ETH-Forscher: Wie Batteriezellen aus Europa kommen können

Teilen

Das scheint Common Sense zu sein: Die Batteriezellen kommen aus Asien. Diese Entwicklung ist uneinholbar, die dortigen Hersteller rennen möglichen europäischen Wettbewerbern technologisch weg. Geht es wirklich nicht in Europa?

Tobias Schmidt

Foto: ETH Zürich

Tobias Schmidt: Doch, es geht. Aber nicht unbedingt so, wie mancher Politiker sich das vorstellt.

Wer stellt sich was falsch vor?

Schmidt: Zum Beispiel EU-Vizepräsident Maroš Šefčovič. Er will eine rein europäische Zellfertigung nach dem Vorbild Airbus. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier scheint ebenso ein europäisches Konsortium aufbauen zu wollen. Wir sind dagegen der Meinung, dass es sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich ist, jetzt eine reine europäische Batteriezellen-Industrie aufzuziehen.

Im Fachmagazin Science machen Sie einen Vorschlag.

Schmidt: In unserem Artikel schlagen wir vor, Partnerschaften mit den Innovationsführern aus Ostasien einzugehen.

Welchen Vorteil haben die europäischen Unternehmen dann überhaupt noch von der europäischen Fertigung?

Schmidt: Man könnte natürlich auch sagen: Wir lassen uns die Batteriezellen einfach liefern. Für Elektroautos ist die Batteriezelle aber eine sehr strategische Komponente, die einen massiven Mehrwert schaffen kann. Wenn ich heute weiß, welche Zelleigenschaften ich in drei Jahren erreichen werde, dann kann ich meine Autos entsprechend ganz anders designen. Mit Partnerschaften kann ich besser abschätzen, wie sich die Zellen entwickeln, und habe damit einen Wettbewerbsvorteil.

Martin Beuse

Foto: ETH Zürich

Martin Beuse: Mit Partnerschaften kann man außerdem die Richtung der Zellentwicklung stärker und direkter mitbestimmen und sich gegebenenfalls Vorteile im Wettbewerb erarbeiten. Man muss sich überlegen, wie und wo eine Batterie genutzt wird. Brauche ich zum Beispiel eine Batterie für ein „Shared Vehicle“, die sehr viele Zyklen beherrscht? Oder möchte ich meine Batterie eher für die Schnellladung optimieren? Oder für die Reichweite, das heißt für eine möglichst hohe Energiedichte? Je höher die Energiedichte, umso schwerer ist es, die Stabilität zu managen. Dann kann man zwar weit fahren, aber nicht so oft. Je nach Ziel muss man andere Kompromisse machen. All das erfordert unterschiedliche Feinabstimmungen der Zellchemie und damit auch in der Produktion. Die Entwicklung zu immer höheren Energiedichten ist übrigens extrem getrieben von der Politik in China, die diese Ziele sehr detailliert vorgibt. Da muss sich die deutsche Industrie überlegen, wie unabhängig sie sich von diesen Vorgaben machen will.

Aber warum sollten die möglichen Partner, Technologieführer aus Asien, den europäischen Autohersteller so weit in die Technologie reinschauen lassen? Haben diese überhaupt ein Interesse an solchen Produktionspartnerschaften?

Schmidt: Ich denke, generell ja. Die europäische Automobilindustrie ist einfach ein riesiger potenzieller Kunde für diese Anbieter, vor allem auch im Premiumsegment, für das es sich besonders lohnt, Hochleistungszellen zu entwickeln.

Als ein Argument für eine europäische Zellfertigung gilt die hohe damit assoziierte Wertschöpfung. Aber einen großen Teil dieser Wertschöpfung machen doch die Rohstoffe aus, die man importieren muss. Also zählt das Argument nicht?

Beuse: Gut 60 Prozent des Wertes einer aktuellen Elektroauto-Batteriezelle liegt in den Rohstoffen. Sprich, ein sehr großer Teil der Wertschöpfung liegt auch in der Fertigung der Zelle. Aber bei der Zelle ist ja auch nicht Schluss, es kommen natürlich noch die Zellassemblierung in Packs sowie die Integration in das Fahrzeug hinzu. Zudem sehen wir bei den führenden Herstellern einen Trend zur vertikalen Integration in der Wertschöpfungskette in den Materialbereich, über Partnerschaften bis hin zu Direktinvestitionen in die Rohmaterialgewinnung. Gerade für das erwartete starke Absatzwachstum ist es wichtig, die Materialbeschaffung sicherstellen zu können.

Sie haben für den Artikel in Science untersucht, wie Fertigung nach Europa geholt werden könnte. Wie sind Sie an die Frage herangegangen?

Schmidt: Das war für das Format „Policy Forum“ in Science, in dem es darum geht, Einsichten aus der Wissenschaft zu nutzen, um konkrete Policy-Fragen zu beantworten. Unser Startpunkt waren die Aussagen von Maroš Šefčovič und Peter Altmaier und die Tatsache, dass sie auch das entsprechende Geld in die Hand nehmen wollen. In unserer Forschung schauen wir uns Innovationsmuster verschiedener Technologien an. Zum Beispiel sind diese Muster im Bereich Windkraft ganz anders als die im Bereich Photovoltaik und beide sind anders als bei den Batteriezellen. Wir können damit etwas zu der Frage beisteuern, wie industrielle Catching-up-Prozesse ablaufen, also wie eine Industrie aufholen kann. Das läuft bei verschiedenen Technologien aufgrund von inhärenten Technologiecharakteristika sehr unterschiedlich ab.

Was sind die Charakteristika in der Batteriezellentechnologie?

Schmidt: Batteriezellen sind in zweifacher Weise komplex. Einerseits haben sie ein komplexes Design, also mehrere Komponenten, die aufeinander abgestimmt werden müssen. Gleichzeitig ist auch die Komplexität der Herstellung hoch, wie auch in der Photovoltaik. Es gibt sehr viele Prozessschritte, die sehr stark ineinander verzahnt sind. Wenn ich einen Prozessschritt anpasse, muss ich viele andere anpassen. Ich weiß auch nicht unbedingt genau, wie viele ich anpassen muss und wie. Das heißt, ich muss Erfahrung sammeln, um gut und effizient zu produzieren und meine Herstellung zu optimieren. Diese Erfahrung resultiert in stillschweigendem Wissen oder „Tacit Knowledge“. Das ist bei Photovoltaik-Produktion sehr wichtig.

Und das ist bei Batteriezellen noch komplizierter?

Schmidt: Ja. Das Design einer Photovoltaikzelle ist eher simpel im Vergleich zu dem einer Batteriezelle. Eine Batteriezelle ist komplexer, weil die Komponenten, also Anode, Kathode und Elektrolyt, sehr ineinander verzahnt sind. Wenn ich eine Komponente ändere, muss ich die beiden anderen ebenfalls anpassen. Dadurch gibt es sehr viele Optimierungsprobleme. Noch wichtiger ist, dass auch die Herstellung und das Design miteinander verzahnt sind. Wenn ich im Design etwas anpasse, muss ich in der Regel auch die Herstellung anpassen. Dabei ist nicht immer klar, wie ich was anpassen muss. Dadurch gibt es wahnsinnig viele kleine Optimierungsprobleme, die sich aufaddieren. Dadurch wird dieses stillschweigende Wissen, das ich nur sehr schwer aufholen kann, bei Batteriezellen noch wichtiger.

Es gibt in Europa bereits Absichtserklärungen, in Partnerschaften Produktionen aufzubauen. So wollen BMW und der chinesische Hersteller CATL zusammen in Thüringen produzieren. Geht das in die richtige Richtung?

Schmidt: Ja, auf jeden Fall. Daran sieht man auch: Generell haben die Asiaten ein Interesse. Es entstehen ja auch andere große Zellfabriken in Osteuropa von LG Chem, Samsung und SK Innovation. Es gibt also gar nicht unbedingt einen großen Standortnachteil. Allerdings ist noch die Frage, wie sich diese Partnerschaft zwischen BMW und CATL entwickeln wird.

Tesla und Panasonic machen es vor, oder?

Schmidt: Ja, aber diese Partnerschaft ist viel enger und die beiden Unternehmen sind viel mehr auf Augenhöhe.

Kann so eine Partnerschaft dazu führen, dass ein Partner irgendwann alleine weitermacht?

Schmidt: Ja, das kann schon passieren. Das würde aber recht lange dauern. Interessant ist, dass von der Partnerschaft zwischen Panasonic und Tesla nicht nur Tesla sehr profitiert. Panasonic profitiert auch sehr davon. Nicht nur, weil sie ihre Zellen verkaufen, sondern weil sie detaillierteres Wissen darüber bekommen, wie ihre Zellen im Einsatz performen. Das würden sie nicht so leicht bekommen, wenn Tesla einfach immer nur die Panasonic-Batterien kaufen würde.

Daimler Benz hatte einmal angedeutet, den nächsten Technologieschritt abzuwarten und dann eventuell wieder in die Zellfertigung einsteigen zu wollen. Ist das sinnvoll?

Schmidt: Das ist sehr riskant. In Deutschland hört man häufig, wir überspringen die aktuelle Zelltechnologie und machen direkt die Festkörperbatteriezellen. Das Problem ist aber: Ein großer Teil des Wissens, das ich brauche, um solche Zellen zu designen, herzustellen und zu optimieren, basiert auf der aktuellen Technologie. Das heißt, es gibt keine Revolution in den Zelltechnologien, sondern eine Evolution.

Beuse: Außerdem entwickelt sich die derzeitige Technologie auch weiter, mit immer neuen Kathoden-Materialien oder Materialzusammensetzungen, neuen Additiven auf der Elektrolytseite und auch auf der Anodenseite, beispielsweise mit dem teilweisen Ersatz von Grafit durch Silizium. Man wird auf unter 100 Dollar pro Kilowattstunde Zellpreis kommen. Das muss man mit einer neuen Zelltechnologie erst mal erreichen.

Wir haben auch erneut eine Diskussion, in Europa wieder eine Solarzellen- und Solarmodulproduktion in größerem Maßstab zu etablieren. Müsste man das auch in Partnerschaften mit den dominierenden asiatischen Herstellern machen?

Schmidt: Nein. Weil die inhärente Technologie-Komplexität in der Photovoltaik ganz anders ist als bei der Batteriezellenfertigung. Es ginge auch ohne solche Partnerschaften, zumal führende Hersteller von Zellfertigungsanlagen immer noch aus Europa kommen. Wenn ich in der Lage bin, mir die neuesten Anlagen zu kaufen und sie günstig zu finanzieren, dann baue ich sofort eine günstige Zelle und kann auf dem Commodity-Markt für Solarzellen mitspielen. So haben die Chinesen das vor knapp zehn Jahren ja gemacht.

Wie definiert man am besten Commodity?

Schmidt: Eine Commodity ist ein uniformes Gut, also Stahl zum Beispiel oder Zement. Egal, aus welcher Fabrik es kommt, es ist immer das Gleiche, und man kann es nur über den Preis differenzieren. Eine Solarzelle geht sehr viel mehr in die Richtung einer Commodity als eine Batteriezelle. Daher kann man nicht einfach von den führenden Battteriezellenherstellungs-Equipment-Firmen hier Fabriken bauen lassen und dann auf dem Weltmarkt mitspielen. Anders als bei der Photovoltaik gibt es auch gar keinen Commodity-Markt für große Batteriezellen.

Bei der Batteriezelle spielen die Feinheiten der Chemie eine Rolle, während Solarzellen durch die Effizienz definiert sind?

Schmidt: Genau. Eine Solarzelle ist vor allem über ihren Wirkungsgrad definiert. Sie ist ein Halbleiter, es gibt also nur kleinere Veränderungen in der Zelle, nachdem sie produziert wurde. Daher altert sie nur langsam. Eine Batteriezelle kann je nach Anwendung sehr unterschiedlich designt sein und unterliegt viel stärkeren Abnutzungsprozessen in der Nutzungsphase. Sie dehnt sich zum Beispiel während eines Lade- und Entladezyklus stark aus. Dadurch hat man eine mechanische Belastung. Und diese Prozesse sind von Batterie zu Batterie unterschiedlich und müssen in den Griff bekommen werden.

Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert werden. Wenn Sie mit uns kooperieren und Inhalte von uns teilweise nutzen wollen, nehmen Sie bitte Kontakt auf: redaktion@pv-magazine.com.