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Das Chaos bei Meldepflichtsanktionen geht weiter

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Eigentlich sollte mit dem Energiesammelgesetz alles zu diesem Thema gesagt sein. Eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts Memmingen lässt jedoch Zweifeln aufkommen. Zudem ist mit den jüngsten Änderungen des EEG ein Satz in den Gesetzestext eingefügt worden, der für neue Irritationen sorgt. Es ist daher an der Zeit, dass nun auch der Bundesgerichtshof (BGH) endlich Klarheit schafft.

Hintergrund des Streits

Photovoltaik-Anlagen müssen nach ihrer Inbetriebnahme nicht nur dem örtlichen Netzbetreiber, sondern auch der Bundesnetzagentur gemeldet werden. Die Pflicht zur Meldung neuer Photovoltaik-Anlagen bei der Bundesnetzagentur besteht seit dem EEG 2009, das am 1. Januar 2009 in Kraft trat.  Dabei war die einschlägige Regelung des Gesetzes allerdings dermaßen „mit heißer Nadel gestrickt“, dass die Rechtsfolgen einer Meldepflichtverletzung von Anfang an unklar waren.

Seitdem wurde diese doppelte Meldepflicht mit jeder größeren Änderung des EEG wieder geändert. Nach der ursprünglichen Regelung des EEG 2009 konnte der Anlagenbetreiber keine EEG-Vergütung verlangen, solange die Anlage nicht auch der Bundesnetzagentur bekannt war. Das EEG 2012 sah eine leicht abgemilderte, das EEG 2014 dann wieder eine härtere Sanktion vor.

Mit dem EEG 2017, das am 1. Januar 2017 in Kraft trat, hat der Gesetzgeber die Sanktion einer solchen Meldepflichtverletzung schließlich deutlich entschärft. Demnach sollen Meldepflichtverletzungen nur noch mit einer Vergütungsreduzierung um 20 Prozent, statt wie zuvor um 100 Prozent sanktioniert werden – und zwar rückwirkend zum 01.08.2014.

Reduzierung der Vergütung um 20 Prozent oder um 100 Prozent – das kann in der Praxis einen erheblichen Unterschied ausmachen. In dem Fall, den das Landgericht Memmingen zu entscheiden hatte, ging es immerhin um rund 100.000 Euro, die der Netzbetreiber vom Anlagenbetreiber zurückverlangte.

Was folgt, gleicht einem Justizkrimi

Das EEG 2017 war kaum in Kraft, da stellte sich der erste Netzbetreiber auf den Standpunkt, dass die im Gesetz angeordnete Rückwirkung der Sanktionsabmilderung nicht für Photovoltaik-Anlagen gelte. Der Netzbetreiber verwies auf eine Normenkollisionen in den Übergangsbestimmungen des EEG: Zwar sehe der neue § 100 Absatz 1 des EEG die rückwirkende Anwendung der milderen Sanktionsnorm vor. Diese Regelung gelte aber nur für Biogas-Anlagen. Denn der nachfolgende § 100 Absatz 2 des EEG schreibe vor, dass für PV-Anlagen, die vor dem Inkrafttreten des EEG 2014 in Betrieb genommen wurden, weiterhin die harte Sanktion gelte.

Die Argumentation der Netzbetreiber war bei Lichte betrachtet allerdings wenig überzeugend. Sowohl das für das EEG federführend zuständige Bundeswirtschaftsministerium als auch die Clearingstelle EEG ließen umgehend wissen, dass sich die rückwirkende Abmilderung auf sämtliche meldepflichtige Anlagen – also auch Photovoltaik-Anlagen – beziehe. Eine Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme sei vom Gesetzgeber nicht gewollt.

Diese Aussage fand auch Eingang in die Gesetzesbegründung des sogenannten Mieterstromgesetzes, das unter anderem eine Änderung des EEG beinhaltete und im Juni 2017 vom Deutschen Bundestag beschlossen wurde. Zur gleichen Zeit aber hatte sich der BGH erstmalig mit der Meldepflichtverletzung eines PV-Anlagenbetreibers zu befassen. Mit Urteil vom 5. Juli2017 (Az. VIII ZR 147/16) folgte der BGH der Argumentation des Netzbetreibers und entschied, dass für Photovoltaik-Bestandsanlagen weiterhin die alte, harte Sanktion gelte – also Reduzierung um 100 Prozent.

In der Begründung zu diesem Urteil ging der BGH allerdings mit keiner Silbe auf die entscheidungserhebliche Norm des EEG ein. Auch die Klarstellung des Gesetzgebers in der Begründung zum Mieterstromgesetz fand keine Erwähnung. Darüber hinaus fußte die Argumentation des BGH nicht nur auf falschen Annahmen, sondern kam auch zu einem seltsamen Ergebnis: Denn demnach sollten die Anlagen, die unter dem EEG 2012 in Betrieb genommen wurden und die ursprünglich weniger hart sanktioniert werden sollten, nun deutlich schlechter gestellt sein.

Das Amtsgericht Ratzeburg überzeugte die Argumentation des BGH daher nicht. Mit dezidierter Begründung widersprach das Gericht dem BGH und urteilte am 8. Dezember 2017 (Az. 17 C 733/15), dass die 20-Prozent-Regelung auch auf PV-Bestandsanlagen anzuwenden sei. Der BGH ließ die Kritik an seinem Urteil indes nicht gelten: Mit Beschluss vom 8. Mai 2018, der zu einem ähnlich gelagerten Fall erging, ging der BGH zwar auch auf das Urteil des AG Ratzeburg ein, hielt jedoch an seiner Rechtsauffassung fest (Az. VIII ZR 71/17). Andere Gerichte sind seitdem der Linie des BGH gefolgt, wenden also weiterhin die 100-Prozent-Reduzierung an.

Kompetenzkonflikt zwischen Gesetzgeber und Gerichten

Der eigentliche Justizkrimi spielt sich allerdings weniger im Verhältnis zwischen dem BGH und dem AG Ratzeburg ab. Dass Gerichte unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten, kommt vor. Größere Brisanz hat vielmehr der verfassungsrechtliche Konflikt, der sich zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung auftut.

Der BGH hat im Beschluss vom 8. Mai 2018 nämlich darauf abgestellt, dass der Gesetzgeber den Inhalt des Gesetzes nicht im Nachhinein umdeuten könne. Die Ausführungen aus der Gesetzesbegründung zum Mieterstromgesetz seien nach Auffassung des BGH von vornherein nicht geeignet, dem Gesetz einen anderen Sinn zu vermitteln.

Der Gesetzgeber sah sich deshalb veranlasst, mit dem am 21. Dezember 2018 in Kraft getretenem Energiesammelgesetz erneut auf die Frage der Rückwirkung der Sanktionsabmilderung einzugehen. Nunmehr beließ es der Gesetzgeber jedoch nicht bei klarstellenden Ausführungen in der Gesetzesbegründung. Auch der Gesetzestext selbst wurde klarer gefasst, indem nämlich der Vorrang der 20-Prozent-Regelung noch einmal ausdrücklich vorgeschrieben wird. In der ausführlichen Gesetzesbegründung zu dieser Vorrangregelung heißt es, dass die Sanktionsregelung für Bestandsanlagen von den Gerichten „teilweise“ nicht im Sinne des Gesetzgebers angewendet worden sei. Der Gesetzgeber stellt zudem ausdrücklich klar, dass es keinen sachlichen Grund gebe, ältere Photovoltaik-Anlagen bei den Sanktionsfolgen schlechter zu stellen als jüngere PV-Anlagen: „wann die (…) erzeugende Anlage in Betrieb genommen wurde, ist dafür unerheblich“.

Damit hätte es eigentlich gut sein müssen. Das Landgericht Memmingen sieht es jedoch anders und rüttelt mit seinem am 1. Februar 2019 verkündeten Urteil an der Büchse der Pandora (Az. 33 O 732/18). Die Auslegung des BGH sei für den Gesetzgeber gewissermaßen unantastbar und könne vom Gesetzgeber nicht mehr geändert werden. Mit einem einzigen Satz wischt das Gericht den insoweit eindeutigen Willen des Gesetzgebers beiseite: „Insbesondere ist nachträglicher gesetzgeberischer Begründungsaufwand nicht geeignet, der seitens des BGH vorgenommenen Auslegung gleichsam im Nachhinein zu einem anderen (gesetzgeberisch erwünschten) Ergebnis zu verhelfen.“

Was will uns das Gericht damit sagen? Soll es dem Gesetzgeber, wenn der BGH erst einmal entschieden hat, in aller Zukunft verwehrt sein, ein Gesetz noch einmal zu ändern?  Man mag vielleicht darüber streiten, ob die jüngste Änderung des EEG tatsächlich nur klarstellenden Charakter hat (wofür in der Tat vieles spricht). Dass der Gesetzgeber die umstrittene Normkollision zwischen der 20-Prozent-Regelung (§ 100 Abs. 1 EEG) und der 100-Prozent-Regelung (§ 100 Abs. 2 EEG) zugunsten der milderen Sanktion aufgelöst hat, kann jedoch nicht ernsthaft bezweifelt werden.

Spätestens seit Inkrafttreten des Energiesammelgesetzes haben daher alle Netzbetreiber und alle Gerichte die 20-Prozent-Regelung anzuwenden. Die Auslegung des BGH steht nicht über dem Gesetz. Die bisherige Rechtsprechung des BGH ist obsolet. Sie kann nicht mehr als Begründung dafür herhalten, Betreiber von Bestandsanlagen mit der überholten, vollen Härte des Gesetzes zu sanktionieren. Der BGH sollte hier endlich für Klarheit sorgen.

Neue Normkollision

Wenig hilfreich ist allerdings, dass mit dem Energiesammelgesetz – wohl unbewusst – eine neue Normkollision geschaffen wurde. Zwar wurde die bislang umstrittene Normkollision ausdrücklich durch die Vorrangregelung zugunsten der milderen Sanktion aufgelöst. Im selben Zuge wurde jedoch mit § 100 Abs. 11 EEG ein neuer Satz eingefügt, der dieses Ergebnis scheinbar wieder in Frage stellt. Dort heißt es nämlich, dass für Solaranlagen, die vor dem Inkrafttreten des Energiesammelgesetzes in Betrieb genommen wurden, weiterhin das EEG in der zuvor geltenden Fassung anzuwenden sei.

Manche Netzbetreiber weigern sich daher weiterhin, die mildere Sanktion auf Photovoltaik-Bestandsanlagen anzuwenden. Damit missachten sie jedoch den eindeutigen Willen des Gesetzes. Auch der neu eingefügte § 100 Abs. 11 EEG steht der Anwendung der 20-Prozent-Regelung nicht entgegen. Ein Blick in die Gesetzesbegründung erleichtert die Rechtsfindung. Es dient niemanden, den Streit um die Rechtsfolgen einer Meldepflichtverletzung auf dem Rücken der betroffenen Anlagenbetreiber weiter in die Länge zu ziehen.

Das besagte Urteil des AG Ratzeburg vom 8. Dezember 2017 ist übrigens mittlerweile rechtskräftig. Die klagende Netzbetreiberin hat ihre Berufung nach der Klarstellung durch das Energiesammelgesetz zurückgenommen. Bleibt zu hoffen, dass diese Einsicht nun auch bei den übrigen Netzbetreibern einkehrt.

Der Autor Rechtsanwalt Sebastian Lange ist Inhaber der in Potsdam ansässigen Projektkanzlei (www.projektkanzlei.eu). Rechtsanwalt Lange ist auf das Recht der Erneuerbaren Energien spezialisiert und vertritt bundesweit Projektierer und Betreiber von Photovoltaikanlagen. Er hat auch die im Beitrag erwähnten Urteile des AG Ratzeburg vom 08.12.2017 und des LG Memmingen vom 01.02.2019 für die beklagten Anlagenbetreiber erstritten.

 

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