So billig geht die Energiewende

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Im Vergleich zum „weiter so“ kostet die Energiewende in den nächsten 36 Jahren im Mittel pro Jahr 33 Milliarden Euro oder 0,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Das sagt eine Abschätzung des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme ISE, die der stellvertretende Institutsleiter Hans-Martin Henning in Berlin vorstellte.

Für diese Aussage haben die ISE-Forscher Hans-Martin Henning und sein Kollege Andreas Palzer ihr Computermodell des deutschen Energiesystems verfeinert (siehe pv magazine Poster mit den Ergebnissen 2013). Es berechnet nun ein Abbild des Energiesystems für jede Stunde von heute bis zum 31. Dezember 2050. Damit sucht es dann in einer Optimierung den kostengünstigsten Weg. Dabei variiert es etwa den Wind- und Solarenergieausbau, die Geschwindigkeit, mit der Gebäude energetisch saniert werden und berücksichtigt verschieden Szenarien für den Ausstieg aus der Kohleverstromung und alles, so Henning, „was das Energiesystem ausmacht“.

Das Ziel ist, nicht nur das beste Szenario für das Jahr 2050 zu finden, sondern auch den kostengünstigsten Pfad dorthin, mit dem die Klimaziele der Bundesregierung eingehalten werden. Das war bisher nicht möglich.

„Das ist eine reine Systemkostenanalyse“, erklärt Hans Martin Henning. Die Experten haben nicht mit eingerechnet, dass das „weiter so“ zum Beispiel eine höhere Feinstaubbelastung mit sich bringen würde, die volkswirtschaftliche Kosten verursacht. Sie haben auch mit Absicht andere bekannte volkswirtschaftlichen Vorteile der Energiewende nicht berücksichtigt. Beim jetzigen Energiesystem werde das Geld für fossile Brennstoffe ausgegeben und es fließe in die Länder, die die Rohstoffe liefern, so Henning. Im nicht viel teureren Energiewendeszenario werde das Geld für dagegen für Anlagenbau und Wertschöpfung hierzulande ausgegeben.

Die Kernmessage ist: Selbst ohne solche für die Energiewende vorteilhaften Effekte einzubeziehen, ist die Energiewende technisch machbar und die eventuellen Mehrkosten von 33 Milliarden Euro pro Jahr halten sich im Rahmen. Über alle 36 Jahre zusammen belaufen sich die Mehrkosten auf 1.100 Milliarden Euro. „Sie sind vergleichbar mit denen der deutschen Einheit“, sagt Hennig. Dazu werden Kosten von 2.000 Milliarden Euro kolportiert.

Die ISE-Studie gibt keine Handlungsanweisungen an die Politik. Sie zeigt allerdings sinnvolle Korridore für die Gebäudesanierung, den Ausbau der erneuerbaren Energien vor und andere Parameter auf. Wie die Ziele erreicht werden, ist dann Aufgabe der Politk.

Sechs Szenarien gegenübergestellt

Am Ende haben die ISE-Experten aus den Ergebnissen sechs plausible Szenarien für die Transformation des Energiesystems entworfen, die sie gegeneinander stellen, um bestimmte Fragen zu beantworten (Grafik 1, siehe unten).

Die 33 Milliarden Euro Mehrkosten für den Fall „Energiewende“ im Vergleich zum Fall „keine Energiewende“ beziehen sich auf ein Szenario, das den Klimaschutzplan der Bundesregierung mit allen Zwischenstufen einhält und bei dem 2050 der Kohlendioxidausstoß um 80 Prozent gegenüber 1990 reduziert wird (2020: -40 %, 2030: -55 %, 2040: -70%). Dabei wurde zusätzlich angenommen, dass die Gebäudesanierung schnell (in der Studie natürlich definiert) stattfindet, dass die Kohlemeiler beschleunigt abgeschaltet und die Autos nicht nur mit Strom, sondern teilweise auch mit anderen Antriebskonzepten fahren.

Ansonsten sind die 1.100 Milliarden Euro, beziehungsweise die 33 Milliarden Euro pro Jahr, eher konservativ gerechnet. Wenn die Kosten für die fossilen Brennstoffe steigen, wenn CO2-Zertifikatspreise steigen oder wenn Technologiesprünge die Kosten der Erneuerbaren noch mehr reduzieren als heute abschätzbar, dann reduzieren sich die Mehrkosten. Oder das Energiewendeszenario wird sogar in der reinen Systemkostenanalyse günstiger.

Die ISE-Forscher stellten auch die Frage, wie teuer die CO2-Zertifikate sein müssten, damit ein regeneratives Energiesystem günstiger als das derzeitige mit dem hohen CO2-Ausstoß ist. Wenn ab sofort die Tonne CO2 statt 5 Euro 100 Euro kosten würde, wäre die Energiewende auch in dieser rein volkswirtschaftlichen Rechnung günstiger als das „weiter so“. Wenn außerdem die fossilen Brennstoffe im Mittel 2 Prozent pro Jahr teurer werden, wäre das Energiewende-Szenario sogar 600 Milliarden Euro günstiger als das „weiter so“.

Es ist noch mehr Klimaschutz möglich

Ein bisschen mehr Klimaschutz als in dem kostengünstigsten minus-80-Prozent-Szenario bekommt man außerdem fast kostenlos dazu. Für nicht viel mehr Geld könnte man das CO2 auch um 85 Prozent im vergleich zu 1990 reduzieren. Daher lohnt sich besonders ein genauerer Blick auf dieses Szenario (Siehe Grafiken unten). In diesem minus-85-Prozent-Szenario ergibt sich als optimaler Energiemix die Entwicklung, die in Grafik 5 dargestellt ist. Für die Photovoltaik kommen 166 Gigawatt Leistung für 2050 heraus. Das macht einen jährlichen Zubau von mindestens 3,5 Gigawatt notwendig, ungefähr dreimal mehr als dieses Jahr installiert werden wird.

Ab einer Kohlendioxidreduktion von mehr als 90 Prozent im Vergleich zu 1990 sieht Hans-Martin Henning einen Kipppunkt erreicht. In dem minus-95-Prozent-Szenario wird es in großem Maßstab nötig, mit Strom chemische Energieträger herzustellen, zum Beispiel als Power-to-Gas.

Schnellerer Kohleausstieg würde sich lohnen

Eine der politisch brisanteren Fragen ist, welchen Effekt ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung hätte. Dazu hat das ISE zwei Szenarien gegeneinander gestellt. Im ersten Szenario werden die Kohlekraftwerke entsprechend der bei der Netzagentur hinterlegten „Sterbelinie“ abgeschaltet. In einem anderen Szenario wird der Kohleausstieg wie von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks im Juli 2015 in die Diskussion gebracht ab Anfang der 2030er Jahre beschleunigt. Dann gehen die letzten Meiler bereits 2040 außer Betrieb (Grafik 2, Szenarien #3 und #4 im Vergleich). Das interessante ist: Die beschleunigten Szenarien ist nicht nur günstiger, sondern es werden auch weniger erneuerbare Energien benötigt (Grafik 4). Denn durch den Ausstieg kann mehr Gas verwendet werden und trotzdem das CO2-Minderungsziel eingehalten werden, da die Gasverbrennung effizienter als die Kohleverstromung ist.

Interessant ist auch das Ergebnis der Rechnungen für die Heizungen. In dem günstigsten Szenario werden 80 Prozent umgestellt auf Wärmepumpen (siehe auch FAQ: Wärmepumpen und Photovoltaik), von denen ein Teil elektrisch, ein Teil mit Gas angetrieben wird.

Das ISE-Modell betrachtet auch die Elektromobilität. Wenn man den Computer frei das günstigste Energiesystem auswählen ließe, würden im Jahr 2050 alle Autos mit Strom fahren. Die ISE-Experten haben trotzdem Alternativszenarien mit anderen Antriebsarten, zum Beispiel Brennstoffzellen, berechnet. Denn je nach der weiteren Entwicklung der Technologien ist es denkbar, dass die Menschen teilweise andere Technologien bevorzugen, weil deren Reichweite höher ist.

Wenn die Transformation des Energiesystems erst einmal abgeschlossen ist, kostet das neue regenerative Energiesystem übrigens nicht mehr als die fossile Brennstoffe und die Erhaltungsinvestitionen heute. Wenn die Brennstoffkosten steigen, womit mittelfristig zu rechnen ist, ist das neue Energiesystem günstiger.

Die ISE Studie ist nicht die einzige, die dieses Ergebnis hat. „Alle Studien sagen, dass es sich lohnt und technisch machbar ist“, sagt Institutsdirektor Eicke Weber. (Michael Fuhs)

Grafiken:

Grafik 1: Vom ISE im Detail betrachtete Szenarien. Szenarien #4 und #5 sind nach der Analyse die sinnvollsten, wenn man sich mit 80 oder 85 Prozent CO2-Reduktiuon bis 2050 zufrieden gibt. Was unter hoher Sanierungsrate und beschleunigtem Kohle-Ausstieg zu verstehen ist, wird in der Studie definiert.

Grafik 2: Kosten der einzelnen Energiewende-Szenarien nach den ISE-Berechnungen. Die Kosten sehen sehr hoch aus. Sie beziehen sich aber auf 36 Jahre, so dass pro Jahr die Differenz zu dem Szenario „ohne Energiewende“ (rechte Säule) für die Szenarien #4 und #5 nur etwa 33Milliaren Euro pro Jahr oder 0,8 % des Bruttoinlandprodukts. Szenario #6 betrachtet statt einer 80- oder 85 prozentigen CO-2-Reduktion den Fall einer 95 prozentigen CO-Reduktion. Das Referenzszenario betrachtet den Fall, dass das heutige Energiesystem eingefroren wird. Es beinhaltet also nur die Erhaltungsinvestitionen und Brennstoffkosten. Die Brennstoffkosten wurden ohne Kostensteigerung berechnet. Wenn die Preise für Kohle, Gas und Öl steigen, schrumpft der Preisvorteil.

Grafik 3: Wenn die Zertifikatspreise von heute 5 Euro ab sofort auf 100 Euro steigen würden, wäre die Energiewende automatisch billiger als das „weiter so“. Allerdings ist solch ein Anstieg unwahrscheinlich. Es wird also keinen Automatismus geben.

Grafik 4: Anteile der verschiedenen Energieträger in den verschiedenen Szenarien. Szenarien #4 und #5 sind die kostenoptimalsten. Bei 166 Gigawatt Photovoltaik und einer Haltbarkeit von 30 Jahre wäre ein Zubau von 5,3 Gigawatt pro Jahr nachhaltig. Wenn man nur die Anlagen betrachtet, die in dem Szenario bis 2050 zugebaut werden müssen, ist das jährliche Mittel für einen sinnvollen Zubau 3,5 Gigawatt ( (166 GW – 40 GW) / 36 Jahre).

Grafik 5: So müssten die Erneuerbaren ausgebaut werden, damit die Energiewende möglichst billig wird. Das ist die Umsetzung des „85-Prozent-Szenarios“ #5.

Grafik 6: In dem 85 Prozent Szenario werden nicht alle fossilen Kraftwerke abgeschaltet, da der Kohlendioxidausstoß nicht auf Null reduziert wird. Außerdem muss ein Kraftwerkspark für die so genannte Dunkelflaute vorgehalten werden, wenn zum Beispiel im Winter über einige Tage kein Wind weht und die Sonne schwach ist. Die Gasturbinen laufen im Jahr 2050 aber nur 500 bis 1.000 Stunden der 8.000 Stunden, die ein Jahr hat. Daher muss man sich überlegen. Hans Martin Henning sagt, man müsse die Kosten eigentlich als Netzkosten betrachten und auch entsprechend auf alle umlegen.

Grafik 7: Auch der Energiebedarf der Gebäude ist Teil der ISE Szenarien. Bim 85-Prozent-Szenario werden die meisten Heizungen optimalerweise auf Wärmepumpen umgestellt. Allerdings sind auch Gas-Wärmepumpen darunter. Laut Hans-Martin Henning sind die Heizungen derzeit eine der größten Ineffizienzen. So sei zwar der Wirkungsgrad der Gasthermen hoch. Allerdings würde man eine sehr hochwertige Energieform (Gas) einsetzen, um „55 Grad“ Wärme zu erzeugen.

Grafik 8: Trotz Umstellung der Heizungen zu einem großen Anteil mit Wärmepumpe wird Solarthermie auch in dem ökonomisch optimierten Szenario stärker genutzt werden. Sie eignet sich auch im Gewerbe für Prozesswärme-Erzeugung.

Grafik 9: Essenz der ISE-Studie für das minus-85-Prozent-Szenario. Wenn der Preis der fossilen Brennstoffe nicht steigen würde und die CO2-Zertifikatspreise so billig sind, dass man sie vernachlässigen kann, kostet die Transformation insgesamt 27 Prozent mehr als ein „weiter so“, das sind pro Jahr rund 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Steigen die Rohstoffpreise um 2 Prozent pro Jahr und steigen die Preise für CO2-Zertifikate, wird die Energiewende günstiger sein als ein „weiter so“. NAch der Transformation ist die neue, CO2-arme Energiewelt, auf keinen Fall teurer als die heutige CO2-Energiewelt.

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