohne irgendjemanden um Erlaubnis zu fragen! Wenn wir einen Kühlschrank kaufen und benutzen wollen, fragen wir auch nicht um Erlaubnis.

Die Erneuerbaren samt Speicherung und Sektorenkopplung sind inzwischen so weit, dass wir anfangen können, uns durch sie zu 100 Prozent zu versorgen. Nicht mit einem Schlag und noch nicht überall, aber wir müssen und können damit jetzt anfangen. “E3/DC bräuchte ja theoretisch gar keine Einspeisevergütung. Was wir aber bräuchten, sind einfache Regulierungen“ sagt Andreas Piepenbrink.

Diese einfachen Regulierungen finden sich in der Erneuerbaren-Richtlinie der EU. Da erwartet werden muss, dass die Richtlinie bei der Umsetzung in deutsches Recht deformiert wird, liegt es nahe, ihren Geist und ihre Absichten jetzt schon praktisch anzuwenden – in Verantwortung für unser aller Zukunft.

Wir haben Neuland zu erkunden. Mut und ein gewisser Pioniergeist können da hilfreich sein. Ja, es geht nicht nur gegen die bösen Konzerne, wir selbst sind auch Gewohnheitstiere, die sich voraussichtlich total neuen Erfahrungen stellen müssen!

Diesbezüglich hat nun die Corona-Geschichte einen durchaus positiven Aspekt: Sie veranlasst uns, schon mal auszuprobieren, wie es ist, aus einer ganzen Reihe von Gewohnheiten auszusteigen. Und eigentlich klappt es doch gar nicht so schlecht.

— Der Autor Christfried Lenz war unter anderem tätig als Organist, Musikwissenschaftler und Rundfunkautor. Politisiert in der 68er Studentenbewegung, wurde „Verbindung von Hand- und Kopfarbeit“ – also möglichst unmittelbare Umsetzung von Erkenntnissen in die Praxis – zu einer Leitlinie seines Wirkens. So versorgt er sich in seinem Haus in der Altmark (Sachsen-Anhalt) seit 2013 zu 100 Prozent mit dem Strom seiner PV-Inselanlage. Nach erfolgreicher Beendigung des Kampfes der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“ engagiert er sich ganz für den Ausbau der Erneuerbaren in der Region. Als Mitglied des Gründungsvorstands der aus der BI hervorgegangenen BürgerEnergieAltmark eG, wirkte er mit an der Realisierung einer 750 Kilowatt-Freiflächenanlage in Salzwedel. Lenz kommentiert das energiepolitische Geschehen in verschiedenen Medien und mobilisiert zu praktischen Aktionen für die Energiewende. —

Die Blogbeiträge und Kommentare auf www.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion(at)pv-magazine.com.

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